Hintergrund

Psychosoziale Krebsberatungsstellen (KBS) bieten unbürokratisch und schnell sowohl psychoonkologische Unterstützung als auch Beratung zu sozialen, sozialrechtlichen und psychologischen Themenfeldern im Rahmen von Krebserkrankungen [1]. Dabei begleiten sie sowohl an Krebs erkrankte Menschen als auch deren Familienmitglieder in allen Phasen der Erkrankung. Häufig erstreckt sich die Begleitung der Ratsuchenden von der Erstdiagnose über den gesamten Therapieverlauf bis zum Wiedereinstieg in den Alltag oder einer palliativen Situation. Damit leisten die KBS im ambulanten Sektor einen zentralen Beitrag für die in der S3-Leitlinie Psychoonkologie und im Nationalen Krebsplan geforderte psychoonkologische Versorgung [6, 8].

Erste KBS in Deutschland gab es bereits in den 1970er-Jahren. Sie entstanden auf Eigeninitiative z. B. von einzelnen Landeskrebsgesellschaften (LKG), welche die Sektionen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) darstellen, Wohlfahrtsverbänden oder Selbsthilfeinitiativen und orientierten sich im Wesentlichen an lokalen Gegebenheiten. Im Laufe der Jahrzehnte war die Landschaft der KBS zu einer Art „Flickenteppich“ verschiedener, größtenteils voneinander unabhängiger, Einrichtungen geworden [7, 12]. In einzelnen Bundesländern wurden KBS flächendeckend von den LKG installiert, während in den ostdeutschen Bundesländern diese Aufgabe primär von den Gesundheitsämtern übernommen wurde [13]. Dementsprechend war die Finanzierung der KBS heterogen und in vielen Fällen nicht nachhaltig gesichert [6]. Hinzu kommt, dass viele ländlich geprägte Regionen unversorgt blieben [12]. Durch fehlende gesetzliche Vorgaben war zudem die Versorgungsqualität von KBS nicht sichergestellt [4].

Eine 2016 vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebene Studie zur Bestandsaufnahme der ambulanten und stationären psychoonkologischen Versorgungsangebote attestierte vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit einer deutschlandweiten Regelfinanzierung von KBS [12]. Die notwendigen Kosten hierfür wurden auf 44–52 Mio. € pro Jahr geschätzt. Eine 2019 vom damaligen Bundesgesundheitsminister Spahn initiierte gesetzliche Regelung in § 65e (SGB V) schaffte die Grundlage einer bundeseinheitlichen Finanzierung von KBS [1]. Seit 2020 finanzieren die gesetzlichen und privaten Krankenkassen 80 % der Personalkosten für Beratungsfachkräfte und Assistenzkräfte zzgl. anteiliger Sachkosten [14]. Eine Finanzierung von weiteren 15 % soll durch das jeweilige Bundesland und/oder Kommunen erfolgen. 5 % der Kosten müssen durch Spenden bzw. den jeweiligen Träger der KBS selbst eingebracht werden [1]. Durch diese gesetzlich verankerte Regelfinanzierung soll die im Nationalen Krebsplan geforderte angemessene, bedarfsgerechte und flächendeckende psychoonkologische Versorgung der von Krebs Betroffenen sowie deren Angehörigen im ambulanten Sektor gewährleistet werden [6]. Trotz erster positiver Eindrücke, ist aktuell nicht geklärt, inwiefern dieses Ziel erreicht wird [5, 9].

Ziel der Studie ist es, die Auswirkungen der im § 65e SGB V geregelten Finanzierung auf die KBS-Landschaft in Deutschland zwischen 2019 und 2023 zu untersuchen. Hierfür soll zunächst eine Bestandsaufnahme aller aktuell existierenden KBS erstellt werden. Die Veränderungen ihrer Struktur (Haupt- und Außenstellen) und der Anzahl der dort beschäftigten Beratungsfachkräfte innerhalb der letzten 4 Jahre soll beschrieben werden. Somit soll die erwünschte Entwicklung hin zu einer leitliniengerechten, flächendeckenden Versorgung ambulanter, von Krebs betroffener Personen überprüft und mögliche Versorgungslücken aufgezeigt werden (s. Infobox 1).

Infobox 1 Krebsberatungsstellen*

  • unterstützen an Krebs erkrankte Menschen und deren An- und Zugehörige bei psychischen und sozialen Problemen in allen Krankheitsphasen.

