Zusammenfassung
Hintergrund
Im Zuge der Diskussionen um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland wird der Schutz von Kindern und Jugendlichen oft als Gegenargument verwendet. In der Tat sollten insbesondere Heranwachsende vor einem Substanzkonsum geschützt werden. Ziel dieses Beitrags ist es, zu diskutieren, wie dies gelingen kann.
Methoden
Kanada legalisierte bereits 2018 den Freizeit-Cannabiskonsum für Erwachsene. Ziel der Legalisierung war es u. a., junge Menschen besser vor einem Konsum zu schützen. In diesem Beitrag wird daher aufgezeigt, wie Kanada mit dem Thema Jugendschutz umgeht, wobei v. a. der Kontext Schule fokussiert wird und welche Schlussfolgerungen sich hieraus für Deutschland ableiten lassen.
Schlussfolgerungen
Am Beispiel Kanada zeigt sich, dass Schule ein Ort ist, der zum Schutz von Heranwachsenden aktiv genutzt werden sollte. Maßnahmen im Hinblick auf Cannabis sollten über ausschließlich abstinenzorientierte, wissensbasierte Aufklärungsprogramme hinausgehen. Entsprechend bedarf es eines ganzheitlichen, universellen und multimodalen Ansatzes bestehend aus Primärprävention, Schadensminimierung, Reduzierung von Stigmatisierung sowie Ansätzen zur Chancengleichheit, um Jugendliche bestmöglich schützen zu können.
Abstract
Background
In the discussions about the legalization of cannabis in Germany, the protection of children and adolescents is often used as an argument against legalization. In fact, adolescents in particular should be protected from early substance use. The aim of this article is to discuss how this can be achieved.
Methods
Canada already legalized recreational cannabis use for adults in 2018. One of the aims of legalization was to protect young people from using cannabis. This article therefore shows how Canada deals with the issue of youth protection, focusing primarily on the context of schools, and what conclusions can be drawn from this for Germany.
Conclusions
The example of Canada shows that school is a place that should be actively used to protect adolescents. Measures with regard to cannabis should go beyond exclusively abstinence-oriented, knowledge-based education programs. Accordingly, a holistic, universal multi-modal program consisting of upstream prevention, harm reduction, stigma reduction and equity-oriented approaches is required in order to provide the best possible protection for young people.
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Hintergrund
Im Zuge der Diskussion um die Legalisierung von Cannabis in Deutschland war und ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen eines der zentralen Gegenargumente [27]. Tatsächlich zeigt sich, dass der Konsum von Cannabis oft in der Jugend beginnt [4]. Gemäß dem Institut für Therapieforschung in München, welches Schüler*innen der 9. und 10. Jahrgangsstufe an Regelschulen in Bayern befragte, betrug das durchschnittliche Alter des ersten Cannabiskonsums 14,6 Jahre [26]. Ein Grund hierfür ist, dass die Adoleszenz ein Entwicklungsstadium ist, welches v. a. durch Risikobereitschaft und Grenzsuche geprägt ist. Auch wenn diese als wichtige Faktoren für die persönliche Entwicklung gelten, führen sie dazu, dass viele Jugendliche in der Adoleszenz und Pubertät auch im Umgang mit psychotropen Substanzen experimentieren [30]. Diese gesteigerte Risikobereitschaft in der Adoleszenz geht einher mit der Gehirnentwicklung, die erst in der ersten Hälfte des 3. Lebensjahrzehnts vollständig abgeschlossen ist: Robuste neuronale Bahnen werden geschaffen und zum Erhalt ausgewählt, während andere Bahnen eliminiert werden, weshalb das jugendliche Gehirn besonders empfindlich auf Substanzkonsum reagiert [1].
