Die durch SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) verursachte Pandemie hat sich zu einer der größten globalen Herausforderungen unserer Zeit entwickelt. Während die initiale Berichterstattung aus China auf die pulmonalen Manifestationen der COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Erkrankung fokussiert war, zeigten die Erfahrungen aus der Lombardei und aus New York schnell, dass es zu einem Befall mehrerer Organe kommt und die Niere das zweithäufigst betroffene Organ darstellt. Die große Zahl von intensivpflichtigen COVID-19-Patient*innen mit dialysepflichtigem Nierenversagen stellt die Nephrologie vor große Herausforderungen.

Häufigkeit von AKI bei COVID-19 im Intensivbereich

Die akute Nierenschädigung („acute kidney injury“, AKI) ist eine häufige und folgenschwere Komplikation bei intensivpflichtigen COVID-19-Patient*innen. Bei 60–90 % dieser Patient*innen kommt es zum AKI, bei 20–37 % sogar zu einem nierenersatztherapiepflichtigen AKI (Tab. 1; [13, 17, 34]).

Merke. 1/3 der invasiv beatmeten COVID-19-Patient*innen entwickelt ein dialysepflichtiges Nierenversagen

Tab. 1 Inzidenz von akuter Nierenschädigung („acute kidney injury“, AKI) und Notwendigkeit zur Nierenersatztherapie bei COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Patient*innen auf Intensivstationen

Die größte Studie zu intensivpflichtigen COVID-19-Patient*innen stammt aus Großbritannien und basiert auf den Daten des ICNARC(Intensiv Care National Audit and Research Center)-Registers [27]. Von 10.834 COVID-19-Patient*innen auf insgesamt 289 Intensivstationen erhielten 26,7 % ein Nierenersatzverfahren für im Median 9 (5–18) Tage. In Deutschland zeigen die Daten einer Studie auf der Basis von administrativen Daten von AOK(Allgemeine Ortskrankenkasse)-Patient*innen [20], dass während des Untersuchungszeitraums 30,7 % der 1318 invasiv beatmeten Patient*innen ein Nierenersatzverfahren benötigten. Basierend auf Inzidenz‑, Hospitalisierungs- und Intensivpflichtigkeitsdaten im Rahmen der Pandemie ist zu vermuten, dass etwa 0,1–0,2 % der mit SARS-CoV-2-infizierten ein Nierenersatzverfahren benötigen.

Aktuell ist unklar, ob die COVID-19-Pneumonie häufiger mit einer Nierenbeteiligung einhergeht als andere virale Pneumonien. Kohortenstudien aus der H1N1-Epidemie (Schweinegrippe) in 2009 zeigen zwar niedrigere Raten von dialysepflichtigem AKI (7–17 %; [4, 21]), allerdings betrug das durchschnittliche Alter der hospitalisierten Patient*innen hier auch nur 48 Jahre bzw. 43 Jahre. Dieser Umstand unterscheidet die damalige Pandemie von der heutigen, denn anders als bei COVID-19 waren Menschen höheren Alters (>60 Jahre) bei der H1N1-Pandemie seltener betroffen [38].

Die bereits zitierte britische ICNARC-Studie berichtete neben den Outcomes der COVID-19-Kohorte auch die Outcomes einer Vergleichskohorte von viralen Non-COVID-19-Pneumonien (n = 5782), die zwischen Januar 2017 und Dezember 2019 auf britischen Intensivstationen behandelt wurden [27]. Von diesen Patient*innen erhielten 17 % Dialyse, verglichen mit 27 % in der COVID-19-Kohorte. Allerdings unterschieden diese Gruppen sich in einigen Schlüsselmerkmalen, z. B. wurden nur 50 % der Patient*innen in der Non-COVID-19-Kohorte gegenüber 72 % der COVID-19-Patient*innen invasiv beatmetet. Tatsächlich geht ein ARDS („acute respiratory distress syndrome“) jedweder Ätiologie mit einem Dialyserisiko von ungefähr 20 % einher, sodass die oben genannten Häufigkeit von dialysepflichtigem Nierenversagen bei COVID-19 nicht in hohem Maße von dieser Inzidenz abzuweichen scheint [24, 36]. Einschränkend ist aber festzuhalten, dass robust adjustierte Vergleiche der Dialyseinzidenz bei COVID-19-ARDS und Non-COVID-19-ARDS aktuell nicht verfügbar sind.

