Hintergrund und Fragestellung

In den Lebensphasen Schwangerschaft, Säuglings- und Kleinkindalter werden entscheidende Weichen für die spätere Gesundheit gestellt [11]. Eine besondere Rolle spielen dabei die Ernährung der Mutter während der Schwangerschaft sowie die Stilldauer und -häufigkeit, die Qualität und Quantität der Beikost sowie die weitere Ernährung im Kleinkindalter. Bei Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status wird eine besonders ausgeprägte Abweichung von Ernährungsempfehlungen beobachtet, was sich beispielsweise an einer 2‑ bis 4‑mal erhöhten Wahrscheinlichkeit für Übergewicht oder Adipositas der Kinder und Jugendlichen zeigt [14]. Die Coronapandemie hat diese ernährungsbezogene Ungleichheit weiter verstärkt [12]. Versuche einer möglichst früh einsetzenden zielgruppenspezifischen Förderung eines gesunden Lebensstils finden sich in verschiedenen Umfängen auf individueller, institutioneller, kommunaler sowie Landes- und Bundesebene. Ihre Ergebnisse fallen jedoch heterogen aus und es ist überwiegend nicht klar, welche Faktoren ursächlich für ihr Gelingen oder Scheitern sind [5].

Unbestritten ist, dass Kommunikation eine wesentliche Rolle dabei spielt, Menschen zu einem Überdenken ihres Ernährungsverhaltens anzuregen. In der Praxis scheitert die Ernährungskommunikation allerdings oft [17, 24]. Einer von vielen Gründen hierfür könnte darin liegen, dass ernährungsbezogene Präventionsaktivitäten eher intuitiv als evidenzbasiert geplant sind und typischerweise ohne kommunikationswissenschaftliche Fundierung des Vorgehens und ohne entsprechende disziplinäre Expertise im Planungsteam stattfinden.

Ziel des hier beschriebenen Projekts war es daher, die existierenden Forschungsarbeiten zu Ernährungsinterventionen in den Lebensphasen Schwangerschaft und frühe Kindheit retrospektiv aus einem kommunikationswissenschaftlichen Blickwinkel zu analysieren. Im Zentrum stand folgende Forschungsfrage: Welche Kommunikationsstrategien erwiesen sich im Kontext der Ernährungskommunikation als erfolgreich und welche eher nicht? Die Zielgruppe bildeten dabei Schwangere, junge Familien und Kinder im Alter bis 36 Monate.

Zur Beantwortung wurden 2 Reviews des internationalen Forschungsstandes durchgeführt. Zum besseren Verständnis der Analyse und der Ergebnisse wird zunächst kurz die zugrunde liegende kommunikationswissenschaftliche Perspektive auf ernährungsbezogene Präventionsmaßnahmen skizziert.

Ernährungskommunikation aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht

Kommunikation ist mächtig, vielfältig und allgegenwärtig: Sie kann Aufmerksamkeit erzeugen, Informationen vermitteln, Emotionen wecken, Wissen hinterfragen, Änderungen von Sichtweisen und Verhalten anregen und einen Wandel von Regelungen und Umwelten initiieren. Kommunikation kann aber auch irritieren, verunsichern, verärgern und Widerstand hervorrufen. Nachfolgend werden einige Aspekte angesprochen, in denen die Sichtweisen kommunikationswissenschaftlich geschulter Expert*innen von denen anderer Personen abweichen können.

Grundlegender Charakter von Kommunikationsprozessen

Kommunikation lässt sich am besten als dynamischer Prozess auffassen, in dem zwei oder mehr Personen in einem wechselseitigen Austausch stehen und meist gleichzeitig als Sender*innen und Empfänger*innen agieren [8]. Die Botschaften werden nicht direkt gesendet, sondern in bestimmte Signale (z. B. Worte, Gesten) enkodiert und müssen vom Gegenüber richtig dekodiert werden, da anderenfalls Missverständnisse oder Konflikte vorprogrammiert sind. Neben verbalen Signalen existieren auch nonverbale (z. B. Mimik, Gestik), paraverbale (z. B. Stimmlage, Tonfall) und extraverbale Signale (z. B. Bekleidung, Ort).