Entsprechend zeigt sich, dass ein früher Einstieg in den Konsum von Cannabis im Kinder- und Jugendalter mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergeht, eine Störung im Substanzgebrauch zu entwickeln [15]. Weiterhin wird ein früher Cannabiskonsum u. a. mit einer Zunahme gesundheitlicher Risikoverhaltensweisen (z. B. Fahren unter Cannabiseinfluss [15]), beeinträchtigten kognitiven Entwicklungen [5], schlechteren Bildungsergebnissen [12] sowie einem erhöhten Risiko für psychische Probleme [11], v. a. der Entwicklung von Psychosen [14] in Verbindung gebracht. Darüber hinaus steht der Konsum von Cannabis im Zusammenhang mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Konsums anderer Substanzen, beispielsweise von Tabak [9], der wiederum eigene weitreichende negative Folgen nach sich zieht [32].
Anhand dieser Ausführungen zeigt sich, dass der Schutz von Jugendlichen im Hinblick auf den Konsum von Cannabis von besonderer Bedeutung sein sollte. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, wie Kanada das Thema Jugendschutz umsetzt und welche Schlussfolgerungen hieraus für Deutschland gezogen werden können.
Das Beispiel Kanada für die Prävention
Kanada legalisierte am 17. Oktober 2018 den Freizeit-Cannabiskonsum für Erwachsene [8]. Das Mindestalter für den legalen Cannabiskauf wurde auf 18 Jahre festgelegt, wobei die Provinzen und Territorien dieses Alter auf Wunsch anheben, aber nicht senken können. Weiterhin besagt das Gesetz, dass Minderjährige 5 g Cannabis legal besitzen, aber nicht erwerben dürfen, wodurch die Kriminalisierung durch Cannabiskonsum reduziert werden soll [30]. Darüber hinaus ist es Erwachsenen ausdrücklich verboten, Personen unter 18 Jahren Cannabis zu verkaufen oder zu schenken [8].
Einfluss der Legalisierung auf die Jugend
Auch in Kanada wurde der Schutz von Jugendlichen als zentrales Argument gegen eine Legalisierung angeführt [10]. Vonseiten der kanadischen Regierung wurde daher der Jugendschutz im Rahmen der Legalisierung als Ziel hervorgehoben, indem durch die Legalisierung gewährleistet sein sollte, „[to] keep cannabis out of the hands of youth, keep profits out of the pockets of criminals, protect public health and safety by allowing adults access to legal cannabis“ [8]. Ob die gesetzlichen Regelungen die kanadische Jugend ausreichend schützen, ist mindestens umstritten [13].
Auch wenn die Daten bisher uneinheitlich sind, zeigen die meisten Studien keinen ausgeprägten Anstieg des Konsums von Cannabis bei Jugendlichen [24]. Auch in Bezug auf eine Cannabisabhängigkeit konnten Studien bisher keine Ab- oder Zunahme feststellen, wobei auch hier die Ergebnisse recht uneindeutig sind [18]. Gleichwohl hat die Zahl akuter Vergiftungen nach der Legalisierung zugenommen [18]. Weiterhin deuten die aktuellen Daten darauf hin, dass das Einstiegsalter im Zuge der Legalisierung leicht gestiegen sein könnte [24].
Insgesamt stellen Watson et al. [29] fest, dass es noch zu früh ist, um die Auswirkungen der Cannabislegalisierung auf die Jugend abschließend bewerten zu können. Gleichwohl resümieren Haines-Saah und Fischer [10], dass eine Legalisierung, insbesondere in Anbetracht der schwerwiegenden negativen sozialen Auswirkungen, der Kriminalisierung weiterhin das Potenzial bietet, die öffentliche Gesundheit und das Wohlergehen der Cannabiskonsument*innen und der Gesellschaft i. Allg. besser zu schützen und daraus resultierende Nettovorteile zu erzielen. Sie sehen keine stichhaltigen Beweise dafür, dass die erwarteten negativen Folgen und Gefahren für Jugendliche eingetreten sind [10]. Auch wenn die kanadische Regierung ihr Ziel, die Zahl der jugendlichen Cannabiskonsument*innen zu reduzieren, aktuell verfehlt, scheinen die Zahlen zumindest nicht angestiegen zu sein, weshalb nachfolgend die Maßnahmen zum Jugendschutz in Kanada als Beispiel Guter Praxis in Ausschnitten dargestellt werden.
