Hintergrund

Der Nationale Aktionsplan Gesundheitskompetenz [17] fordert unter Rückgriff auf Bredel und Maaß [3] die Einfache Sprache als ein Mittel, Gesundheitsinformationen zugänglicher zu machen. Damit ist postuliert, dass in der bisherigen Adressierung von Nutzerinnen Texte zum Einsatz kommen, die nicht ausreichend verständlich sind, um eine Basis für gesundheitskompetentes Handeln zu legen. Eine Zielgruppe der Leichten, aber auch der Einfachen Sprache sind Menschen mit Deutsch als Zweitsprache (L2; [3]). Leichte Sprache ist maximal verständlichkeitsoptimiert, meist für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, während Einfache Sprache komplexitätsreduziert ist und fachliche Laiinnen adressiert [12]. Leichte Sprache weist gegenüber weniger verständlichkeitsoptimierten Varianten der deutschen Sprache ein Akzeptabilitätsproblem und ein Stigmatisierungsrisiko auf [3, 12]. Entsprechend schlägt Maaß [12] das Modell der Leichten Sprache Plus vor; Leichte Sprache Plus reichert die Regelstrukturen der Leichten Sprache in Richtung der Einfachen Sprache an. Maaß [12] postuliert, dass diese Leichte Sprache Plus bei hoher Verständlichkeit eine höhere Akzeptabilität als die Leichte Sprache aufweist. Leichte Sprache Plus erlaubt eine zielgruppengerechte Ansprache von Nutzer:innen, was einem der strategischen Ziele zur Erhöhung der Gesundheitskompetenz lt. Hurrelmann et al. [7] entspricht. In der vorliegenden Studie standen Frauen mit Deutsch als Zweitsprache im Fokus des Interesses: Ziel war es, Aufschlüsse über ihr Verstehen einer Patientenaufklärung zu einem gynäkologischen Eingriff und das Anwenden der darin enthaltenen Informationen zu erhalten. Obwohl die Zielgruppe der Studie insgesamt Frauen mit Deutsch als L2 war, sind die Antworten der Vergleichsgruppenprobandinnen (Deutsch als Erstsprache [L1]) für den vorliegenden Beitrag gleichermaßen relevant. Es werden deshalb die Ergebnisse beider Gruppen dargelegt und diskutiert. Im Zentrum dieses Artikels steht das Anwenden von Informationen aus dem Fragebogen der Patientenaufklärung.

Voraussetzung für das Anlegen von Wissensbeständen („Behalten“ [12]) ist „Verstehen“. „Verstehen“ ist „der […] Aufbau einer konsistenten und kohärenten mentalen Repräsentation“ [19], „durch den der Leser die Bedeutung eines Textes erkennt“ [18]. „Verstehen“ kann durch die Texteigenschaft „Verständlichkeit“ befördert werden, also durch „Anpassung des Textes an den Leser“ ([5]; für einen Übertrag in die Barrierefreie Kommunikation s. [3]). „Behalten“ wird wiederum durch Verknüpfungsfähigkeit befördert, also durch Bezug auf vermutete Vorwissensbestände bei den Leserinnen [12]. Verstehen und Behalten sind zwei der Voraussetzungen für das adäquate Anwenden von Textinformationen (vgl. z. B. [12, 14, 22]). „Anwenden“ wird im vorliegenden Projekt mit Bezug auf die Förderung von Gesundheitskompetenz nach Sørensen et al. [22] definiert als „the ability to communicate and use […] information to make a decision to maintain and improve health“.

Rink [16] unterscheidet in ihrer Studie zu Textsorten der Rechtskommunikation zwischen Informations- und Interaktionstexten. Interaktionstexte sind dabei solche Texte, „die Inhalte zugänglich machen und Wissensbestände anlegen“, während Interaktionstexte Texte sind, „die beim Leser/der Leserin Wissensbestände voraussetzen und (diesem/dieser) zugleich Anschlusshandlungen abverlangen“ [16].

Die in der vorliegenden Studie untersuchte Textsorte Patientenaufklärung gehört nicht nur zur Gesundheitskommunikation, sondern durch ihre Teilfunktion, eine rechtliche Absicherung für die Ärztinnen zu erzielen, ebenfalls zur Rechtskommunikation. Für den vorliegenden Artikel wurden die sprachlichen Eigenschaften der Patientenaufklärung (im Folgenden „Ausgangstext“) in den Kategorien von Kercher [8] analysiert und es wurde in Anwendung von Maaß [12] eine Übersetzung in Leichte Sprache Plus erstellt (im Folgenden „Zieltext“). Der Ausgangstext wird zur Vorbereitung des Aufklärungsgesprächs vor einer gynäkologische Gewebeentnahme bzw. Konisation am Gebärmutterhals ausgegeben [15].