Auf den Erfolg oder Misserfolg von Kommunikation haben viele Faktoren einen Einfluss, die komplex miteinander interagieren. Die hohe Anzahl an Einflussfaktoren erfordert einerseits einen differenzierten Blick auf viele Details der Kommunikation und eine Vielzahl kommunikativer Kompetenzen zur erfolgreichen Bewältigung, eröffnet andererseits aber auch diverse Ansatzpunkte für strategische Anpassungen und Optimierungen. Die Einflussfaktoren lassen sich fünf Oberkategorien zuordnen, die in Tab. 1 dargestellt sind.

Tab. 1 Beispiele für Einflussfaktoren auf den Erfolg von Kommunikationsprozessen

Es gibt in der Literatur unzählige Modellvorstellungen vom Prozess der Kommunikation [20]. Für die folgenden Analysen wird der Prozess, stark vereinfacht, wie folgt verstanden: Insofern Menschen der initiierten Kommunikation überhaupt Aufmerksamkeit schenken und diese Zuwendung ausreichend Interesse für eine mindestens rudimentäre Verarbeitung („Rezeption“) bewirkt, können Botschaften parallel Wissen vermitteln sowie Gedanken (z. B. Abwägungen des Risikos und der Bewältigungsmöglichkeiten) und Emotionen (z. B. Angst, Zuversicht) auslösen. Diese können wiederum bestimmte Verhaltensimpulse (z. B. Änderung des Gesundheitsverhaltens oder Abbruch der Kommunikation) bewirken. Alle diese Effekte lassen sich weiter differenzieren, etwa bezüglich ihrer Intention (intendiert vs. unbeabsichtigt), Richtung (funktional vs. dysfunktional), Wirkungsdauer (kurz-, mittel- oder langfristig), Latenz (unmittelbar vs. verzögert) oder Reichweite (Individuum vs. Gruppe vs. Gesellschaft; [23]).

Ziel- und Empfänger*innenorientierung

Kommunikation kann viele Ziele haben, die parallel vorliegen können [10]. Hierzu zählen beispielsweise:

  • Auf- und Ausbau einer positiven, vertrauensvollen Beziehung,

  • Auslösung und Aufrechterhaltung von Aufmerksamkeit,

  • Sensibilisierung für die Thematik,

  • Erhebung von Erfahrungen, Präferenzen, Barrieren,

  • Vermittlung von Wissen oder Kompetenzen, Ressourcenaktivierung,

  • Auslösen bestimmter Gedanken oder Gefühlszustände,

  • Änderung von Einstellungen, Werten oder Handlungsintentionen,

  • Auslösung oder Aufrechterhaltung tatsächlicher Verhaltensänderungen,

  • Vermeidung negativer Effekte einschließlich Abwehrreaktionen.

Nicht nur zur Erreichung der jeweiligen Ziele bedarf es eines spezifischen kommunikativen Zugangs, das gilt in noch stärkerem Maße für die Erreichung der jeweiligen Zielgruppe. Eine alte Marketingweisheit bringt das so auf den Punkt: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken – nicht dem Angler“ [6]. Informationen müssen sprachlich, formal und inhaltlich so aufbereitet und kommuniziert werden, dass sie für die Zielgruppe relevant, interessant, verständlich und motivierend sind. Ein solches Targeting oder Tailoring [22] erfordert in der Regel umfassende Kenntnis der Zielgruppen, etwa bezüglich des thematischen Vorwissens, ernährungsbezogener Werte und Traditionen, individueller Barrieren und Förderfaktoren, Informationsbedarfe und -präferenzen sowie sprachlicher Besonderheiten.

