Einleitung

„Ich verschiebe niemals auf morgen, was sich auch auf übermorgen verschieben lässt“ schrieb bereits Oscar Wilde. Doch was hat die Verhaltenstendenz, Dinge aufzuschieben, eigentlich für Folgen? Kann ich das „Heute“ dann genießen, wenn ich mir heute mehr Zeit verschaffe? Oder gerate ich vielmehr in Folge der Verschiebung unter Stress und riskiere schlechtere Arbeitsergebnisse und auch negative gesundheitliche Folgen? Ist also „Get it done“ – das frühzeitige Abarbeiten von Aufgaben – das richtige Leitmotiv, um diesen negativen Auswirkungen vorzubeugen? Dieser Frage gehen wir im folgenden Beitrag nach und untersuchen vor dem Hintergrund des Prokrastination-Gesundheitsmodells von Sirois [23] Stress und Schlafprobleme als mögliche vermittelnde Variablen des Effekts von Prokrastination auf die subjektive Gesundheit.

Unter Prokrastination wird die Verhaltenstendenz verstanden, intendierte Tätigkeiten freiwillig aufzuschieben, obwohl durch das Aufschieben negative Folgen zu erwarten sind [28]. Einige Studierende neigen beispielsweise dazu, die Vorbereitung auf Klausuren und das Schreiben von Hausarbeiten immer auf die letzte Minute hinauszuzögern, auch wenn sie dadurch unter Zeitdruck geraten und vielleicht sogar mit schlechteren Noten rechnen müssen. Schätzungen zufolge prokrastinieren ca. 20–30 % der Erwachsenen chronisch [8, 9, 13]. Für Studierende liegen die Prävalenzschätzungen in einer ähnlichen Größenordnung [5]. Vielfach wurde gezeigt, dass Prokrastination mit Leistungseinbußen [15], gesundheitlichen Beeinträchtigungen (z. B. Stress [14], körperlichen Beschwerden [22], Depressivität und Ängstlichkeit [19]) und ungünstigem gesundheitsbezogenem Verhalten (z. B. ungünstigem Schlafverhalten [16], stärkerem Alkoholkonsum [29]) in Verbindung steht. Bezüglich der Effekte von Prokrastination auf die Gesundheit ist jedoch noch weitgehend ungeklärt, wodurch sie vermittelt werden [1]. Die Identifikation solcher vermittelnden Variablen könnte sehr hilfreich für die Entwicklung von Interventionen sein, mit deren Hilfe negativen gesundheitlichen Folgen von Prokrastination entgegengewirkt werden kann.

Ein Modell, das sich ausschließlich mit der Beziehung zwischen Prokrastination und Gesundheit und den vermittelnden Variablen dieser Beziehung befasst, ist das Prokrastination-Gesundheitsmodell (im Original „procrastination-health model“; [22,23,24]). Sirois nimmt drei Prozesse an [23]: Eine unmittelbare Wirkung von Prokrastination auf Gesundheit sowie zwei vermittelte Prozesse (Abb. 1). Die unmittelbare Wirkung von Prokrastination auf Gesundheit ließe sich dadurch begründen, dass das verringerte Zeitbudget für die anstehenden Arbeiten zu Qualitätseinbußen führt. Schlechtere Bewertungen und Misserfolge, die den Studienerfolg gefährden und die psychische Gesundheit mindern, werden dadurch in Kauf genommen.

Abb. 1
figure 1

Das Prokrastination-Gesundheitsmodell von Sirois [23]

Der erste vermittelte Prozess führt von Prokrastination über das Stresserleben zu (chronischen) Krankheiten. Ein hohes Maß an Prokrastination führt zu erhöhtem Stresserleben und darüber hinaus zu Missbefinden und (chronischen) Krankheiten. So nimmt die Autorin an, dass prokrastinierenden Personen zu jedem Zeitpunkt unterschwellig bewusst ist, dass sie noch viele Aufgaben zu erledigen haben. Dieses Wissen aktiviere physiologische Systeme, z. B. das autonome Nervensystem, dem eine direkte Rolle in der Entwicklung von Krankheiten zugesprochen wird [23]. Dieser Prozess konnte bereits mehrfach bestätigt werden [7, 22, 24, 26, 27].