Die verschiedenen Textteile der Textsorte „Patientenaufklärung“ weisen unterschiedliche Funktionen auf: Ein Teil ist ein Informationstext (Eckdaten des Eingriffs, Risikoaufklärung, Diagnoseaufklärung, Verhaltenshinweise [6]) und ein Teil ein Interaktionstext. Dabei sind die Interaktionsanteile zum einen an die Patientin gerichtet (Abfrage der Lebensführung, Versicherung des Verstehens [6]), zum anderen an die Ärztin (wann, wie, worüber, durch wen, Dolmetschende, Zeug:innen [6]). In diesem Artikel wird der an die Patientinnen gerichtete Interaktionstext thematisiert, insbesondere der Fragebogen zum Gesundheitszustand. Der Fragebogen ist nötig, um eine optimale Behandlungsstrategie zu wählen und die individuellen gesundheitlichen Risiken für die Patientin zu minimieren; gleichzeitig sichert sich die Ärztin gegenüber Rechtsfolgen ab.

Maaß und Rink [14] und Maaß [13] legen dar, in welcher Weise das Anwenden von Textinformationen durch Kommunikationsbarrieren unterschiedlicher Art behindert werden kann. Laut Ahrens et al. [2] kann Gesundheitsinformation durch strategische Bearbeitung von Kommunikationsbarrieren zugänglicher gemacht werden. Im vorliegenden Fall wurden verschiedene Kommunikationsbarrieren (Sprachbarriere, Fachsprachbarriere, Fachbarriere [16, 20]) durch den Einsatz von Leichter Sprache Plus bearbeitet.

Studiendesign

Da Ausgangs- und Zieltext im Bereich der Gynäkologie situiert sind, wurden weibliche Proband:innen befragt. Die Akquise fand zwischen September 2021 und April 2022 statt. In dieser Zeit wurden Institutionen in der Geflüchtetenhilfe und Sprachschulen kontaktiert. Gatekeeper in den Institutionen sprachen potenzielle Teilnehmerinnen mit Deutsch als L2 (Zielgruppe) direkt an oder leiteten den Studienaufruf per E‑Mail an bei ihrer Institution Angemeldete weiter. Interessierte nahmen per Telefon oder E‑Mail Kontakt zu SA auf. Die Probandinnen mit Deutsch als L1 (Vergleichsgruppe) wurden durch persönliche Ansprache und öffentliche Studienaufrufe akquiriert.

Zur Überprüfung von Verstehen und Anwenden der Informationen wurden qualitative leitfadengestützte Online-Interviews geführt. Die Probandinnen konnten in der Gruppe (2–3 Probandinnen) teilnehmen oder ein Einzelinterview führen – je nach Präferenz der Probandin. Die Interviews wurden über Zoom (Zoom Video Communications Inc., San José, Kalifornien, USA) geführt und auf einem zweiten Gerät als Audio aufgezeichnet (Diktiergerät [Version 3] von quality apps für Android). Sie wurden in Anlehnung an die GAT-2-Transkriptionsregeln [21] transkribiert. Probandinnen waren 17 Frauen mit Deutsch als L2 (fast alle aktive Deutschlernerinnen) und 15 Frauen mit Deutsch als L1.

Die Probandinnen der Zielgruppe waren zwischen 18 und 53 Jahre alt, elf von ihnen zwischen 30–49 Jahre. Ihre L1 waren Arabisch (10 Probandinnen), Türkisch (4 Probandinnen) und andere Sprachen (3 Probandinnen). Fast alle Probandinnen sprachen außerdem Englisch (15 Probandinnen) und weitere Sprachen. Elf der Probandinnen hatten studiert oder studierten noch, fünf hatten eine Ausbildung absolviert (ohne Studium). Zwölf der Probandinnen hatten ein Sprachniveau von B1/B2 nach dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GER), drei ein A2-Niveau und drei hatten entweder C1-Niveau oder sprachen Deutsch seit Kindesalter. In der Vergleichsgruppe waren die Probandinnen 25–57 Jahre alt, zehn von ihnen zwischen 25 und 29. Von ihnen hatten elf Probandinnen studiert und drei hatten eine Ausbildung (ohne Studium) absolviert. Sie beherrschten neben ihrer L1 Deutsch hauptsächlich Englisch, aber auch andere Sprachen.

