Einleitung

Die Förderung der Gesundheitskompetenz (GK) ist für das Wohlbefinden und die Gesundheit eines jeden Einzelnen von entscheidender Bedeutung. In einer Welt, die von komplexen Gesundheitsinformationen und vielfältigen Systemherausforderungen geprägt ist, ist die Fähigkeit, informierte Gesundheitsentscheidungen zu treffen und auf die eigene Situation zu übertragen, ein wertvolles Gut. Studien zufolge weisen knapp 60 % der Bevölkerung in Deutschland eine geringe GK auf [24]. Im Fokus der individuellen GK steht die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden, um informierte Entscheidungen bezüglich der eigenen Gesundheit zu treffen [26]. Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit hoher GK eher dazu neigen, sich gesundheitsfördernd zu verhalten, öfter eine bessere Gesundheit aufweisen und folglich seltener Leistungen im Gesundheitssystem beanspruchen [11, 12, 24]. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt in diesem Zusammenhang, dass 3–5 % der Gesamtgesundheitsausgaben auf eine mangelnde GK zurückzuführen sind. In Deutschland entspricht dies einem jährlichen Betrag von etwa neun bis 15 Mrd. € [22].

Im Bemühen, die GK ihrer Rezipient*innen zu fördern und zu stärken, sind neben anderen Akteuren auch die Gesundheitsorganisationen mit den dort beschäftigten Gesundheitsprofessionen in der Verantwortung [3, 17]. Hier setzt das Konzept der organisationalen GK an, mit dem Ziel, Strukturen und Prozesse in der Einrichtung so zu organisieren, dass Gesundheitsinformationen verständlich, leicht zugänglich und auf die individuellen Bedürfnisse der Rezipient*innen abgestimmt zur Verfügung stehen [4, 8, 19]. Dabei sind alle Gesundheitsprofessionen gefragt, aber insbesondere auch die Pflegefachpersonen (PFP; [12]). Sie sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen und in sämtlichen Bereichen der gesundheitlichen Versorgung präsent [6]. Aufgrund ihrer generalistischen Ausbildung, der wiederkehrenden Interaktionskontakte und der hohen Interaktionsfrequenz mit Patient*innen (Pat.; [6, 10]). könnten sie eine wichtige Funktion in der Förderung der GK übernehmen [9, 13, 16].

Derzeit kann allerdings auf wenig Forschung zum Thema GK und Pflege in Deutschland zurückgegriffen werden. Gesetzlich vorgeschriebene pflegerische Grundlagen, wie das Pflegeberufegesetz oder die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, erwähnen das Konzept der GK nicht explizit [1, 2]. Es wird jedoch angenommen, dass die im Rahmen von Ausbildung, Berufserfahrung und Fort- und Weiterbildungen erworbenen Kompetenzen, insbesondere in den Bereichen Beratung, Information und Schulung, dazu beitragen, dass PFP Maßnahmen zur Förderung der GK umsetzen, ohne bewusst auf das Konzept der GK zurückzugreifen [16].

Ziel und Forschungsfragen

Die Studie untersucht das Handeln von PFP zur Förderung der GK der Pat. in der akutstationären Versorgung. Wie unterstützen PFP ihre Pat., in welchen Situationen und zu welchen Themen findet diese Unterstützung statt, wie werden die Interaktionen gestaltet und wer initiiert sie? In welchen Dimensionen der GK nach Sørensen et al. [26] findet eine Förderung durch PFP statt?

Methode

Die Untersuchung erfolgte im Rahmen eines ethnografischen, qualitativen Forschungsdesigns. Dies umfasste neben teilnehmenden Beobachtungen von Interaktionen zwischen PFP und ihren Pat. auch Ad-hoc-Interviews mit den PFP in der akutstationären Versorgung.

Sampling und Rekrutierung

Das qualitative Sampling erfolgte kriteriengeleitet [5, 20]. Eingeschlossen werden sollten Krankenhäuser mit unterschiedlichen Trägerschaften, die mindestens eine Station im Fachbereich der Inneren Medizin führen. Kriterien für teilnehmende PFP, wie Ausbildungsgrad, Berufserfahrung, Stationszugehörigkeit sowie Arbeitszeitumfang, wurden vorab definiert. Für die bei der Beobachtung angetroffenen Pat. erfolgte keine Festlegung.

