Hintergrund und Fragestellung

Zahlreiche Studien zeigen, dass regelmäßige körperliche Aktivität Menschen sowohl bei der Prävention als auch der Kuration chronischer Erkrankungen unterstützen kann [27]. Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation eine Empfehlung zur Dauer und Intensität körperlicher Aktivität erarbeitet: Gesunde Erwachsene sollten entweder 150 min moderate oder 75 min intensive körperliche Aktivität pro Woche durchführen sowie Krafttraining für alle großen Muskelgruppen 2‑mal in der Woche [28].

Jedoch folgen nach eigenen Angaben nur 44,8 % der Frauen und 51,2 % der Männer in Deutschland dieser Empfehlung [22]. Besonders häufig unterschreiten Büroangestellte die Bewegungsempfehlungen [1, 21], zudem verbringen sie viel Zeit ununterbrochen sitzend [8, 25].

Langes ununterbrochenes Sitzen stellt neben geringer körperlicher Aktivität einen Risikofaktor für chronische Krankheiten dar [28]. Es erhöht das Risiko des Auftretens chronischer Krankheiten sowie die Gesamtmortalitätsrate [6, 13]. 30–40 min moderate körperliche Aktivität pro Tag können die Risiken langen Sitzens jedoch verringern [7].

Das Modell der bewegungsbezogenen Gesundheitskompetenz (BGK) kann dazu beitragen, Menschen zu vermitteln, wie sie spezifische Anforderungen gesundheitswirksamer körperlicher Aktivität bewältigen können. Das Modell besteht aus den drei Subkompetenzen Bewegungs‑, Steuerungs- und bewegungsbezogener Selbstregulationskompetenz. Personen mit einer ausgeprägten Bewegungskompetenz können die unmittelbaren bewegungsbezogene Anforderungen von Alltagsaktivitäten und Gesundheitssport adäquat bewältigen. Personen mit hoher Steuerungskompetenz können die körperliche Belastung adäquat auf positive Auswirkungen für den eigenen Körper und die Gesundheit ausrichten. Und Personen mit einer hohen Selbstregulationskompetenz können die für die Gesundheit erforderliche Regelmäßigkeit körperlicher Aktivität sicherstellen. Sind alle Kompetenzen stark ausgeprägt, hat ein Individuum die Fähigkeiten und Fertigkeiten, um gesundheitswirksame körperliche Aktivität in variable Situationen des Lebensalltags zu integrieren [20].

Mit einer höheren BGK könnten Büroangestellte sowohl in ihren Arbeitsalltag als auch in die Freizeit für sie passende gesundheitswirksame körperliche Aktivität integrieren und so von deren positiven Effekten profitieren. Um die BGK von Büroangestellten zu fördern, wurde auf Basis des Modells eine digitale Intervention mit kurzen Übungen entwickelt, die direkt am Schreibtisch durchgeführt werden können. Das Programm umfasste zwei ca. 5-minütige Videos pro Woche über einen Zeitraum von 5 Wochen sowie tägliche Erinnerungen per E‑Mail und das Führen eines digitalen Bewegungstagebuches. Weitere Details zum Studiendesign können im veröffentlichten Studienprotokoll [19] eingesehen werden. Die Umsetzung wurde im Rahmen einer Pilotstudie mit 48 Teilnehmenden erprobt.

Zwar existieren bereits Studien, die das BGK-Modell zur Interventionsplanung genutzt haben [24], jedoch erst eine, die sich auch auf Büroangestellte bezieht [2]. Zudem fand diese Studie in Abgrenzung zu unserem digitalen Programm in Präsenz statt. Da rein digitale Studien teilweise hohe Dropout-Quoten aufweisen [14], ist es wichtig, das Programm auch qualitativ zu evaluieren und die Wahrnehmung der Teilnehmenden einzubeziehen, um die Inhalte anpassen zu können. Die Forschungsfrage der Studie lautet: Wie haben die Befragten ihre Teilnahme am Bewegungsprogramm wahrgenommen? Weitergehend sollen mögliche Einflussfaktoren auf die (erfolgreiche) Teilnahme identifiziert werden.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Die Berichterstattung erfolgt in Anlehnung an die „consolidated criteria for reporting qualitative research“ (COREQ [26]). Für die Studie liegt ein positives Ethikvotum der Medizinischen Hochschule Hannover vor (10751_BO_K_2023).