Das Erfordernis einer konsequenten Adressat*innenorientierung betrifft viele Aspekte, nur drei hiervon seien exemplarisch angesprochen: Dass eine geschlechts- bzw. gendersensible Kommunikation bei gesundheitsbezogenen Themen oft sinnvoll ist, bedarf vermutlich keiner ausführlichen Erläuterung [19]. Botschaften und Informationen können darüber hinaus eine kulturelle Adaption erfordern, also eine Anpassung an die kulturellen Werte und Präferenzen der Zielgruppe [13]. Das betrifft beispielsweise Farben, Symbole, Schriftarten, Sprache, Fallbeispiele, kulturbezogene statistische Häufigkeits- oder Wahrscheinlichkeitsangaben, aber auch Referenzen zu kulturellen Normen, Glaubenssätzen, Traditionen, Autoritäten oder Werten. Schlussendlich gehen viele Modelle des Gesundheitsverhaltens davon aus, dass Änderungen nicht auf einmal „von 0 auf 100“ erfolgen, sondern stattdessen spezifische Phasen von Verhaltensänderungen durchlaufen werden (z. B. Absichtslosigkeit, Absichtsbildung, Vorbereitung, Handlung und Aufrechterhaltung; z. B. [18]). Das bedeutet aber auch, dass die Ernährungskommunikation auf die jeweilige Phase zugeschnitten sein muss, um nicht irrelevant oder kontraproduktiv zu sein.

Variabilität der Ausgestaltung von Kommunikation

In der evidenzbasierten Gesundheitskommunikation werden diverse einflussreiche formale, sprachliche oder rhetorische Gestaltungstechniken („Botschaftsstrategien“) differenziert. Der entsprechende Forschungsstand ist sehr umfangreich [9, 21], weswegen hier nur ein sehr reduzierter Eindruck davon gegeben werden kann: Grundsätzlich lässt sich zwischen primär informativ-edukativen und primär überzeugenden („persuasiven“) Zugängen unterscheiden, wobei in der Praxis Mischformen verbreitet sind. Bezüglich der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung werden in der einschlägigen Literatur beispielsweise die Rolle diverser Framing- und Re-Framing-Strategien diskutiert, aber auch Appelle (z. B. emotionale, soziale oder normative Appelle), klassische persuasive Überzeugungstechniken (z. B. Reziprozität, Sympathie, Konsistenz usw., vgl. [4]), verschiedene Belege für Aussagen (z. B. statistische vs. Fallbeispiel Evidenz), Arten von Aufforderungen (direkte vs. indirekte) oder die konkrete Ausgestaltung risikobezogener Informationen (z. B. Schwere der Bedrohung, persönliche Vulnerabilität, Selbstwirksamkeits- und Ergebniserwartungen).

Hauptziel der vorliegenden Untersuchung war es, besser zu verstehen, welche dieser vielfältigen konkreten Gestaltungsoptionen sich im Kontext der Ernährungskommunikation bei werdenden und jungen Familien als vielversprechend gezeigt haben.

Negative Effekte

Besonders oft werden von Lai*innen im Bereich der Gesundheitskommunikation die vielen unerwünschten Effekte übersehen, die eine inadäquate Gesundheitskommunikation bewirken kann. In der Literatur finden sich umfangreiche Listen dieser Effekte auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene [15]. Das Spektrum reicht von Ängsten, ungerechtfertigten Sorgen, verschwendeten Ressourcen, unnötigen Behandlungen, Missverständnissen und Bumerangeffekten über Abwehrprozesse wie Verdrängung, Gegenargumentieren oder Aggressionen bis hin zu verschiedenen Formen öffentlicher oder struktureller Stigmatisierungen. Da das Wissen um diese unerwünschten Effekte und ihre Auslöser wichtig zur Planung und Bewertung von Präventionsprogrammen für werdende und junge Familien ist, wurden sie in unseren Analysen explizit berücksichtigt.

Zusammenfassung

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Kommunikation auf Basis der folgenden 4 Leitfragen ausgestaltet werden sollte:

  • Wie muss die Kommunikation angelegt sein, um eine ausreichende Aufmerksamkeit durch die Zielgruppe sowie Adressat*innenorientierung zu erreichen?

  • Welche konkreten Gedanken und Gefühle müssen ausgelöst und welches Wissen vermittelt werden, um die Kommunikationsziele zu erreichen?

  • Welche unerwünschten Effekte können auftreten und sollten vermieden werden?

  • Durch welche formale, inhaltliche und sprachliche Ausgestaltung der Botschaft und welche Kommunikationswege lassen sich diese Ziele am besten erreichen?