Risikofaktoren und Prädiktoren für schweres AKI

Dialysepflichtiges Nierenversagen tritt nahezu ausschließlich bei invasiv beatmeten Patient*innen und in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Intubation auf. In einer amerikanische Kohortenstudie mit 3099 Intensivpatient*innen und einer Dialysequote von 21 % erhielten nur 3 nicht-invasiv beatmete Patient*innen ein Nierenersatzverfahren [17]. Dabei ging die maschinelle Beatmung der Dialysepflichtigkeit in über 99 % der Fälle voraus. Auch in der AOK-Studie aus Deutschland wurden nur 1,37 % der nicht-invasiv beatmeten Patient*innen gegenüber 30,7 % der invasiv beatmeten mit einem Dialyseverfahren behandelt [20]. Die Critical-illness-Hypothese wird durch eine wachsende Zahl von histopathologischen Untersuchungen an Nierengewebe von AKI-Patient*innen unterstützt [29, 30, 33]. Der mit Abstand häufigste histologische Befund in Nieren von COVID-19-Patient*innen ist eine akute Tubulusnekrose im Bereich des proximalen Tubulus. In einigen Fällen wurden zusätzlich Zeichen der thrombotischen Mikroangiopathie gefunden. Einen seltenen Befund stellen glomeruläre Läsionen i. S. einer „collapsing glomerulopathy“ dar.

Merke. Bei COVID-19-Patient*innen ist das Auftreten von dialysepflichtigem Nierenversagen zeitlich eng mit dem Beginn der invasiven Beatmung assoziiert


Eine Vielzahl von Risikofaktoren für COVID-19-assoziiertes AKI (Tab. 2) überlappt mit den Risikofaktoren für schwere Krankheitsverläufe [13, 17, 19]. Eine mögliche Rolle eines direkten renalen Tropismus von SARS-CoV‑2 bei der Entwicklung von schwerem AKI wird dadurch gestützt, dass ein positiver SARS-CoV-2-Nachweis im Nierengewebe von verstorbenen COVID-19-Patient*innen mit kürzeren (und damit schwereren) Krankheitsverläufen berichtet wurde [8, 23].

Tab. 2 Potenzielle Risikofaktoren für COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-assoziiertes akutes Nierenversagen („acute kidney injury“, AKI). (Modifiziert nach [23])

Verlauf von COVID-19-assoziiertem Nierenversagen bei Intensivpatient*innen

Ähnlich wie andere kritische Erkrankungen [35], weist auch COVID-19 eine stark erhöhte Krankenhausmortalität auf, sobald ein AKI vorliegt. 33–50 % der COVID-19-Patient*innen mit AKI gegenüber 7–8 % der Patient*innen ohne AKI sterben während des Krankenhausaufenthalts [10, 13]. Die Mortalität steigt stadienabhängig und ist erwartungsgemäß mit 57–73 % am höchsten bei Patient*innen, die Nierenersatztherapie erhalten [17, 18, 20, 34]. Zum Vergleich: Die Krankenhausmortalität unter den AOK-Patient*innen, welche invasiv beatmet wurden, jedoch kein Nierenersatzverfahren benötigten, betrug 44,8 % [20].

Merke. Die Mehrzahl der COVID-19-Patient*innen mit dialysepflichtigem Nierenversagen stirbt während des Krankenhausaufenthalts


Wenn Patient*innen die Akutphase von COVID-19 überleben, ist eine Erholung der Nierenfunktion wahrscheinlich. Bei zwei Dritteln der Patient*innen zeigt sich sogar eine vollständige Rückbildung des AKI zum Zeitpunkt der Entlassung [10]. Auch nach der Entlassung scheint eine weitere Erholung der Nierenfunktion häufig zu sein. So berichteten Chan et al., dass nach einem medianen Follow-up von 21 Tagen nach Entlassung weitere 36 % eine volle Erholung ihrer Nierenfunktion erreichten. Ein ähnliches Bild zeigte sich bei den Überlebenden mit dialysepflichtigem AKI. In 2 Studien konnten mehr als zwei Drittel der Patient*innen das Akutkrankenhaus ohne Dialyse verlassen [17, 34].

Merke. Bei zwei Dritteln der Patient*innen zeigt sich sogar eine vollständige Rückbildung des AKI zum Zeitpunkt der Entlassung


Robuste Nachbeobachtungen der Patient*innen, die bei Entlassung weiter dialysepflichtig waren, fehlen bisher ebenso wie Untersuchungen zum Langzeitverlauf der Nierenfunktion bei weitgehender Erholung.