Ziel ist es, das Bewegungsprogramm auf Basis der Evaluationsergebnisse an die Bedarfe der Zielgruppe anzupassen. Um die Interventionsinhalte gegebenenfalls überarbeiten und besser auf die Zielgruppe abstimmen zu können, stehen die Gründe und Motive zur Teilnahme und zum Abbruch in dieser Studie im Fokus. Für die Befragung wurde ein qualitatives Design mit teilstrukturierten Leitfadeninterviews gewählt, um den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, tiefgehender als in einer quantitativen Befragung auf ihre individuelle Sicht der Teilnahme einzugehen. Darüber hinaus können aufgrund der Offenheit eines qualitatives Vorgehens weitere Einflüsse wie Umfeld- und Kontextfaktoren berücksichtigt werden [12]. Durch das Verwenden eines Leitfadens wird der Interviewsituation eine Struktur gegeben, die gleichzeitig ermöglicht, freie und spontane Äußerungen der Befragten, die sich aus der Gesprächsdynamik ergeben, zu integrieren [10]. Der Leitfaden umfasste eine Einstiegsfrage als offenen Erzählstimulus („Können Sie mir vielleicht erstmal erzählen, wie haben Sie Ihre Teilnahme an der Studie so erlebt?“) und drei größere thematische Blöcke: einen zu Bewegung im (Arbeits)alltag (Beispielfrage: „Welchen Stellenwert hat Bewegung in Ihrem Alltag?“), einen zur Evaluation der Intervention (Beispielfrage: „Warum haben Sie an der Studie teilgenommen?“) und einen zu Bewegungsangeboten am Arbeitsplatz allgemein (Beispielfrage: „Wie sehen Sie online Bewegungsangebote am Arbeitsplatz so allgemein?“). Vor allem im Block (Arbeits)alltag bestehen theoretische Bezüge zum BGK-Modell, insbesondere zu den Subkompetenzen Selbstregulationskompetenz (Beispielfrage: „Wie überwinden Sie Ihren inneren Schweinehund?“) und Steuerungskompetenz (Beispielfrage: „Warum bewegen Sie sich regelmäßig? Welche Effekte erhoffen Sie sich davon?“). Der gesamte Interviewleitfaden kann in Online-Anhang 1 eingesehen werden.

Es wurde eine nach Teilnahme (dabeigeblieben/abgebrochen), Alter (unter 50/über 50 Jahre) und Geschlecht (weiblich/männlich) stratifizierte Sampleauswahl angestrebt, wobei bei den Abbrecher*innen jeweils die doppelte Anzahl an Interviews erreicht werden sollte. Aufgrund der geringen Teilnahmequote von 20 % Männern am Programm sollten Interviews mit insgesamt 6 Männern stattfinden. Das angestrebte Sample ist in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Angestrebtes Sample

Die Befragten kannten den Interviewer bereits aus Videos im Rahmen des Bewegungsprogramms, aber nicht persönlich. Sie wurden über einen Aufruf im Intranet des kooperierenden Unternehmens rekrutiert. Außerdem erhielten die 132 Teilnehmenden, die das Bewegungsprogramm abgebrochen haben, eine zusätzliche Einladung sowie einen Reminder per E‑Mail. Die Interviews fanden 8–12 Wochen nach der Follow-up-Befragung und somit ein halbes Jahr nach Ende der Intervention statt. Die Teilnahme an den Interviews war freiwillig, vor Beginn erklärten die Teilnehmenden schriftlich ihr Einverständnis. Die Interviews wurden aufgezeichnet, die durchschnittliche Länge betrug 17:05 (12:11–30:44) min. Anschließend wurden die Tonaufnahmen nach Dresing u. Pehl [5] transkribiert und mit der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz und Rädiker [15] ausgewertet. Die Hauptkategorien wurden hierzu deduktiv anhand des Leitfadens abgeleitet, die Unterkategorien induktiv auf Basis des Interviewmaterials. Transkription und Analyse erfolgten in MAXQDA 2022 (VERBI Software GmbH, Berlin). Der Leitfaden sowie das Kategoriensystem wurden in einer qualitativen Forschungswerkstatt mit anderen Forschenden diskutiert und die Auswertung erfolgte im Sinne des konsensuellen Kodierens (LO & JP), bei Unstimmigkeiten wurden die Fälle diskutiert und eine gemeinsame Lösung gefunden.

