Ziele und Fragestellung

Das partizipative Forschungsprojekt „Dorf explorativ“ hatte zum Ziel, den lokalen Bedarf für „Gutes Altwerden auf dem Land“ im brandenburgischen Heinersdorf in der Gemeinde Steinhöfel zu ermitteln. Das Projekt wurde als Wissenschaft-Praxis-Partnerschaft in Kooperation von Lehrenden, Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und der Praxisforschungsstelle für Lebensmodelle im Alter auf dem Land in Heinersdorf, dem Denkmal-Kultur e. V. und dem Ortsbeirat Heinersdorf ins Leben gerufen. Es galt als Lehrforschungsprojekt im Studiengang Soziale Arbeit und wurde durch das Institut für angewandte Forschung Berlin (IFAF) vom 01.04.2021 bis 30.09.2021 gefördert. Forschung, Lehre und Praxis wurden dabei gleichwertig in den Prozess einbezogen.

Durch die unterschiedlichen Akteur:innen gab es verschiedene Unterziele, die verfolgt wurden. Zum einen sollte eine Wissenschaft-Praxis-Partnerschaft zwischen der Hochschule und der Praxisforschungsstelle Heinersdorf entwickelt werden. Zum zweiten war Ziel der Bedarfsermittlung, die Anwohner:innen selbst zu beteiligen. Zum dritten galt es, das Konzept der Gemeindekapazität [5] mit der partizipativen Methode der Struktured-interview-Matrix (SIM; [12]) zu operationalisieren und im Kontext „Dorf explorativ“ zu erproben. Die drei Ebenen – lokale Ziele, theoretisches Konzept und partizipative Methode – für die Erhebung in einen adäquaten Zusammenhang zu bringen, konnte im Rahmen eines Bachelor-Seminars mit 8 Studierenden der Sozialen Arbeit und Honorarmitteln der Förderlinie „IFAF explorativ“ umgesetzt werden.

Die Ergebnisse der Erhebung sollen in Zukunft die Grundlage für die Praxisforschungsstelle in Heinersdorf bilden, um weitere Gespräche mit lokalen Akteur:innen und Institutionen zu führen, Fördermittel zu akquirieren sowie Handlungskonzepte zu erarbeiten und diese umzusetzen.

In diesem Artikel werden die konzeptionellen Grundlagen der Erhebung, ihre Operationalisierung und die methodische Umsetzung der SIM dargestellt sowie Weiterentwicklungsmöglichkeiten für zukünftige Forschungsprojekte aufgezeigt.

Theoretischer Rahmen und Gemeindekapazität

Den theoretischen Rahmen des Projekts bildete das Konzept des Capacity Buildings oder auch der Community Capacity (dt. Gemeindekapazität) von Labonte und Laverack [5] und die deutsche Rezeption von Trojan und Nickel [7]. Capacity Building bedeutet den Aufbau von Wissen, Fähigkeiten, Engagement, Strukturen, Systemen und Führungsqualitäten, um effektive Gesundheitsförderung zu ermöglichen. Kapazitätsentwicklung umfasst Aktionen zur Verbesserung der Gesundheit auf drei Ebenen:

  1. 1.

    Weiterentwicklung von Wissen und Fähigkeiten bei den gesundheitsfördernden Tätigkeiten,

  2. 2.

    Ausdehnung der Unterstützung und Infrastrukturen der Gesundheitsförderung in den Organisationen,

  3. 3.

    Entwicklung des Zusammenhalts und der partnerschaftlichen Kooperation zur Gesundheit in den GemeinschaftenFootnote 1“ (vgl. Smith et al. 2006 in [6])

Gemeindekapazität ist eng verwandt mit dem Konzept des Empowerment, das in den Gesundheitswissenschaften und der Sozialen Arbeit bereits vermehrt Anwendung fand [2, 4]. Die Unterschiede liegen v. a. in der Operationalisierung. Während Empowerment mehr als theoretisches Befähigungskonzept sozial benachteiligter Personen genutzt wird, dient die Gemeindekapazität vorrangig der Operationalisierung und Erfassung struktureller Gegebenheiten und Entwicklungen [6]. Die Methoden, wie Gemeindekapazität in der Vergangenheit erhoben wurde, umfassen sowohl qualitative und quantitative Forschungsverfahren [10, S. 118 f]. „Dorf explorativ“ hat die Methode der SIM erstmalig in Verbindung mit Gemeindekapazität genutzt. Gemeinsam mit der Praxisforschungsstelle in Heinersdorf wurden auf dieser theoretischen Grundlage sowie auf ortsspezifischen Bedürfnissen die vier Themen Mobilität, Wohnen, Dorfgemeinschaft und Beteiligung ermittelt.