Untersuchungsmethode

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden 2 Reviews des internationalen Forschungsstands zu kommunikativen Interventionen im Kontext der Ernährung von Schwangeren, jungen Familien und Kindern im Alter bis 36 Monate durchgeführt. In einem ersten Schritt erfolgte ein Scoping Review von Übersichtspublikationen wie Metaanalysen oder Reviews des Forschungsstands. Da diese Recherche keine Publikation ergab, in der verschiedene Kommunikationsstrategien im Detail diskutiert wurden, erfolgte ein systematisches Review von Einzelstudien, in denen entsprechende Interventionen berichtet wurden. Die folgenden Beschreibungen enthalten aus Platzgründen nur die wesentlichen Details, ausführlichere Informationen wie z. B. die Listen der einbezogenen Publikationen oder das Kodierschema sind in einem online verfügbaren Projektbericht [2] sowie einem ausführlichen Anhang [3] dokumentiert.

Review 1: Scoping Review von Übersichtsarbeiten

Zur Identifikation bereits vorliegender Übersichtsarbeiten zu ernährungsbezogenen kommunikativen Interventionen bei werdenden und jungen Familien wurde ein Scoping Review of Reviews durchgeführt. Hierfür wurden 14 DatenbankenFootnote 1 verschiedener Disziplinen mit einem aus 14 Wörtern bestehenden Suchstring durchsucht.Footnote 2 Diese Recherche ergab mehr als 4000 Treffer, weitere Reviews wurden im Rahmen des Einzelstudien-Reviews identifiziert. Nach der Entfernung von Duplikaten und einem manuellen Screening der Abstracts verblieben 187 Reviews, deren Volltexte durchgearbeitet wurden.

Review 2: Systematisches Review von Einzelstudien

In denselben 14 Datenbanken wurden mittels 288 deutscher und 274 englischer SuchbegriffeFootnote 3 Einzelstudien recherchiert, in denen die Ergebnisse kommunikativer Interventionen zur Verbesserung der Ernährung von Schwangeren, Säuglingen und Kleinkindern berichtet wurden. Die erste Recherche ergab 17.582 Treffer, von denen nach einem Screening des Titels, des Abstracts sowie ggf. der Volltexte 99 Einzelstudien als einschlägig identifiziert wurden. Je nach dem gewählten methodischen Vorgehen wurden diese 99 Studien eingeteilt in die Kategorien „hoher Evidenzgrad“ (n = 30, z. B. RCT [„randomized controlled trials“]), „mittlerer Evidenzgrad“ (n = 35, z. B. Quasiexperimente, Querschnittstudien) und niedriger Evidenzgrad (n = 34, z. B. Interviews, Befragungen). Die 65 Studien mit einem hohen oder mittleren Evidenzgrad wurden anschließend mittels eines Kategoriensystems im Detail analysiert. Kodiert wurden die Ziele, eingesetzte Medien und Kommunikationskanäle, Zielgruppen, kommunikative Settings sowie Form, Ausgestaltung und Ergebnisse der Interventionen. Wenn die jeweilige Intervention positive Effekte auf das tatsächliche Ernährungsverhalten (z. B. Stillen) oder physiologische bzw. anthropometrische Maße (z. B. Gewicht) zeigte, wurden sie als „erfolgreich“ klassifiziert (n = 43), anderenfalls als „nicht erfolgreich“ (n = 22).

Ergebnisse des Scoping Reviews der 187 Übersichtsarbeiten

Die Recherche nach Übersichtsarbeiten identifizierte zwar relativ viele einschlägige Reviews des Forschungsstands, darunter allerdings keines, das sich im Detail mit verschiedenen Kommunikationsstrategien für werdende und junge Familien auseinandersetzte. Kommunikation wurde überwiegend auf der übergeordneten Ebene von Medientypen (z. B. Apps, Webseiten) oder Metastrategien (z. B. Aufklärung) thematisiert, aber nur selten auf der Ebene der tatsächlichen Ausgestaltung in Form konkreter Botschaftsstrategien. Auch kommunikationswissenschaftliche Theorien wurden in den Reviews, im Vergleich zu etwa Lerntheorien oder Ansätzen des Gesundheitsverhaltens, nur selten thematisiert. Eine Ausnahme bildeten einige Reviews von Werbe- oder Marketingtechniken, die aber nur einen Bruchteil der kommunikativen Zugänge abbildeten und in einigen Settings kontraproduktiv sein können.