Die Probandinnen erhielten den Text einige Tage vor dem Interview entweder per Post oder, sofern sie zu Hause drucken konnten, per E‑Mail. Die Probandinnen wurden gebeten, den Text in den Tagen vor dem Interview und noch einmal direkt vor dem Interview zu lesen. Die meisten Probandinnen hatten Wörter nachgeschlagen bzw. gegoogelt oder sogar im Deutschunterricht besprochen. Ausgangs- und Zieltext wurden abwechselnd ausgegeben und zwar in der Reihenfolge, in der die Interviews verabredet wurden. Die erste Probandin, mit der ein Termin verabredet wurde, erhielt einen Ausgangstext, die zweite Probandin einen Zieltext usw. Dasselbe wurde auch in der Vergleichsgruppe vorgenommen. So entstanden vier Probandinnengruppen: In der Zielgruppe (Deutsch als L2) lasen neun Probandinnen den Ausgangs- und acht den Zieltext. In der Vergleichsgruppe lasen fünf Probandinnen den Ausgangs- und zehn den Zieltext. Die Einverständniserklärungen wurden mit dem Text per Post versandt, inklusive Rückumschlag. Zum Ende der Datenerhebungsphase hatten mehrere Vergleichsgruppenprobandinnen des Ausgangstextes ihre Einverständniserklärung noch nicht zurückgeschickt – trotz Erinnerung – weshalb ihre Interviews nicht transkribiert und ausgewertet werden konnten.

In den leitfadengestützten Online-Interviews wurden den Probandinnen Fragen zu den Textinformationen gestellt. Der Leitfaden enthielt in Einfacher Sprache formulierte Fragen zu zentralen und dezentralen Textinformationen sowie zur Textgestaltung. Der Leitfaden wurde während der ersten Interviews weiterentwickelt, beispielsweise wurde in den ersten geführten Interviews das zweispaltige Layout von Ausgangs- und Zieltext thematisiert. Deshalb wurde diese Frage in den Leitfaden aufgenommen (für eine detaillierte Beschreibung der Leitfadenentwicklung s. Ahrens in VorbereitungFootnote 1). Die Leitfadenfragen wurden im spezifischen Interview an den Gesprächsverlauf angepasst (s. unten für ein Beispiel). In der Vergleichsgruppe wurden die Interviewfragen meist nicht in Einfacher Sprache gestellt.

Die Transkripte wurden, ggf. unter Rückgriff auf die Audioaufnahmen, nach der evaluativen und der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse [10] analysiert. Dazu wurden die Antworten auf die einzelnen Leitfaden-Items in einer Kategorie codiert. Die so gesammelten Antworten auf die Items wurden schließlich als verstanden/nicht verstanden bzw. angewandt/nicht angewandt evaluiert. Die Meta-Aussagen zum Text wurden inhaltlich-strukturierend analysiert und zwar anhand des Themas der Aussage, z. B. Textstruktur, Wortebene oder Bilder. Die qualitative Inhaltsanalyse erfolge in MAXQDA (Verbi GmbH, Berlin, Deutschland). Der Codebaum wurde in einem Verfahren der konsensuellen Codierung [10] überprüft und die evaluative Inhaltsanalyse wurde in regelmäßigen Abständen in Kolloquien und Forschungswerkstätten mit anderen Forschenden diskutiert, um subjektive Lesarten auszuschließen.

Die für den vorliegenden Beitrag relevante Frage lautete: „Welche Fragen muss eine Frau mit Diabetes beantworten?“ In Einklang mit der Methodik leitfadengestützter Interviews, in denen vom Leitfaden abgewichen werden kann, und damit diese Frage so verständlich wie möglich in den Kontext des Interviews passte, wurde sie an den jeweiligen Interviewverlauf angepasst. Sie lauteten z. B.:

  • I: welche fragen müsste sie denn hier ausfüllen? wo würde sie ja ankreuzen und wo müsste sie dann was ausfüllen? (AT_1Footnote 2: 263)

  • I: eine frau, die diabetes hat (.) wissen Sie, welche fragen die frau beantworten müsste? (ZT_4: 239)

  • I: also die erste seite vom fragebogen, da gibts zwei fragen, die sind ja mehr oder minder diabetesspezifisch, weißt du welche das sind? (V_ZT_8: 55)

Ergebnisse

Der untersuchte Fragebogen besteht in Ausgangs- und Zieltext aus 18 Fragen zur Krankheitsgeschichte der Patientin. Die Interviewfrage „Welche Fragen muss eine Frau mit Diabetes beantworten?“ bezog sich auf zwei dieser Fragen. Im Ausgangstext lauteten sie (die Schrägstriche zeigen Zeilenumbrüche):

1. Werden regelmäßig oder derzeit Medikamente / eingenommen (z. B. gerinnungshemmende Mit- / tel [z. B. Marcumar®, […]] […] Anti- / diabetika [v. a. metforminhaltige]) ?