Methoden

Als Kooperationsgrundlage wurde von Seiten der ASH ein Memorandum erstellt, für das die Community Toolbox als Hilfsmittel diente [9]. Ziel für die Zusammenarbeit von Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen war ein hierarchiearmes Miteinander [11, S. 22ff.]. Somit lag die Benennung der Themen und die Einladung der teilnehmenden Dorfbewohner:innen bei der Praxisforschungsstelle. Um die Großgruppenmethode in Form einer SIM [8] umsetzen zu können, sollten mindestens 16 und maximal 24 Teilnehmende gewonnen werden. Die SIM wurde nach einer 3‑monatigen Vorbereitungsphase am 03. Juli 2021 in 3 Schritten umgesetzt (Tab. 1). Sie fand an einem Erhebungstag in Heinersdorf statt und wurde von 8 Studierenden des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit und der Projektleitung in Kooperation mit der Praxisforschungsstelle durchgeführt. Neben der Arbeit in der Großgruppenmethode dienten Pausen zum Austausch und Netzwerken.

Tab. 1 Umsetzung der SIM. Drei Phasen der Struktured-interview-Matrix (SIM)

Auswertung

Die Auswertung fand zwischen Juli und September 2021 durch die Studierenden statt und wurde durch die Projektleitung begleitend unterstützt. Die Praxispartnerinnen wurden regelmäßig über den Bearbeitungsstand informiert und bei einzelnen Analyseschritten eingebunden, wie in Tab. 2 deutlich wird.

In die Auswertung einbezogen wurden die Fragebögen aus den 1:1-Interviews, Audiodateien der Gruppendiskussionen und die Flipcharts aus Erhebungsschritt 2 und 3. Die Fragebögen und die Flipcharts wurden transkribiert und im Anschluss in Anlehnung an das DEPICTFootnote 2-Verfahren [3] ausgewertet. Dazu kamen Arbeitshilfen aus dem Handbuch „Everyone can do research“ zum Einsatz [1]. Das DEPICT-Verfahren besteht aus den 6 Schritten, die in gemeinsamer Arbeit von der ASH und den Praxispartnerinnen vorgenommen wurden. Der Grad der Partizipation der einzelnen Schritte wird in Tab. 2 deutlich.

Ergänzte Darstellung des DEPICT-Verfahrens

Tab. 2 Arbeitsschritte des Auswertungsverfahrens in Anlehnung an DEPICT („dynamic reading, engaged codebook development, participatory coding, inclusive reviewing and summarizing of categories, collaborative analyzing and translating“)

In einem gemeinsamen Prozess von Studierenden und Dozierenden der ASH entstand ein Kodierleitfaden, der der einheitlichen Kodierung der Transkripte diente (DEPICT Schritt 2 und 3). Die Kodierungen wurden in einer Online-Sitzung dem Praxisforschungsteam aus Heinersdorf vorgestellt und diskutiert. Zusätzlich wurden weitere Themen in drei 1:1-Gesprächen mit jeweils einer Studierenden und einer Dorfbewohnerin ermittelt (DEPICT Schritt 4). Die ASH-Forschenden haben mit den Ergebnissen der Diskussion in einem darauf folgenden Workshop die vertiefende Analyse vorbereitet (DEPICT-Schritt [3, S. 618]). Die Kodes wurden ergänzt und auf die Transkripte angewendet. Es entstanden 6 Hauptkategorien mit bis zu 5 Unterkategorien, von denen sich die ersten 5 jeweils auf eines der Themen beziehen:

  1. 1.

    Beurteilung des IST-Zustands:

    1. 1.1.

      Zufriedenheit/Wertschätzung,

    2. 1.2.

      Unzufriedenheit/Kritik,

    3. 1.3.

      eigene Verortung,

    4. 1.4.

      Beispiele themenbezogener Möglichkeiten.

  2. 2.

    Themenbezogene Veränderungswünsche,

  3. 3.