  • bieten zeitnahe, qualitätsgesicherte und kostenfreie Beratung.

  • besitzen geeignete Räumlichkeiten für vertrauliche Gespräche.

  • beschäftigen in der Regel psychoonkologisch qualifizierte Psycholog*innen und Sozialarbeiter‑/Sozialpädagog*innen als Beratungsfachkräfte.

  • sollen wohnortnahe Beratung und Begleitung gewährleisten.

* gemäß der Fördergrundsätze [14].

Methoden

Die Bezeichnung KBS wird im Folgenden für alle Einrichtungen verwendet, die im ambulanten Bereich psychosoziale Beratung für von Krebs betroffene Personen anbieten und die in ihrer Struktur den im Nationalen Krebsplan beschriebenen Einrichtungen entsprechen [6]. Viele KBS halten neben einer Hauptstelle weitere Außenstellen vor, in denen Ratsuchenden in beschränktem Umfang möglichst wohnortnahe Beratungen angeboten werden [11]. Nicht als KBS werden Einrichtungen gewertet, in denen Beratende ohne berufliche Qualifikationen in Sozialer Arbeit oder Psychologie organisiert sind (z. B. Selbsthilfegruppen), Einrichtungen, die onkologische Patient*innen im stationären Bereich versorgen (z. B. Stationsteams), Hospiz- und Palliativeinrichtungen, Rehabilitationseinrichtungen oder Ambulanzen (z. B. psychoonkologische Hochschulambulanzen; [12]). Eine weitere Besonderheit stellen Einrichtungen dar, deren Beratungen sich ausschließlich auf onkologisch erkrankte Kinder und deren Angehörige beschränken, die hier gleichfalls nicht als KBS gewertet werden.

Angelehnt an die bundesweite Bestandsaufnahme der psychoonkologischen Versorgung [12] wurden per Internetrecherche 193 mögliche KBS ermittelt. Die Recherche basierte auf einer Adressensuche des Krebsinformationsdienstes (KID), den Internetseiten der LKG, der vom Spitzenverband der GKV veröffentlichten Förderliste sowie einer ergänzenden Recherche im Netzwerk der Bundesarbeitsgemeinschaft für ambulante psychosoziale Krebsberatung e. V. (BAK) und der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie (PSO) in der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG).

Der Fragebogen, der von jeder KBS ausgefüllt werden sollte, bestand aus einer Frage zur Struktur der jeweiligen KBS (Haupt- und Außenstellen) und deren Gründungsjahren. Zusätzlich wurde die Stellenanzahl der Beratungsfachkräfte in Vollzeitäquivalenten (VZÄ) in den Jahren 2019 bis 2022 erfragt. Für 2023 sollte die Angabe zum Zeitpunkt der Erhebung auf der Basis der Stellenplanung geschätzt, bzw. extrapoliert werden. Durch diese einfach gehaltene Datenerhebung sollte eine möglichst hohe Rücklaufquote erzielt werden.

Im November und Dezember 2022 wurden 193 potenzielle KBS postalisch und per E‑Mail zur Studienteilnahme eingeladen. Nach weiteren Erinnerungsschreiben und Telefonaten im Januar und April 2023 konnten 152 KBS identifiziert werden. Davon beantworteten 121 (80 %) den Fragebogen. Der Rücklauf erfolgte über einen beigefügten Freiumschlag oder per E‑Mail. In Abb. 1 sind die entsprechenden Rekrutierungsschritte dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Rekrutierungsdiagramm

Bei den 45 aussortierten Einrichtungen handelte es sich um Doppelungen, Außenstellen die fälschlicherweise als Hauptstelle angeschrieben worden waren sowie Einrichtungen, die sich nicht als KBS herausgestellt hatten, darunter 7 Krebsberatungsstellen für onkologisch erkrankte Kinder und deren Angehörige. Bei den KBS, die nicht an der Befragung teilnahmen, identifizierten wir 31 KBS-Hauptstellen mit 28 Außenstellen.

Die statistische Auswertung der Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS 26 (Fa. IBM, Armonk, NY, USA). In den Tabellen werden bei quantitativen Daten Mittelwert, Standardabweichung, Median und Wertebereich sowie bei Häufigkeiten Anzahl und Prozentwert dargestellt. Die Grafiken wurden mit dem Programm Tableau (Fa. Salesforce, San Francisco, CA, USA) erstellt. Die hierbei verwendete Bevölkerungsdichte je Postleitzahlbezirk basiert auf den Daten des statistischen Bundesamtes [15]. Für die Studie wurde das Einverständnis der Ethikkommission der Universitätsklinik Heidelberg eingeholt (AZ S-987/2021). Im Deutschen Register Klinischer Studien ist sie unter DRKS00028284 registriert.