In mehreren Reviews wurde der völlig unzureichende Dokumentationsstand der bei Interventionen eingesetzten Kommunikationsstrategien und -materialien kritisiert. Zwar fehlt damit die Basis einer tiefergehenden Diskussion konkreter evidenzbasierter Zugänge, allerdings zeichnen die Reviews auf einer allgemeineren Ebene ein relativ klares Bild von Erfolgsfaktoren und Barrieren ernährungsbezogener Interventionen in Schwangerschaft und früher Kindheit. Diese sind in Tab. 2 dargestellt – und fast alle durch eine entsprechende Kommunikation adressierbar.

Tab. 2 Erfolgsfaktoren und Barrieren für ernährungsbezogene Interventionen

Deutlich wurde in den Reviews insbesondere, dass „mangelndes Wissen“ nur selten die wichtigste Barriere für Verhaltensänderungen ist, was den relativ geringen Erfolg rein informativ-edukativer Ansätze erklärt. In den Reviews finden sich zudem Hinweise auf mögliche negative Effekte der Ernährungskommunikation in Schwangerschaft und früher Kindheit:

  • Bumerangeffekte, z. B. sobald Druck verspürt wird, sich gesünder zu ernähren oder durch problematische Suggestionen (z. B. Erwähnung der Gewichtskontrolle durch Erbrechen oder Abführmittel, was diese Optionen erst bewusstmacht),

  • Gefahr von Essstörungen oder unnötigen Gewichtsreduktionen durch eine erhöhte Sensibilisierung für das eigene Aussehen,

  • Gegenargumentieren, Verstärkung präventionsgegenläufiger Einstellungen, aktive Suche nach einstellungsstützenden Informationen,

  • Stigmatisierung Betroffener aufgrund unsensibler Wortwahl, stigmatisierender Portraits oder der Reproduktion gesellschaftlicher Vorurteile gegenüber übergewichtigen Menschen,

  • Verstärkung gesellschaftlicher Ungleichheiten, z. B. wenn höher gebildete Personen besser erreicht werden als geringer gebildete Personen oder andere Personengruppen mit einem erhöhten Unterstützungsbedarf,

  • Verschwendung wertvoller Ressourcen.

In der Summe zeichnen die Reviews damit ein relativ klares und konsistentes Bild davon, wie entsprechende Interventionen bei werdenden und jungen Familien generell angelegt sein sollten, um Erfolg versprechend zu sein. Weitgehend unklar blieb jedoch, wie die geforderte „professionelle“ Kommunikation im Detail – also auf der Ebene der Botschaftsfaktoren – hierfür ausgestaltet sein muss.

Ergebnisse des systematischen Reviews der 65 Einzelstudien

Angesichts der hohen Anzahl ernährungsbezogener Interventionen überrascht zunächst, dass sich lediglich 65 Einzelstudien mit einem mittleren oder hohen Evidenzgrad als relevant identifizieren ließen. Keine stammt aus Deutschland oder dem deutschsprachigen Raum, wodurch eine direkte Übertragbarkeit der Ergebnisse nur unter Vorbehalt möglich ist. Die mit Abstand meisten Untersuchungen wurden in den USA (n = 30) durchgeführt, gefolgt von Australien (n = 9) sowie Großbritannien und China (jeweils n = 3). Dass die überwiegende Anzahl der Interventionen erfolgreich war und lediglich in einer Studie ein negativer Effekt berichtet wurde, spricht für eine verzerrte Publikationslage („publication bias“).

Als hochgradig problematisch erwies sich die Dokumentation der eingesetzten Kommunikationsstrategien und Materialien: Lediglich bei 3 Studien (4,6 %) waren die Materialien (z. B. Broschüren, Gesprächsleitfäden, Werbespots) weitgehend vollständig dokumentiert, bei 18 Studien (27,7 %) immerhin noch exemplarisch. Auch aufwändige Nachrecherchen der Materialien änderten nichts daran, dass für zwei Drittel der Studien noch nicht einmal eine exemplarische Beschreibung des konkreten kommunikativen Zugangs vorliegt, der über die Bezeichnung des Kommunikationskanals hinausgeht.

