Einleitung

Psychosoziale Belastungsfaktoren in der Kindheit und Jugend können sowohl unmittelbar als auch zeitlich versetzt psychische Auffälligkeiten und Erkrankungen zur Folge haben [22]. Kinder, die wiederholt psychosozialen Widrigkeiten ausgesetzt sind, entwickeln eine anhaltende Stressreaktion, die das Risiko für verschiedene negative Konsequenzen wie Krankheiten, Störungen und soziale Probleme im späteren Leben erhöht [8, 10, 15]. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, psychosoziale Belastungsfaktoren frühzeitig zu erkennen, um das Risiko von psychischen und körperlichen Folgeerkrankungen zu reduzieren.

Psychosoziale Präventivmedizin in pädiatrischen Praxen

Die Identifikation und Weitervermittlung psychosozial belasteter Familien stellt einen zentralen Aspekt der pädiatrischen Präventivmedizin dar. Aus einer repräsentativen Studie des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen [21] ging hervor, dass die überwiegende Mehrheit der Pädiater:innen den Umgang mit psychosozial belasteten Familien als besonders herausfordernd einschätzte. Als Gründe wurden äußere Rahmenbedingungen (zu wenig Zeit für die Gespräche oder nicht angemessene Vergütung), Schwierigkeiten im Erkennen von Belastungen oder fehlende Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit psychosozial belasteten Familien genannt. Die Unterstützung von Pädiater:innen bei der Identifikation von familiären psychosozialen Belastungen stellt einen wichtigen Ansatzpunkt dar, um Belastungen möglichst frühzeitig zu erkennen und maladaptive Trajektorien bei Kindern abmildern oder abwenden zu können. Besonders für den Altersbereich der frühen Kindheit wurde die Rolle pädiatrischer Praxen bei der Feststellung psychosozialer Belastungen sowie von deren Hilfe- und Unterstützungsbedarf hervorgehoben. Beispielsweise ist seit 2015 bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres im Rahmen von 10 Gesundheits-(U)-Untersuchungen die stärkere Betrachtung psychosozialer Aspekte vorgesehen [6]. Die aktuell laufende Prüfung zur Aufnahme der U10 und Verbesserung der J1 in die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung [7] unterstreicht das Bestreben, Kinder und Jugendliche im gesamten Altersspektrum mit präventiver Zielstellung zu erreichen. Dabei kann eine valide und zeitökonomische Erfassung psychosozialer Belastungsfaktoren wahrgenommene Barrieren pädiatrischer Präventivmedizin verringern.

Instrumente zur Erfassung psychosozialer Belastungen in Familien im deutschsprachigen Raum

Im deutschsprachigen Raum besteht kein Konsens zum Einsatz von Screeningbögen zur Fremdeinschätzung von psychosozialen familiären Belastungen durch Fachpersonal im Gesundheitswesen. Tabelle A (s. Online-Supplement) zeigt das Ergebnis einer Literaturrecherche zu Screeningbögen im deutschsprachigen Raum zum Stand 21.07.2023 (Ausschluss: Screeningbögen für spezifische medizinische Fachbereiche wie z. B. der Onkologie). Die Recherche ergab sieben Screeninginstrumente, die für die Kontexte Geburtshilfe, Kindertagesbetreuung und Pädiatrie entwickelt wurden. Die Ergebnisse psychometrischer Untersuchungen zu einigen der Instrumente weisen insgesamt darauf hin, dass die Fremdbeurteilungen durch Studierende und Fachpersonal valide und reliabel durchgeführt werden können (z. B. [11, 12, 20]). Es sind jedoch auch einige Lücken identifizierbar: Mit Ausnahme des Wahrnehmungsbogens für den Kinderschutz [12, 13], der bis zum Vorschulalter konzipiert ist, sind alle Bögen auf das erste Lebensjahr begrenzt. Außerdem decken die Bögen oft spezifische Bereiche ab und es fehlt ein Instrument, das psychosoziale Risikofaktoren breit erfasst. Ein kurzer Screeningbogen, der psychosozialer Belastungsfaktoren in der gesamten Spanne des Kindes- und Jugendalters erfasst, verspricht eine bestehende Lücke in der pädiatrischen Präventivmedizin zu schließen.