    Ideen zur Förderung der Veränderungen:

    1. 3.1.

      Steuerung,

    2. 3.2.

      Vernetzung,

    3. 3.3.

      finanzielle Förderung,

    4. 3.4.

      soziale Unterstützung.

  4. 4.

    Konkrete Angebote zur Förderung von Veränderungen.

  5. 5.

    Voraussetzungen und Barrieren:

    1. 5.1.

      soziale Faktoren,

    2. 5.2.

      Öffentlichkeit/Information,

    3. 5.3.

      individuelle Faktoren,

    4. 5.4.

      Finanzierung,

    5. 5.5.

      (physische) Umweltfaktoren.

  6. 6.

    Weitere Themen und Wünsche.

Zudem gab es nach Kodierung der Interviews einen Abgleich mit den Tonbändern aus Phase 2, den Gruppendiskussionen der SIM. In einem weiteren Schritt analysierten die Thementischverantwortlichen die jeweiligen Transkripte, den gemeinsam erarbeiteten „Kodierbaum“, die Antworten auf die Fragen aus dem DEPICT-Modell (s. Anhang Tab. 3, 4 und 5) und das 1:1-Gespräch mit den Bewohnerinnen. Sowohl die Kodierungen als auch die Analysen wurden von den Studierenden in einem Vier-Augen-Prinzip, als Form der Qualitätssicherung gegengelesen und ergänzt. Die Ergebnisse wurden in einem Bericht zusammengefasst und den Praxispartnerinnen zur Verfügung gestellt. Die Analysen sowie die gesammelten, vereinheitlichten Kodiertabellen waren die Grundlage für die erste Dialogrunde (DEPICT Schritt 6), die im Fallstudienort in einem eigenen Workshop von der Praxisforschungsstelle durchgeführt wurde. Auch hier wurde in der Auswertung mit dem partizipativen DEPICT-Verfahren (DEPICT Schritt 6; s. Anhang Tab. 5) gearbeitet. Die protokollarisch festgehaltene Auswertung der Dialogrunde I beinhaltet mögliche Projekte und Handlungsoptionen, die auf Basis der Bedarfsermittlung durch die SIM-Erhebung abgleitet wurden.

Am 21. September 2021 fand unter Moderation der Praxisforschungsstelle die zweite Dialogrunde (DEPICT Schritt 7) statt. Teilnehmende waren die Amtsdirektorin Oder-Vorland, die Verantwortliche für Gesundheitsförderung im Sozialamt, Controlling und Sozialplanung des Landkreises, eine weitere Praxispartnerin aus Heinersdorf sowie 2 Studierende und die Projektleitungen der ASH. Eingebracht wurden die Ideen aus der Dialogrunde 1 zum Themenkomplex Wohnen.

Ergebnisse der SIM

Die Ergebnisse der SIM konnten durch das genannte Auswertungsverfahren in unterschiedlich detaillierten Darstellungen für die Praxispartnerinnen festgehalten werden. Die übergreifenden Ergebnisse wurden in einem Folienbericht zusammengefasst, während die detaillierten Ergebnisse in Form von Tabellen der Praxisforschungsstelle zur Verfügung gestellt wurden. Es konnten bei allen vier Themen zentrale Aussagen herausgearbeitet werden, die sich in die Hauptkategorien einordnen lassen. Im Folgenden Abschnitt wird deutlich, welche Aspekte jeweils deutlich hervorgetreten sind und wo auch themenübergreifend Handlungsbedarf erkannt wurde.

Beteiligung

Insgesamt bestätigen die Teilnehmenden, dass es in Heinersdorf viele Mitwirkungsmöglichkeiten und eine hohe Beteiligung gibt. Es herrscht Motivation, sich für den eigenen Lebensraum zu engagieren. Die Beteiligung sei jedoch u. a. abhängig von der eigenen Gesundheit sowie der Mobilität. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass besonders der Bereich Gesundheit und Mobilität zu den wichtigen Oberthemen gehören, die die Basis für gute Beteiligung und eine gute Lebensqualität im Ort bilden.