8. Besteht eine Stoffwechselerkrankung (z. B. Zu- / ckerkrankheit, Gicht)?

Die Tab. 1 fasst das evaluierte Verstehen der Textinformationen zusammen. So gibt Tab. 1 einen Überblick über die Voraussetzungen für die Anwendung der Textinformationen. Als korrekt werden Antworten eingeordnet, in denen sowohl Frage 1 (Medikamente) als auch Frage 8 (Stoffwechsel) genannt wurden. Zwei Probandinnen wurde die Frage im Interviewverlauf nicht gestellt: AT_6 wusste nicht, was „Diabetes“ ist, was eine Anschlussfrage verhindert, und mit AT_7 wurde über sprachliche Elemente in Frage 8 gesprochen, was die Interviewfrage vorwegnahm. Ein inadäquates Anwenden der Textinformationen zeigt sich bei AT_3 (Pos. 185–186) und AT_8 (Pos. 119–125). AT_3 fand Fragen 1 und 8 nicht. AT_8 nannte Frage 8, war sich ihrer Antwort aber unsicher („war das richtig?“, Pos. 119). Außerdem nannte sie vier unzutreffende Fragen (Pos. 119–125). Diese Unsicherheit in der Antwort könnte in einer realen Situation ein adäquates Anwenden verhindern. AT_5 (Pos. 147) war sich in ihrer Antwort erst sicher, als sie „Zuckerkrankheit“ im Interview erfolgreich gelesen und verstanden hatte. Inadäquates Anwenden zeigt sich auch, wenn nur Frage 1 genannt wird. AT_4 (Pos. 95–98) verstand nicht, warum Frage 8 relevant war. AT_1 (Pos. 306) nannte sechs unzutreffende Fragen. Sie griff dafür auf ihr Vorwissen zurück und nannte Fragen, die ihrer Erfahrung aus anderen Arzt-Patienten-Gesprächen nach relevant sind. Wenn Vorwissensbestände statt der Textinformationen zum Antworten genutzt werden, kommt es u. U. zu Missverstehen (vgl. [19]). Missverstehen bleibt häufiger unerkannt als Nichtverstehen [4]. Nichtverstehen eröffnet die Möglichkeit für Nachfragen, während Missverstehen häufig dazu führt, dass Anwenden auf einem vermuteten Tatsachenbestand aufgebaut wird, der auf unzutreffenden Annahmen beruht. Adäquat angewandt, also sowohl Frage 1 als auch Frage 8 genannt, haben AT_5 (AT_5: 135, 143–147) und AT_9 (AT_9: 101–104, 105–110). Inadäquates Anwenden äußerte sich also in der Zielgruppe für den Ausgangstext so:

  • Nichtfinden zutreffender Fragen (AT_3, AT_4)

  • Nichtverstehen der Relevanz zutreffender Fragen (AT_4)

  • Unsicherheit auch bei richtigen Antworten (AT_8)

  • Antworten aus Vorwissen statt aus Textinformationen, insbes. Nennen irrelevanter Fragen (AT_1, AT_8)

Tab. 1 Zusammenfassung des Verstehens der Zielgruppe (Ausgangstext)

Die Relevanz der sprachlichen Oberfläche zeigt sich exemplarisch bei AT_5, die das Signalwort „Zuckerkrankheit“ für ein adäquates Anwenden erst verstehen muss. Bei inadäquater sprachlicher Oberfläche muss das Vorwissen hinzugezogen werden, um Lücken im Verstehen zu füllen [8, 9]. Die Relevanz von Signalwörtern zeigt sich insbesondere in den Antworten der Vergleichsgruppe, die deshalb als nächstes dargelegt werden. In diesen Antworten zeigt sich auch die Bedeutung von Vorwissensbeständen, die zu den Textinformationen passen. Bespielsweise identifiziert V_AT_3 Frage 8 nicht und führt dies auf fehlendes Vorwissen und das Nichterkennen des Signalwortes „Zuckerkrankheit“ zurück:

B: ah, (.) okay (.) ah, ja, ja (–) [I: mhm (bejahend) genau] ich kenn mich zu wenig mit diabetes aus (lacht) (V_AT_3: 54–55)

B: ja, (.) scheu/scheuklappen (–) ja, zuckerkrankheit, natürlich (.) [I: ja] ist auch noch so durch n blöden bindestrich getrennt […] ja (–) okay, ja, da hab ich auch zu sehr gerade nach/nach ähm diabetes gesucht (lacht) (V_AT_3: 59, 61)

Auch V_AT_4_2 (Pos. 17–18) erkennt „Zu- / ckerkrankheit“ in Frage 8 nicht, was zum Nichterkennen der Frage führt. Die Probandinnen, die Frage 8 identifizierten, taten dies am Signalwort „Stoffwechselerkrankung“ (V_AT_2: 78, V_AT_5: 53). Gegenteilig findet in der Zielgruppe AT_9 (Pos. 102) die Frage anhand des Wortes „Zuckerkrankheit“, das ihr bekannter ist als „Diabetes“.