Entwicklung des Screeningbogens für psychosoziale Belastungen in Familien PFAM-Screen (0–18 Lebensjahre)

Der Screeningbogen für psychosoziale Belastungen in Familien (PFAM-Screen) wurde für den Altersbereich von 0 bis 18 Lebensjahren entwickelt (Tabelle B, Online-Supplement). Als Grundlage wurden der Wahrnehmungsbogen für den Kinderschutz in den Versionen „Rund um die Geburt“ [13] und „Kleinkind- und Vorschulalter“ [12] und der pädiatrische Anhaltsbogen [2] herangezogen, da diese Bögen verhältnismäßig kurz psychosoziale Aspekte erfassen. Im Konsensprozess zwischen Expert:innen aus dem Bereich der Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters (A. K. G., J. W., I. A.-A. B., J. D., J. K.) wurden aus diesen Bögen Items übernommen oder adaptiert, die sich für den gesamten Altersbereich eignen. Ergänzt wurden diese mit Items basierend auf zusätzlichen empirisch gesicherten psychosozialen Risikofaktoren [5].

Die Items aus dem pädiatrischen Anhaltsbogen, welche Hinweise auf psychischen Auffälligkeiten des Säuglings oder Kleinkindes anzeigen [2], wurden für den Altersbereich 0 bis 5 Lebensjahre angepasst und um zwei ältere Altersstufen (6 bis 12 Lebensjahre und 13 bis 18 Lebensjahre) ergänzt. Die Itementwicklung erfolgte in Anlehnung an die psychiatrischen Krankheitsbilder [17] und stellt eine Auswahl von in der klinischen Praxis häufig vorkommenden Symptomen und Funktionseinschränkungen dar.

Abschließend erfassen drei Items eine Gesamteinschätzung zur Belastung, ein unbestimmtes Gefühl der Sorge der einschätzenden Fachkraft und die Einschätzung zu den Bewältigungsmöglichkeiten der Familie.

Ziele der Studie

Ziel der Studie ist die psychometrische Überprüfung des Screeningbogens und die Untersuchung dessen Anwendbarkeit. In Studie 1 soll der PFAM-Screen hinsichtlich seiner Faktorenstruktur, Reliabilität und erster Hinweise zur prädiktiven Validität untersucht werden. Studie 2 zielt auf die Untersuchung von Zufriedenheit, Anwendbarkeit und Nutzen des Screeningbogens in der pädiatrischen Praxis ab.

Die Studie fand im Rahmen des Kompetenznetzwerks Präventivmedizin Baden-Württemberg statt und wurde von der Ethikkommission der Fakultät für Verhaltens- und empirische Kulturwissenschaften der Universität Heidelberg bewilligt.

Psychometrische Untersuchung des PFAM-Screens (Studie 1)

Rekrutierung und Stichprobe

Die Erhebung (01.11.2022 bis 22.12.2022) fand in der Eltern-Säugling-Sprechstunde (ESS, Universitätsklinikum Heidelberg, Studienzentrum 1), der Allgemeinambulanz der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP, Universitätsklinikum Heidelberg, Studienzentrum 2) und der Ambulanz für Kinder und Jugendliche (ZPP, Universität Heidelberg, Studienzentrum 3) statt. Die Durchführung des PFAM-Screens erfolgte im Rahmen von Erstgesprächen. Die Datenbereinigung resultierte in einem finalen N = 62 Familien mit Kindern im Alter von durchschnittlich M = 6,63 (SD = 5,94) Jahren.

Instrumente

Psychosoziale Belastung der Familien.

