Einleitung

Weltweit hat sich in vielen Ländern aufgrund der sich verändernden Gesundheitsbedürfnisse der Gesellschaft und den steigenden Anforderungen an das Gesundheitswesen Advanced Practice Nurse (APN) als Weiterentwicklung und Ergänzung des Pflegefachberufs herausgebildet [29].

Überlegungen zum Hintergrund der Entwicklung der Berufsrolle Advanced Nursing Practice (ANP) sind häufig in Verbindung zum demografischen Wandel der Gesellschaft zu betrachten. Bei abnehmenden Geburtenraten und zunehmendem Anteil älterer und multimorbider Patientinnen und Patienten [18] ist immer mehr mit mangelnden Personalressourcen im Gesundheitswesen zu rechnen [1]. Zudem ist in vielen Ländern das Gesundheitswesen in der Primärversorgung meist fokussiert auf Ärztinnen und Ärzte, die gerade in den ländlichen Gegenden ebenso mit einem erhöhten Fachkräftemangel zu kämpfen haben [25]. Auch die Zunahme der Komplexität der Patientenfälle bedeutet eine zeitintensive Versorgung und einen Zuwachs an Tätigkeiten von Seiten der Behandelnden [25]. Diese Veränderung des Tätigkeitsbereiches, als auch die wachsenden Qualitätsanforderungen [16] implizieren den steigenden Bedarf an entsprechend qualifizierten Fachkräften, einer hohen Pflegequalität und einer verbesserten Versorgungskoordination [14].

Die Etablierung von ANP kann somit essenziell für die Gesundheitssysteme sein, um die klinischen Outcomes der Patientinnen und Patienten zu verbessern, Kostenanstieg zu reduzieren und eine vergleichbare medizinische Versorgung zum bestehenden Versorgungsmodell gewährleisten zu können [17, 26]. Es wird zudem erwartet, dass die Entwicklung von APN den Zugang, die Sicherheit und Effizienz der Gesundheitsversorgung verbessern wird [5]. Außerdem werden geringere Aufnahme- und Rehospitalisierungsraten sowie eine höhere Patientenzufriedenheit durch die APN-Tätigkeit beschrieben [24].

Für diese Studie wurde die Definition des ANP-Begriffs des International Council of Nursing (ICN) verwendet. Eine APN wird als eine registrierte Pflegefachperson mit Mastertitel definiert, „die fachliche Kenntnisse, komplexe Entscheidungsfähigkeiten und klinischen Kompetenzen für eine erweiterte Praxis erworben hat, deren Merkmale durch den Kontext und/oder das Land geprägt sind, in dem sie/er zur Praxis zugelassen ist“ [15].

Angesichts des oben beschriebenen Bedarfs dieser Rolle, hat sich die Entwicklung von ANP rasch voran bewegt [6]. Der ICN stellt diesbezüglich jedoch fest, dass das aktuelle Wachstum nicht ausreiche, um die Nachfrage decken zu können [15]. So wurde die bisherige Entwicklung der ANP Rolle je nach Land an den dortigen Gegebenheiten und Kontexten ausgerichtet, was eine Heterogenität der Ausbildung der Rolle sowie deren Kompetenzen hervorbrachte [28].

Des Weiteren gibt es aktuell noch keine Plattformen mit gesamthaften Übersichten von Masterstudiengängen in der Pflege in Europa, welche Anhaltspunkte zur Ausbildung von APN liefern. So hat eine aktuelle Studie, bei welcher 35 nationale Krankenpflegeverbände befragt wurden, versucht eine Bestandsaufnahme zum Stand der aktuellen Rahmenbedingungen und Entwicklungen zu APN zu machen. Es zeigte sich, dass erhebliche Unterschiede in der Definition und den Anforderungen zu APN existieren. Weitgehende Einigkeit bestand darin, dass die meisten Länder eine Ausbildung auf Masterniveau bieten, welche jedoch in der Aufbaustruktur (Bachelor/Master) sehr unterschiedlich ist, was den Europäischen Vergleich erschwert. In 11 Ländern bestand eine Gesetzgebung, welche Mindestanforderungen zur Ausbildung stellt [27].

Eine Bestandsaufnahme, welche Aufschlüsse zum Ausbildungsvolumen der Pflege auf Masterniveau in Europa zulässt existieren bisher nicht, um Fragen zur Deckung der Nachfrage beantworten zu können.