In der Übersetzung des Ausgangs- in den Zieltext wurden Fragen im Fragebogen der Aufklärung nur geringfügig angepasst. Hier lauten sie:

1 Nehmen Sie im Moment Medikamente oder nehmen Sie regelmäßig / Medikamente? / Zum Beispiel: Marcumar®, […] / Antidiabetika mit Metformin oder ohne Metformin

8 Haben Sie eine Stoffwechsel-Erkrankung? / Zum Beispiel: Diabetes oder Gicht (ZT: 5)

Tab. 2 Zusammenfassung des Verstehens der Zielgruppe (Zieltext)

Inadäquates Anwenden zeigt sich in denselben Zusammenhängen wie im Ausgangstext. ZT_2 (Pos. 240–242) nannte Frage 1 und zwei unzutreffende Fragen. Die übrigen 15 Fragen verstand sie nicht (ZT_2: 244; Übersicht in Tab. 2). Sie hatte den Text erstmals direkt vor dem Interview gelesen und weniger Zeit zum Verstehen gehabt als andere Probandinnen. Diese Zeitrestriktionen existieren auch, wenn Patientinnen den Text kurz vor dem Aufklärungsgespräch im Wartezimmer lesen. ZT_5 (Pos. 115–122) zeigte Verstehen, indem sie Fragen 1 und 8 angab, brachte Diabetes aber auch mit Blutungen in Verbindung (Pos. 116). Möglicherweise missversteht sie Frage 3 („Bluten Sie oft oder bluten Menschen in Ihrer Familie oft?“) als eine Frage zu Erkrankungen an den Blutgefäßen, die tatsächlich mit Diabetes einhergehen. Durch dieses Vorwissen über Diabetes, gekoppelt mit dem Missverstehen von Frage 3, könnten unzutreffende Fragen angekreuzt werden. ZT_7 nennt nur Frage 1 (ZT_7: 28–35) und sucht nicht nach Frage 8 (ZT_7: 36–39). Dies ist auf eine geringe Motivation, aktiv am Interview teilzunehmen, zurückzuführen. Eine ähnlich geringe Motivation in einer realen Situation, z. B. durch Frustration durch die Textsorte (s. unten), könnte zu einer vergleichbaren Nichtanwendung führen. Die Antworten der übrigen beiden Probandinnen (ZT_1: 231–234 und ZT_4: 239–244), die nur zu Frage 1 antworteten, lassen sich nicht auf Nichtverstehen und Nichtanwenden zurückführen. ZT_1 (Pos. 231–234) antwortete vermutlich nur zu Frage 1, um anderen Probandinnen im Gruppeninterview Raum zum Antworten zu geben. Das übrige Interview legt nahe, dass sie die Textinformationen verstanden hatte und anwenden könnte. ZT_4 (Pos. 239–244) antwortete nicht mit Bezug auf den Interaktionstext, sondern auf diesen Satz im Informationstext:

Sie dürfen vielleicht keine Medikamente / mit Metformin nehmen. Menschen mit / Diabetes nehmen Medikamente mit / Metformin. (Zieltext: 2)

Der Informationstext half ihr, die Interviewfrage zu beantworten. Auf den Interaktionstext nahm sie keinen Bezug und nannte deshalb Frage 8 nicht. Drei Probandinnen wurden zum Interaktionstext nicht gefragt: ZT_3 und ZT_6 hatten den Fragebogen nicht gelesen und ZT_8 hatte sich im Gruppeninterview nicht zum Fragebogen geäußert. Inadäquates Anwenden zeigte sich in der Zielgruppe beim Zieltext durch folgende Merkmale:

  • Antworten aus Vorwissen statt aus Textinformationen, insbesondere Nennen irrelevanter Fragen (ZT_2, ZT_5)

  • Nichtverstehen der Interviewfragen durch fehlende Zeit (ZT_2)

  • Nichtsuchen relevanter Fragen durch geringe Motivation (ZT_7)

