Hintergrund

Wie auch vor anderen diagnostischen Maßnahmen müssen Teilnehmerinnen an Screeninguntersuchungen zu Nutzen und Risiken der Maßnahme aufgeklärt werden, um ihnen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen [1]. Evidenzbasierte Informationen erhalten Frauen z. B. über die Informationsbroschüre, die ihnen mit der Einladung zum Screening zugeschickt wird, oder über Internet-Entscheidungstools, die geeignet scheinen, eine informierte Entscheidung zu ermöglichen.

Ziel des Mammographiescreenings ist die Senkung der Sterblichkeit an Brustkrebs in der Bevölkerung. Um messbare Erfolge zu erzielen, müsste die Teilnahmequote für das Screening bei 75 % liegen. In Deutschland nehmen derzeit ca. 49 % der eingeladenen Frauen teil [2]. Ob Mammographiescreening überhaupt zu einer messbaren Senkung der Sterblichkeit an Brustkrebs führt, wird kritisch diskutiert [3, 4]. Ein individueller Nutzen des Screenings lässt sich für die einzelne Teilnehmerin kaum nachweisen; eher setzt sie sich durch ihre Teilnahme erhöhten Risiken wie falsch-positiven Ergebnissen und damit verbundener unnötiger Beunruhigung oder sogar Interventionen aus [5].

In einer Fragebogenstudie, die 2013 zum Einfluss von Informationsbroschüren zur Teilnahmebereitschaft am Screening bei 346 Frauen kurz vor der ersten Einladung zum Screening durchgeführt wurde, gaben 80 % der Frauen an, am Screening teilnehmen zu wollen, wenn sie eingeladen würden [6, 7]. Die Broschüren und deren Informationsgehalt hatten dabei keinen Einfluss auf die Teilnahmebereitschaft, stattdessen wurden als Einflussfaktoren häufig die Empfehlung der Ärztin/des Arztes (48,2 % der Nennungen) und Erfahrung mit Brustkrebs im persönlichen Umfeld (26,5 % der Nennungen) genannt [6, 7].

Informationen, wie sie in der Aufklärungsbroschüre zum Mammographiescreening gegeben werden, scheinen für die Entscheidung von Frauen für oder gegen die Teilnahme am Screening nicht relevant zu sein. In anderen Studien konnte gezeigt werden, dass evidenzbasierte Information zwar zu mehr Wissen über die jeweilige Screeningmethode führt, aber kaum Auswirkung auf die Teilnahmeentscheidung hat [8]. Um Frauen eine informierte Entscheidung zu ermöglichen, bei der neben dem Wissen zur spezifischen Screeningmaßnahme auch die Patientenpräferenzen maßgeblich sind [9], kann reine Wissensvermittlung nicht ausreichen, da individuelle Einstellungen für die Bewertung der Präferenzen ausschlaggebend zu sein scheinen [10].

Die theoretische Grundlage hierfür ist eine Kaskade gut beschriebener psychologischer Prinzipien: In einem dreiteiligen Modell [12] setzen sich Einstellungen aus folgenden Elementen zusammen: Kognitiv (Überzeugungen, Bewertungen), affektiv (Gefühle) und konativ (verhaltensbasiert). Insbesondere in Bezug auf Gesundheitsverhalten zählen zu den motivationalen Faktoren zudem die Selbstwirksamkeitserwartung, die Risikowahrnehmung und die Handlungsergebniserwartung [13]. Einstellungen werden über persönliche Erfahrungen und Interaktionen mit Bezugspersonen, über Konditionierung, Modelllernen, soziale Normen und Persuasion gebildet, geformt und verändert. Es ist eindeutig belegt, dass sich die genannten Parameter auf das beobachtbare Verhalten auswirken [14], eine Tatsache, die mehreren Theorien zur Erklärung oder Veränderung von Verhalten zugrunde liegt [15].