Ziel

Das Ziel dieser Studie ist es eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Masterstudiengänge Pflege in Europa zu schaffen, da diese die Grundvoraussetzung für eine ANP-Tätigkeit bilden. Nach dieser Bestandsaufnahme lag der Fokus auf dem direkten Kontakt zu den Hochschulen, mit dem Ziel den aktuellen Ausbildungsstand der Pflege auf Masterniveau darzustellen, einen Einblick zum Ausbildungsvolumen zu erhalten, sowie einen Blick in die zukünftige Entwicklung der Masterstudiengänge und der politischen Relevanz zu ermöglichen.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Für die Bestandsaufnahme der vorhandenen Masterstudiengänge Pflege in Europa sowie zur Erhebung von zukünftigen Perspektiven und Einschätzungen bezüglich ANP der einzelnen Bildungseinrichtungen wurde ein sequenzielles Mixed-method-Design gewählt. So bilden die Resultate der ersten Phase die Basis für die Umsetzung der zweiten Phase. Dabei werden bei dem qualitativ vertiefenden Ansatz in mehreren Phasen zunächst quantitative, dann qualitative Daten mit dem Ziel gesammelt, eine Vervollständigung der Ergebnisse zu erlangen [19].

Stichprobe

Anhand einer Onlinerecherche wurde in einer ersten Phase versucht sämtliche Hochschulen, welche Masterstudiengänge der Pflege anbieten, in den 47 Ländern des Europäischen Hochschulraum (EHR; [9]) zu identifizieren. Aufgrund der Tatsache, dass noch nicht in allen europäischen Ländern Studiengänge mit dem Titel „Advanced Nursing Practice“ zu finden sind, wurden alle Studiengänge in Europa mit dem Studienfach „Pflege“ und der englischen Übersetzung „Nursing“ verwendet [29]. Da der ICN den Masterabschluss als Grundvoraussetzung einer APN deklariert, wurde die Suche mit dem Begriff Master kombiniert. Die Masterstudiengänge im EHR wurden mit Details zu Land, Lokalität, Studiengang, Dauer, ECTS und E‑Mail-Adresse, aufgelistet. Gesucht wurden die Studiengänge auf Online-Hochschuldatenbanken und den Hochschulwebseiten. Zudem wurden Bildungsinstitutionen und übergeordnete Instanzen wie etwa der ICN mit dem Ziel kontaktiert, bereits bestehende Übersichten einsehen zu dürfen.

Datensammlung

In einer zweiten Phase wurden die 390 eruierten Hochschulen per E‑Mail kontaktiert und um das Ausfüllen eines selbst entwickelten Fragebogens gebeten, um die Resultate aus der ersten Phase besser verstehen und ergänzen zu können [19]. Der entwickelte teilstrukturierte Online-Fragebogen besteht aus 17 Fragen, aufgegliedert in einen demografischen Fragenteil, 8 geschlossenen und 4 offenen Fragen. Es wurde sich für einen teilstrukturierten Fragebogen (s. Anhang B, Abb. 3) entschieden, da bei teilstrukturierten bzw. halbstrukturierten schriftlichen Befragungen die Teilnehmenden dazu aufgefordert werden, offene Fragen mit ihren eigenen Worten zu beantworten, um neues Wissen und eine Einschätzung von Fachpersonen zu generieren [7, 22]. Inhaltlich setzte sich der Fragebogen aus Fragen zu Studiengangsdaten wie zur Studierendenanzahl, des Schwerpunkts und der ECTS zusammen. Sowie Fragen zu den klinischen Fächern, den Praktika, den Neuerungen im Rahmen des Studiums, welche in Zukunft geplant sind. Wie die politische Situation bezüglich APN bewertet wird und wie der Bedarf einer solchen Rolle im eigenen Land eingeschätzt wird. Mithilfe eines Pretests mit 5 Fachpersonen wurde der Fragebogen hinsichtlich Verständlichkeit und Vollständigkeit geprüft. Die Befragung fand über das Online-Tool LimeSurvey [21] statt. Hierfür wurde den Hochschulen, anhand der vorab erfassten E‑Mail ein direkter Link zur Umfrage gesendet. Gemäß Pretest wurde der zeitliche Aufwand für die Beantwortung der Fragen auf 10 min geschätzt.

Zur Überbrückung der Sprachbarriere und Vermeidung einer Informationsverzerrung wurden das Anschreiben an die Hochschulen und der Fragebogen in englischer Sprache konzipiert.