Ergebnisse

Aufgrund geringer Responseraten auf die Aufrufe zur Studienteilnahme konnten 11 Interviews durchgeführt und als „convenient sample“ zur Auswertung genutzt werden. Es wurden 6 Personen, die das Bewegungsprogramm abgeschlossen haben, und 5 Abbrecher*innen befragt, dies waren 8 Frauen und 3 Männer mit einem durchschnittlichen Alter von 49 ± 8 (Min: 33, Max: 59) Jahre. Drei Interviews erfolgten vor Ort am Arbeitsplatz der Befragten und 8 per Videokonferenz via Microsoft Teams. Die Interviews wurden vom Erstautor (LO) geführt. Insgesamt wurden 7 Hauptkategorien mit 31 Unterkategorien gebildet und 387 Textstellen kodiert. Das gesamte Kategoriensystem lässt sich in Online-Anhang 2 einsehen. In Tab. 2 sind die für die Beantwortung der Forschungsfrage relevanten Kategorien aufgeführt. In der Darstellung der Ergebnisse werden Unterkategorien teilweise zusammengefasst.

Tab. 2 Auszug aus dem Kategoriensystem

Wahrnehmung der Befragten zur Teilnahme am Programm

Motive zur Teilnahme

Das vorherrschende Motiv zur Teilnahme an dem Programm war die Neugier auf die Studieninhalte. Fast alle Befragten berichten von langen Sitzzeiten während der Arbeit, Rücken‑, Nacken- oder Augenschmerzen durch das Sitzen und die Bildschirmarbeit. Zwei der Befragten empfinden aufgrund von Vorerkrankungen oder unpassenden ergonomischen Verhältnissen ihren Arbeitsplatz als nicht gesundheitsförderlich. Bis auf eine geben alle Teilnehmenden an, dass nur sitzende Tätigkeiten zu ihrer Arbeit gehören, Bewegung können sie nur in Form von Gängen zum Kopierer, Besuchen bei Kolleg*innen und dem Benutzen der Treppe statt des Aufzugs einbauen. Den meisten Befragten wird vom Arbeitgeber ein Stehschreibtisch zur Verfügung gestellt, den sie auch aktiv nutzen.

Das Thema Bewegung am Arbeitsplatz war mit dem Wunsch verbunden, sich mehr zu bewegen oder Möglichkeiten für gezielte Bewegung am Arbeitsplatz kennenzulernen, um Einschränkungen wie Rücken- oder Nackenschmerzen entgegenzuwirken:

„Bestimmte Schmerzen, […] das ist letztendlich darauf zurückzuführen, […] weil ich mich einfach nicht genug bewege oder bestimmte Haltungen habe und so weiter. Und dann habe ich mir einfach durch diese Studie erhofft, okay, dass ich da einfach mal so Sachen sehe, wie ich das letztendlich verbessern kann.“ (B_10, 35)

Durchführung des Programms

Die Befragten haben in unterschiedlicher Art an dem Programm teilgenommen, die Integration in den (Arbeits)alltag brauchte teilweise etwas Zeit:

„Gleich auch so die ersten Tage, und man musste sich erstmal so ein bisschen zurechtfinden mit den Videos, wo muss ich hin, was muss ich klicken etc. […] War natürlich ein bisschen aufwendig, klar, aber man hat sich einfach die Zeit dafür genommen.“ (B_04, 5)

Einige Teilnehmende berichten, dass es sich verändert hat, wie sie an dem Programm teilgenommen haben. So haben zu Beginn viele die Übungen im (Großraum‑)Büro ausprobiert, sind aber dazu übergangen, sie eher im Homeoffice fortzuführen und im Büro nur noch „unauffälligere Übungen“ (B_02, 7) durchzuführen.