Die Rekrutierung erfolgte schriftlich per E‑Mail über die Pflegedirektionen der Krankenhäuser (n = 8; 12/21 bis 06/22). Bei Interesse wurde zunächst das Studienvorhaben persönlich vorgestellt, dabei konnten Details besprochen und Informations- und Einwilligungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden.

Studiendurchführung

In zwei Pretests wurde der geplante Beobachtungsprozess erprobt, einschließlich des Zeitfensters für die Datenerfassung, der Verfahren zur Datenerhebung und -aufzeichnung, der Protokollerstellung sowie die Durchführung der Ad-hoc-Interviews.

Im Fokus der Beobachtung stand der Interaktionskontakt zwischen PFP und Pat. Innerhalb des geplanten Zeitfensters von etwa 4 h begleitete die Forschende die PFP während ihres Arbeitsalltags. Die Beobachtungen erfolgten offen und passiv. Um Verwechslungen zu vermeiden trug die Forschende zivile Kleidung sowie ein Namensschild mit der Bezeichnung „Forschung“. Die Datenaufnahme erfolgte unmittelbar und chronologisch durch handschriftliche Aufzeichnungen in einem Notizbuch. In geeigneten Situationen wurden Ad-hoc-Interviews mit den PFP geführt, die der Einordnung und dem Verstehen von Abläufen dienten. Soziodemografische Angaben der PFP wurden durch einen schriftlichen Fragebogen erfasst, den die PFP selbst ausfüllten. Dieser beinhaltete auch eine offene Frage, die das Verständnis und die Bedeutung des Begriff GK nachfragte „Was bedeutet für Sie Gesundheitskompetenz?“. Die Feldnotizen sowie die Daten der Ad-hoc-Interviews wurden zeitnah an die Beobachtungseinheiten in detaillierte, pseudonymisierte Beobachtungsprotokolle überführt. Die soziodemografischen Selbstangaben und die Antworten der offenen Frage, wurden pseudonymisiert als Dokumentenvariablen (MAXQDA Analytics Pro 2022Footnote 1) aufgenommen [5, 20].

Datenanalyse

Die Datenanalyse erfolgte nach der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse, in einer deduktiv-induktiven Vorgehensweise [14] mit Analyseunterstützung durch MAXQDA Analytics Pro 2022.

Im ersten Schritt wurden die vier Hauptkategorien entsprechend der Dimensionen nach Sørensen et al. [26], deduktiv festgelegt. Nach initiierender Textarbeit und erster Zuordnung wurde analog der englischen Originalbezeichnung Access, gleich Zugang, die erste Hauptkategorie erstellt. Besonders relevant ist dies, da PFP auf professionelles Gesundheitswissen in der Interaktion zurückgreifen und somit selbst als Zugang zu Gesundheitsinformationen und -wissen zu betrachten sind. Unterhalb dieser Hauptkategorie wurde zwischen „Kontaktaufnahme durch PFP“ und „Kontaktaufnahme durch Pat.“ differenziert. Im nächsten Schritt wurden auf Grundlage des Materials induktive Kategorien für die bereits vorhandenen deduktiven Kategorien entwickelt (Abb. 1). Nach der Konsensualisierung der Kodesegmente in die Kategorien (NF, ANN) folgte eine Klassifizierung in GK-förderliche oder GK-hemmende Interaktionen. Alle relevanten Analysephasen sowie der Bezug zur Forschungsfrage wurden in Kolloquien einer kritischen Überprüfung unterzogen [14].

Abb. 1
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Kategoriensystem

Ethische Aspekte

Das Forschungsvorhaben wurde durch ein positives Ethikvotum der Medizinischen Hochschule Hannover (11/21) freigegeben. Die Studienteilnahme der PFP erfolgte freiwillig auf Basis einer Einwilligungserklärung. Die Teilnahme an der Studie hatte keinen direkten Einfluss auf die Behandlung oder Pflege der Pat., auch wurden keine personenbezogenen Daten der Pat. erhoben.