Datenanalyse quantitativ

Die quantitative Datenanalyse erfolgte mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics Version 28 (IBM, Armonk, NY, USA) anhand deskriptiver Statistiken, einschließlich Zählungen und Prozentangaben. Die Resultate wurden in Grafiken zusammengefasst.

Datenanalyse qualitativ

Antworten mit offenem Text wurden mit Techniken der thematischen Synthese bearbeitet. Die Antworten der offenen Fragen wurden mittels Ablaufschema der strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) analysiert und in MAXQDA Analytics Pro Version 2022 (VERBI Software. Consult. Sozialforschung Software GmbH, Berlin, Deutschland) kategorisiert [20]. So können einerseits qualitative Daten strukturiert analysiert werden, gleichzeitig quantitative Informationen zu den Häufigkeiten der Kategorien extrahiert werden [20].

Dabei fand in Anlehnung an die vier offenen Fragestellungen die Bildung der Hauptkategorien statt, anhand derer die Antworten deduktiv kodiert wurden. Die 9 Subkategorien wurden dann induktiv am Material gebildet [20].

Datensynthese

Im Anschluss erfolgte die Synthese im Rahmen des Mixed-method-Designs, wobei die beiden Analysestränge und Ergebnistypen miteinander verlinkt werden [19]. So ergänzen und beziehen sich die Daten aus beiden Phasen im Ergebnis- und Diskussionsteil aufeinander, wobei zudem eine vergleichende Darstellung in einem Joint-Display erfolgt (s. Anhang A, Abb. 2; [19]).

Ethische Überlegungen

In der vorliegenden Arbeit wurden keine gesundheitsbezogenen Daten erfasst, wodurch diese Studie nicht unter das Humanforschungsgesetz fällt [13]. Zunächst wurden die Hochschulen im Rahmen der Kontaktaufnahme zur Fragebogenbeantwortung schriftlich über den Zweck der Forschungsarbeit informiert. Es wurde auf die Freiwilligkeit der Teilnahme hingewiesen, sodass jederzeit ein Rückzug aus der Befragung ohne Nennung eines Grundes und ohne persönliche Nachteile erfolgen kann. Außerdem wurde auf die Pseudonymisierung hingewiesen und Fragen oder Bedenken zur Studie konnten mit den Autoren besprochen werden.

Ergebnisse

Es konnten insgesamt 390 Studiengänge mit einem Master in Pflege in 32 Ländern des EHR identifiziert werden, in 15 Ländern waren keine zu finden. Die Rücklaufquote des Fragebogens lag bei 264 Teilnehmenden. Nach einer Bereinigung konnten abschließend 112 Hochschulen quantitativ und 90 qualitativ vollständig ausgewertet werden.

Ergebnisse der quantitativen Phase.

Die Anzahl der Studiengänge pro Land war mit n = 89 (22,8 %) in England am höchsten. Im deutschsprachigen Raum konnten in Deutschland n = 18 (4,6 %), in Österreich n = 8 (2,0 %) und in der Schweiz n = 7 (1,8 %) Studiengänge gefunden werden. Die weiteren Länder sind der Abb. 1 zu entnehmen. Die Anzahl der ECTS liegt zwischen 60 ECTS und 120 ECTS. Dabei sind 60 ECTS v. a. in Spanien und Schweden zu finden. In Schweden kann ein Master generell mit 60 oder 120 ECTS abgeschlossen werden. In Spanien geht dem Master mit 60 ECTS ein Bachelor mit 240 ECTS voraus.

Abb. 1
figure 1

Häufigkeitsverteilung der Länder in Europa mit Master-Studiengängen in Pflege

Anzahl Studierende pro Land

England weist die höchste Anzahl an Studierenden mit Startpunkt 2022 auf (\(\sum _{AS2022}\)Footnote 1 = 1328) sowie der insgesamt immatrikulierten Studierenden (\(\sum _{ASI}\)Footnote 2 = 3332). Danach folgen die Niederlande (\(\sum _{AS2022}\) = 458) (\(\sum _{ASI}\) = 830). Die Schweiz steht an vierter Stelle (\(\sum _{AS2022}\) = 132), (\(\sum _{ASI}\) = 367).