Die hier vorgelegte Analyse einer qualitativen Untersuchung ermöglicht einen tieferen Einblick in persönliche Entscheidungsprozesse bezüglich der Teilnahme am Mammographiescreening mit dem Ziel der Identifikation motivationaler Faktoren.

Material und Methoden

Fragestellung

Was bewegt Frauen zu einer Teilnahme oder Ablehnung des Mammographiescreenings? Was sind ihre individuellen Motive und Haltungen? Was bestärkt, was verunsichert sie?

Design

Die vorgelegte Studie ist Teil einer Mixed-methods-Studie und im Sinne des qualitativ vertiefenden, sequenziell explanatorischen Designs angelegt [16, 17]. Der quantitative Teil – die Fragebogenstudie zum Einfluss unterschiedlicher Informationsbroschüren auf die Teilnahmebereitschaft – wurde 2015 publiziert [5, 6].

Stichprobe

Im Rahmen unserer Fragebogenstudie [6] gaben 95 der 346 Frauen ihr Einverständnis zu einem persönlichen Interview. Aus der Gruppe dieser Frauen wurde mit dem Ziel der Kontrastierung eine Stichprobe gebildet, die hinsichtlich der Kriterien Teilnahmebereitschaft am Mammographiescreening, Bildung und Entscheidungssicherheit deutliche Unterschiede aufwiesen [7]. Der Zeitpunkt der qualitativen Interviews lag bei allen Frauen noch vor der ersten offiziellen Einladung zum Screening; die Frauen waren im Alter von 49 bis 50 Jahren.

Ablauf der Interviews

Die leitfadengestützten Interviews wurden in Anlehnung an problemzentrierte Interviews nach Witzel durchgeführt [18]. Die Kombination offener, erzählgenerierender Fragen mit gezielten Nachfragen ermöglicht die Annäherung an subjektiven Verhaltensintentionen und Erfahrungen, die eine Teilnahme am Mammographiescreening beeinflussen.

Für die Interviews wurde vom Forschungsteam ein Leitfaden entwickelt, beginnend mit einer erzählgenerierenden Frage zum individuellen Entscheidungsprozess für oder gegen die Teilnahme am Screening. Die Interviewerin (DL, Psychologin) wurde in der Anwendung des Leitfadens in einer 1,5-stündigen Sitzung von drei Mitgliedern der Studienleitung geschult (EG, VL, AF). Nach dem dritten Interview wurde eine erneute Schulung durchgeführt.

Zwischen April und Oktober 2014 wurden insgesamt 8 Frauen interviewt. Die Interviews fanden im häuslichen Umfeld der Frauen statt und dauerten im Mittel 33 (17–48) min. Die digitalen Audioaufzeichnung der Interviews wurden wörtlich transkribiert (Tab. 1).

Tab. 1 Teilnehmerinnen der Interviews

Auswertung

Für die inhaltsanalytische Auswertung wurden induktive und deduktive Verfahren zur Kategorienbildung kombiniert [19, 20]. Hierzu wurden zunächst mithilfe des offenen Kodierens am Textmaterial (induktiv) in einer multiprofessionellen Auswertungsgruppe (Psychologie, Public Health, Soziologie, Medizin) in mehreren Sitzungen an Auszügen aus dem Datenmaterial Kernthemen ermittelt. Die Auswertungsgruppe wurde geleitet und dokumentiert von EG. Die induktiv gebildeten Kategorien wurden dann an weiterem Textmaterial überprüft und entsprechend erweitert. Anschließend wurde das bestehende Kategoriensystem unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes ergänzt (deduktiv).

Insgesamt konnten auf diesem Wege sechs übergreifende Hauptkategorien ermittelt werden. Die Kategorien wurden dann auf das gesamte Material angewendet. Die Datenverarbeitung und -analyse erfolgte computergestützt (MAXQDA). Ergebnisse der Analyse wurden im multiprofessionellen Forschungsteam (Allgemeinmedizin, Psychologie) sowie im Konsortium über den gesamten Prozess diskutiert und Interpretationsprozesse reflektiert (Tab. 2).