Jugendschutz in Kanada – das Setting Schule
Um die Prävention von Jugendlichen zu fördern, existieren neben den gesetzlichen Regelungen verschiedene Maßnahmen zum Schutz der Jugend. Die Schule ist ein Ort, an dem Kinder- und Jugendliche einfach erreicht werden können [33]. Im Jahr 2021 veröffentliche die kanadische Regierung daher einen Aktionsplan für einen ganzheitlichen Gesundheitsschutz in der Schule [22]. Der Aktionsplan wurde entwickelt, um über Strategien zu informieren, die substanzbedingte Schäden bei Jugendlichen auf verschiedenen Ebenen des kanadischen Bildungssystems verhindern. Weiterhin sollten Schulgemeinschaften aufgefordert werden, anders über den Substanzkonsum von Jugendlichen nachzudenken. Zuletzt zielte der Aktionsplan darauf ab, Schulakteur*innen dabei zu unterstützen, sich für umfassende Ansätze einzusetzen, um substanzbedingte Störungen bei Jugendlichen zu verhindern [22]. Das Modell, das im Aktionsplan der kanadischen Regierung vorgestellt wird, vereint das „Comprehensive School Health Framework“, ein wirksames und bewährtes Modell für Maßnahmen im Bereich der Schulgesundheit, mit vier evidenzbasierten Ansätzen zur Prävention substanzbedingter Störungen:
-
I.
Ansätze zur Primärprävention,
-
II.
Ansätze zur Schadensminimierung,
-
III.
Ansätze zur Reduzierung der Stigmatisierung sowie
-
IV.
Ansätze zur Chancengleichheit [22].
Diese vier Ansätze werden zusammen mit dem „Comprehensive School Health Framework“ zu einem Modell zusammengefasst. Das Framework bzw. Konzept kann als Leitfaden für die Planung, Umsetzung und Bewertung von Schulinitiativen zu verschiedenen Gesundheitsaspekten dienen. Es hat in Kanada weite Verbreitung gefunden, wobei Evaluationen zeigen, dass es wirksam zur Verbesserung der Gesundheit, der sozialen und schulischen Leistungen von Jugendlichen und zur Verringerung gesundheitlicher Ungleichheiten beiträgt, und dass diese Vorteile von langer Dauer sein können. Das Konzept ermutigt Schulgemeinschaften, bei der Bewertung oder Umsetzung einer Intervention vier miteinander verbundene Komponenten zu berücksichtigen, die das gesamte Schulumfeld ausmachen: 1. Soziales und physisches Umfeld, 2. Lehren und Lernen, 3. Administration und 4. Kooperationen/Angebote [22]. Das Gesamtmodell wird nachführend detaillierter vorgestellt.
Ansätze zur Primärprävention
Die Primärprävention konzentriert sich auf die Beseitigung der Ursachen eines Gesundheitsproblems. Es geht darum, schützende Faktoren zu fördern, um den Beginn eines Substanzkonsums zu verhindern [22]. Zu den Schutzfaktoren gehören: gesunde Beziehungen, ein starkes Selbstbewusstsein, Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung, ein sicheres Umfeld sowie schulische und gemeinschaftliche Kontakte [22]. Beispielsweise zeigen unterschiedliche Studien, dass soziale Faktoren einen großen Einfluss auf das Konsumverhalten haben [10]. Ein Beispiel für ein international anerkanntes Präventionsmodell ist das isländische Modell zur Prävention des Substanzkonsums bei Jugendlichen, das in Gemeinden in über 30 Ländern angewandt wird, einschließlich Kanada [21]. Befürworter*innen dieser Präventionsstrategie gehen davon aus, dass die besten Präventionsmaßnahmen oft nichts mit dem Substanzkonsum zu tun haben, sondern lebenswichtige Veränderungen im sozialen Nahfeld erzielen [22]. Daran anschließend gehen auch MacArthur et al. [17] davon aus, dass für die Prävention von Cannabis kein für Cannabis spezielles Programm erforderlich ist, sondern dass auch Programme, die bei Alkohol- und Tabakkonsum wirksam waren, bei Cannabiskonsum zielführend sind. Gemäß diesem Modell kann im Kontext Schule daher an folgenden Stellschrauben angesetzt werden:
-
1.