Fünf der 6 Teilnehmenden, die am gesamten Bewegungsprogramm teilgenommen haben, gaben an, dass ihr Bewusstsein für körperliche Aktivität gestärkt wurde: „Also gefühlt mache ich nur noch Sport“ (B_04,9). So ging es jedoch nur eine*m der 5 Abbrecher*innen, die anderen haben weniger Anregungen aus dem Programm mitgenommen: „Die Übungen, das war irgendwas mit den Armen, weiß ich, eine Übung. Aber konkret könnte ich es Ihnen tatsächlich nicht mehr sagen“ (B_08, 29).

Diejenigen, die am ganzen Programm teilgenommen haben, haben einige Aspekte für ihren Alltag übernommen: Sie wollen sich auch bei der Arbeit bewegen, aktive Pausen machen oder planen, ihren Stehschreibtisch vermehrt zu nutzen. Viele stellen fest, dass sie einige der Übungen in ihr Repertoire übernommen haben und immer noch durchführen, entweder bei der Arbeit oder in der Freizeit.

Inhalte des Programms

Die Übungen aus der Studie werden von den Befragten insgesamt positiv und als leicht in den Arbeitsalltag zu integrieren bewertet, wodurch es regelmäßig neue Anregungen gab, aktiv bei der Studie dabeizubleiben. Ausnahmen stellen raumgreifende Übungen wie Ruderbewegungen dar, die für Bürosituationen als zu auffällig beschrieben werden. Die Übungen, die den Teilnehmenden beider Gruppen am besten in Erinnerung geblieben sind und die sie deshalb auch teilweise in ihren Alltag integriert haben, lassen sich in drei Kategorien einteilen:

  • die ersten Übungen im zeitlichen Verlauf des Bewegungsprogramms, da diese am häufigsten durchgeführt werden konnten,

  • kleine Übungen, die sich sehr gut während der Arbeit durchführen lassen,

  • Übungen, die gegen arbeitsbedingte Schmerzen oder Beschwerden helfen.

In ihrer Einstellung zum Bewegungstagebuch als weiterem Bestandteil des Bewegungsprogramms waren die Teilnehmenden gespalten: Einige empfanden es als zu viel Aufwand und umständlich und haben es deshalb nicht genutzt, anderen hat die tägliche Erinnerung geholfen und sie haben sie als Ansporn gesehen, jeden Tag etwas eintragen zu können:

„Ganz gut fand ich aber dieses Bewegungstagebuch, weil einen das immer wieder daran erinnert hat, ja eigentlich müsstest du ja was machen […] ich wollte unbedingt irgendwas reingeschrieben haben, das war so meine eigene Motivation, das Feld kann nicht leer bleiben, irgendwas musst du machen.“ (B_04, 9)

Dabei fällt auf, dass diejenigen, die das Bewegungsprogramm abgeschlossen haben, das Bewegungstagebuch tendenziell positiver bewerten als die Abbrecher*innen: „Ja, weil es einfach ein zusätzlicher Zeitaufwand ist […] wenn es jetzt nur für mich und das Thema Bewegung gegangen wäre, hätte das nicht gebraucht“ (B_08, 33).

Konkrete Inhalte aus den anatomischen Erklärungen und Hinweisen zu körperlicher Aktivität, basierend auf dem BGK-Modell, erinnern jedoch die wenigsten Befragten noch: „Aber tatsächlich in Erinnerung ist jetzt nicht viel hängengeblieben, also wüsste ich jetzt tatsächlich gar nicht mehr genau, was da drin war“ (B_10, 45).

Insgesamt bewerten alle Teilnehmenden die Studie als positiv, ihnen gefallen die Videos, die Übungsauswahl und das Format mit kurzen Erläuterungen von positiven Aspekten von Bewegung.