Ergebnisse

Die Ergebnisse basieren auf den Rückmeldungen von 121 KBS-Hauptstellen mit insgesamt 235 Außenstellen. Deren Gründungsjahre sind in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2
figure 2

Gründungsjahre der teilnehmenden Krebsberatungsstellen (KBS)-Haupt- und Außenstellen

In den Dekaden zwischen 1981 und 2020 kam es jeweils zu der Gründung von 16–19 KBS. Eine Ausnahme bildet die Dekade von 2001 bis 2010, als es durch einen 2007 von der Deutschen Krebshilfe e. V. ausgeschriebenen Förderschwerpunkt „Psychosoziale Krebsberatungsstellen“ zu der Gründung von zusätzlichen 13 KBS gekommen war [2]. In den ersten 2,5 Jahren der Dekade seit 2021 sind weitere 19 KBS Haupt- und 80 Außenstellen gegründet worden. Dies entspricht einer Zunahme von 19 % bezogen auf die zuvor bestehenden 102 KBS und einer Steigerung von > 300 % extrapoliert auf die durchschnittliche Anzahl von Neugründungen in den vorangegangenen Dekaden.

In Tab. 1 ist die Anzahl der teilnehmenden KBS und die Angaben zu den Vollzeitäquivalenten (VZÄ) der Beratungsfachkräfte je KBS in den Jahren 2019–2023 aufgeführt.

Tab. 1 Vollzeitäquivalente (VZÄ) der Beratungsfachkräfte je Krebsberatungsstelle (KBS) in den Jahren 2019–2023

Zwischen 2019 und 2023 stiegen die Anzahl der KBS von 95 auf 121 (+27 %), die Anzahl der Außenstellen von 141 auf 235 (+67 %) und der Mittelwert der VZÄ von 1,8 auf 2,7 (+33 %) stetig an. Entsprechend stieg im gleichen Zeitraum die Summe aller in den KBS beschäftigten Beratungsfachkräften von 171 auf 293 (+71 %) VZÄ an.

In Abb. 3a,b werden die Verteilungen der KBS in den Jahren 2019 und 2023 grafisch gegenübergestellt. Die Deutschlandkarte ist in Postleitzahlbezirke aufgeteilt, deren Bevölkerungsdichte durch Grauabstufungen symbolisiert wird. Teilnehmende Hauptstellen sind ihrer VZÄ entsprechend große, rote Kreise, deren Außenstellen orangene Kreise mit halber Einheitsgröße (0,5 VZÄ). Die 31 nicht teilnehmenden KBS und deren Außenstellen sind durch hellgrüne Einheitskreise dargestellt.

Abb. 3
figure 3

Verteilungen der Krebsberatungsstelle (KBS) in den Jahren a 2019 und b 2023 (die Angaben zu 2023 basieren auf Schätzwerten von Ende 2022 und Anfang 2023)

In Abb. 3a, b ist die Zunahme von KBS im Bundesgebiet gut zu erkennen. Die bereits 2019 bestehende Häufung von KBS in Ballungsgebieten wurde bis 2023 weiter verstärkt. Durch Neugründungen konnte auch in mehreren strukturschwachen Landesteilen eine Versorgung durch KBS erreicht werden. Dennoch bestehen gemäß der vorliegenden Datenanalyse weiterhin Regionen, in denen Ratsuchende weite Anfahrten auf sich nehmen müssen, beispielsweise in strukturschwachen Gebieten in Norddeutschland.

Diskussion

Durch die Studie kann die Entwicklung der KBS hin zu einer zunehmend flächendeckenden Versorgung nachgezeichnet werden. Neben der überproportionalen Zunahme an KBS-Hauptstellen fördert die Regelfinanzierung noch stärker die Neugründungen von KBS-Außenstellen. Gab es 2019 bei den teilnehmenden, damals 95 KBS-Hauptstellen, noch 141 Außenstellen (durchschnittlich 1,48), so finden sich 2023 bei 121 Hauptstellen 235 Außenstellen (durchschnittlich 1,94). Innerhalb von 3,5 Jahren hat sich die Anzahl der Außenstellen somit um 67 % erhöht. Auch der durchschnittliche Stellenanteil der Beratungsfachkräfte ist im gleichen Zeitraum von 1,8 VZÄ auf 2,4 VZÄ um 33 % gestiegen. Dies korrespondiert mit dem zunehmenden Personalbedarf, der durch die Gründungen von KBS-Außenstellen entsteht.