Soziales und physisches Umfeld → z. B. Einführung eines Verpflegungsprogramms, welches eine integrative Umgebung schafft, um Kontakte zu knüpfen,
-
2.
Lehren und Lernen → z. B. Verankerung der Förderung bestimmter Fähigkeiten (z. B. Selbstwahrnehmung) im Curriculum,
-
3.
Administration → z. B. Maßnahmen für ein sicheres und integratives Schulklima,
-
4.
Kooperationen/Angebote → z. B. Kooperationen zwischen der Schule und Sportstätten schaffen [22].
Ansätze zur Schadensminimierung
Die Zahlen aus Kanada, aber auch aus anderen Ländern, legen nahe, dass eine Legalisierung nicht unbedingt eine Senkung – aber eben auch keine Erhöhung – der Zahl der konsumierenden Jugendlichen zur Folge haben wird [31]. Obwohl Beratung zur Beendigung und das Angebot von Behandlung weiterhin die oberste Priorität darstellen sollten, ist daher für einige Jugendliche das alleinige Ziel der Abstinenz möglicherweise keine Option. In diesen Fällen können Schulsozialarbeiter*innen und Lehrer*innen Strategien der Schadensminimierung („harm reduction“) anbieten [30]. „Harm reduction“ zielt darauf ab, die potenziellen sozialen und gesundheitlichen Schäden, die mit dem Drogenkonsum verbunden sind, zu reduzieren. Beispielsweise zeigen Studien, dass eine Reduktion des Cannabiskonsums, eine Strategie zur Schadenminimierung sein könnte, um das Risiko einer Psychose zu senken [23]. Mit der Legalisierung von Cannabis verschrieb sich die kanadische Regierung dem Ziel der „harm reduction“, indem Leitlinien für einen risikoärmeren Konsum entwickelt und zur Verfügung gestellt wurden [7]. Die von Fischer et al. [6] entwickelten evidenzbasierten Leitlinien „LRCUG – Lower-Risk Cannabis Use Guidelines“ enthalten 10 Empfehlungen für den risikoärmeren Konsum von Cannabis. Zu den Empfehlungen gehören:
-
1.
Verzicht auf Cannabis,
-
2.
Vermeidung eines frühen Einstiegs in den Cannabiskonsum,
-
3.
Auswahl von Cannabisprodukten mit niedrigem THC oder ausgewogenem THC-CBD-Verhältnis,
-
4.
Verzicht auf synthetische Cannabinoide,
-
5.
Vermeidung der Inhalation von verbranntem Cannabis,
-
6.
Vermeidung von tiefen oder anderen riskanten Inhalationspraktiken,
-
7.
Vermeidung von hochfrequentem Konsum,
-
8.
Verzicht auf Cannabis am Steuer,
-
9.
Bevölkerungsgruppen mit einem höheren Risiko für cannabisbedingte Gesundheitsprobleme sollten den Konsum gänzlich vermeiden,
-
10.
Vermeidung einer Kombination der zuvor genannten Risikoverhaltensweisen (z. B. früher Einstieg und häufiger Konsum) [6].
Diese Empfehlungen wurden mit dem Aktionsplan auch auf den Kontext Schule übertragen [22]. In diesem Modell soll „harm reduction“ wie folgt umgesetzt werden:
-
1.