Einflussfaktoren auf die Teilnahme am Programm

Arbeitsumfeld

Einen wesentlichen Faktor für die Teilnahme stellte das Arbeitsumfeld dar. Viele der Teilnehmenden haben sich von ihren Kolleg*innen beeinflusst gefühlt. Es war ihnen teilweise unangenehm, die Übungen im Großraumbüro zu machen, wo sie zu jedem Zeitpunkt von Kolleg*innen gesehen werden könnten, die nicht am Programm teilnahmen. Im Zweierbüro oder im Homeoffice funktioniere die Teilnahme – unbeobachtet von Kolleg*innen – besser. Jedoch hatten nicht alle der Befragten dieses Gefühl: Zwei, die selbst schon vor der Teilnahme körperlich sehr aktiv und dafür auch in ihrem Arbeitsumfeld bekannt waren, haben ihre Kolleg*innen ermuntert, an dem Programm teilzunehmen oder zumindest die Übungen gemeinsam durchzuführen. Eine weitere Teilnehmende hat die Videos meistens gemeinsam mit einer Kollegin gesehen und auch die Übungen gemeinsam durchgeführt, sie hat also mit einer „Trainingspartnerin“ teilgenommen und so Unterstützung bei der Teilnahme am Programm im Großraumbüro gehabt. Zwischen den beiden Gruppen lassen sich keine systematischen Unterschiede feststellen.

Die Vorgesetzten haben nur bei wenigen der Befragten eine Rolle gespielt, zwei erwähnen sie, aber ohne, dass sie einen Einfluss auf ihre Teilnahme gehabt hätten. Ein Befragter sieht es als Führungsaufgabe an, über solche Angebote zu informieren, was seine Führungskraft auch getan habe. Lediglich ein Teilnehmender geht vertieft auf die Rolle der Vorgesetzten ein:

„Dann denke ich immer so, in der Zeit könntest du jetzt nochmal so Anrufe entgegennehmen, könntest vielleicht dann tatsächlich Verkaufsabschlüsse erzielen und dann sage ich mir eben, ne, die Zeit und vielleicht spricht dann der Chef einen dann irgendwann an: Warum haben Sie so wenig Anrufe entgegengenommen und so weiter.“ (B_10, 27)

„Aber dann letztendlich bin ich für mich innerlich den Druck, es kam nicht vom Arbeitgeber selbst, also nicht, dass man da jetzt falsch versteht, dass der Arbeitgeber gesagt hat, Mensch was ist jetzt los, aber das ist von mir selber, dass ich mir so einen Druck aufgebaut habe und sage, ne mach mal lieber jetzt das andere lieber, konzentrier dich während deiner Arbeit auf die Arbeit und mach halt eben nicht nochmal diese zusätzlichen Bewegungsdinger.“ (B_10, 35)

Er bewertet das Programm grundsätzlich positiv und hat drei Wochen lang teilgenommen, sich aber immer mehr selbst unter Druck gesetzt. Er hatte das Gefühl, nicht genug Unterstützung von Seiten des Unternehmens zu haben, um Bewegungspausen während der Arbeit machen zu können. Irgendwann wurde das Gefühl, die Zeit für die Arbeit nutzen zu müssen, zu intensiv, auch wenn dies nie von Vorgesetzten verbalisiert wurde. Als Konsequenz hat er das Programm abgebrochen, sich dafür aber in seiner Freizeit mehr bewegt.

Gründe für einen Abbruch

Fünf der Teilnehmenden haben die Studie abgebrochen. Die Gründe waren in 3 Fällen arbeitsbezogen: Beim oben bereits erwähnten Teilnehmenden tritt dieses Motiv am deutlichsten heraus. Als Grund führt er den wahrgenommenen Druck vom Unternehmen an, produktiver sein zu müssen. Eine weitere Teilnehmerin berichtet, dass ihr erst nach der Anmeldung bewusst wurde, dass ihr Arbeitsplatz mit spontanem Kundenkontakt ihrer Meinung nach nicht für die Teilnahme an dem Programm geeignet sei. Eine dritte hat ungeplant zusätzliche Aufgaben bekommen und sich deshalb keine Zeit mehr für das Programm genommen. Daneben spielten jedoch auch nicht-arbeitsbezogene Gründe eine Rolle: Eine Teilnehmende hat außerhalb des Programms mehr Sport gemacht und dadurch die Teilnahme abgebrochen. Der letzte Teilnehmende, der die Studie abgebrochen hat, hatte technische Probleme, die Videos abzurufen.