Insgesamt wurden in den 65 Einzelstudien 148 separate kommunikative Interventionszugänge (Kommunikate) identifiziert. Diese sind in Tab. 3 inklusive ihrer Erfolgsquote dargestellt. Die Übersicht zeigt, dass viele kommunikative Zugänge eingesetzt wurden und grundsätzlich auch erfolgreich sein können. Das verdeutlicht erneut, dass es weniger auf das Medium ankommt als auf das, was tatsächlich auf welche Weise kommuniziert wurde – eine Information, die leider überwiegend nicht dokumentiert wurde. Es zeigte sich, dass moderne digitale Interventionswege ähnlich effektiv sein können wie klassische massenmediale Zugänge. Besonders oft eingesetzt wurden jedoch interpersonale Gespräche wie z. B. individuelle Beratungen, was die Bedeutung direkter persönlicher Kontakte für den Interventionserfolg bei werdenden und jungen Familien verdeutlicht.

Tab. 3 Kommunikative Zugänge und Erfolgsquote

Die meisten Kommunikate bezogen sich auf Verhaltensänderungen (n = 111), gefolgt von Aufklärung (n = 102), dem Ausbau von Kompetenzen (n = 61), Sensibilisierung für das Thema („awareness“; n = 61) und Einstellungsänderungen (n = 59). Der größte Anteil der Interventionen erfolgte bei den Familien zuhause (n = 34), gefolgt vom Krankenhaus (n = 23), der Lebenswelt bzw. Kommune (n = 17), der Kita (n = 16) sowie Supermärkten (n = 5). Insbesondere bei mobilen Interventionen über Smartphones, Tablets usw. war nicht klar, wo sich eine Person zum Zeitpunkt der Kommunikation aufhielt, was dementsprechend als „unklares Setting“ kodiert wurde (n = 40). Am häufigsten adressiert wurden Mütter (n = 94), gefolgt von Schwangeren (n = 52), Vätern (n = 28), Multiplikator*innen (n = 22) und sonstigen Familienangehörigen (n = 20).

Angesichts der schlechten Dokumentationslage sind Vergleiche der eingesetzten Botschaftsstrategien zwischen den erfolgreichen und nicht erfolgreichen Studien nur begrenzt sinnvoll. Folgende Tendenzen kristallisierten sich jedoch heraus: Erfolgreich waren insbesondere die Studien, die eng in der Kommune verankert waren und interpersonale Kommunikationsangebote enthielten, die teilweise durch weitere Zugänge ergänzt wurden. Die Betonung positiver Konsequenzen einer Verhaltensänderung (Gewinn-Framing), die Verwendung von Fallbeispielen, soziale Appelle sowie bestimmte Formen des inhaltlichen Framings (z. B. ein vorsichtiges Suggerieren einer Verantwortung für das Kind) erwiesen sich ebenfalls als erfolgversprechende Strategien im Kontext von Schwangerschaft und früher Kindheit. Aufgrund der ungenügenden Dokumentation der Kommunikationszugänge waren detailliertere Analysen jedoch nicht möglich.

Diskussion und Empfehlungen für die Praxis

Ziel dieses Reviews war es herauszufinden, welche Erkenntnisse zum Thema Ernährungskommunikation in Schwangerschaft und früher Kindheit bereits vorliegen. Obgleich die richtige Kommunikation zur Förderung einer verbesserten Ernährung in dieser Lebensphase unbestritten wichtig ist, ist bislang noch weitgehend unklar, wie diese konkret aussehen sollte. Bisherige Empfehlungen bleiben überwiegend allgemein (z. B. „wertschätzend kommunizieren“) und vernachlässigen die Vielfalt an konkreten Ausgestaltungsmöglichkeiten, die in Disziplinen wie der Gesundheitskommunikation oder dem Gesundheitsmarketing differenziert und untersucht werden.

Das Ergebnis ist dahingehend ernüchternd, dass Kommunikationsprozesse im Kontext von Schwangerschaft und früher Kindheit in der Literatur bislang kaum im Detail diskutiert oder dokumentiert werden und Publikationen mit einem hohen Evidenzgrad aus Deutschland fehlen. Hier bleibt zu hoffen, dass diese wissenschaftliche Lücke mittelfristig geschlossen werden kann.