Ergebnisse

Die Studie schließt sechs Krankenhäuser ein, in denen jeweils 2 PFP (n = 12) in einem Früh- oder Spätdienst über ein Zeitfenster von etwa 4 h, im Zeitraum zwischen Januar und Juli 2022, begleitet wurden (Abb. 2). Die Beobachtungszeit umfasst insgesamt 55 h, davon entfallen 30 h auf Sequenzen ohne, und 25 h auf Sequenzen im Patientenkontakt. In diesen 25 h konnten knapp 200 Interaktionskontakte dokumentiert werden.

Abb. 2
figure 2

Einschlusskriterien, Merkmale und Sample

Bedeutung und Verständnis zum Thema Gesundheitskompetenz

Bei der offenen Frage „Was bedeutet für Sie Gesundheitskompetenz?“ haben 5 PFP keine Angaben gemacht bzw. geäußert, dass sie hierzu keine konkreten Vorstellungen haben. Die sieben weiteren PFP assoziieren mit GK die Kompetenz von Mitarbeitenden, die proaktiv die Therapieadhärenz fördern oder die Fähigkeit besitzen, Pat. ganzheitlich wahrzunehmen. Auch wurden Stichworte wie „professionelle, patientenorientierte Pflege“, „interdisziplinäre Zusammenarbeit“, „Fördern und Beraten von Pat. in allen Lebensbereichen“, ebenso „Anleiten und Schulen“ oder „Förderung der Ressourcen“ die „Wiederherstellung der Gesundheit von Pat“ genannt. Damit sind viele der oben skizzierten Dimensionen von GK bereits angesprochen. Ob und wie sich hier konkretes Handeln darstellt, wird im Folgenden auf Basis der Beobachtungsdaten entlang der vier Dimensionen der GK nach Sørensen et al. vorgestellt [26].

Dimension Zugang

Der Zugang zu Gesundheitsinformationen bildet die Grundlage zur Förderung der GK. Im beobachteten Setting erfolgt dieser Zugang über den Interaktionskontakt zwischen PFP und Pat. und kann auf zwei Wegen entstehen: Zum einen über die PFP, die Gesundheitsinformationen an die Pat. weitergeben und zum anderen über Pat., die den Kontakt zur PFP suchen, um Informationen zu erhalten.

Interaktion – initiiert durch PFP

Die Interaktionskontakte, die durch PFP entstehen, orientieren sich überwiegend an tätigkeitsorientierten pflegerischen oder medizinischen Versorgungsabläufen. Sie sind geprägt durch organisatorisch festgelegte Ablaufstrukturen und beziehen sich zumeist auf aufgabenbezogene „Durchgänge“, wie das Messen von Vitalzeichen, die Körperpflege, die Medikation oder die Ausgabe des Essens. Neben dieser eher planvollen tätigkeitsorientierten Aufgabenverrichtung finden Interaktion aber auch unstrukturiert statt und erfolgen situativ dann, wenn bspw. Pat. zu Untersuchungen einbestellt werden oder sie individuelle Unterstützung benötigen. Ob organisatorisch festgelegten Ablaufstrukturen folgend oder individuell-situativ, in beiden Interaktionskontakten ist die Art und Weise der Interaktionsgestaltung durch die PFP ausschlaggebend für den Zugang zu Gesundheitsinformationen und folgend in die Förderung von GK. Die Interaktionskontakte, die das Ziel der Aufgabenverrichtung verfolgen, sind häufig geprägt durch Informationen, die einseitig durch die PFP erfolgen, eher Anweisungen gleichen und keine weiterführenden Hinweise enthalten. PFP zeigt auf das OP-Hemd: „Wenn sie heute für die Untersuchung abgerufen werden, dann ziehen sie das hier an.“ PFP deutet auf das OP-Hemd und legt dieses auf den Nachtschrank (KH1FD: 43). In solchen Gesprächen stehen praktische Aufgaben oder Maßnahmen, die ablauf- und strukturbedingt „abgearbeitet“ werden müssen, im Vordergrund. PFP misst die Vitalzeichen und die Temperatur und trägt diese, ohne sie dem Pat. zu nennen, in die Dokumentation ein (KH1FD: 43). PFP geht in 3‑Bett-Zimmer mit den Worten: „Frau X einmal verbinden“ (KH3FD: 101). Es ist auffällig, dass diese Aufgaben stark fokussiert und häufig mit wenig patientenzugewandtem Verhalten seitens der PPF durchgeführt werden. Dies äußert sich in geringem Blickkontakt, oft fehlender weiterer Kommunikation und insbesondere in einem Mangel an erklärenden oder informativen Hinweisen.