Schwerpunkte

Von den 391 Studiengängen konnten die Schwerpunkte von n = 161 Studiengängen identifiziert werden. Aufgrund der hohen Varianz und Heterogenität dieser Schwerpunkte sind hier nur die häufigsten genannten aufgeführt: Psychiatrie, Nurse Practitioner und allgemeine Ausrichtung.

Klinische Fächer

Die klinischen Fächer ihres Studiengangs gaben n = 77 der Befragten an. Pharmakologie (n = 50), Pathophysiologie (n = 46) und Clinical Assessment & Diagnostik (n = 45) wurden von etwa der Hälfte benannt. Des Weiteren wurden Anatomie (n = 20), die Verschreibung medizinischer Produkte (n = 13) und Physiologie (n = 10) genannt.

Praktikum

Die Frage, ob ein Praktikum Teil des Studiums ist, beantworteten n = 94 der Befragten. Davon antworteten n = 62 Studiengänge mit „Ja“ und n = 32 Studiengänge mit „Nein“. Etwa die Hälfte (n = 51) davon gaben die genaue Praktikumsdauer in Stunden an. Im Median (MD) verfügen die Studiengänge über einen Praktikumsumfang von 435 h.

Ergebnisse der qualitativen Phase

Antworten von 90 Studiengängen konnten in die Analyse eingeschlossen werden. Insgesamt konnten die Aussagen von 22 Ländern bezüglich Projekte für die Zukunft, Bedarf und die politische Relevanz von ANP miteinbezogen werden.

Projekte für die Zukunft

Weiterentwicklung des Studiums

Es wird dabei die Notwendigkeit einer Ausweitung oder Neuerstellung des Curriculums benannt. Des Weiteren wird die Ausweitung des Masters auf weitere Spezialisierungen, wie etwa „Pediatric, Neurology, Cardiology, Pain Care“ (HSSp 1, Z: 2), genannt. Hochschulen in Deutschland und der Schweiz nennen den Aufbau von „Double-degree“-Programmen, weitere fördern den Aufbau eines spezifischen Doktorats. Zudem soll der Fokus darauf liegen, die Supervision und Praxisanteile des Studiums weiter auszubauen. Zuletzt wird von mehreren Hochschulen eine Entwicklung bezüglich Digitalisierung aufgeführt.

Öffentlich-rechtlicher Rahmen

Ein häufig genanntes Zukunftsprojekt der Hochschulen ist die Entwicklung eines öffentlich-rechtlichen Rahmens für ANP. Verdeutlicht wird dies durch die Angabe einer Englischen Hochschule „… always responding to new policy or service need for new pathways“ (HSUK 3, Z: 5).

Multidisziplinarität und Internationalität

Es wird von mehreren Hochschulen angegeben, sowohl die Multidisziplinarität als auch Internationalität des Studiums ausbauen zu wollen. Wie etwa die Kooperation zwischen den Hochschulen, Studierenden und Stakeholdern der einzelnen Institutionen zu stärken, als auch einen internationalen Studierendenaustausch aufzubauen.

Bedarf von ANP

Bedarf wird niedrig eingeschätzt

Der Bedarf bezüglich ANP wird von ca. 20 % der teilnehmenden Hochschulen im eigenen Land als gering eingestuft, die Länder nennen dabei folgende Gründe. Hochschulen in Frankreich berichten, dass aufgrund der Neuheit des Studiums die Implementierung viel Zeit benötigt, finanzielle Modelle geschaffen werden müssen, um APN korrekt bezahlen zu können. Außerdem eine mangelnde Wertschätzung und berufliche Anerkennung gegenüber dem Beruf vorliege: „there is still doctors who are reticent at sharing the care of their patients with nurses“ (HSF 4, Z: 4-5). Weitere Hochschulen wie etwa in Belgien beschreiben, es fehle an einheitlichen und rechtlich geregelten Verfahren zur Anerkennung von ANP sowie einem finanziellen Rahmen, um solche Rollen umzusetzen.

Bedarf wird hoch eingeschätzt

Die Mehrheit der Befragten schätzt den Bedarf von ANP im eigenen Land als hoch ein. Dabei beschreiben Englische, Niederländische und einzelne Französische Hochschulen eine hohe Nachfrage und Unterstützung der Regierung gegenüber der ANP-Rolle.