Der PFAM-Screen zur Erkennung psychosozialer Belastungen bei Familien wurde im Rahmen dieser Studie entwickelt. Ausgangspunkt sind 4 Items, die den Themenfeldern Besondere Belastungen (16 Items), Fürsorgeverhalten der Eltern (11 Items), Geäußerte Sorgen und Auffälligkeiten seitens der Eltern (4 Items) und Psychische Auffälligkeiten des Kindes (13 Items) zugeordnet werden können. Die Items können mit ja/nein bzw. ja/teils/nein beantwortet werden. Drei zusätzliche Items zur subjektiven Einschätzung der psychosozialen Belastung dienen als Hilfestellung für eine initiale Gesamtbeurteilung. Diese Items können auf einer 4-stufigen Skala bewertet werden und gehören nicht zu den hier untersuchten Screening-Items. Die Itemliste kann dem Online-Material entnommen werden.

Verhaltensauffälligkeiten des Kindes.

Für Kinder im Alter bis zu 17 Lebensmonaten wurde der Fragebogen Schreien, Füttern und Schlafen [SFS, 14] verwendet, dessen 53 Items auf einer 4‑stufigen Skala bewertet werden. In der vorliegenden Studie wurden zwei der drei Unterskalen verwendet, um die Symptomatik abzubilden (1. Schreien, Quengeln und Schlafen, 2. Füttern). Die interne Konsistenz konnte in der bisherigen Literatur [9] sowie in der vorliegenden Studie (α = 0,73) bestätigt werden.

Für Kindern im Alter von 16 Lebensmonaten bis 18 Lebensjahren wurde die altersentsprechende Version der Child Behavior Checklist (CBCL 1,5–5 [1]; CBCL 6–18 [4]) verwendet, deren 100 (CBCL 1,5–5) bzw. 113 (CBCL 6–18) Items auf einer 3‑stufigen Skala eingeschätzt werden. Die Reliabilität beider Fragebögen konnte in der Literatur [1, 16] und in der vorliegenden Studie (α[CBCL 1,5–5] = 0,88 bzw. α[CBCL 6–18] = 0,95) belegt werden.

Soziodemografie.

Die soziodemographischen Daten der Familien umfassen bspw. das Alter des Kindes/der Eltern, das Geschlecht des Kindes und den Bildungsabschluss der Eltern.

Statistische Auswertungen

Die statistischen Analysen wurden mit R Studio Version 2023.03.0 [18] durchgeführt. Die Datenbereinigung resultierte im Ausschluss von sechs Fällen, die > 25 % Missings aufwiesen [3]. Die Faktorenstruktur des Screeningbogens wurde in einer explorativen Faktorenanalyse (EFA) untersucht. Darauf folgend wurde die Interrater-Reliabilität (IRR) und abschließend in explorativen Analysen der korrelative Zusammenhang des PFAM-Screens zu Fragebögen zu Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen untersucht, um Hinweise auf eine mögliche prädiktive Validität zu erhalten. Wegen der unterschiedlichen Erhebungsstandorte und den damit verbundenen Unterschieden hinsichtlich der erhobenen Konstrukte, wurden Substichproben für die einzelnen Berechnungen erstellt (EFA: N = 61, IRR: n = 21, explorative Analyse: n = 41).

Ergebnisse

Deskriptive Ergebnisse

Die Tab. 1 enthält die deskriptiven Daten der Stichprobe aufgeteilt nach Erhebungsstandort.

Tab. 1 Soziodemographische Beschreibung der Stichprobe aufgeteilt nach Erhebungsstandort