Es konnten aber auch Situationen beobachtet werden, in denen PFP, die, obwohl eine tätigkeitsorientierte Aufgabenverrichtung im Vordergrund stand, die Interaktion patientenzugewandt gestalteten, bspw. durch das Stellen offener, individueller Fragen. „Wie ist es bei ihnen mit der Mobilität? Und wie schaffen sie es auf die Toilette?“ (KH1SD: 28). Dieses patientenzugewandte Verhalten ermöglicht den Pat. einen leicht zugänglichen und auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmten Zugang zu Informationen durch die PFP. PFP geht zur Pat. ans Bett, geht in die Hocke vor Pat., die im Bett in Seitenlage liegt. PFP nimmt Blickkontakt auf und fragt: „Wie geht es Ihnen?“ (KH1SD: 71). Durch diese Art der Kontaktaufnahme und Ansprache haben Pat. die Möglichkeit ihren Gesundheitszustand mitzuteilen, Fragen zu stellen oder Unklarheiten anzusprechen. In individuellen und patientenzugewandten Interaktionen gelingt der Zugang und im Weiteren die Vermittlung von gesundheitsbezogenen Informationen besonders gut. Pat. und PFP tauschen sich über die Blase (Organ), den Toilettengang und das Kontinenzverhalten aus. PFP fragt proaktiv: „Kennen Sie das Beckenbodentraining?“ (KH2FD: 46).

Interaktion – initiiert durch Patient*innen

Bei Fragen oder Anliegen nehmen Pat. entweder durch direkte Ansprache oder über die Klingelanlage Kontakt zu PFP auf. In diesen Interaktionen geht es Pat. häufig nicht darum, Gesundheitsinformationen in Form von Wissen zur Erkrankung oder zur Behandlung zu erhalten, sondern vielmehr um die Bitte nach Unterstützungsleistungen wie, Pat. wünscht einen Positionswechsel im Bett und möchte ein Kissen unter dem oberen Rücken entfernt haben (KH6SD: 58) oder um den Wunsch, etwas zum aktuellen Gesundheitszustand mitzuteilen. Pat. klagt über Magenschmerzen (KH3SD: 54).

Die PFP nehmen die Mitteilungen auf oder erbringen die gewünschten Leistungen in der Regel auf eine tätigkeitsorientierte Weise, wobei die Vermittlung von Gesundheitsinformationen hier in der Regel kaum beobachtet werden kann.

Die Situation in Bezug auf Informationsvermittlung ändert sich jedoch deutlich, wenn die Kontaktaufnahme eine Frage beinhaltet, oft in Form von „Wie soll ich mich verhalten?“. Häufig drehen sich die Fragen um Abläufe und Strukturen auf der Station wie, Pat. fragt die PFP, warum die Ärzte mit der Visite nicht auch gleich bei ihm waren (KH1FD: 53) oder „Also dann darf ich jetzt essen?“ (KH1FD: 51). Aber auch Fragen zur Medikation, „Welche Tablette ist das?“ (KH6SD: 92) und „Wie lange läuft die Infusion?“ (KH4FD: 67). Die bloße Beantwortung von Fragen, wie etwa „Ja, jetzt dürfen Sie essen“ (KH1FD: 51), erfüllt zwar den gewünschten Informationsbedarf der Pat., trägt jedoch nicht zur Förderung der GK bei. Somit bleibt die Wirkung des Antwortverhaltens in dieser Dimension begrenzt.

In Abhängigkeit vom Kontext, den Bedürfnissen sowie der Einstellung und Haltung, einschließlich der gefühlten Zuständigkeit der PFP in der Interaktion mit Pat., erfolgt der Übergang in die nächste Dimension „Verstehen“.

Dimension Verstehen

Die Dimension „Verstehen“ umfasst sämtliche Aktivitäten, bei denen PFP Pat. unterstützen, Gesundheitsinformationen zu verstehen. Dies bezieht sich nicht nur auf die reine Weitergabe von Informationen, sondern auf Situationen, in denen Begründungen und Erklärungen geliefert werden, um Sachverhalte aufzunehmen und verstehen zu können. Insbesondere mit Hinweisen auf das „Warum“.