Diskussion

Den Befragten hat das Bewegungsprogramm insgesamt gut gefallen, sie bewerten das Format mit kurzen Videos, die eine Übung und Erklärungen dazu beinhalten, positiv. Beeinflusst wurde die Teilnahmebereitschaft v. a. durch das Arbeitsumfeld. Fünf der 11 Befragten haben die Teilnahme abgebrochen, entweder aus persönlichen oder aus arbeitsbezogenen Gründen. Die Teilnehmenden, die das Bewegungsprogramm abgeschlossen haben, konnten ein höheres Bewusstsein für die Relevanz von Bewegung erlangen und auch nach der Teilnahme einzelne passende Übungen im eigenen (Arbeits)alltag umsetzen.

Die positiven Auswirkungen zeigen sich auch im privaten Bereich. Die meisten Befragten geben an, dass bei ihnen die Teilnahme nicht nur zu mehr Bewegung bei der Arbeit geführt hat, sondern auch in der Freizeit. Auch nach Ende der Teilnahme zu den Zeitpunkten der Interviews ist das Bewusstsein für körperliche Aktivität der Befragten zumindest in der Gruppe noch hoch, die das Bewegungsprogramm abgeschlossen hat. Allerdings führen die meisten Teilnehmenden die Übungen während der Arbeit nicht mehr regelmäßig durch. Auffällig ist, dass der Effekt eintritt, obwohl sich die Befragten nicht mehr konkret an die Inhalte des Abschnitts, der die kognitive Ebene des BGK-Modells ansprechen sollte, erinnern konnten. Blaschke et al. [2] haben gezeigt, dass BGK-Interventionen im Betrieb die BGK temporär steigern können und so zu auch mehr körperlicher Aktivität in der Freizeit führen. Sie führen dies in erster Linie auf den hohen zeitlichen Umfängen angeleiteter körperlicher Aktivität in ihrer Intervention zurück. Auch für die Teilnehmenden an unserer Studie könnte somit das körperliche Üben und Trainieren im Mittelpunkt der Steigerung der BGK gestanden haben.

Die von uns befragten Teilnehmenden haben ausführlich Barrieren und förderliche Faktoren in Bezug auf die körperliche Aktivität am Arbeitsplatz im Rahmen der Teilnahme am Programm beschrieben. Zu wenig Zeit und fehlende Unterstützung von Vorgesetzten wurde von drei der Befragten als Grund zum Abbruch genannt. Außerdem hat eine Arbeitskultur, die körperliche Aktivität nicht unterstützt, bei vielen dazu geführt, dass sie die Übungen des Programms eher im Homeoffice durchgeführt haben, um sich nicht vor Kolleg*innen zu bewegen. Barrieren und förderliche Faktoren berichtet auch eine Fokusgruppenstudie mit Universitätsangestellten [23]. Zu den dort dargestellten Barrieren zählten zu wenig Zeit, zu wenig Unterstützung durch Vorgesetzte und eine Arbeitskultur, die körperliche Aktivität am Arbeitsplatz nicht unterstützt. Förderlich sind demnach eine unterstützende Infrastruktur wie ein Fitnessstudio oder Sportkurse sowie Unterstützung durch die Vorgesetzten. Dies äußert sich v. a. in der Möglichkeit, Pausen flexibel zu gestalten. Durch die Struktur unseres Programms mit kurzen Videos waren die in der Fokusgruppenstudie genannten förderlichen Faktoren wie ein Fitnessstudio oder Kursangebot nicht nötig. Lediglich die Unterstützung von Vorgesetzten wurde ebenfalls von einigen Befragten positiv gesehen.