Explorative Faktorenanalyse

Da die Anzahl der beantwortbaren Items zu psychischen Auffälligkeiten je nach Kindesalter variiert, wurde ein an der Gesamtzahl der zu beantwortenden Items relativierter Gesamtscore („psychische Auffälligkeit“) gebildet und als solcher (Item 45) in die Analysen aufgenommen. Aufgrund der unterschiedlichen Antwortskalierung der Items wurde die EFA mittels einer polychorischen Korrelationsmatrix berechnet. Sowohl das Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium (KMO = 0,79) als auch das signifikante Ergebnis des Bartlett-Tests (p < 0,001) deuten auf die Sinnhaftigkeit einer EFA hin. Da theoriegetrieben ein Gesamtscore zu vermuten ist, wurden alle Faktorenanalysen mit einer obliminen Rotation berechnet. Die Faktorenanzahl wurde in allen Analyseschritten mittels des empirischen Kaiser-Kriteriums (EKK) berechnet. Im Verlauf des mehrschrittigen Analyseprozesses mussten die Items 10, 11, 15 und 45 aufgrund einer zu geringen Kommunalität (h2 < 0,3) ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse der finalen einfaktoriellen EFA zeigen Itemladungen im akzeptablen bis sehr guten Bereich (0,59 < β < 0,96) und Kommunalitäten > 0,3 (s. Tab. 2). Folglich kann die einfaktorielle Datenstruktur mit insgesamt 29 Items angenommen werden. Das Modell weist eine Varianzaufklärung von 54 % auf.

Tab. 2 Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse (N = 61)

Interrater-Reliabilität

In 21 Fällen wurde der Screeningbogen von psychologischen Fachkräften (J. W. und einer weiteren Psychologin) und von Psychologiestudierenden in der ESS ausgefüllt. Die Ergebnisse sprechen mit einem gewichteten Kappa von κ = 0,72 für eine erhebliche Übereinstimmung der Einschätzungen [14] und somit für die Reliabilität des PFAM-Screens.

Explorative Analyse

Für die Berechnung der Korrelationen zwischen dem PFAM-Screen und den Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern wurden die Fälle aus der ESS (n = 27) und dem ZPP (n = 14) verwendet. Beide Korrelationen, sowohl zwischen SFS und PFAM-Screen (r = 0,27; p = 0,145) als auch zwischen den T‑Werten des CBCL und PFAM-Screen (r = 0,28; p = 0,117), zeigen zwar in die richtige Richtung, erreichten jedoch keine statistische Signifikanz.

Zufriedenheit, Anwendbarkeit und Nutzen des PFAM-Screens (Studie 2)

Rekrutierung und Stichprobe

Für die fünfmonatige Testphase wurde der PFAM-Screen (inklusive Informationen zur Anwendung und Ziel) an N = 155 pädiatrischen Praxen des Rhein-Neckar-Kreises zugesendet. Als Kompensation für ihre anonyme Teilnahme an der Erhebung zur Zufriedenheit, Anwendbarkeit und Nutzen (05.10.2022 bis 23.12.2022) konnten die Pädiater:innen an einer Gutscheinverlosung teilnehmen.

Die Stichprobe umfasste N = 16 Pädiater:innen (Rücklaufquote: 10,3 %). Die Berufserfahrung der Pädiater:innen betrug im Durchschnitt 21,69 (Range = 10–40; SD = 8,65) Jahre. Die durchschnittliche Praxisgröße lag bei 6,44 (Range = 0–22; SD=4,75) Mitarbeitenden.

Instrumente

Fragebogen über Zufriedenheit und Anwendbarkeit des PFAM-Screens.

Die Items zur Zufriedenheit, Anwendung und Nutzen des PFAM-Screens (9 Items) wurden auf einer 4‑stufigen Likert-Skala beantwortet. Vier offene Fragen betrafen wahrgenommene Schwierigkeiten bei der Einschätzung psychosozialer Belastungen und ein allgemeines Feedback zum PFAM-Screen.

Statistische Auswertungen

Die deskriptive Datenauswertung erfolgte anhand des Statistikprogramms IBM SPSS Statistics 29. Die Analysen umfassten die deskriptive Auswertung der Zufriedenheits- und Anwendungsdaten anhand von Lage- und Streuungsmaßen sowie die inhaltliche Auswertung der offenen Antworten.

Ergebnisse

Der Bogen wurde im Durchschnitt bei 2,2 % (Range: 0–10) der Familien eingesetzt. Der durchschnittliche Zeitaufwand dessen Anwendung betrug 10,93 Minuten (Range: 4–15; SD = 4,77; n = 7). Im Mittel lag die Zufriedenheit bei M = 2,66 (SD = 0,59) und zeigt somit ein insgesamt positives Resultat an. Deskriptiv zeigt sich eine relativ hohe Zufriedenheit mit dem Aufbau des Bogens, der empfundenen Sicherheit bei der Einschätzung und der allgemeinen Zufriedenheit (vgl. Tab. 3).