In dieser Dimension zeigen die Daten, dass PFP die Pat. durchaus dabei unterstützen, Maßnahmen, Sachverhalte oder Umstände zu verstehen. PFP informiert den Pat., dass dieser das Abführmittel noch nehmen muss und fordert zum Trinken auf „Ich weiß, das schmeckt nicht so gut.“ Pat.: „Nee, das schmeckt nicht.“ (verzieht dabei das Gesicht). „Aber ihr Darm muss sauber sein, damit die Ärzte bei der Untersuchung sehen können, woher die Blutungen kommen.“ (KH2FD: 25) oder Pat. wird aufgefordert sich an die Bettkante zu setzen, mit der Begründung, besser und tiefer inhalieren zu können, damit die Lunge besser belüftet wird (KH5FD: 50). Diese Unterstützung durch das Erklären von Zusammenhängen ist aber keineswegs als selbstverständlich zu betrachten. Oft bleibt das „Warum“ unausgesprochen. PFP tritt seitlich an das Bett heran, löst das Pflaster an der Hand, zieht die Injektionskanüle und sagt: „2–3 min draufdrücken“ (KH3FD: 97). Diese Art von Instruktion ohne Erläuterungen konnte in den Begleitungen mehrfach ähnlich beobachtet werden und zeigt, dass ein Verstehen durch PFP nur bedingt unterstützt wird.

Eine gute Unterstützung der Dimension „Verstehen“ zeigt sich besonders dann, wenn die Wortwahl und die Tiefe der Informationen auf die individuelle Situation der Pat. abgestimmt sind (Abb. 3).

Abb. 3
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Beispiel Gesundheitskompetenzförderung

Dimension Beurteilen

Die Dimension „Beurteilen“, also die Fähigkeit Informationen zu interpretieren, zu filtern, zu beurteilen oder zu bewerten [26], wurde überwiegend im Zusammenhang mit Routineaufgaben oder bei Über- oder Unterschreitungen von Normwerten beobachtet. „Frau X ihr Puls ist zu schnell – 150“ (KH3SD: 94) oder PFP regt an, dass sich der Pat. im Laufe des Nachmittags für eine gewisse Zeit in den Rollstuhl setzt und die PFP ihn bei der Mobilisation unterstützt. Pat. begrüßt dies, äußert aber bei dem Gedanken daran Angst, dass die Schmerzen im Bein wieder auftreten. PFP und Pat. vereinbaren die Art und Weise der Mobilisation in den Rollstuhl für den Zeitraum des Abendessens (KH1SD: 38).

In der Regel wird diese Dimension durch gezieltes Eingehen und Erfragen von Zuständen, Empfindungen, Anliegen oder Ängsten unterstützt. PFP wirkt beruhigend auf Pat. ein und sagt: „Da der Arzt den Verlauf der Rötung eingezeichnet hat und es nicht größer geworden ist, beobachten wir es erst mal weiterhin (…) . Falls es jetzt gravierend schlimmer wird, handeln wir direkt“ (KH2SD: 89). Es wurden auch Sequenzen beobachtet, bei der die PFP verschiedene Optionen offerierte und den Pat. so ermöglichte, eine Entscheidung hinsichtlich der eigenen Bedürfnisse zu treffen. PFP steht vor Pat. (adipös) und schaut, ob das angelegte LZ-RR-Gerät richtig misst. PFP erläutert die verschiedenen Möglichkeiten der RR-Überwachung und welche Einschränkungen damit einhergehen. Pat. entscheidet sich für die mobile Variante (KH6SD: 39).

Im Vergleich konnten in dieser Dimension deutlich weniger Sequenzen beobachtet werden als in den vorangegangen. Eine mögliche Erklärung liegt in festgelegten Rollen der Zuständigkeits- und Kompetenzbereiche. PFP verweist darauf, dass Pat. dies bei Visite dem Arzt sagen und dort das Thema noch mal ansprechen soll (KH6FD: 28) oder Pat. sagt, dass er mit Arzt sprechen möchte (KH2SD: 89).