Dennoch scheint es auch hier offene Wünsche zu geben: Beteiligung solle mehr in der Breite stattfinden und nicht, wie in der Vergangenheit, von denselben engagierten Personen ausgehen. Beteiligung und Engagement sollten sich nicht nur auf das Ehrenamt beschränken, sondern auch im Hauptamt ihren Platz finden. Außerdem solle allgemein das Gemeinschaftsgefühl gestärkt werden sowie der gemeinschaftliche Nutzen einzelner Angebote und des Engagements. Zudem kam der Wunsch nach einem Mehrgenerationenzentrum auf sowie die Verbesserung des Informationsflusses.

Dorfgemeinschaft

Auch bei dem Thema Dorfgemeinschaft wurde die allgemein hohe Anzahl gemeinschaftlicher Aktionen und des Gemeinschaftsgefühls positiv bewertet. Die Wünsche beinhalteten auch hier einen höheren Fokus auf Generationen übergreifende Angebote, der Förderung von Kommunikation, beispielsweise über eine Dorf-App oder eine offiziell ernannte Ansprechperson sowie Nachbarschaftshilfe, Fürsorge und Hilfsbereitschaft im Allgemeinen, aber insbesondere bezüglich der Mobilität. Hier wurden Ideen, wie Fahrgemeinschaften, Mitfahrbänke oder ein Fahrdienst geäußert.

Mobilität

Die Mobilität in Heinersdorf sei dann gut, wenn ein eigener PKW zu Verfügung stehe und die entsprechenden gesundheitlichen Voraussetzungen dafür gegeben seien. Ohne eine Fahrerlaubnis oder im hohen Alter seien die Perspektiven einer guten Mobilität mangelhaft. Besonders stellte sich heraus, dass es eine barrierefreie Mobilität brauche. Dazu zählen gute und sichere Straßenübergänge, Fuß- und Radwege oder auch Bänke zum Ausruhen. Daneben müsse der ÖPNV umstrukturiert werden. Die Bus- und Zugverbindungen sind sehr zeitaufwendig und kostspielig und keine gute Alternative zum eigenen Auto. Zum einen müsste der ÖPNV ausgebaut und die Kosten dafür gesenkt werden. Auf der anderen Seite gab es Überlegungen, ein alternatives Mobilitätskonzept zu erstellen, das auf den ländlichen Raum oder sogar auf Heinersdorf direkt zugeschnitten ist und den Bedarf auffängt. Wie dieses genau aussehen könnte, ist bereits in einem von der Ortsvorsteherin erstelltem Mobilitätskonzept ausgearbeitet worden. Wenn entsprechende Alternativen zu Bussen wie Fahrgemeinschaften oder Ähnliches ins Leben gerufen werden, brauche es auch eine Koordinations- und Anlaufstelle zur Organisation, ähnlich wie beim Thema Dorfgemeinschaft.

Wohnen

Vergleichsweise zufrieden zeigen sich die Teilnehmenden in Heinersdorf mit der Infrastruktur beim Thema Wohnen. Hier werden sich eher auf die Lebensphase Alter zugeschnittene Wohnformen gewünscht, wie barrierefreies Wohnen, Mehrgenerationenhäuser, Senior:innen-WGs bzw. altersgerechte Wohnangebote. Daneben müsse sich aber die Toleranz für alternative Wohnformen und die gegenseitige Unterstützung steigern. Barrierefreies Wohnen überschneidet sich auch mit barrierefreier Mobilität, beispielsweise im Hinblick auf die Gehwege und die Erreichbarkeit der Häuser, des Dorfs i. Allg.

Querschnittthemen

Wie bereits deutlich wurde gibt es einige Themen, die ineinandergreifen und themenübergreifend auftauchen. Dazu gehören die Barrierefreiheit, die Stärkung der intergenerationalen Beziehungen, verbesserte Kommunikation, Informationsaustausch und Transparenz. Hier eine scharfe Trennlinie zu ziehen, scheint weder möglich noch notwendig. Darüber hinaus wurde überall der Wunsch nach einem wertschätzenden Miteinander und einem guten Gemeinschaftsgefühl deutlich.

Dialogrunde I

Die Ergebnisse der SIM-Erhebung wurden durch die Heinersdorfer Kooperationspartnerinnen diskutiert und zu einem gewichteten Handlungsplan weiterentwickelt. Die Umsetzung müsse schrittweise, mit Rücksicht auf die Ressourcen in Heinersdorf, stattfinden.