Die Ergebnisse machen deutlich, dass viele kommunikative Zugänge sinnvoll sein können und es primär darauf ankommt, was konkret auf welche Weise kommuniziert wird. Die Befunde zeigen ebenfalls, dass interpersonale Kontakte wichtig sind und effektiver sein können als ausschließlich massenmediale oder internetbasierte Interventionen. Das spricht für die wichtige Rolle von Multiplikator*innen, die in einem engen Kontakt und Vertrauensverhältnis zu werdenden und jungen Familien stehen (z. B. Kinder- und Jugendmediziner*innen, Gynäkolog*innen, [Familien‑]Hebammen, Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen etc.).

Erfolg versprechend sind Interventionen, die ein klar definiertes Ziel und klare Zielgruppen haben, dezidierte Strategien zum Gewinnen und Erhalt der Aufmerksamkeit der Zielgruppe verwenden, empfohlene Botschaftsstrategien einsetzen sowie aktiv Barrieren zur Änderung des Verhaltens abbauen. Die Ansprache sollte positiv, wertschätzend, ressourcenorientiert und stigmasensibel erfolgen, um negative Effekte und Abwehr zu vermeiden. Schuldzuweisungen, auch nur implizite, sollten unbedingt vermieden werden. Wichtiger als eine starke Betonung der Risiken ist das Empowerment und die Stärkung der Selbstwirksamkeitserwartung sowie des Selbstwertgefühls von Schwangeren und jungen Familien. Nicht die Informationsvermittlung, sondern ein Verständnis der individuellen Situation sowie die Förderung der Motivation für eine verbesserte Ernährung sowie tatsächliche Unterstützung bei der Umsetzung sollten im Vordergrund stehen. Das betrifft auch den Abbau finanzieller, zeitlicher, sozialer, rechtlicher oder umweltbezogener Barrieren, die eine Verhaltensänderung erschweren. Ernährungskommunikation sollte nicht in Widerspruch zur sozialen Realität von werdenden und jungen Familien stehen, sondern idealerweise gut darauf angepasst sein – oder dabei helfen, sie gesünder zu gestalten.

Multiplikator*innen sollten dabei das Selbstverständnis der Familie und ihre Entwicklungswünsche erkennen sowie wertschätzen und gemeinsam mit der Familie Möglichkeiten für ein gutes – nicht notwendigerweise perfektes – Gelingen ausloten (Konzept der „hinreichend guten Familie“ [25]). Die Motivierende Gesprächsführung („motivational interviewing“ [16]) bietet z. B. Methoden zur Umsetzung dieser professionellen Haltung. Diese Art der Gesprächsführung hat sich sowohl in der allgemeinen sowie in der pädiatrischen Gesundheitsberatung als effektiv gezeigt [1, 7].

Das alles erfordert eine genaue Kenntnis der Zielgruppe (z. B. Kinder, junge Familien, Schwangere) als auch umfangreiche kommunikative Kompetenzen einschließlich theoretischer wie praktischer Kenntnis evidenzbasierter Kommunikationsstrategien – und damit eine Ausgangssituation, von der wir noch relativ weit entfernt sind.

Fazit für die Praxis

  • Die Befundlage zu erfolgreichen Kommunikationsstrategien im Kontext von Ernährung für werdende und junge Familien ist noch dürftig, insbesondere in Deutschland.

  • Interpersonale Kanäle (z. B. über Fachakteur*innen) spielen eine wichtige Rolle für Ernährungskommunikation.

  • Zielgruppenangepasste, positive und ressourcenstärkende Ansprachen sind sehr empfehlenswert.

  • Abwehr- und stigmasensible Kommunikation ist ebenso nötig wie Sensibilität für mögliche negative Effekte.

  • Umfassende Kenntnisse über die Zielgruppe der werdenden und jungen Familien sind unerlässlich.

  • Evidenzbasierte kommunikative Zugänge sowie die Dokumentation der eingesetzten kommunikativen Strategien verdienen mehr Aufmerksamkeit.