Dimension Anwenden

Unter Anwenden wird die Fähigkeit verstanden, Informationen so zu nutzen, dass Entscheidungen zum Erhalt und zur Verbesserung der Gesundheit getroffen werden können [26]. Eine Unterstützung in dieser Dimension liegt entsprechend dann vor, wenn die PFP Pat. motivieren und unterstützen, Gesundheitsinformationen wiederzugeben und/oder anzuwenden. Sequenzen dieser Dimension wurden zwar beobachtet, jedoch auch hier in deutlich geringerem Umfang als die unterstützenden Maßnahmen der Dimensionen „Zugang“ oder „Verstehen“. Die Unterstützung erfolgt beispielsweise durch Beratung und Anleitung hinsichtlich gesundheitsförderlichem Verhalten. Pat. sagt: „Heute Nacht war es mir kurz schwummrig. Da dachte ich schon ohohoh … – ich hatte das Gefühl jetzt kipp’ ich um.“ PFP hört sich die Ausführung der Pat. an und sagt: „Nachts muss erst ihr Kreislauf in Schwung kommen. Setzten Sie sich erst kurz an die Bettkante, warten einen Moment ab, schauen, wie Sie sich fühlen und wenn Sie sich nicht ganz sicher sind, dann klingeln Sie besser.“ Pat. nimmt das Gesagte auf und antwortet: „Ja, das mach’ ich so“ (KH1SD, Pos. 28). Dies lässt sich auch beim Verstärken von positivem Gesundheitsverhalten erkennen. PFP wirkt motivierend, aktivierend und lobend auf Pat. ein und sagt: „Sie unterstützen ihre linke Seite sehr gut. Alles im Leben üben, sonst geht es verloren.“ (KH2FD: 72) oder PFP spricht aus dem Dienstzimmer heraus eine Pat. an, die auf dem Gang läuft, motiviert sie positiv in ihrer Aktion und erkundigt sich dabei auch nach dem Wohlbefinden und der Machbarkeit der Mobilisation (KH3SD: 50).

Zusammenhang der Dimensionen und förderliche Haltung der Pflegefachpersonen

Die GK-Förderung in den vier Dimensionen ist oben zunächst idealtypisch für jede einzelne Dimension abgebildet, ein Blick auf die Anzahl der Kodierungen in den Dimensionen zeigt, dass häufiger Unterstützungen in den Dimensionen „Zugang“ und „Verstehen“ beobachtet wurden als Unterstützungsleistungen in den Dimensionen „Beurteilen“ und „Anwenden“.

Zugleich wird deutlich, dass die Förderung von GK nicht immer in den im Modell (Abb. 4) abgebildeten aufeinanderfolgenden Dimensionen verläuft, sondern sich nur auf eine oder zwei Dimensionen konzentrieren und im Verlauf der Interaktion auch wieder auf den Ausgangspunkt „Zugang“ zurückgehen. Maßnahmen in der Dimension „Anwenden“ finden z. B. auch vor einer Beurteilung statt. PFP erkundigt sich nach dem Befinden „Wie geht es ihnen?“ Pat. antwortet „Na ja, nicht so richtig gut.“ Pat. berichtet, dass sie das linke Bein nicht in das Bett bekommt. PFP antwortet: „Na dann wollen wir mal schauen.“, (…) PFP sagt: „Haken Sie das rechte Bein unter das linke und heben sie so das schwache Bein mit in das Bett.“ Pat. folgt den Anweisungen und legt sich selbstständig ohne Schmerzen zurück ins Bett. Atmet tief ein und sagt: „Sie sind super, vielen Dank. Ja, so schaff’ ich das.“ (KH1SD: 30). Andere Beispiele zeigen die fließenden Übergänge zwischen benachbarten Dimensionen. PFP fragt, ob die Pat. noch inhalieren möchte. Pat. antwortet: „Da bekomm’ ich nur noch mehr Durst.“ PFP erklärt: „Die Inhalation ist wichtig, damit sich der Schleim in der Lunge lösen kann, Sie besser abhusten können und keine Lungenentzündung bekommen“. Pat. möchte zwar ungern inhalieren, folgt nach den Ausführungen der PFP dann doch dem Angebot der Inhalation (KH1SD: 35).