Der zweite vermittelte Prozess führt von Prokrastination über ungünstiges Gesundheitsverhalten zu Befindensbeeinträchtigungen bzw. (chronischen) Krankheiten. Die Autor:innen gehen davon aus, dass prokrastinierende Personen geringere Intentionen ausbilden, gesundheitsförderliches Verhalten auszuführen, da sie über eine geringe Selbstwirksamkeit verfügen, für die eigene Gesundheit sorgen zu können. Zudem fehle ihnen der weitsichtige Blick darauf, dass sich die Effekte von gesundheitsförderlichem Verhalten erst langfristig äußern. So mindert Prokrastination das gesundheitsförderliche Verhalten und führe vermittelt darüber zu Befindensbeeinträchtigungen bzw. einem erhöhten Krankheitsrisiko. Sirois [23] führt hier als Beispiel eine ungesunde Ernährungsweise an, die zu Übergewicht führen kann und das Risiko für Diabetes erhöhe. Sie führt aber auch Schlafstörungen und eine herabgesetzte kardiovaskuläre Gesundheit an. Bezüglich der durch gesundheitsbezogenes Verhalten mediierten Wirkungen von Prokrastination auf die Gesundheit sind die Befunde uneindeutig [22, 24, 25, 27]. In einer Studie z. B. vermittelte Achtsamkeit als Indikator für gesundheitsbezogenes Verhalten den Effekt von Prokrastination auf die subjektive Gesundheit [25]. In einer anderen Studie vermittelte die Inanspruchnahme psychologischer Hilfe als Indikator für gesundheitsbezogenes Verhalten hingegen nicht den Effekt von Prokrastination auf die mentale Gesundheit [27].

Bislang gibt es wenige Studien auf der Grundlage des Prokrastination-Gesundheitsmodells, die alle Prozessannahmen gemeinsam analysieren, wie wir in diesem Beitrag. Dazu ist es erforderlich, die Modellkomponenten so zu fassen, dass sie messbar werden. Laut Sirois führt Prokrastination sowohl zu akuten Gesundheitsproblemen als auch auf Dauer zu chronischen Krankheiten [23]. Die Modellkomponente (chronische) Krankheit ließe sich daher über eine Reihe verschiedener Indikatoren erfassen (z. B. körperliche Beschwerden, Diabetes mellitus oder koronare Herzkrankheit). Sirois geht davon aus, dass sich die Effekte von Prokrastination auf chronische Krankheiten erst bei einem längeren Untersuchungszeitraum, z. B. im Rahmen einer Längsschnittstudie, zeigen würden [23]. In Querschnittstudien zum Prokrastination-Gesundheitsmodell untersuchten Sirois et al. dementsprechend als Indikatoren für (chronische) Krankheit bisher eher akute Gesundheitsprobleme, wie körperliche Beschwerden [22, 24]. Aus diesen Gründen entschieden wir uns dafür, als Indikatoren für (chronische) Krankheit Depressivität und Ängstlichkeit zu verwenden, die eine Störung des psychischen Befindens anzeigen, bevor sich diese in Krankheiten manifestiert. Aus der Vielzahl von Gesundheits- und Risikoverhaltensweisen entschieden wir uns für die Schlafqualität, davon ausgehend, dass das Aufschieben wichtiger bevorstehender Aufgaben die Aktiviertheit erhöht, kognitive Kapazitäten in Ruhephasen bindet [10, 18] und so die Schlafqualität mindert. Die Beziehung zwischen Prokrastination und Schlafqualität wurde bereits mehrfach untersucht, allerdings wurde Schlafqualität noch nicht im Rahmen des Prokrastination-Gesundheitsmodells für die Modellkomponente gesundheitsbezogenes Verhalten eingesetzt [7, 26]. Die drei zu untersuchenden Hypothesen lauten:

  1. 1.

    Prokrastinierendes Verhalten fördert Ängstlichkeit und Depressivität der Studierenden.

  2. 2.

    Das Stresserleben mediiert den Einfluss von prokrastinierendem Verhalten auf die Ängstlichkeit und Depressivität der Studierenden.

  3. 3.

    Die Schlafqualität mediiert den Einfluss von prokrastinierendem Verhalten auf die Ängstlichkeit und Depressivität der Studierenden.