Nierenersatzverfahren bei COVID-assoziiertem AKI

Es gibt keine Evidenz dafür, dass ein COVID-19-assoziiertes AKI anders behandelt werden sollte als ein AKI anderer Genese [23]. Bezüglich Indikationsstellung, Auswahl der Modalität und Dialysedosis sei hier auf etablierte Leitlinien verwiesen (Kidney Disease: Improving Global Outcomes [KDIGO]).

Auch bei COVID-19-assoziiertem AKI gelten die etablierten Indikationen für eine Nierenersatztherapie (medikamentös nicht therapierbare Hyperkaliämie, Volumenüberladung, metabolische Azidose, Urämie). Kürzlich konnte die STARRT-AKI-Studie an 3019 (Non-COVID-19-)Patient*innen keinen Nutzen für eine frühe Einleitung einer Nierenersatztherapie bei AKI im Stadium 2 oder 3 zeigen [5]. Damit liegen nun 3 randomisierte multizentrische Studien (AKIKI, IDEAL ICU, STARRT AKI) vor, die übereinstimmend keinen Benefit von frühem Dialysebeginn zeigen konnten [5, 6, 15]. Im Gegenteil: In der AKIKI- und in der STARRT-AKI-Studie ergaben sich Hinweise für schädliche Effekte eines zu frühen Dialysebeginns (mehr Infektionen, mehr Dialyseabhängigkeit nach 90 Tagen). Auch für Patient*innen mit ARDS fanden sich in einer Post-hoc-Analyse keine Vorteile einer frühzeitigen Einleitung einer Nierenersatztherapie [16]. Somit empfiehlt es sich, die Entscheidung zur Einleitung einer Nierenersatztherapie bei COVID-19-Patient*innen von objektiven Indikationskriterien (z. B. refraktäre Volumenüberladung oder Hyperkaliämie) abhängig zu machen.

Merke. Auch bei ARDS besteht keine Evidenz für einen frühen Dialysebeginn

Extrakorparale und systemische Antikoagulation bei COVID-19

Schwere Verläufe von COVID-19 führen zu einer systemischen Hyperkoagulabilität mit deutlich erhöhtem Thromboserisiko [22]. Verkürzte Filterlebensdauer durch vermehrtes Filter-Clotting wurden für Heparindialysen bei COVID-19-Patient*innen berichtet [12]. Eine prophylaktische Antikoagulation wird bei allen hospitalisierten Patient*innen mit COVID-19 empfohlen [22]. Ein möglicher Benefit von höheren (intermediären) Heparindosen bei kritisch kranken Patient*innen wird in laufenden Studien untersucht.

Falls eine Heparinantikoagulation eingesetzt wird, sollte beachtet werden, dass schwere COVID-19-Verläufe häufig mit spontanen Verlängerungen der partiellen Thromboplastinzeit (PTT) einhergehen, sodass die Gabe von unfraktioniertem Heparin (UFH) mittels Anti-Faktor-Xa-Assay überwacht werden sollte. Darüber hinaus scheint das Phänomen der Heparinresistenz ein verbreitetes Problem bei COVID-19 zu sein [7, 37]. Aus diesen Gründen empfehlen publizierte Guidelines die Verwendung von niedermolekularem Heparin [22].

Merke. Die PTT ist bei COVID-19 häufig verlängert und zur Antikoagulationssteuerung nicht geeignet


Die Frage der optimalen extrakorporalen Antikoagulationsstrategie bei Nierenersatzverfahren bei COVID-19 ist derzeit nicht abschließend beantwortet. Kürzlich wurden in der RICH-Studie an 596 (Non-COVID-19-)Intensivpatient*innen die Effekte einer extrakorporalen Zitratantikoagulation mit denen der Heparinantikoagulation verglichen [39]. Dabei wurden deutlich verlängerte Filterüberlebenszeiten unter Zitratantikoagulation berichtet, ohne dass sich Effekte auf die Mortalität nachweisen ließen. In der Zitratgruppe zeigten sich außerdem signifikant weniger Blutungskomplikationen (−11,8 %), aber mehr Infektionen (12,6 %).

Merke. Zitratantikoagulation reduziert über längere Filterüberlebenszeiten Arbeitsaufwand, Materialverbrauch und Kontakt mit potenziell infektiösen Patient*innen


Insgesamt ist zu schlussfolgern, dass derzeit für COVID-19 spezifische Studiendaten und Empfehlungen zu systemischen und extrakorporalen Antikoagulationsstrategien fehlen. Auf unseren Intensivstationen praktizieren wir derzeit ein individualisiertes Vorgehen, wobei zumeist eine extrakorporale Zitratantikoagulation mit einer an den Krankheitsverlauf adaptierten systemischen Antikoagulation kombiniert wird. Nicht zuletzt ist dieses Verfahren im Hinblick sowohl auf Verbrauchsmaterial als auch auf den Personaleinsatz ressourcenschonender.