Abb. 4
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Forschungsmodell. (Eigene Abbildung in Anlehnung an Dietscher, Vortrag, Forum Gesundheitskompetenz 2023 [7])

Die Förderung der GK wird durch unterstützende Kommunikation und motivierende Anreize seitens der PFP positiv beeinflusst. Diese Art der patientenzugewandte Interaktion durch die PFP führt eher dazu, dass GK-fördernde Maßnahmen in allen Dimensionen beobachtet werden können. Dabei lassen sich keine spezifischen Personencharakteristika bezüglich Alter, Geschlecht oder Weiterbildungsabschlüsse der PFP identifizieren, die positiv oder negativ auf die Umsetzung GK-förderlicher Maßnahmen wirken.

Diskussion

Ein Krankenhausaufenthalt ist für die Pat. oft von Ängsten um die eigene Gesundheit und Unsicherheiten in einer fremden Umgebung mit institutionellen Regeln geprägt. Entsprechend haben Pat. im akutstationären Versorgungsbereich einen hohen Informationsbedarf rund um ihre Erkrankung, den Ablauf und den Verlauf [18, 21]. Entsprechend hoch ist das Potenzial für die Förderung der GK. Dass dieses Konzept bei den PFP bislang kaum bekannt ist, zeigen die Freitextangaben in den Fragebögen und Gespräche mit den PFP in der vorliegenden Studie, entsprechende Befunde sind auch in anderen Studien dokumentiert [9, 15, 25]. Gründe für den geringen Bekanntheitsgrad des GK-Konzepts werden von Experten hauptsächlich in der relativ kurzen Diskussionszeit über GK und deren Förderung in Deutschland gesehen [13, 23, 25].

Die Vermutung, dass obwohl das Konzept der GK den PFP nicht vertraut ist, dennoch GK-förderndes Handeln angewandt und umgesetzt wird, wird durch unsere Beobachtungsdaten belegt. Ob und wie dies in der Praxis erfolgt, ist unabhängig von Personencharakteristika und hängt maßgeblich mit dem individuellen, patientenzugewandten Verhalten der PFP und der damit verbundenen Interaktionsgestaltung zusammen. Dies wird auch in einer anderen Beobachtungsstudie deutlich [21], ebenso aus den Ergebnissen der HLS-PROF-GER-Studie [25]. Hier gilt es, die patientenzentrierte, individuelle Einstellung und Haltung der PFP besonders zu betrachten, ihren Stellenwert immer wieder aufzugreifen und für die Entwicklung von Maßnahmen in der Versorgung als Basisvariable einzubeziehen.

Allerdings ist die individuelle Haltung (Blickkontakt, Stellen offener Fragen) allein nicht immer ein Garant dafür, dass GK im stationären Bereich vermittelt und unterstützt wird. Vielmehr muss dies durch angepasste organisatorische Prozesse und Abläufe ermöglicht werden. Die in der Studie dokumentierten Minutenwerte zeigen, dass PFP mehr Zeit abseits des direkten Patientenkontaktes verbringen als im Patientenkontakt. Je differenzierter der Skill- und Grademix auf einer Station ist, desto weniger Zeit wird von den PFP im Patientenkontakt verbracht. Oftmals werden hier pflegerische Maßnahmen, die längere Zeit in Anspruch nehmen, etwa Unterstützung bei der Körperpflege, an Hilfspersonal delegiert. Damit wird die Chance vertan, über diese Maßnahmen durch die PFP Gespräche zu initiieren, dadurch Bedarfe und Bedürfnisse der Pat zu erkennen und GK-fördernde Maßnahmen umzusetzen. Neben einer kritischen Überprüfung der Aufgabenverteilung und Verantwortungsübernahme zwischen den Pflegemitarbeitenden sollten Diskussionen über patientenzentrierte Organisationsstrukturen unter Betrachtung GK-fördernder Prozesse, entsprechend des Konzepts der organisationalen GK, geführt werden.

Dies gilt dann auch für den Aspekt der Partizipation [4]. Je eher Pat. ermuntert werden, aktiv Fragen zu stellen und ihre Bedürfnisse zu äußern, umso eher kann deren Wissen und die Umsetzung gesundheitsbezogener Informationen gefördert werden.