In der Vergleichsgruppe nannten acht Probandinnen Frage 1Footnote 3, aber nur sechs Probandinnen Frage 8Footnote 4. In den Gruppeninterviews teilten sich die Frauen die Antworten (V_ZT_6, V_ZT_9 und V_ZT_10). Die Signalwörter halfen der Vergleichsgruppe in beiden Texten beim Erkennen der Fragen. Signalwörter wie „Stoffwechselerkrankung“ (s. oben) werden in Frage 8 erkannt, was Vor- oder Kontextwissen aufruft [8] und so die Frage als zutreffend erkennbar macht. Probandinnen suchen auch nach Signalwörtern, wie V_AT_3 es mit „Diabetes“ tat (s. oben) und wie folgendes Zitat zeigt: „aber durch den text stand da ja (-) äh dieses metformin (.) das heißt (-) dann könnte ich doch (-) die erste frage denn mit ja beantworten“ (V_ZT_1: 188). „Metformin“ wurde im Informationstext bereits erwähnt, von mehreren Probandinnen behalten und konnte so im Interaktionstext zur Anwendung von Frage 1 herangezogen werden. Am Wort „Metformin“ konnten fünf ProbandinnenFootnote 5 die Frage 1 als relevant identifizieren. Daneben sind auch „Diabetes“Footnote 6, „Stoffwechselerkrankung“Footnote 7, „Medikamente“Footnote 8, „Marcumar“ (V_ZT_5: 164), „Antidiabetika“ (V_ZT_1: 188) und „blutet“ (V_ZT_3: 100) Signalwörter. Letzteres zeigt, dass Signalwörter nicht immer korrekt gewählt werden. V_AT_3 hat gezeigt, dass Synonyme („Zuckerkrankheit“ statt „Diabetes“) die Erkennbarkeit von Fragen einschränken können. Hingegen unterstreicht AT_9 die Relevanz bekannter Signalwörter. Ihr war „Zuckerkrankheit“ geläufiger als „Diabetes“.

Neben der oben genannten Interviewfrage wurden inhaltlich-strukturierend auch Meta-Aussagen zum Text ausgewertet. AT_2 ging durch alle Fragen und gab an, welche sie verstand und welche nicht. Ihr Verstehen wurde z. B. anhand von Paraphrasen deutlich. Sie ersetzte z. B. „Infektionskrankheit“ mit dem englischen Terminus „transferable disease“ (Pos. 286). Sie nutzte ihr Sprachwissen (vgl. [1]) und erschloss sich Textteile über die Transfersprache Englisch. Dies deckt sich mit den Erkenntnissen des Propositionalen Verarbeitungsmodells, nach dem Verstehen möglich ist, wenn Leserinnen die Aussage eines Kommunikates in eigenen Worten wiedergeben können [3, 4]. AT_2 verstand von den 18 Fragen im Fragebogen sieben nicht. Sie verstand hingegen zehn Fragen und das Verstehen von Frage 8 war nicht auswertbar, weil die Internetverbindung an dieser Stelle unzuverlässig wurde und AT_2 das Interview daraufhin aus Zeitgründen abbrach. AT_2s Beurteilung zeigt, dass der Fragebogen gerade für DaZ-Lernerinnen potenziell inadäquat ist. Das Hauptproblem ist hier die sprachliche Oberfläche. Die 18 Fragen enthalten Fachtermini (deutsche und Internationalismen), v. a. zu Erkrankungen, die nicht erklärt werden. Betroffene sollen diese Termini erkennen und finden. Bei Nichtbetroffenen lösen sie allerdings Unsicherheit aus, wie die Vergleichsgruppe zeigt. Hier besteht v. a. die Unsicherheit, ob eigene Beschwerden eingetragen werden müssen. V_ZT_5 sagt dazu: „am ende ist eh bei mir immer überall nein angekreuzt, ich finde das zum einen sehr frustrierend und zum anderen manchmal auch sehr überfordernd“ (V_ZT_5: 183). V_ZT_1 (Pos. 112) ist unsicher, ob sie unter „Allergien“ z. B. eine Tierhaarallergie aufführen muss (auch V_AT_5: 83 für Pollenallergie). V_ZT_7 (Pos. 60) fragt sich, ob Wundheilungsstörungen undiagnostiziert vorliegen können (Pos. 60) und sagt: „so entzündung kann auch irgendwie alles oder nichts sein da war ich mir kurz nicht sicher was ich ankreuzen soll“ (Pos. 60). V_ZT_5 (Pos. 183, auch V_ZT_7: 60) wünscht sich mehr konkrete Beispiele, damit Leserinnen ihre Erkrankungen oder Medikamente im Fragebogen wiederfinden. Ein explizites Nichtakzeptieren einer Frage ist bei V_ZT_9 (Pos. 81) erkennbar, die sich auf folgenden Wortlaut bezieht: „Bluten Sie oft oder bluten Menschen in Ihrer Familie oft?“ (Zieltext: 5). Sie zweifelt am Sinn dieser Frage:

ich weiß nicht (.) ob das so sinn macht aber ob ich viel blute oder meine familie (.) das würde ich halt nochmal abgrenzen weil(.) zum beispiel bei mir ist das so ich hab sowas nicht aber (.) bei meiner familie die haben alle irgendwie nasenbluten und so ich glaub da müsste man vielleicht nochmal unterscheiden (V_ZT_9: 81)

Ihre Nichtakzeptanz könnte unterschiedliche Gründe haben:

  1. 1.

    Zweifel an der Relevanz der Frage: V_ZT_9 könnte den Grund für die Frage nach der Familie nicht kennen und, da sie selbst keine Beschwerden hat, an der Relevanz der Frage zweifeln.

  2. 2.