Im Rahmen verschiedener Studien wurde KBS in Deutschland gezählt: 1999: 87 KBS [10], 2015: 151 KBS [3] und 2016: 161 KBS [12]. Da gemäß unserer Erhebung seit 2016 weitere 36 KBS gegründet wurden und uns nur wenige KBS-Schließungen bekannt sind, müssten aktuell bundesweit etwa 190 KBS existieren. Unsere Studiendaten basieren jedoch auf Angaben der teilnehmenden KBS. Hierbei war aufgefallen, dass die uns berichteten Angaben nicht immer mit den „patientenorientierten“ Angaben im Internet übereinstimmen. So kann es für die Außendarstellung sinnvoller sein, von mehreren KBS zu sprechen, als von einer KBS mit mehreren Außenstellen. Dieser Effekt könnte zu einer Unterschätzung der Anzahl von Hauptstellen in unserer Erhebung geführt haben. Zusätzlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch die maßgeblich auf Internetrecherche basierenden Suchalgorithmen einzelne KBS nicht erfasst wurden. Jedoch hätte eine Unterschätzung der Anzahl an KBS-Hauptstellen keine Konsequenz auf die Hauptergebnisse der von uns beschriebenen Entwicklung der 121 teilnehmenden KBS.

Eine Limitation unserer Studie stellen die vereinfachten Annahmen dar, dass es eine bestimmte Anzahl an KBS-Hauptstellen mit einer klar definierten Anzahl von Außenstellen gibt. Dieses Konzept berücksichtigt weder, dass KBS-Strukturen einem ständigen Wandel unterliegen, noch wird hierbei zwischen Außenstellen, die zum Teil täglich besetzt sind und Außensprechstunden, in denen nur wenige Stunden im Monat Termine angeboten werden, unterschieden. Auch die abweichenden Organisationsstrukturen der KBS, die an Landratsämtern angegliedert sind, werden in dieser Studienkonzeption möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt [13]. Die gemachten Annahmen treffen jedoch auf die meisten KBS zu und sind für eine nachvollziehbare, statistische Beschreibung der Veränderungen der KBS-Landschaft notwendig.

Auch wenn die Ergebnisse eine Verbesserung der Versorgungssituation zeigen, ist fraglich, inwieweit eine vollständige flächendeckende Versorgung bei gleichzeitiger Bestandssicherung erreicht werden kann. Hierzu liegen bislang wenige Konzepte vor. Damit Krebsberatungsstellen in ländlichen Regionen aufgebaut werden können, werden seit 2021 auch kleine Einrichtungen mit 0,5 VZÄ in die Förderung aufgenommen [14]. Allerdings ist es für sehr kleine Einrichtungen schwierig, die zugrunde gelegten Qualitätsanforderungen zu erfüllen.

Auch mit einer Aufteilung der Fördermittel auf die Bundesländer anhand des sog. Königsteiner Schlüssels wird zumindest eine landesweit gleichmäßige Förderung erreicht. Allerdings werden Förderanträge bislang ausschließlich aufgrund des Zeitpunktes der Antragstellung (im Hinblick auf die landesweit zur Verfügung stehenden Mittel) und der Erfüllung der Qualitätsanforderungen berücksichtigt [5]. Hier wäre eine Einführung zusätzlicher Faktoren sinnvoll, die zum einen eine Bestandssicherung gewährleisten, zum anderen eine Versorgung in strukturarmen Regionen fördern, und z. B. ländliche Einrichtungen und Außenstellen besonders berücksichtigen.

Fazit für die Praxis

  • Die gesetzlich verankerte Finanzierung von Krebsberatungsstellen (KBS) hat seit 2019 zu einer Gründungswelle geführt, gleichzeitig hat die durchschnittliche Personalausstattung einer KBS deutlich zugenommen.

  • Insbesondere die vermehrte Gründung von Außenstellen ermöglicht eine wohnortnahe ambulante psychosoziale Versorgung von an Krebs erkrankten Personen und deren Angehörigen.

  • Obwohl viele Regionen Deutschlands inzwischen angemessen versorgt sind, fehlen v. a. in einigen ländlichen Regionen weiterhin wohnortnahe Anlaufstellen.