Tab. 2 Übergeordnete Kategorien

Ergebnisse

Alle befragten Frauen hatten zum Zeitpunkt der qualitativen Interviews bereits einmal eine Mammographie erhalten: Sechs von ihnen wurden offenbar noch vor Erreichen des für das Mammographiescreening empfohlenen Alters von ihren Gynäkologen/Gynäkologinnen zu einer Mammographie als Früherkennungsuntersuchung überwiesen (Tab. 3).

Tab. 3 Detailangaben zum Kodieren der Interviews

Pflichtgefühl und Autonomie

Die teilnehmenden Frauen äußerten, sie fühlten sich moralisch verpflichtet, am Screening teilzunehmen, auch ihren Familien gegenüber, und erlebten sich dadurch in der Entscheidung zur Teilnahme am Screening beeinflusst.

„Verantwortung, find ich, meiner Familie gegenüber. Meinem – Lebenspartner ja auch, (I: mhm) ne? Der sicherlich ja auch dann mit betroffen ist, wenns mal zu ner Erkrankung kommt. –“ (Int. 3)

„ich hab ja ne Familie, ich hab ja – (…) ne Lobby hier, die mich haben wollen, die mich lieben und dich ich auch liebe, ne? Und deshalb macht man denn so was.“ (Int. 7)

Die Möglichkeit, Brustkrebs zu bekommen, wurde als persönliche, unmittelbare Bedrohung empfunden, die schicksalhaft jede treffen kann.

„Und wenn’s dann doch irgendwie kommt, ja, aber da kann ich mir dann wenigstens nichts vorwerfen, ne? Weil mehr kann ich ja nicht tun, find ich, also als da jetzt dann hinzugehen.“ (Int. 6)

Sie äußerten die Sorge, dass eine Nicht-Teilnahme am Screening negative Konsequenzen haben könnte und es dann zu spät für die Behandlung einer möglichen Brustkrebserkrankung sein könnte. Die Teilnahme am Screening gäbe ihnen das Gefühl, alles getan zu haben, um der gefühlten Bedrohung zu entgehen.

„Aber so ich sag mal, ich hab da ein gutes, ruhiges Gewissen, ich hab im Vorfeld mein Bestmögliches dafür getan ähm und von daher hab ich ein gutes Gefühl.“ (Int. 4)

Die Entstehung von Brustkrebs wurde von den Befragten als Schicksal wahrgenommen, das jede Frau treffen kann, jedoch durch riskantes Verhalten (wie Rauchen und ungesunde Ernährung) selbst verursacht werden kann. Für sie war das Schicksalhafte schlecht auszuhalten, könnte jedoch durch die Teilnahme am Screening (und an anderen Vorsorgeuntersuchungen) umgangen werden. In diesem Kontext wurde eine Krebserkrankung als selbstverschuldet und durch eine Mammographie vermeidbar gesehen

„Ja, auch ne Sicherheit natürlich (I: mhm) äh für mich selber. Für mein äh – Leben sozusagen. Ne, ne gewisse Verantwortung, die ich ja auch habe. (räuspert sich) Dass ich da weiß, ich, ich ähm tue zumindest alles, um ein wenig äh ja, – äh äh ja, nicht, nicht nur (leicht lachend) gesund zu (+) mich gesund zu halten, sondern auch äh gewisse Risiken eben äh – schon mal im Vorfeld abzuklären. (I: mhm) –“ (Int. 3)

Die Frauen empfanden eine persönliche, unmittelbare Bedrohung durch Brustkrebs, die ihnen Angst machte, besonders wenn sie andere Frauen kannten, die Brustkrebs hatten. Erfahrungen mit Brustkrebs im persönlichen Umfeld waren für ihre Entscheidung mit bestimmend. Eine familiäre Belastung mit Brustkrebs wurde als zusätzliche Bürde verstanden, die man ein Leben lang mit sich herumträgt.