Tab. 3 Einschätzungen von Zufriedenheit, Anwendung und Akzeptanz des PFAM-Screens bei Pädiater:innen (N = 16)

Die Antworten auf die offenen Fragen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: 1.) Pädiater:innen wünschten sich mehr Informationen zum Screeningbogen vor dessen Einsatz, und zwar in Form eines Trainings (n = 2), einer Broschüre (n = 2) oder als Video (n = 7). 2.) Kritikpunkte bezogen sich beispielsweise auf zu wenig verfügbare Zeit im Rahmen einer Sprechstunde (n = 1) bzw., dass der Bogen zu ausführlich/umfangreich sei (n = 2). 3.) Als Verbesserungsvorschlag wurde ein von Eltern auszufüllender Fragebogen zu psychosozialen Belastungen genannt (n = 2). 4.) Positiv fanden Pädiater:innen die klare Struktur des Bogens (n = 2).

Diskussion

Die psychosoziale Präventivmedizin in der pädiatrischen Praxis stellt einen vielversprechenden Ansatz dar, psychosoziale belastete Familien frühzeitig zu identifizieren und weiterzuvermitteln, für dessen Umsetzung jedoch einige Barrieren vorliegen. In dieser Studie wurde der Screeningbogen PFAM-Screen zur Erkennung psychosozialer Belastungen bei Familien mit Kindern bis zum 18. Lebensjahr entwickelt, in einer multizentrischen Studie hinsichtlich seiner psychometrischen Güte überprüft und bezüglich seiner Anwendbarkeit in der pädiatrischen Praxis untersucht.

Im Ergebnis wurde eine einfaktorielle Struktur des PFAM-Screens mit 29 Items festgestellt. Inhaltlich umfasst die finale Version des PFAM-Screens mögliche Belastungsfaktoren von Familien hinsichtlich psychosozialer Belastungen, Schwierigkeiten im elterliche Fürsorgeverhalten sowie geäußerte Sorgen der Eltern. Die zu beobachtenden psychischen Auffälligkeiten des Kindes luden nicht auf den Gesamtfaktor und wurden folglich aus den weiteren Analysen ausgeschlossen. Der gekürzte PFAM-Screen deckt somit rein prädiktive Indikatoren für möglicherweise später aufkommende kindliche emotionale und Verhaltensauffälligkeiten sowie Gefährdungen des Kindeswohls ab. In explorativen Analysen zeigte sich ein statistisch nicht signifikanter positiver Zusammenhang mit kindlichen emotionalen und Verhaltensauffälligkeiten, der vor dem Hintergrund der kleinen Stichprobengröße diskutiert werden muss. Im Gegensatz zu anderen Screeningbögen (bspw. Wahrnehmungsbogen für den Kinderschutz) ist der PFAM-Screen folglich ein reines Früherkennungsinstrument, das die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen zur Wahrung des Kindeswohls einschätzt.

Die Reliabilität des PFAM-Screens unter Fachkräften und Studierenden wurde bestätigt. Die Anwendung erfolgte ohne vorheriges Training, was dessen Einschätzungsgüte unterstreicht. Durch korrelative Zusammenhangsanalysen konnten erste Hinweise auf eine mögliche prädiktive Validität hinsichtlich Verhaltensauffälligkeiten des Kindes bzw. Jugendlichen gefunden werden. Die Überprüfung der prädiktiven Validität soll Gegenstand weiterführender Studien mit längsschnittlichem Design, größerem Stichprobenumfang und unter Hinzuziehung weiterer Zielkriterien wie beispielsweise kindlichen Entwicklungsoutcomes, sein.