Soziales und physisches Umfeld → z. B. Aufhängen von Postern in der Schule, die von Schüler*innen entworfen wurden und „Harm-reduction“-Maßnahmen darstellen,
-
2.
Lehren und Lernen → z. B. durch das Zeigen der LRCUG-Richtlinien im Unterricht,
-
3.
Administration → z. B. Ermutigung von Lehrer*innen Regelung zu etablieren, die die Schüler*innen dazu anregen, mit ihrem*r Lehrer*in zu sprechen, wenn sie mit ihrem Konsum zu kämpfen haben, ohne Bestrafungen befürchten zu müssen,
-
4.
Kooperationen/Angebote → z. B. Expert*innen zum Thema „Überdosierung erkennen“ einladen [22].
Ansätze zur Verringerung der Stigmatisierung
Es herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Verringerung der Stigmatisierung ein zentrales Ziel in jedem Plan oder jeder Strategie zur Prävention substanzbedingter Schäden sein muss [25]. Stigma wirkt sich negativ auf den*die Einzelne*n, seine* ihre Gemeinschaften und die Gesellschaft im weiteren Sinne aus. Bemühungen zum Abbau der Stigmatisierung sind daher im schulischen Umfeld äußerst wichtig und nützlich [22]:
-
1.
Soziales und physisches Umfeld → z. B. Ausweisung „sicherer Zonen“ in Schulen, in denen Jugendliche Fragen stellen und Unterstützung suchen können, ohne Verurteilungen befürchten zu müssen,
-
2.
Lehren und Lernen → z. B. das Curriculum nutzen, um über Vorteile und Fehlannahmen in Bezug auf Substanzkonsum aufzuklären,
-
3.
Administration → z. B. Reformierung bestehender Maßnahmen, die Stigmatisierung aufrechterhalten,
-
4.
Kooperationen/Angebote → z. B. Einladung von Personen mit Erfahrung mit Substanzkonsum zum Thema „Bewältigungsstrategien im Zusammenhang mit der Stigmatisierung“ [22].
Ansätze zur Chancengleichheit
Bestimmte Bevölkerungsgruppen sind besonders stark von substanzbedingten Schäden und anderen negativen sozialen und gesundheitlichen Folgen betroffen, sodass die Chancengleichheit ein wichtiger Schwerpunkt für wirksame Interventionen ist. Die Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit bedeutet, Bedingungen zu schaffen, die jedem*r die Möglichkeit geben, sein*ihr volles Gesundheitspotenzial auszuschöpfen und sicherzustellen, dass niemand systematisch bei der Ausschöpfung dieses Potenzials benachteiligt wird [22]:
-
1.
Soziales und physisches Umfeld → z. B. Schaffung eines physischen Umfelds, in dem sich Schüler*innen aller Geschlechter, sexuellen Orientierungen, kulturellen Gruppen, Fähigkeiten und sozialen Schichten eingeladen, sicher und willkommen fühlen,
-
2.
Lehren und Lernen → z. B. Bereitstellung von Workshops oder Ressourcen zur Vertiefung des Verständnisses von den vielen kulturellen Gruppen, die in der Schule vertreten sind,
-
3.
Administration → z. B. Anpassung der Regeln in der Schule, um die Chancengleichheit zu erhöhen (z. B. Abschaffung von Disziplinarmaßnahmen, die Re-Traumatisierung von Schülern fördern),
-
4.
Kooperationen/Angebote → z. B. Partnerschaften mit Organisationen, die außerschulische Aktivitäten anbieten, die sonst nur zugänglich für privilegiertere Gruppen sind [22].
Abschließend lässt sich festhalten, dass die 4 Bereiche (I.–IV.) durchaus Überschneidungen aufweisen bzw. in der Praxis sogar gleich aussehen können. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass die Interventionen auf das jeweilige Schulumfeld zugeschnitten werden müssen [22].