„Da hatte (I: mhm) mein äh Gynäkologe mir das schon – praktisch immer alle zwei Jahre vorgesehen für mich. – Das war halt dann schon Au- ne Ausnahme eben wegen der familiären Belastung. Ne?“ (Int. 6)

„Ja, also vorher geht es mir schon nicht gut, weil ich immer äh doch ein bisschen Angst habe, (I: mhm) weil eben meine Mutter Brustkrebs hat, äh von meiner Mutter die Cousine (I: mhm) und von meiner Mutters Cousine die Tochter hat auch Brustkrebs“ (Int. 6)

In den Augen einiger Teilnehmerinnen konnte die Teilnahme am Screening die Krebsdiagnose verhindern; mit der Teilnahme glauben sie, „alles getan zu haben“ und Sicherheit zu gewinnen.

„Ich würd wahrscheinlich die Augen zu machen und da durch gehen, sollte es so sein, dass ich irgendwann mal ne Krebsdiagnose hätte – aber äh wenn ich das verhindern kann, dann versuch ich das schon – ne?“ (Int. 7)

Die Teilnahme am Screening war aber für die befragten Frauen auch Ausdruck von Selbstwirksamkeit, wodurch sie ihre Autonomie unter Beweis stellen und die Kontrolle behalten könnten.

„So, nur auf der andern Seite, ich hab ja für mich entschieden, dass ich diese Vorsorgetermine wahrnehme (I: mhm) und das mach ich unabhängig von irgendwelchen ähm Artikeln in der Presse oder in sonstigen Medien, (I: mhm) ich hab für mich entschieden, ich möchte das machen, ich habe das gemacht und bin für mich so weit beruhigt und sag, okay, bei mir ist alles in Ordnung unabhängig davon, was grade diskutiert wird ähm oder aktuell in der Presse erscheint.“ (Int. 5)

Zweifel und Unsicherheit

Alle teilnehmenden Frauen – auch die, die bei der quantitativen Befragung eine hohe Entscheidungssicherheit angegeben hatten – äußerten im qualitativen Interview Unsicherheiten in Bezug auf die getroffene Entscheidung zur Teilnahme am Screening. So waren sie sich zum Teil bewusst, dass auch das Screening keine Sicherheit vor einer Brustkrebsdiagnose bietet.

„Es ist ja auch oft so gewesen, dass ne Untersuchung Mammographie durchgeführt wurde und trotzdem hat man ein halbes Jahr später Brustkrebs, ne? (…) Es ist unterstützend und hilfreich, aber nicht ausschlaggebend. So.“ (Int. 8)

Die Entscheidungsfindung war in diesem Fall von einem fortlaufenden Konflikt geprägt zwischen dem eigenen Absicherungsbedürfnis und der Erkenntnis, dass das Screening nur eine vermeintliche Sicherheit und begrenzten Nutzen für die eigene Gesundheit gewährleistet.

„Man kann (I:mhm) das nicht, man kann, man kann darüber keine Sicherheit gewinnen. Das ist eine Illusion. (I: mhm) – eine die dann eben vielleicht, ja, für, für nen kurzen Zeitraum tragen kann. Aber dann weiß ich doch wieder gar nichts. (I: mhm) und außerdem denk ich dann halt auch ähm, gut, dann weiß ich, dass ich das nicht habe. Was heißt das über die 144.000 anderen Krankheiten, die ich kriegen kann? – Also (I: ja) also äh – alles was ich über das Leben weiß oder gelernt habe, das bisschen ist, dass ich nichts weiß. Und dass ich nichts kontrollieren kann. (I: mhm) und dass wir alle sterben. Aber ob jetzt in der nächsten Stunde oder in 50 Jahren oder – keine Ahnung.“ (Int. 1)

Die Einladung zum Screening erinnerte die Frauen an die Möglichkeit, sie könnten die Diagnose Krebs bekommen und schürte damit Angst vor der Erkrankung und vor dem, was dann auf sie zukommen könnte.