Methode

Stichprobe

Im Frühjahr 2019 beteiligten sich 3420 Studierende der Freien Universität Berlin an einer Onlinebefragung zu ihrer subjektiven Gesundheit, ihrem Gesundheitsverhalten sowie der Wahrnehmung ihrer Studienbedingungen. Die Studie war von der Ethikkommission des Fachbereichs positiv begutachtet worden (16.06.2018). Es wurden ausschließlich Teilnehmende berücksichtigt, die keine fehlenden Werte auf den interessierenden Konstrukten aufwiesen. Eine Übersicht über die demografischen Merkmale der Stichprobe ist in Tab. 1 zu sehen. Die Studierenden waren überwiegend weiblich (72 %), im Mittel 24 Jahre alt (SD = 5,1 Jahre) und verteilten sich gleichmäßig über alle Studienjahre und -fachgruppen. Der überwiegende Teil (59 %) strebte einen Bachelorabschluss, ein Viertel einen Master-Abschluss (26 %) und ca. ein Sechstel ein Staatsexamen an (15 %). Im Durchschnitt gaben die Studierenden an, im Laufe des Semesters 5 Prüfungsleistungen (z. B. Klausuren, Hausarbeiten, Referate, mündliche Prüfungen) erbringen zu müssen. Im Vergleich zur Grundgesamtheit der Studierenden zum Befragungszeitpunkt an dieser Universität sind Frauen etwas überrepräsentiert (60 % in der Grundgesamtheit). In ihrem Durchschnittsalter, ihren angestrebten Studienabschlüssen und ihrer Studiendauer unterscheiden sich die Teilnehmenden nur marginal von der Grundgesamtheit der Studierenden zum Befragungszeitpunkt.

Tab. 1 Demografische Merkmale der Stichprobe

Material

Für die vorliegenden Analysen wurden etablierte, gut evaluierte Messinstrumente eingesetzt.

Prokrastination.

Prokrastination wird hier als situationsübergreifende, weitgehend stabile Verhaltensdisposition gefasst und mit der Kurzversion des Prokrastinationsfragebogens für Studierende (PFS) von Glöckner-Rist et al. [11] erfasst. „Ich schiebe den Beginn von Aufgaben bis zum letzten Moment hinaus“ lautet eins der 4 Items, die auf einer 5‑stufigen Skala (fast nie = 1 bis fast immer = 5) für die letzten 2 Wochen beurteilt werden. Die Skala erwies sich in einer Faktorenanalyse als eindimensional, mit einem Cronbach’s α von 0,90.

Stresserleben.

Zur Erfassung des Stresserlebens wurde der Heidelberger Stressindex genutzt [21]. Das Instrument erfasst die subjektiv wahrgenommene Belastung durch das Studium und im Leben allgemein. Fragen wie z. B. „Wie gestresst fühlst du dich durch dein Studium?“ wurden auf einer 5‑stufigen Skala (gar nicht gestresst = 0 bis sehr gestresst = 100) für die letzten 4 Wochen beurteilt. Die Skala erwies sich als eindimensional, die Reliabilität ist mit einem Cronbach’s α von 0,85 als gut zu bewerten.

Eingeschränkte Schlafqualität.

Mit einem Item zur Schlafqualität, das dem Pittsburgh Sleep Quality Index (PSQI; [2]) entnommen wurde, und zwei weiteren Items zu Ein- und Durchschlafstörungen, die der Studie zur Gesundheit Erwachsener entstammen, wurde die (eingeschränkte) Schlafqualität sowie Ein- und Durchschlafstörungen für den Zeitraum der letzten 4 Wochen erfragt. Anzugeben war auf einer 4‑stufigen Skala für die Schlafqualität die Güte des Schlafs (sehr gut = 1 bis sehr schlecht = 4) und für die Ein- und Durchschlafstörungen die Häufigkeit der jeweiligen Störung pro Woche (gar nicht = 1- bis 3‑mal oder häufiger pro Woche = 4). Die Reliabilität der so zusammengesetzten Skala ist mit einem Cronbach’s α von 0,72 als akzeptabel zu bewerten.

Depressivität und Ängstlichkeit.

Auf die Frage: „Wie oft hast du dich im Verlauf der letzten 2 Wochen durch die folgenden Beschwerden beeinträchtigt gefühlt?“ war eines der 4 Items „Wenig Interesse oder Freude an deinen Tätigkeiten“. Die Items sind aus dem „patient health questionnaire“ (PHQ), den wir in seiner Kurzversion mit 4 Items (PHQ-4) zur Erfassung von depressiven Symptomen bzw. einer generalisierten Angststörung genutzt haben [12]. Die Zustimmung zu diesen Fragen wurde auf einer 4‑stufigen Antwortvorgabe erfasst (überhaupt nicht = 0 bis beinahe jeden Tag = 3). Die Reliabilität der Skala ist mit einem Cronbach’s α von 0,87 als akzeptabel zu bewerten.

Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen zwischen den Merkmalen sind in Tab. 2 enthalten.

Tab. 2 Mittelwerte, Standardabweichungen und Interkorrelationen

Statistische Analysen

Die Analyse der Strukturgleichungsmodelle erfolgte in MPlus (V 8.4). Eingangs wurde ein Messmodell formuliert, das ausschließlich die Ladungen der Items auf den zugehörigen Faktoren enthielt, bei korrelierten latenten Faktoren. Im zweiten Schritt wurden dann die hypothesenprüfenden Pfade ergänzt. Zur Bewertung der Modellgüte wurden die Faustregeln von Schermelleh-Engel et al. [20] genutzt: Als akzeptabel gelten ein Comparative Fit Index (CFI) und ein Tucker Lewis Index (TLI) von > 0,95, ein „root mean square error of aproximation“ (RMSEA) von 0,08 und ein „standardized root mean square residual“ (SRMR) von < 0,10. Die Einstufung von Assoziationen in gering (< 0,1), mittel (< 0,3) und hoch (> 0,05) erfolgte in Anlehnung an Cohen [4].

Ergebnisse

Zunächst wurde das Messmodell geprüft. Das Messmodell konnte bestätigt (CFI = 0,99; TLI = 0,98; RMSEA = 0,03; SRMR = 0,02) und die Ladungen der beobachteten Werte auf den zugehörigen Faktoren konnten eindeutig repliziert werden und lagen zwischen 0,60 und 0,90.

Im zweiten Schritt wurden die interessierenden Pfade zwischen den latenten Konstrukten (Prokrastination, eingeschränkte Schlafqualität, Stresserleben, Depressivität und Ängstlichkeit) entsprechend der drei formulierten Hypothesen ergänzt. Das so geschätzte Modell erwies sich mit der zugrunde liegenden Datenmatrix als vereinbar (CFI = 0,98; TLI = 0,97; RMSEA = 0,05; SRMR = 0,03). Es zeigte sich wie im Prokrastination-Gesundheitsmodell von Sirois angenommen und in Hypothese 1 formuliert eine signifikante direkte Assoziation zwischen Prokrastination und Depressivität und Ängstlichkeit (β = 0,19; p < 0,01; Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Ergebnisse der Schätzung des Prokrastination-Gesundheitsmodells

Mit den Daten vereinbar ist ferner die Annahme eines direkten Pfades von Prokrastination auf das Stresserleben (β = 0,04; p < 0,05) sowie darüber vermittelt zwischen dem Stresserleben und Depressivität und Ängstlichkeit (β = 0,51; p < 0,01). Der indirekte mediierte Effekt von Prokrastination über das Stresserleben auf Depressivität und Ängstlichkeit war klein, aber signifikant (β = 0,02; p < 0,05). Damit konnte auch die Hypothese 2 beibehalten werden. Prokrastination ist ebenso mit eingeschränkter Schlafqualität assoziiert (β = 0,12; p < 0,05) und über diese hinaus wiederum mit Depressivität und Ängstlichkeit verknüpft (β = 0,27; p < 0,01). Der indirekte mediierte Effekt von Prokrastination auf Depressivität und Ängstlichkeit über die eingeschränkte Schlafqualität war klein, aber signifikant (β = 0,03; p < 0,01). Damit konnte auch die Hypothese 3 beibehalten werden.

Die im Prokrastination-Gesundheitsmodell postulierten Effekte ließen sich in diesem Analysemodell allesamt bestätigen.