Ein weiterer häufig genannter Grund für einen hohen Bedarf an ANP ist die aktuelle Krise im Gesundheitswesen. So betonen Hochschulen in England, der Niederlande, der Schweiz und Weitere den Mangel an hoch qualifizierten Pflegekräften und ärztlichem Personal, was zu einer inadäquaten Deckung der Gesundheitsbedürfnisse führe. Resultierend daraus wird ein gesteigerter Bedarf der Rolle gesehen: „… to mitigate gaps in the existing workforce“ (HSUK 18, Z: 8–9).

Hochschulen aus Österreich und Deutschland berichten auf der einen Seite von einem hohen Bedarf der Rolle, betonen jedoch, dass auf diesen weder von politischer Seite noch von Seiten des Gesundheitswesens eingegangen wird.

Politische Relevanz von ANP

Relevanz wird gering eingeschätzt

Allgemein wird von den deutschen, einigen spanischen, polnischen und schweizer Hochschulen die politische Relevanz gegenüber ANP als gering eingeschätzt, da es bis dato noch an offiziellen Regeln, einem politischen Diskurs und politischer Unterstützung fehlt. So formuliert eine Schweizer Hochschule „still a lot of work to do: protection of title, certification especially for NPs, difficulties with definition among the different cantons …“ (HSS 4, Z: 6–7).

Relevanz wird hoch eingeschätzt

Ein Großteil der Befragten stufte die politische Relevanz von ANP als hoch ein. Überwiegend Studiengänge in England, Irland und der Niederlande heben den vorhandenen politischen Support hervor. Weitere sehen eine politische Relevanz im Kontext der Versorgungs- und Personalengpässe. Englische Hochschule sehen darin ein zentrales politisches Thema und merken die Kosteneffizienz sowie die Schließung von Versorgungslücken durch ANP an und „… that up-skill allied health professionals to undertake traditional medical roles is a solution.“ (HSUK 17, Z: 17–20). Englische und Niederländische Hochschule beschreiben, dass ANP eine Möglichkeit bietet, um Fachkräfte im Gesundheitswesen zu halten.

Diskussion

Diese Arbeit hatte zum Ziel, eine Bestandsaufnahme der Masterstudiengänge Pflege im europäischen Raum im Hinblick auf die zukünftige Bedarfsdeckung mit APN zu erstellen.

Anzahl der Studiengänge pro Land

Die quantitativen Daten zeigen, in welchen Ländern mit etablierten APN und einem hohen Anteil an fortgeschrittener Praxis sich die Ausbildungsanforderungen bereits ausgeprägt auf Masterebene befinden [25]. So lassen sich in Ländern wie England, Irland und der Niederlande die meisten Pflege-Masterstudiengänge finden [8, 25]. Auch in den Ländern, in denen sich die erweiterte Pflegepraxis in der Einführung befindet – Spanien, Italien, Österreich und Deutschland – konnten Masterpflegestudiengänge in dieser Arbeit identifiziert werden. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob und inwieweit ANP in der Praxis etabliert ist. Italien beispielsweise scheint mit 35 Pflegestudiengängen gut aufgestellt zu sein, allerdings wird erklärt, dass keine APN in der Praxis arbeiten, sondern die eingerichteten Studiengänge Qualifikationen für Verwaltung, Lehre und Forschung vorsehen. Gleichzeitig wird betont, dass die Entwicklung von klinischen Programmen für die fortgeschrittene Pflegepraxis in Planung ist.

Schwerpunkte

Das Angebot an Schwerpunkten der einzelnen Studiengänge ist sehr verschieden. Auch in der Literatur werden keine Angaben oder Vorgaben zu den Schwerpunkten gemacht [4]. Ergänzend ist im OECD-Report (2017) von einer hohen Varianz des klinischen Fokus und der Curricula zwischen den Ländern die Rede [25]. Dementsprechend lassen sich aufgrund der hohen Heterogenität der Schwerpunkte, europaübergreifend nur wenige einheitliche Ausrichtungen in der Analyse dieser Arbeit differenzieren. Eine sehr unterschiedliche Herangehensweise der Länder hat höchstwahrscheinlich Auswirkungen auf die theoretischen und praktischen Inhalte des Studiums.