„Was das dann so nach sich zieht, ob ich dann noch ähm weiß ich nicht, kann ich dann weiter noch arbeiten gehen und solche ganzen Sachen, dass da – dass das natürlich schon so das ganze Leben dann verändert.“ (Int. 3)

Information sollte einen ansprechen und sei wirksamer, wenn sie einen auf der emotionalen Ebene berühre. Die Teilnehmenden informierten sich im direkten Umfeld bei Freundinnen und Familie.

„… und dann ist das auch wieder Thema so mit ner Freundin vielleicht oder mal ner Schwester. Also das äh dann schon. Dass man dann darüber spricht und auch sich gegenseitig fragt, wie gehst du regelmäßig …“ (Int. 3)

Der Austausch auf der Peer-Ebene schaffe Vertrauen, man kann die Verantwortung für die Entscheidung teilen und so Sicherheit gewinnen.

„Also ich habe zum Beispiel keine Angst an Brustkrebs zu erkranken (I: Mhm, okay) so ich bin der Meinung, dass wenn man häufig genug zum Frauenarzt geht, (I: mhm) dass man das dann erkennt. Ähm – ja äh ich hab ja auch Freundinnen, (I: mhm) die gehen zur Mammographie, wir sind ja alle so in einem Alter (I: okay) und ja, dann äh mach- lasst man das einmal machen, um zu gucken, ob alles in Ordnung ist.“ (Int. 5)

Zu viel Aufklärung führte aus Sicht der Teilnehmenden dagegen zu Verunsicherung.

„Das ist ja das, was viele Kritiker anführen, dass die sagen, dann werden die Frauen verrückt gemacht“ (Int. 2)

Arzt/Ärztin und Institution

Die Einladung zum Screening wurde von den interviewten Frauen als staatliche Aufforderung wahrgenommen, die nicht oder kaum hinterfragt wurde. Sie bewerteten das Screening als ein Ritual, das zum Leben einer Frau ab einem bestimmten Alter dazugehört. Dies gilt sogar für die ärztliche Empfehlung, eine Mammographieuntersuchung vor der ersten offiziellen Einladung zu Screening durchführen zu lassen.

„So und dann bin ich 50 geworden und dann hat mir mittlerweile ein anderer Frauenarzt geraten, ne Mammographie zu machen“ (Int. 7)

Die Teilnehmerinnen schrieben Ärztinnen und Ärzten die Rolle zu, auf das Screening hinzuweisen und zur Teilnahme zu motivieren. Gerade die Frauen, bei denen Zweifel bestanden, legten die Entscheidung gern in professionelle Hände. Ärzten und Ärztinnen wurden als absolute Instanz wahrgenommen, deren Ratschlag befolgt wurde. Ihnen wurde im Kontext eine paternalistische Rolle zugewiesen; die Regeln, die sie aufstellten, schafften Vertrauen und Sicherheit.

„Aber im Grunde bin ich froh, dass ich meine Meinung dann geändert habe, ne? Weil ich meine, klar, es ist immer leicht ne große Fresse zu haben und zu sagen, ah, da geh ich nie wieder hin (…), ja? Aber wenn man da mal wieder so’n bisschen sensibilisiert wird, wie der Frauenarzt mich sensibilisiert hat, dann ist das immer gut, wenn man denn seine Meinung doch mal revidiert, ne?“ (Int. 7)

Das Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte war jedoch nicht unerschütterlich. Sie könnten sich irren oder etwas übersehen.