Durch das Videoformat in unserer Studie konnten die Teilnehmenden die Übungen zu ihrer präferierten Zeit durchführen, sie mussten sich nicht vom Arbeitsplatz wegbewegen und die Videos und einzelnen Übungen waren so kurz gestaltet, dass sie nicht viel Arbeitszeit in Anspruch nahmen. Eine andere Studie hat durch qualitative Interviews bei Arbeitenden aus der Produktion Gründe zur Nicht-Teilnahme an Bewegungsangeboten erhoben [3]. Hier wurden insbesondere die Tageszeit des Bewegungsangebots, die Distanz vom Arbeitsplatz zum Ort des Angebots und fehlende Zeit während der Arbeit sowie fehlende Anreize zur Teilnahme von den Befragten genannt. Zwar zeichnet Büroarbeitende häufig ein höherer Grad an selbstständiger Organisation der Arbeit aus [18], trotzdem wurde diesen möglichen Barrieren in unserem Programm durch das Design entgegengewirkt.

Die von uns durchgeführte Studie fand zwar während der Arbeitszeit der Teilnehmenden statt, trotzdem führte die Arbeit bei zwei der Teilnehmenden zum Abbruch des Programms. Einer der Teilnehmenden machte dies auch explizit durch seine Wahrnehmung fehlender Unterstützung vom Arbeitgeber deutlich. Mögliche Barrieren für die Teilnahme an Gesundheitsangeboten am Arbeitsplatz wurden auch quantitativ untersucht: Jørgensen et al. [11] führten eine repräsentative Umfrage bei fast 10.000 Angestellten in Dänemark durch. Bei Angeboten zu körperlicher Aktivität kommt es bei fehlender sozialer Unterstützung von Kolleg*innen und Vorgesetzten zu einer geringeren Teilnahme. Außerdem führen Angebote außerhalb der Arbeitszeit bei allen Gesundheitsangeboten zu einer geringeren Teilnahme. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich bei einer Untersuchung dazu, wie viele Mitarbeitende von 61 verschiedenen Firmen Dienste einer kooperierenden Fitnessplattform in Anspruch nehmen [16]. Der Anteil der Mitarbeitenden ist bei höherer Unterstützung der Arbeitgeber höher und bei einem höheren Eigenanteil der Finanzierung geringer. In zukünftigen Studien sollte also darauf geachtet werden, bei Vorgesetzten und Angestellten klar zu kommunizieren, dass keine Nachteile durch eine Studienteilnahme in der Arbeitszeit entstehen.

Ein großer Bestandteil des Programms war das Bewegungstagebuch. Dadurch, dass die Teilnehmenden täglich eine Erinnerungsmail zum Ausfüllen bekamen, war es innerhalb der Inhalte des Programms sehr präsent. Die Einstellung der Befragten zum Bewegungstagebuch war gespalten: einige empfanden es als hilfreich, andere haben es nicht genutzt. Selbstmonitoring, wie z. B. das Führen eines Bewegungstagebuchs, ist eine anerkannte Technik zur Verhaltensänderung und wird in der Taxonomie von Michie et al. als hilfreiche Interventionskomponente aufgeführt [17]. Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse hat jedoch einen moderaten negativen Effekt von Selbstmonitoring auf körperliche Aktivität bei Erwachsenen mit Übergewicht und Adipositas aufgezeigt [4]. Über die Gründe ist jedoch noch nicht viel bekannt. Da diejenigen, die das Programm abgeschlossen haben, das Bewegungstagebuch positiver bewerten als die Abbrecher*innen, scheint es bei ihnen zum Erfolg des Programms beigetragen zu haben. Nichtsdestotrotz sollte zukünftig ein Fokus darauf gelegt werden, wie Instrumente des Selbstmonitorings, z. B. ein Bewegungstagebuch, gestaltet und in Interventionen integriert werden können, damit sie alle Teilnehmenden bei körperlicher Aktivität unterstützen und keine negativen Effekte auf die Programmteilnahme haben.