Zunächst sollten Fördergelder für barrierefreie Fußwege ermittelt und beantragt werden, wobei auch das Heinersdorfer Mobilitätskonzept eine Rolle spielen sollte. „Seniorenwohnen“ sollte durch öffentliche Gelder gefördert und ein Hauptamt für die Koordination von Beteiligung und Förderung von Kommunikationsprozessen geschaffen werden. Dazu könnten Kommunikationsplattformen (soziale Medien/Dorf-App/schwarzes Brett) (re)etabliert werden. Generationenübergreifende Projekte bezüglich Wohnen, Kommunikation und Zusammenleben sowie das Gemeinschaftsgefühl sollen gefördert werden. Dazu ist geplant das Amt Oder-Vorland (OV) und den Landkreis (LOS) als Kooperationspartner einzubeziehen.

In dieser Dialogrunde ergaben sich Fragen:

  • Gibt es Fördermöglichkeiten über das Amt OV oder LOS?

  • Gibt es mit diesen beiden Akteur:innen eine Möglichkeit der Zusammenarbeit?

  • Wie können Projekte über ehrenamtliches Engagement hinaus ins Leben gerufen werden?

Dialogrunde II

Bei der Dialogrunde II ging es im Gespräch mit dem Amt OV und einer Vertreterin des Landkreises um die Fördermittelakquise über gesetzliche Krankenkassen, vorausgesetzt es werden Gesundheitsaspekte herausgearbeitet. Zudem solle eine Sozialraumanalyse über den LOS durchgeführt werden und die erstellten Konzepte nicht nur auf Dorf‑, sondern auch auf und Gemeindeebene ausgelegt werden. Heinersdorf könnte als Modellort für Projekte, wie „Gemeindeschwester“ oder barrierefreies Wohnen ausgewiesen werden. Der Fokus lag besonders auf dem Thema Wohnen und die Förderung von Nachbarschaftshilfe. Dafür konnten erste Verantwortlichkeiten und Fördermöglichkeiten benannt werden.

Fazit

Die Vielzahl der Fragebögen sowie die reichhaltige Ergebnisdokumentation zeigen, dass die Durchführung der SIM produktiv und ergebnisreich war. Gleichwohl haben sich Herausforderungen in der Planung, Durchführung und Analyse gezeigt.

Methodische Schlussfolgerungen

Die Wissenschaft-Praxis-Partnerschaft hat zu konkreten Ergebnissen, sowohl für die Forschung, als auch für die Praxis geführt. Zum einen konnte die SIM im Zusammenhang mit dem Gemeindekapazitätskonzept erprobt werden und bot Studierenden ein wissenschaftliches Lernfeld. Zum anderen entstanden Ergebnisse, die in Heinersdorf zu weiteren Handlungsschritten führte und langfristige Kooperationen ins Leben rief. Mit IFAF explorativ wurden dadurch nach „Dorf explorativ“ weitere Projekte zur Förderung von Wissenschaft und Praxis etabliert. Sie ermöglichte also eine erfolgreiche und produktive Zusammenarbeit mit der Praxisforschungsstelle und reges Engagement aller Beteiligten. Forschendes Lernen stellte sich besonders für Studierende als lehrreiche Methode heraus. Dennoch muss hier beachtet werden, dass sehr viel Zeit und Ressourcen dafür benötigt werden. Die Honorarmittel waren hierbei essentiell. Mit entsprechenden Ressourcen scheint die SIM insgesamt als partizipative Methode für die Ermittlung des Bedarfs eines Dorfs bezüglich bestimmter Themen geeignet.

Inhaltliche Schlussfolgerungen

Es wurden Themenkomplexe ermittelt, die sowohl auf theoretischer Grundlage der Gemeindekapazität als auch auf ortsspezifischen Bedürfnissen basieren. Zu allen vier ermittelten Themen konnten in einem partizipativen Prozess Ergebnisse erhoben werden, die eine legitime Grundlage für weitere Handlungsschritte bilden. Die nachträgliche Betrachtung mit den drei Ebenen der Gemeindekapazität führen zu interessanten Schlussfolgerungen: Insbesondere die Gruppendiskussionen und die Dialogrunden haben deutlich gemacht, wie wichtig Ebene zwei (Infrastrukturen der Gesundheitsförderung) und drei (Kooperation bezüglich Gesundheitsförderung) in der kommunalen Gesundheitsförderung sind. Es wurde deutlich, dass Infrastrukturen essenziell sind, um in einer ländlichen Gemeinde „gut alt werden“ zu können. Ebenso sprechen die Ergebnisse des Themas „Beteiligung“ für die Relevanz von Ebene drei: ein guter Zusammenhalt und partnerschaftliche Kooperationen zum Thema Gesundheit (vgl. Smith et al. 2006 in: [6]). Zum einen braucht es gute Strukturen, damit Beteiligung stattfinden kann. Zum anderen fördert Beteiligung ein gutes Zusammenleben. Dies wird sehr deutlich durch die beteiligte Bewohnerschaft benannt.