„Weil der Arzt, ich sag mal, hat ja auch nur ne gewisse, ja, wie soll ich das sagen? Ähm Aufnahme, weil ich weiß das ja von mir selber im Büro, irgendwann sag ich auch, mir ist das alles zu viel, ich muss mal nen Moment ähm Pause machen.“ (Int. 6)

Radiologen wurden eher als anonyme Instanz und Vertretung der technischen Medizin gesehen als Hausärzte/Hausärztinnen oder Gynäkologen/Gynäkologinnen, zu denen häufig langjährige Beziehungen bestehen. In diesem Zusammenhang wurden eher emotionale Aspekte wie Vertrauen oder Anerkennung emotionaler Belastungen in den Interviews thematisiert.

„Ich weiß ja auch nicht, was er grad vor mir für’n Patienten zum Beispiel (I: mhm) hatte. Ob der äh dem mitteilen musste, dass er jetzt Brustkrebs hat äh oder überhaupt Krebs und dass der Patient dann völlig aufgelöst war und ich könnt mir vorstellen, dass das son Arzt ja dann auch beschäftigt. (I: mhm) – Und dann muss er direkt wieder zum nächsten Patienten. Ich weiß ja nicht, wie die Ärzte damit dann umgehen. (I: mhm) Also da mach ich mir auch schon manchmal Gedanken. –“ (Int. 6)

Alle interviewten Frauen waren bereits im Vorfeld von ihren Ärzten zu einer Mammographieuntersuchung geschickt worden. Diese wurde oft als sehr schmerzhaft, sogar traumatisierend empfunden. Einige der Frauen fühlten sich bei der Untersuchung einer anonymen Maschinerie ausgeliefert, in der keine persönliche Betreuung erfolgte. Ausführende medizinisch-technische Radiologieassistenten/-innen (MTRA) wurden in diesem Kontext als Verkörperung eines unmenschlichen Systems wahrgenommen.

„… und die MTA, die war unfreundlich, die hat mir nichts erklärt, die hat mich vor diese Mammographie, vor dieses Gerät geschoben, hat meinen Busen langezogen, hat die Platte da drauf geknallt, hat mir Kommandos gegeben, hat ihre Fotos gemacht, hat das gleiche mit der andern Brust gemacht, dass ich Wochen Schmerzen in der Brust hatte.“ (Int. 7)

Diskussion

Wie in anderen Studien beschrieben [11, 21, 22], bestimmten auch bei den von uns interviewten Frauen die persönlichen Erfahrungen mit einer Mammographieuntersuchung ihre Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am Screening maßgeblich mit. Hierzu zählten Brustkrebs im (familiären) Umfeld, die eigene (schlechte) Erfahrung bei der Durchführung des Screenings und die direkte Empfehlung aus dem persönlichen Umfeld.

In unserer Studie konnten wir zeigen, dass die Entscheidung primär emotional getroffen wurde: Die Sorge, selbst betroffen zu sein, Angst und Verunsicherung bestimmten die Entscheidung. Die Teilnahme am Screening diente der Abmilderung der negativen Gefühle und Steigerung des persönlichen Sicherheitsempfindens [23], Fakten zum Screening und zu Nutzen-Risiko-Abwägungen, wie sie in der Informationsbroschüre genannt werden, spielten in den Interviews dagegen kaum eine Rolle. Wie auch in anderen Studien [8, 21, 24] wurde die grundsätzliche Erwartung, dass das Screening für die teilnehmende Frau persönlich etwas Nützliches ist, nicht durch das Wissen über die geringe absolute Risikoreduktion beeinträchtigt und auch nicht durch das Wissen, dass die Ergebnisse nicht immer sicher sind. Diese kognitive Dissonanz entsteht durch die Diskrepanz zwischen den eigenen Vorstellungen und wissenschaftlichen Informationen, die dann einfach ausblendet werden, um dem Dilemma durch den Widerspruch zwischen Informationsfakten und ihren eigenen Konzepten zu entgehen [25,26,27].