Aus der Erhebung bei Pädiater:innen stellte sich eine mehrheitlich positive Bewertung der Anwendbarkeit des Bogens dar. Die teils kritische Beurteilung des zeitlichen Aufwandes spiegelt Ergebnisse zur Anwendung von Screeningbögen in anderen gesundheitsberuflichen Kontexten wider [19]. Diese müssen vor dem Hintergrund eingeschränkter personeller Ressourcen und struktureller Abläufe in der pädiatrischen Praxis betrachtet werden. Eine diesbezügliche angemessene finanzielle Vergütung könnte die Implementierungschancen verbessern [21]. Die Entwicklung eines Selbstbeurteilungsinstruments oder die Entwicklung einer Kurzversion des PFAM-Screens könnten zudem den Zeitaufwand für das Fachpersonal verringern. Besonders positiv zu bewerten ist die mehrheitlich positive Einschätzung zu der Struktur des Bogens und der Sicherheit der Einschätzung. Weiterhin hervorzuheben ist die mehrheitlich positive Bewertung der Aufteilung der Erfassung von Hinweisen auf psychische und Verhaltensproblematiken des Kindes abhängig vom Alter. Das Ergebnis weist darauf hin, dass ein einheitliches Instrument über die gesamte Altersspanne erwünscht und umsetzbar ist. Zukünftige Forschung sollte den Nutzen des PFAM-Screens hinsichtlich einer erfolgreichen Gesprächsführung und verbesserten Quoten weitervermittelter Fälle in die psychosoziale Versorgung thematisieren und ebenso die Akzeptanz aus Patient:innenperspektive einbeziehen.

Stärken und Limitationen

Bei der Einordnung der Ergebnisse ist zu beachten, dass die Notwendigkeit einer konfirmatorischen Faktorenanalyse zur finalen Bestätigung der vorliegenden Faktorenstruktur besteht. Außerdem fällt die Größe der Substichproben für die psychometrische Überprüfung teils klein aus. Dies könnte insbesondere die nichtsignifikanten Ergebnisse der explorativen Analysen beeinträchtigt haben. Zudem wurde Studie 1 nicht in pädiatrischen Praxen, sondern an psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen Einrichtungen durchgeführt. Die durchschnittliche Belastung der Familien in psychotherapeutischen Kontexten kann nicht direkt auf in der pädiatrischen Praxis vorstellige Familien übertragen werden. Zuletzt schließt die geringe Teilnahmequote an der Untersuchung zur Anwendbarkeit des PFAM-Screens eine abschließende Bewertung diesbezüglich aus.

Trotz dieser Limitationen weist die vorliegende Studie wichtige Stärken auf. Durch die multizentrische Erhebung konnte eine Diversifikation der Stichprobe gewährleistet werden. Darüber hinaus stellen die umfassende Betrachtung der psychometrischen Gütekriterien sowie die Einbindung von Pädiater:innen in der Beurteilung der Anwendbarkeit des PFAM-Screens Stärken der Studie dar, auf die zukünftige Untersuchungen aufbauen sollten.

Fazit für die Praxis

  • Der Einsatz eines einheitlichen Früherkennungsinstrumentes kindlicher Verhaltensproblematiken und der Gefährdungen des Kindeswohls für den gesamten Altersbereich scheint vielversprechend für die pädiatrische Präventivmedizin.

  • Der PFAM-Screen könnte als begleitendes Instrument zur Identifikation psychosozialer Belastungen und additiv erster Hinweise psychopathologischer Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Gleichzeitig erscheint es zentral, Schulungsmaterial (z. B. in Form von Videos) bereitzustellen, die das prozedurale Wissen über dessen Anwendung vermitteln.

  • Solche Schulungen könnten zudem die Vermittlung spezifischer kommunikativer Kompetenzen beinhalten, mit dem Ziel, durch eine motivierende und zugleich feinfühlige Ansprache belasteter Familien bzw. Jugendlicher, eine Inanspruchnahme weiterer Unterstützungsmöglichkeiten zu bahnen.

  • Der PFAM-Screen stellt in diesem Sinne eine Möglichkeit dar, die multidisziplinäre Zusammenarbeit an Schnittstellen im Gesundheitssystem und darüber hinaus zu festigen.