Die Bedarfsermittlung prioritärer Themen für Folgeprojekte anhand einer SIM-Erhebung war zielführend. Die Kombination mit dem Gemeindekapazitätskonzept erwies sich ebenfalls als produktiv, müsste zur gemeinsamen Verwendung als theoretischer Rahmen stärker für die Praxis aufbereitet werden. Daneben hatte die Erhebung auch gemeinschaftsfördernde Effekte. Die zukünftige Umsetzung bedarf nun vielfältiger weiterer Partnerschaften, engagierter Personen und zusätzlicher Investitionen. Hier haben sich Wissenschaft-Praxis-Partnerschaften als gutes Bindeglied für die Vorortakteur:innen erwiesen.

Ausblick

Auch nach der Wissenschaft-Praxis-Partnerschaft läuft die lokale Umsetzung unter der Leitung der Praxispartnerinnen sowie anderen Entscheidungsträger:innen und Bewohner:innen fort. Die Dokumentation des Forschungsprozesses konnte durch Studierende der ASH getätigt werden und hilft der weiteren Umsetzung.

Die Kooperation der Praxisforschungsstelle und der Hochschule konnte inzwischen mit Hilfe einer 2‑jährigen Projektförderung aus IFAF-Mitteln fortgesetzt werden. Kolleg:innen der ASH aus der sozialen Kulturarbeit setzen an den Ergebnissen zum Thema Beteiligung und Dorfgemeinschaft mit ihrem Projekt „Bühne frei für gutes Älterwerden in Stadt und Land“Footnote 3 an. Die Praxisforschungsstelle erhält dadurch eine weitere Stärkung. Zudem gibt es eine Zusage für das T!Raum-Projekt „Alterperimentale“, das in Kooperation mit der BTU Cottbus und der HSZG etabliert wurde. Beim Thema Nachbarschaftshilfe gab es von der Diakonie Deutschland und nebenan.de einen Wettbewerb „Dörfer mit Zukunft“, bei dem Heinersdorf als eins von 10 Dörfern deutschlandweit ausgewählt wurde. Sie bekommen hier eine Unterstützung von 10.000 €, um die Nachbarschaftsplattform nebenan.de in der Gemeinde Steinhöfel zu etablieren. Damit kann der in der SIM-Erhebung themenübergreifend genannte Wunsch nach verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten umgesetzt werden.

Fazit für die Praxis

  • Die SIM-Erhebung (Structured-interview-Matrix) war nach Einschätzung der lokalen Praxisforschungsstelle unterstützend für die Heinersdorfer Zivilgesellschaft. Die lebendige Workshopatmosphäre, die intensive Mitarbeit der Teilnehmenden und das durchweg positive Feedback beteiligter Dorfbewohner:innen zeigten die aktivierende Wirkung dieser Methode. Wichtige Entwicklungsbedarfe wurden direkt von den im Ort lebenden Menschen herausgearbeitet, nicht etwa von externen Sozialwissenschaftler:innen. Die Beteiligten berichteten von einer Stärkung des Selbstbewusstseins und einem Gefühl der Selbstwirksamkeit, insbesondere bei Themen, bei denen erste Umsetzungsschritte wie dargestellt erfolgten.

  • Deshalb ist die SIM-Methode in den Werkzeugkasten der Heinersdorfer Praxisforschungsstelle aufgenommen worden. Für den Einsatz dieser relativ aufwendigen Methode ist jedoch die Kooperation mit einer Hochschule erforderlich. Dies stärkt den Ansatz der Praxisforschungsstelle als Scharnier zwischen Forschung und Praxis und die Kollaboration beider Seiten auf Augenhöhe das Grundprinzip der Arbeit.