    Nichtakzeptanz der zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit: Über Blutsverwandtschaft wird ihr das Merkmal „blutet oft“ zugeschrieben – obwohl sie keine Beschwerden hat.

  3. 3.

    Zuschreibung von Inkompetenz an die Kommunikationspartner: Da Ihre Einstellung zum Text in Leichter Sprache Plus negativ war, könnte sie vom Sprachniveau des Zieltextes auf eine Inkompetenz der Texterstellenden geschlossen haben. Die Frage im Ausgangstext lautete: „Besteht bei Ihnen oder in Ihrer Blutsverwandt- / schaft eine erhöhte Blutungsneigung […]“ [15].

Auch in der Zielgruppe (Deutsch als L2) drücken die Probandinnen Unsicherheit darüber über die unbekannten Termini aus. Sie kennen nur ihre eigenen, aber nicht die anderen aufgezählten Erkrankungen (ZT_2: 258). ZT_2 (Pos. 251) ergänzt, dass man ggf. den Namen seiner Erkrankung weiß, aber nicht das dazugehörige Hyperonym. Dies ist eine Ausprägung der Fachsprach- und Fachbarriere. ZT_1 (Pos. 34) sagt: „manchmal hat man die, aber man weiß gar nicht, dass sie so heißt“. Dies könnte auf eine Sprachbarriere hindeuten, wenn man den Terminus in der L1 kennt, aber nicht den im Fragebogen genutzten Terminus.

Diskussion

Die Probandinnen, die an der Studie teilgenommen haben, zeichnen sich durch einen hohen Bildungsstand aus sowie durch ein hohes Sprachniveau der Probandinnen mit Deutsch als L2. Hinzu kommt eine zumeist hohe Motivation, den Text zu verstehen und am Interview teilzunehmen. Dennoch zeigt sich, dass der Fragebogen sowohl in Ausgangs- als auch in Zieltext sowohl für die Probandinnen mit Deutsch als L2 als auch mit Deutsch als L1 inadäquat ist. Anders als der Informationstext, der in der Hauptstudie im Fokus stand (Ahrens in VorbereitungFootnote 9), wurde die sprachliche Oberfläche des Zieltext-Fragebogens gegenüber dem Ausgangstext-Fragebogen nicht tiefgreifend verändert. Deshalb ist es nicht überraschend, dass beide Fragebögen sehr ähnliche Schwierigkeiten aufweisen. Die Auswertung der evaluativen und der inhaltlich-strukturierenden Kategorien zeigt, dass der Hauptgrund bei den Probandinnen mit Deutsch als L2 das Nichtverstehen der sprachlichen Oberfläche ist. Dieses Nichtverstehen kann der Grund für die folgenden Ausprägungen des Nichtanwendens haben, die sich in der Zielgruppe in Ausgangs- bzw. Zieltext zeigten:

  • Nichtfinden relevanter Fragen

  • Nichtsuchen relevanter Fragen durch geringe Motivation

  • Unsicherheit auch bei richtigen Antworten

  • Nennen irrelevanter Fragen aus dem Vorwissen

  • Nichtverstehen der Interviewfragen wegen der sprachlichen Oberfläche und fehlender Zeit

  • Nichtverstehen der Relevanz zutreffender Fragen

Signalwörter helfen, beide Fragebögen anzuwenden. Dafür müssen Betroffene ihre Erkrankungen kennen, und sie müssen den in den Fragebögen genutzten Terminus kennen. Dieser Terminus kann im Kotext angelegt werden, wie es im Beispiel „Metformin“ gegeben ist. Im Fragebogen müssen die Signalwörter erwartbar sein. Es muss also der durch Vorwissen oder durch Kotext bekannte Terminus genutzt werden; dazu sollten Synonyme vermieden werden. Sie müssen zudem leicht erkennbar sein, also z. B. nicht durch einen Bindestrich getrennt werden, wie die das Zitat von V_AT_3 und andere Ergebnisse zum Ausgangstext-Fragebogen zeigen.