Organisationale sowie soziale Unterstützung werden somit sowohl in qualitativen als auch in quantitativen Studien als Hauptgrund für geringere Teilnahme an Gesundheitsangeboten am Arbeitsplatz genannt. Daneben zählen insbesondere der benötigte Aufwand zur Teilnahme sowie die zur Verfügung stehende Infrastruktur zu beeinflussenden Faktoren. Viele dieser Faktoren konnten in unserem Programm berücksichtigt werden, nichtsdestotrotz gingen die Teilnehmenden auf ähnliche Punkte ein: Insbesondere die Anwesenheit von Kolleg*innen hatte einen Einfluss auf die Durchführung der Übungen. Diesem Umstand hätte durch eine partizipative Entwicklung der Intervention und einer umfassenderen Integration in die bestehende Infrastruktur des betrieblichen Gesundheitsmanagements des Unternehmens entgegengewirkt werden können [9]. Aus ökonomischen Gründen war dies jedoch nicht möglich.

Die Interviews zeigen somit einige Punkte auf, in denen das Programm zukünftig noch angepasst werden könnte. Zwar wird das Format grundsätzlich positiv gesehen, die Übungsauswahl ist für die Arbeitssituation im Büro jedoch nicht für alle Teilnehmenden passend gewesen. Hier bieten sich insbesondere Übungen an, die unauffällig während der Arbeit durchgeführt werden können und dabei gegen arbeitsbedingte Schmerzen helfen. Das Bewegungstagebuch könnte – statt als obligatorischer – als optionaler Bestandteil des Programms integriert werden und insbesondere sollte darauf geachtet werden, das Programm stärker in bereits vorhandene Strategien des betrieblichen Gesundheitsmanagements einzubetten, um das Arbeitsumfeld der Teilnehmenden besser zu integrieren.

Limitationen

Die vorliegende Studie unterliegt Limitationen, die bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden müssen. Es wurden zwar sowohl Personen, die an der gesamten Studie teilgenommen haben, als auch Abbrecher*innen befragt, jedoch keine Personen, die überhaupt nicht an dem Programm teilgenommen haben. Auch deren Wahrnehmung auf potenzielle Barrieren zur Teilnahme wäre ein wichtiger Faktor für die Anpassung des Programms.

Außerdem unterlagen die Befragten der Selbstselektion: Es wurden alle Teilnehmenden der quantitativen Studie eingeladen, teilgenommen haben könnten jedoch v. a. diejenigen, die mit ihrer körperlichen Aktivität im Rahmen der Studienteilnahme zufrieden waren und gerne über einen Erfolg sprechen wollten. Dafür spricht, dass die Teilnehmenden die Studieninhalte mehrheitlich positiv bewerten. Dadurch, dass der Erstautor in der quantitativen Studie sehr präsent war (Konzeptualisierung, Sichtbarkeit in den Videos, Ansprechperson für die Teilnehmenden) und auch in der qualitativen Studie die Kontaktaufnahme initiiert und die Interviews geführt hat, kann zudem ein gewisses Maß an sozialer Erwünschtheit die Antworten der Befragten in den Interviews beeinflusst haben.

Fazit für die Praxis

  • Von den Befragten wurde insbesondere die einfache Durchführbarkeit der Übungen direkt am Arbeitsplatz hervorgehoben.

  • Die Teilnehmenden empfinden nach der Teilnahme am Programm die Relevanz von Bewegung im Alltag als gesteigert.

  • Bewegung sollte stärker in der Unternehmenskultur verankert werden, insbesondere das direkte Umfeld der Teilnehmenden (Arbeitssituation, Kolleg*innen und Vorgesetzte) ist wichtig für die Teilnahme an Maßnahmen zur Stärkung bewegungsbezogener Gesundheitskompetenz.

  • Eine Anpassung des Programms sollte einen Fokus auf die Übungsauswahl und die Art der Integration eines Bewegungstagebuchs legen. Auch sollte das Programm besser in die Strukturen schon bestehenden betrieblichen Gesundheitsmanagements eingebunden werden.