Klinische Fächer

Ein Großteil der Befragten gibt an klinische Fächer im Studium integriert zu haben. Dabei wird der Fokus v. a. auf Pathophysiologie, Clinical Assessment & Diagnostik, Anatomie & Physiologie und Pharmakologie gelegt. Die englischsprachigen Länder und die Niederlande unterrichten zudem Verschreibungskurse. In diesen Ländern wurden bereits Rechtsgrundlagen geschaffen, welche es APN in der Praxis ermöglichen, autonomer zu arbeiten, wie beispielsweise eigenständig Medikamente verschreiben zu dürfen [12]. In Ländern wie Deutschland und Österreich gibt es keine oder limitierte Verschreibungskompetenzen [23], weshalb entsprechende Fächer möglicherweise nicht im Masterstudium Pflege abgebildet werden. In der Schweiz hingegen ist eine Übertragung der Medikamentenverschreibung im Sinne einer Delegation im Kanton Waadt bereits vorhanden und ermöglicht es Nurse Practitioner in der Praxis unter ärztlicher Delegation autonomer zu arbeiten [32]. Damit ist zwar noch keine vollständige Autonomie erreicht, kann jedoch als eine Zwischenstufe gelten.

Projekte für die Zukunft

Es lassen sich einige zukünftige Entwicklungstendenzen, wie etwa die Ausweitung des Studiums begründet durch die aktuellen Bedürfnisse des Gesundheitswesens erkennen. Die Orientierung an Trends in Richtung Aufbau eines DNP-Programms oder die Ausweitung von Internationalität und Multidisziplinarität im Studium. Diese wird auch von Eissler und Zumstein-Shaha (2022) betont. Es gehe nicht darum, andere Professionen zu ersetzen, sondern vielmehr um die Schaffung neuer Strukturen einer interdisziplinären Zusammenarbeit in der Praxis [10].

Bedarf von ANP

Aus dem qualitativen Teil der Arbeit geht hervor, dass ein Großteil der Länder einen hohen Bedarf sieht, APNs weiter auszubilden und einzusetzen. Häufig genannte Gründe sind die Krise im Gesundheitswesen, auf die reagiert werden kann, und die Vorteile von ANP für das Gesundheitswesen. Eine Studie von Unsworth et al. 2022 [30] bestätigt diese Ergebnisse und betont, dass die ANP-Rolle einen besseren Zugang zur Pflege bietet, eine höhere Qualität und eine schnellere Versorgung leisten kann.

Wird dieser gewünschte hohe Bedarf in den Kontext von Ausbildungsvolumen der Länder gesetzt kann eine Orientierung an Ländern erfolgen, in welchen APN bereits gut in der Gesundheitsversorgung integriert sind. So existieren in Irland 21 Masterstudiengänge Pflege, von welchen 6 der angeschriebenen und für die Studiengänge zuständigen Personen eine Rückmeldung zur Anzahl der immatrikulierten Studierenden gaben. Werden diese rückgemeldeten 311 immatrikulierten Studierenden in Relation zur Einwohnerzahl von 4,96 Mio. [11] berechnet, so ergibt dies 66 immatrikulierte Studierende/1 Mio. Einwohner. Zum Vergleich Niederlande 48, Schweiz 42, Großbritannien 40 und Deutschland 3/1 Mio. Einwohner.

Werden die Hochschulen, welche keine Rückmeldung gaben, anhand des jeweiligen Medians der immatrikulierten Studierenden hochgerechnet so ergibt sich zwar eine ähnliche Verteilung, jedoch aufgrund der unterschiedlichen länderspezifischen Rücklaufquoten (Irland 29 %, UK 34 %, Niederlande 80 %, Schweiz 100 %, Deutschland 50 %) eine Tendenz zum möglichen Ausbildungsvolumen. Dies ergibt in Irland 233 immatrikulierte Studierende/1 Mio. Einwohner. Zum Vergleich auch hier Niederlande 54, Schweiz 42, Großbritannien 120 und Deutschland 7/1 Mio. Einwohner.

Im Vergleich zu Irland und Großbritannien könnte beispielsweise die Schweiz das Ausbildungsvolumen verdreifachen oder Deutschland um ein Vielfaches steigern. Im Hinblick auf Äußerungen zum vermuteten zukünftigen Bedarf wie auch der politischen Relevanz wird der Wert vermutlich noch höher sein.