Die Probandinnen mit Deutsch als L2 haben Schwierigkeiten mit der sprachlichen Oberfläche beider Fragebögen, weshalb die Fragebögen für sie nur eingeschränkt anwendbar sind. Bei den Probandinnen mit Deutsch als L1 wird die sprachliche Oberfläche eher verstanden, aber gerade die Zieltext-Probandinnen der Vergleichsgruppe zeigen, dass der Fragebogen zu viel Fachwissen voraussetzt, einerseits in Form von Fachtermini und andererseits in Form des nötigen Fachwissens, um die Fragen korrekt zu interpretieren und zu beantworten. Leserinnen können nicht beurteilen, welche ihrer Erkrankungen und Medikamente wichtig genug für den Fragebogen sind. Aufgrund der Aussagen von V_AT_5 zeigt sich dies in Ansätzen auch für den Ausgangstext. So verursacht der Fragebogen im Zieltext Unsicherheit über das Anwenden der Textinformationen. Es ist anzunehmen, dass dies auch auf den Fragebogen im Ausgangstext zutrifft, schließlich teilen sich beide Fragebögen die meisten sprachlichen Eigenschaften. Für den Zieltext zeigt V_ZT_9, dass nicht alle Fragen akzeptabel sind. Ob dies auf die Verwendung der Varietät Leichte Sprache Plus zurückzuführen ist oder auf die Art der Frage, lässt sich im Rahmen dieser Studie nicht beantworten. Dass der Zieltext-Fragebogen strenger bewertet wird als der Ausgangstext-Fragebogen kann am Ungleichgewicht zwischen den Probandinnen liegen. Zehn haben den Zieltext gelesen und nur fünf den Ausgangstext. Zur Unsicherheit oder Akzeptanz machen vier von den zehn Zieltext-Probandinnen Aussagen. Möglicherweise hätten die Aussagen zum Ausgangstext-Fragebogen mit steigender Anzahl an Probandinnen zugenommen.

Die Studie zeigt die Bedeutung der sprachlichen Oberfläche für das Anwenden der Textinformationen. Die sprachliche Oberfläche ist – wenn sie auf Deutsch präsentiert wird – in der Textsorte „Fragebogen“ aber kaum optimierbar (ähnlich auch [16]). Ein Arzt-Patienten-Gespräch ist nötig, um die Behandlungsstrategie zu planen. Auf den ausgefüllten Fragebogen ist nicht immer Verlass. Eine Lösung wären unterschiedliche Fragebögen, die bei Bedarf ausgegeben werden (V_ZT_5: 183). Dies wäre ein patientenorientierter Ansatz, der auf Seiten der Arztpraxis mehr Zeitressourcen erfordert. Es läge hier mehr Bedeutung auf dem Arzt-Patienten-Gespräch (vgl. [16]). Nicht nur in der Gestaltung von Fragebögen, sondern gerade in der Gestaltung der größeren Kommunikationssituation tritt die Relevanz der Zielgruppenbeteiligung hervor, wie sie vom Nationalen Aktionsplan [7, 17] und der Leitlinie evidenzbasierte Gesundheitsinformationen [11] gefordert wird.

Schlussfolgerung

Es zeigt sich in der Textsorte Patientenaufklärung, in diesem Beitrag für den Interaktionsteil „Fragebogen“, Handlungsbedarf in Sachen Zielgruppenorientierung. Fragebögen sind in eine Kommunikationssituation eingebettet, die insbesondere bei Patient:innen, deren Deutschkenntnisse in dieser Situation nicht ausreichen, eine besondere Bedeutung hat. Der Fragebogen stellt die Leserinnen mit Deutsch als L2 und L1 vor eine Fach- und Fachsprachenbarriere, denn die zahlreichen Termini werden nicht gänzlich verstanden und lösen Unsicherheit und Frustration aus. Auch sprachunabhängiges Vorwissen zum Fachgegenstand spielt eine Rolle. Ggf. kommt für Patient:innen mit Deutsch als L2 eine Sprachbarriere hinzu, wenn sie ihre Krankengeschichte nicht auf Deutsch kennen oder das Deutsch im Fragebogen nicht verstehen. Leserinnen mit Deutsch als L1 zeigen erwartungsgemäß ein größeres sprachbezogenes Vorwissen. Signalwörter sind wichtig für das adäquate Anwenden. Sie sollten aus dem Kotext bekannt oder im Vorwissen der Adressatinnen verankert sein, dann sind sie verständlich und können das Anwenden von Textinformationen in einem Interaktionstext erleichtern.

Fazit für die Praxis

  • Der Fragebogen war für die Probandinnen mit Deutsch als L2 und L1 begrenzt anwendbar. Er enthält unbekannte Termini, die v. a. zu Nichtverstehen oder Unsicherheit führen.

  • Leserinnen, die ihre Krankheitsgeschichte nicht auf Deutsch kennen (sondern in einer anderen Sprache), können einen deutschsprachigen Fragebogen i. d. R. nicht anwenden. Dies ist sowohl auf die Sprachbarriere zurückzuführen als auch auf die Fachsprachen- und die Fachbarriere.

  • Ein nicht anwendbarer Fragebogen erhöht die Relevanz der Kommunikationssituation, in die er eingebettet ist: Es müssen gründliche Arzt-Patienten-Gespräche geführt werden.

  • Die zutreffenden Fragebogenelemente werden anhand von Signalwörtern erkannt. Werden Signalwörter verwendet, die die Leserinnen nicht kennen oder die sie nicht erwarten, so sinkt die Anwendbarkeit des Fragebogens.