Diskussion

Das von Sirois et al. sehr breit angelegte Prokrastination-Gesundheitsmodell bildet den Einfluss von Prokrastination im Sinne eines zeitstabilen Merkmals der Person auf (chronische) Krankheiten ab, mediiert über (1) das (chronische) Stresserleben sowie (2) ungünstiges Gesundheitsverhalten. Wir haben das Modell hier nur mit ausgewählten Indikatoren für die einzelnen Modellkomponenten (Gesundheitsverhalten, [chronische] Krankheit) analysieren können. Gleichwohl haben wir mit dem Schlafverhalten ein Gesundheitsverhalten gewählt, dessen Assoziationen zu Prokrastination von Sirois empirisch untersucht, aber bislang (noch) nicht bestätigt werden konnte [26]. Eine Ausnahme bilden hier Depressivität und Ängstlichkeit. Diese sind zwar mit vielen auch chronischen Krankheiten assoziiert, aber ebenso eine Befindensbeeinträchtigung im Vorfeld chronischer Krankheiten, die auf Fehlentwicklungen hinweist, die sich noch nicht in Krankheiten manifestierten [3, 6]. Daher ist dieser Indikator für die Prävention von (chronischen) Krankheiten sehr bedeutsam.

Die Assoziationen zwischen Prokrastination und Stresserleben sind in dieser Modellanwendung sehr gering. Sirois und Tosti [25] berichteten in einer Anwendung des Prokrastination-Gesundheitsmodells deutlich höhere Assoziationen (β = 0,31), verweisen dabei auf die Unterscheidung zwischen situationaler und situationsüberdauernder Prokrastination. In akuten Anforderungssituationen (wie z. B. die kurz bevorstehenden Abgaben wichtiger Arbeiten oder Prüfungsterminen) dürfte ein darauf bezogenes Prokrastinationsverhalten deutlich höhere Korrelationen mit dem Stresserleben zeigen. Da im vorliegenden Falle nicht für akute Anforderungen kontrolliert wurde, lassen sich die geringeren Korrelationen so erklären.

Dispositionelle Prokrastination schadet, wie die Analysen zeigen, der Gesundheit. Interventionen, die darauf zielen, Aufgaben frühzeitiger anzugehen („get it done“) wären hilfreich.

Limitationen

Den Analysen liegen Querschnittsdaten zugrunde, mit denen sich die temporalen Strukturen des Modells nicht abbilden lassen. Ob Prokrastination zu Gesundheitseinbußen führt, ließe sich sinnvoll nur mit Längsschnittdaten prüfen, da auch so der zeitverzögerte Einfluss der mediierenden Variablen (Stresserleben, eingeschränkte Schlafqualität) modelliert werden könnte [17]. Hierzu wären Daten zu mindestens zwei Messzeitpunkten erforderlich. Da wir keine Veröffentlichungen finden konnten, in denen das Prokrastination-Gesundheitsmodell bereits längsschnittlich getestet wurde, steht dieses Vorhaben noch aus.

Bei den Daten dieser Analyse handelt es sich ausschließlich um Selbstberichte der befragten Personen. Einen Einfluss z. B. von aktuellen Stimmungen auf alle inkludierten Messergebnisse (Stresserleben, Depressivität und Ängstlichkeit) kann insofern nicht ausgeschlossen werden („common method bias“). In zukünftigen Studien sollten demnach auch objektive Indikatoren zur Erfassung der Modellvariablen (z. B. chronischer Erkrankungen) herangezogen werden.

Die Modellkomponenten von Sirois [22] wurden durch spezifischere Indikatoren erfasst: (chronische) Krankheit durch Depressivität und Ängstlichkeit sowie gesundheitsbezogenes Verhalten durch eingeschränkte Schlafqualität. So konnte das Modell nicht in seiner ganzen Breite evaluiert werden. Bewegung, Ernährung oder auch Substanzkonsum sind weitere Gesundheits- oder Risikoverhaltensweisen, deren Bedeutung im Rahmen dieses Modells noch analysiert werden sollte. Auch sollten – wie im Modell vorgesehen – weitere Gesundheitsindikatoren (z. B. körperliche Beschwerden, Diabetes mellitus oder koronare Herzkrankheit) als Endpunkte untersucht werden. Dennoch ließ sich das Modell auch mit den von uns gewählten Indikatoren bestätigen, was dafür spricht, dass die allgemein formulierten Wirkannahmen durch spezifische Indikatoren operationalisiert werden können.

Fazit für die Praxis

  • Die Tendenz, wichtige Aufgaben aufzuschieben, zeigen 20–30 % der Studierenden.

  • Dies gefährdet nicht nur den Studienerfolg, sondern auch die psychische Gesundheit der Studierenden und beeinträchtigt ihre Schlafqualität.

  • Hochschulen sollten für diesen Personenkreis verstärkt kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen anbieten, um ein erfolgreiches Studium zu ermöglichen und Gesundheitseinbußen zu vermeiden.