Ärzte und Ärztinnen sind die häufigste Informationsquelle für Frauen [27], und das ärztliche Gespräch ist die wichtigste Ressource, um Frauen zu einer informierten Entscheidung zu verhelfen [28]. Auch für die Frauen in unserer Studie hatte die Beratung durch Ärztinnen und Ärzte, zu denen oft eine lange vertrauensvolle Beziehung bestand, einen hohen Stellenwert und bot ihnen eine zusätzliche Entscheidungssicherheit. Zwar betonten sie ihre Selbständigkeit und ihre Entscheidungsfreiheit, erwarteten aber andererseits, von Ärzten und Ärztinnen von der Notwendigkeit der Teilnahme überzeugt zu werden. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass rein kognitive Komponenten verhaltensbezogener Einstellungen wie der Wissensgewinn durch Informationsbroschüren und die Darstellung von Studienergebnissen die tatsächliche Teilnahme am Screening nur bedingt beeinflussen. Bei der Teilnahme am Mammographiescreening scheinen eher affektive und verhaltensbasierte Faktoren Einfluss zu nehmen [11]. Insbesondere die Verantwortung der eigenen Gesundheit, aber v. a. der Familie gegenüber, die Angst vor einer schweren Erkrankung oder gar dem Tod führten selbst bei den interviewten Frauen, die vor der Einladung zum Screening über eine hohe Entscheidungssicherheit verfügten, zu einer Einstellungsänderung und Abweichung im selbsterwarteten Verhalten [10].

Seit 2017 erhalten Frauen mit der Einladung zum Screening eine Entscheidungshilfe, die nicht nur graphische Darstellungen von Nutzen und Risiken enthält, sondern auch ein Entscheidungstool. Hier können Frauen die Relevanz bewerten, die Fakten für ihre Entscheidung haben. Außerdem wird den Frauen ein Beratungsgespräch mit einer Ärztin/einem Arzt angeboten. Dieses Gespräch wird jedoch nur von sehr wenigen Frauen angenommen, und es besteht die Gefahr der Beeinflussung, wenn es von Ärzten und Ärztinnen geführt wird, die dem Screeningzentrum angeschlossen sind [3]. Als Basis für ein Aufklärungsgespräch gelten die verständliche Vermittlung von Fakten zu Nutzen und Risiken der Screeningmaßnahme und die Bewertung der Relevanz dieser Fakten für die Frauen. Unsere Untersuchungen bestätigen jedoch, dass Kandidatinnen für das Mammographiescreening ihre Entscheidung nicht in erster Linie auf der kognitiven Ebene treffen und dass sie Fakten ohne eine vorausgehende Bearbeitung ihrer diesbezüglich starken Emotionen nicht einordnen können [23, 24].

Ärzte und Ärztinnen sollten in der Lage sein, Frauen so zu beraten, dass sie ihre Entscheidung gemäß ihrer ganz persönlichen Einstellung treffen und ihre individuellen Ängste, Sorgen und Erfahrungen äußern können, die relevant für ihre Entscheidung sind [1]. Das ärztliche Beratungsgespräch sollte im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung geführt werden: Neben der Vermittlung von Fakten sollten die Ängste und Sorgen der Patientinnen als Basis für eine informierte Entscheidung berücksichtigt und die Frauen ergebnisoffen bei der individuellen Willensbildung unterstützt werden. Künftige Forschung sollte prüfen, ob spezifische Fortbildungen bewirken können, dass Ärzte und Ärztinnen Frauen dazu befähigen, die für sie richtige Entscheidung zu treffen.

Limitationen

Bei der Ausgangsstichprobe handelte es sich um Frauen, die hausärztlicherseits kontaktiert werden konnten. Die Interviewteilnehmerinnen hatten bereits an der Fragebogenstudie zur Teilnahmebereitschaft am Mammographiescreening teilgenommen und dem Interview zugestimmt, sie zeigten dadurch primär höheres Interesse an der Fragestellung. Dies bedeutet möglicherweise eine eingeschränkte Übertragbarkeit auf andere Personenkreise, auch wenn über die insgesamt 8 Fälle eine inhaltliche Sättigung erreicht werden konnte.