Akute Peritonealdialyse als Alternative zur Hämodialyse bei Nierenversagen in Krisenzeiten

In der ersten Welle der Pandemie kam es in mehreren Krankenhäusern in New York und London durch die überwältigende Zahl von nierenersatztherapiepflichtigen Patient*innen zu einer Knappheit von Hämodialyse(HD)-Geräten. Zum kurzfristigen Ausbau der Dialysekapazitäten und zu Vermeidung von Triage-Situationen wurden unter hohem Zeitdruck alternative Konzepte entwickelt. Dazu gehörte die Etablierung von Akut-Peritonealdialyse(PD)-Programmen [9, 11, 31]. Die Akut-PD bei AKI stellt für Nephrologen in Industrieländern zwar Neuland dar, ist aber eine in Entwicklungsländern lange etablierte Methode [26, 28]. Eine Reihe von klinischen Studien zeigt, dass Akut-PD auch bei beatmeten Intensivpatient*innen komplikationsarm durchgeführt werden kann [2, 14, 25]. Dabei ist die metabolische Kontrolle offenbar der HD gleichwertig.

Merke. Akut-PD stellt eine Alternative zur HD bei ausgewählten Intensivpatient*innen mit AKI dar


Die Katheteranlage zur Akut-PD erfolgt mittels Minilaparoskopie (bevorzugt bei intubierten Patient*innen) durch Chirurg*innen, Radiolog*innen oder interventionell ausgebildete Nephrolog*innen unter Durchleuchtung, entweder direkt auf der Intensivstation oder auch im Operationssaal [1, 3]. Die Nutzung des Katheters erfolgt innerhalb der ersten 24 Stunden zunächst mit reduzierten Füllvolumina (1–1,5 l). Eine ausführliche Beschreibung des Protokolls sowie eine Diskussion der Herausforderungen von Akut-PD und potenzielle Lösungen im Rahmen der Pandemie bieten Srivatana et al. [31] und Sourial et al. [32]. Dabei wurden die Erfahrungen aus New York und London insgesamt als positiv bewertet. Interessanterweise scheinen Leckagen trotz der sofortigen Katheternutzung nach Anlage selten zu sein. In der Kohorte des Mount Sinai Hospital (n = 21) kam es nur bei einem/einer Patient*in in den ersten 24 h zu einer Leckage, die nach Reduktion der Füllvolumina spontan sistierte [11]. Ein Problem bei der Anwendung von Akut-PD stellt die Bauchlagerung dar. Das intraperitoneale Volumen führt zu einer Erhöhung des intraabdominellen Drucks und kann darüber die Beatmung erschweren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Akut-PD bei ausgewählten Patient*innen eine gangbare Möglichkeit darstellt, um in einer Krisensituation die Dialysekapazitäten zu erweitern.

Fazit für die Praxis

  • Die akute Nierenschädigung (AKI) tritt bei über zwei Dritteln der intensivpflichtigen COVID-19(„coronavirus disease 2019“)-Patient*innen auf, und 20–30 % bedürfen einer Nierenersatztherapie.

  • Die renale Prognose von Überlebenden ist gut; zwei Drittel von ihnen können vor Entlassung von der Dialyse entwöhnt werden. Auch vollständige Rückbildungen des AKI sind häufig.

  • Bei COVID-19-assoziiertem AKI gelten die etablierten Indikationen für die Dialyseeinleitung. Ein früher Dialysebeginn bietet vermutlich auch bei ARDS („acute respiratory distress syndrome“) keinen Benefit.

  • COVID-19 führt zu einer Hyperkoagulabilität, die mit häufigem „clotting“ von extrakorporalen Systemen einhergeht. Eine suffiziente Antikoagulation ist sicherzustellen. Zitratdialyse verlängert das Filterüberleben und kann zu einer Reduktion von Materialverbrauch und Arbeitsaufwand beitragen.

  • Akut-PD (Peritonealdialyse) ist rasch implementierbar und stellt eine Möglichkeit dar, um in Krisenzeiten Dialyseressourcen zu erweitern. Akut-PD ist bei ausgewählten Patient*innen der Hämodialyse gleichwertig.