Zusammenfassung
Diese Ausführungen zeigen, dass der Substanzkonsum im Jugendalter zu kurzfristigen, aber v. a. auch langfristigen gesundheitlichen und sozialen Folgen führen kann, weshalb es wichtig ist, frühzeitig Angebote zu machen, um potenzielle Störungen zu vermeiden [3]. Die Schule ist ein Ort, der eine wichtige Rolle bei der Aufklärung und Gestaltung des Substanz- und hier Cannabiskonsumverhaltens junger Menschen spielt und an dem Kinder- und Jugendliche einfach erreicht werden können [33]. Entsprechend sollte dieser Ort auch in Deutschland genutzt werden. Das Modellbeispiel aus Kanada kann dabei als Orientierung im Umgang mit Jugendlichen dienen, das zeigt, dass mehr notwendig ist, als ausschließlich abstinenzorientierte, wissensbasierte Aufklärungsprogramme, wie diese aktuell vom Bundesgesundheitsministerium angedacht sind [2]. Als wirksam haben sich dabei v. a. interaktive Vermittlungsmethoden [16] erwiesen. Digitale Angebote der Suchtprävention haben das Potenzial, frühzeitig und niedrigschwellig und mit großer Reichweite spezifische Risikogruppen zu erreichen, wenngleich die noch überwiegend textbasierten Inhalte Menschen mit geringem Bildungsniveau nur sehr eingeschränkt erreichen [28].
Weiterhin deuten Studien darauf hin, dass universelle multimodale Programme bei der Verhinderung des Cannabiskonsums wirksam sind. Damit ist gemeint, dass Programme alle Personen und Substanzen adressieren (= universell) und gleichzeitig auf verschiedene Kontexte, wie z. B. Gemeinde, Schule, familiäres Umfeld, und nicht nur auf ein Setting fokussieren (= multimodal). Weiterhin haben Programme, die nicht von Lehrer*innen, sondern von externen Personen geleitet wurden durchweg besser abgeschnitten. Außerdem deuten Ergebnisse darauf hin, dass die Durchführung von Auffrischungssitzungen zu einer größeren und länger anhaltenden Wirksamkeit des Programms führt [19]. Nach einer Metaanalyse von Onrust et al. [20] zeigt sich, dass die Programme an die Altersstufe und Entwicklungsphase angepasst werden müssen. Dabei bieten die unterschiedlichen Entwicklungsstufen verschiedenen Möglichkeiten und Chancen für die Reduzierung und Prävention des Substanzkonsums. Insgesamt ist im Hinblick auf die Wirksamkeit präventiver Interventionen noch vieles unklar, weshalb weitere Forschungsarbeiten notwendig sind [19].
Um Jugendliche wirksam zu schützen, bedarf es ohne Frage über die Schule hinaus weiterführende Maßnahmen. Beispielsweise deutet die Evidenz darauf hin, dass Beschränkungen der physischen Verfügbarkeit, Preispolitik und Marketingbeschränkungen aufgrund der Erfahrungen mit Alkohol und Tabak wirksame Maßnahmen sind [18].
Fazit für die Praxis
-
Die Schule sollte im Zuge der Cannabislegalisierung als Ort der Prävention aktiv genutzt werden.
-
Maßnahmen zum Schutz der Jugend sollten über ausschließlich abstinenzorientierte, wissensbasierte Aufklärungsprogramme hinaus gehen.
-
Um Jugendliche wirksam schützen zu können, bedarf es eines ganzheitlichen, universellen und multimodalen Ansatzes bestehend aus Primärprävention, Schadensminimierung, Reduzierung von Stigmatisierung sowie Ansätze zur Chancengleichheit, die interaktiv und im besten Fall nicht von Lehrer*innen angeboten werden.
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Steimle, L., Stöver, H. Schule als Ort der Cannabisprävention – Was wir von Kanada lernen können. Präv Gesundheitsf (2023). https://doi.org/10.1007/s11553-023-01094-9
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