Politische Relevanz von ANP

Die Teilnehmenden wünschen sich ein höheres Maß an politischer Unterstützung und offizieller Reglementierungen in Bezug auf ANP. Übergeordnet scheint es in den verschiedensten Bereichen an einem politischen Rahmen für ANP zu mangeln. Gleiches gilt für die Tätigkeiten einer ANP in der klinischen Praxis, welche auch den Grad der Autonomie regeln könnten. So ist im OECD-Report (2017) beschrieben, dass das Niveau der rechtlich geregelten praktischen Tätigkeiten in den Ländern beträchtlich variiert [25]. Auch im Pflegereport wird die Schwierigkeit der Übertragung von Modellen heilkundlicher Tätigkeiten aus anderen Ländern aufgrund unterschiedlicher Kompetenzen und rechtlicher Rahmenbedingungen genannt [2]. Auch De Raeve (2023) berichtet über ein erhebliches Maß an Differenz, wie die Länder APN definieren und wie sie auf akademischer und praktischer Ebene reguliert werden [27]. Dies zeigt beispielsweise in der Schweiz und Deutschland auf, dass eine Nurse-Practitioner-Tätigkeit in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland umsetzbar ist. Dies spiegelt sich auch in den Inhalten der Studiengänge wieder.

Stärken und Limitationen

Aufgrund der Integration beider Ansätze im Mixed-method-Design konnte ein erweitertes Bild in Form einer Bestandsaufnahme der Studiengangslage in dieser Arbeit erfolgen und dadurch die Glaubwürdigkeit der Resultate erhöht werden [3]. Die Objektivität konnte mittels eines strukturierten und einheitlichen Vorgehens in der Durchführung, Auswertung und Interpretation der Daten gewährleistet werden [31]. Bezüglich der Validität wurden international gängige und einheitliche Begrifflichkeiten und Messgrößen genutzt. Da der teilstandardisierte Fragebogen neu entwickeltet wurde, somit dieser nicht bereits erfolgreich eingesetzt wurde, kann keine genaue Aussage über die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse gemacht werden. Allerdings kann die Reliabilität durch Einsetzen eines Pretests vor dem Hauptstudienbeginn unterstützt werden. Um eine Qualitätssicherung der qualitativen Analyse zu ermöglichen, wurden die Gütekriterien nach Lincoln und Guba angewandt [7, 22].

Eine erste Limitation dieser Arbeit ergibt sich sowohl aus der geringen Rücklaufquote der Fragebögen als auch der Tatsache, dass unterschiedliche Rücklaufquoten aus den Ländern hervorgingen. So können die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden, sondern zeigen lediglich eine Tendenz auf. Aufgrund der Sprachbarriere innerhalb Europas wurde auf Englisch zurückgegriffen, was zu einer Verzerrung der Inhalte führen kann. Auch wenn eine umfassende Suche nach Studiengängen unter Verwendung unterschiedlicher Quellen stattgefunden hat, besteht die Möglichkeit, nicht alle identifiziert zu haben. Da unterschiedlich viele Studiengänge der Länder geantwortet haben, ist das Ergebnis der Anzahl der Studierenden also nur geringfügig aussagekräftig.

Schlussfolgerung

In vielen europäischen Ländern besteht ein Bedarf an ANP. Aufgrund von unterschiedlichen rechtlichen und politischen Gegebenheiten in den Ländern stellt die Entwicklung der ANP-Rolle jedoch noch eine Herausforderung dar. Daraus ergeben sich Unterschiede hinsichtlich der Ausbildung der Rolle zwischen den Ländern. Die Resultate können trotz der Limitierungen eine erste Bestandsaufnahme der Masterstudiengänge in der Pflege in Europa ermöglichen. Handlungsbedarfe, die sich für die Ausbildung ergeben haben, sind die Entwicklung von europaweiten Ausbildungsstandards und Reglementierungsinstanzen. Von der Politik sind gesetzliche Rahmenbedingungen zu fordern die mehr autonomes Handeln im Rahmen der ANP-Rolle legitimieren. Hinsichtlich der Bedarfsdeckung zukünftiger medizinischer Versorgung dürfen weitaus mehr APN ausgebildet werden.

Abb. 2
figure 2

Joint-Display

Abb. 3
figure 3

Fragebogen

Fazit für die Praxis

  • Es benötigt Klarheit, welche Tätigkeiten autonom in der klinischen Praxis ausgeführt werden können.

  • Zudem bedarf es der weiteren Klärung von rechtlichen Aspekten, Finanzierung und der Abrechnung von Leistungen, um eine Rollenverankerung und Rollenumsetzung in der Praxis zu schaffen.

  • Es besteht ein Handlungsbedarf in Richtung europaweiter Ausbildungsstandards und Reglementierungen, um bildungstheoretische Kernelemente der Masterstufe Pflege aufbauen zu können.