Wie oben gezeigt, werden die vier Dimensionen der GK unterschiedlich häufig adressiert und sind v. a. beim Zugang und Verstehen verortet. Dies kann auch mit der akuten Erkrankungssituation und der relativ kurzen Verweildauer (Innere Medizin ∅ 5,3 Tage [27]) zusammenhängen. Ob der Bedarf an Informationen sowie die Unterstützung in den Dimensionen „Beurteilen“ und „Anwenden“ in den nachbehandelnden Gesundheitsorganisationen steigt, gilt es in weiteren Studien zu untersuchen. Auch sollte weiter untersucht werden, welche Rolle bei der Informationsvermittlung und der Unterstützung in der Beurteilung die Zuständigkeits- und Kompetenzfestlegung zwischen Ärzt*innen und PFP spielt.

Die vorliegende Studie bietet erste Ergebnisse zur GK-Förderung durch PFP im akutstationären Versorgungsbereich und sollte im Weiteren um spezifische Untersuchungen ergänzt werden. Gleichzeitig wäre im Rahmen der GK-forschung die Ausweitung auf weitere Pflegesektoren, wie Langzeitpflege oder ambulanten Pflege, sinnvoll.

Limitationen

Die angestrebte Gleichverteilung der Trägerschaften im Sampling war aufgrund von Absagen nicht realisierbar, allerdings konnte mit den integrierten Einrichtungen eine theoretische Sättigung erreicht werden. Auf eine Datenvalidierung im Feld wurde verzichtet, daher kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob die Dateninterpretation die Gedanken und Absichten der Beteiligten folgerichtig wiedergibt.

Fazit

Die Pflegefachpersonen (PFP) sind aufgrund ihrer Qualifikation und der Verankerung im Gesundheitssystem und der regelmäßigen Interaktionsfrequenz prädestiniert, Gesundheitsinformationen im Patientenkontakt zu vermitteln und damit deren Gesundheitskompetenz (GK) zu erhöhen. Daher stellen PFP einen Zugang zu Gesundheitsinformationen für Patient*innen (Pat.) im akutstationären Versorgungsbereich dar. GK-förderndes Handeln durch PFP kann in allen Dimensionen der GK nach Sørensen et al. gezeigt werden, und dass, obwohl das Konzept nicht explizit bekannt ist. Die vier Dimensionen werden allerdings unterschiedlich stark unterstützt. Entsprechendes Handeln konnte deutlich häufiger in den Dimensionen „Zugang“ und „Verstehen“ beobachtet werden als in den Dimensionen „Beurteilen“ und „Anwenden“. PFP ist oft nicht bewusst, wie stark Informationen und Erklärungen zur Förderung der GK beitragen können. Daher ist es erforderlich, dieses Bewusstsein für die Förderung der GK im beruflichen Alltagshandeln der PFP zu schärfen und explizite GK-fördernde Prozesse zu etablieren, damit entsprechend den Patientenbedarfe, systematisch und planvoll GK-Förderung in der akutstationären Versorgung stattfinden kann. Damit dies gelingt, sollten das Wissen über das Konzept und dessen Relevanz sowie über Maßnahmen zur Förderung der GK in der Aus‑, Fort- und Weiterbildung vermittelt werden. Auch plädieren wir dafür, Methoden und Good-practice-Modelle zu entwickeln und in (pflege)wissenschaftlichen Studien zu überprüfen.

Nicht zuletzt soll an dieser Stelle auch ein großes Dankeschön an die Robert-Bosch-Stiftung gehen, die die Studie durch die Förderung ermöglichte und unterstütze.

Fazit für die Praxis

  • Pflegefachpersonen (PFP) unterstützen die Förderung und Stärkung der Gesundheitskompetenz (GK), insbesondere in den Dimensionen Zugang und Verstehen. Diese Unterstützung hängt, aufgrund fehlender GK-fördernder Strukturen und Prozesse, stark von der individuellen Haltung und Einstellung der PFP ab.

  • Um unabhängiger von der individuellen Haltung und Einstellung der PFP in der GK-Förderung zu werden, ist es nötig, explizite GK-fördernde Prozesse im pflegerischen Handeln zu etablieren.

  • Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden für die hohe Wirkung von Erläuterungen und Erklärungen in pflegerischen Handlungen zur Förderung der GK von Patient*innen.

  • Die Vermittlung von Wissen über das GK-Konzept und dessen Relevanz muss in Aus‑, Fort- und Weiterbildung aufgenommen werden.

  • Die Entwicklung, Implementierung und Überprüfung von Methoden und Good-practice-Modellen zur praxisnahen Umsetzung von GK-Maßnahmen wird empfohlen.