Theoretischer Hintergrund

In Deutschland erkrankt jedes Jahr im Schnitt eines von 407 Kindern an Krebs [7]. Obwohl die Überlebensraten nach einer Krebsdiagnose dank verbesserter medizinischer Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen sind [12], erleben viele Betroffene und deren Familien negative psychische Effekte während und nach der Akutbehandlung. Zu diesen gehören Angst- und depressive Symptome [5, 20, 24], posttraumatische Belastungsreaktionen [4, 13, 24] und eine verringerte gesundheitsbezogene Lebensqualität [8, 18, 27]. Die Vorhersage psychischer Auffälligkeiten ist dabei nicht vollständig durch objektive Krankheitsmarker, wie z. B. Symptomschwere oder Dauer der Behandlung, erklärbar [23]. Darüber hinaus scheinen die individuellen Annahmen und Überzeugungen über die Krankheit bedeutsam für die individuelle Krankheitsverarbeitung zu sein [23].

Das „common-sense model of illness representation“ (CSM; [16]) ist ein anerkanntes theoretisches Modell, das die Krankheitsverarbeitung und individuelle Bewältigungsstrategien mit dem Gesundheitsverhalten der Betroffenen in Beziehung setzt. In dem Modell wird postuliert, dass Individuen bei wahrgenommenen Gesundheitsbedrohungen (z. B. Krebserkrankungen) kognitive Repräsentationen ihrer Erkrankung haben, die auf den ihnen zugänglichen Informationen (z. B. aus Gesprächen mit Anderen, Aufklärung durch medizinisches Personal, Erleben der Erkrankung) beruhen. Diese kognitiven Repräsentationen werden als subjektive Krankheitsannahmen bezeichnet [17]. Sie bestimmen den Selbstregulationsprozess im Umgang mit der Gesundheitsbedrohung (z. B. emotionales Erleben, Coping) und beeinflussen somit indirekt den Krankheitsverlauf [10]. Subjektive Krankheitsannahmen zu verstehen, bedeutet also, Patient:innen gezielter bei der Krankheitsverarbeitung unterstützen zu können.

Ein international anerkanntes Instrument zur Erfassung subjektiver Krankheitsannahmen ist der „Illness Perception Questionnaire“ ([26]; revidierte Fassung IPQ‑R [9]). Dieser Fragebogen erfasst subjektive Krankheitsannahmen mit 64 Items in den folgenden Bereichen: Identität, Zeitverlauf (akut/chronisch; zyklisch), Konsequenzen, persönliche Kontrolle, Behandlungskontrolle (in der gekürzten deutschsprachigen Version nicht enthalten [9]), Kohärenz und emotionale Repräsentation. In den vergangenen Jahren wurde der IPQ‑R in über 100 Studien [21] bei verschiedenen Krankheitsbildern (z. B. kardiovaskulären Erkrankungen, Asthma, Diabetes und HIV) eingesetzt [10] und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Es gibt auch Fragebogenversionen für Angehörige (z. B. Eheleute von Patient:innen mit rheumatoider Arthritis [25] oder Schizophrenie [19]).

Bisher wurden mit dem Fragebogen v. a. Jugendliche und Erwachsene untersucht. Eine systematische Erhebung der Krankheitsannahmen von Kindern erfolgte aufgrund eines fehlenden Messinstruments bislang nicht. Jedoch ist der Selbstbericht der Kinder in Ergänzung zum Fremdbericht der Eltern wichtig, denn verschiedene Studien zeigen, dass sich die Selbsteinschätzungen von Kindern von den Fremdeinschätzungen der Eltern unterscheiden [22] und zusätzliche Informationen für die psychosoziale und medizinische Versorgung liefern können. Für die Befragung erkrankter Kinder sind altersgerechte Erhebungsmethoden nötig.

In der Arbeit mit Kindern hat sich die Anwendung von Puppen in vielen Bereichen (z. B. Psychotherapie, Pädagogik) als sehr nützlich erwiesen und ein spielerisches Vorgehen zur Diagnostik und Behandlung von Kindern ist das Mittel der Wahl [6].

Beispielsweise ist das „Berkeley Puppet Interview“ (BPI; [1]) ein strukturiertes Verfahren zur Befragung von Kindern ab 4 Jahren. Die Fragen werden dabei als gegensätzliche Aussagen von zwei Puppen präsentiert und das Kind entscheidet entweder verbal oder durch Antippen der jeweiligen Puppe, welcher Aussage es eher zustimmt. Puppeninterviews haben entscheidende Vorteile für die Befragung von Kindern: Puppen erlauben eine altersgerechte Befragung, in der vorrangig die Puppen mit dem Kind interagieren und sich an das Sprachniveau anpassen können. Durch den spielerischen Charakter ist das Puppeninterview weniger belastend für das Kind als ein Fragebogen.

In diesem Artikel sollen folgende Fragestellungen beantwortet werden: (1) Wie wurde das Puppeninterview zur altersgerechten Erfassung subjektiver Krankheitsannahmen auf der Grundlage des IPQ‑R und des BPI entwickelt? (2) Welche psychometrischen Eigenschaften (Durchführungs- und Auswertungsobjektivität, Konstruktvalidität, interne Konsistenz) ergaben sich in einer Pilotierungsstichprobe (n = 11) und in einer Stichprobe mit n = 64 pädiatrisch-onkologischen Patient:innen? (3) Welche Indikationen und Kontraindikationen gibt es? Wie können zukünftige Anwender:innen in kritischen Situationen verfahren? Hierzu sollen Fallbeispiele konkrete Anregungen liefern.

Entwicklung des Puppeninterviews

Itemadaptation

Die Adaptation der gekürzten deutschsprachigen Version des IPQ‑R [9] erfolgte für das Puppeninterview unter Berücksichtigung der sprachlichen und kognitiven Entwicklung von Kindern im Alter von 4 bis 11 Jahren [1, 2]. Abb. 1 zeigt die ursprünglichen Itemformulierungen des IPQ‑R und die Aussagen der beiden Puppen im neu entwickelten Puppeninterview. Die Items des IPQ‑R wurden sprachlich vereinfacht und das 5‑stufigen Antwortformat wurde dichotomisiert. Auf der Symptomskala erfragen die Puppen das Vorliegen eines Symptoms und ob das Kind glaubt, dass dieses Symptom durch die Krankheit oder Behandlung hervorgerufen wurde („Ich denke, dass [das Symptom]/nicht/durch deine Krankheit oder Behandlung kam.“).

Abb. 1
figure 1

Itemadaptation des IPQ‑R („Illness Perception Questionnaire“) als Puppeninterview

Itempräsentation

Während im IPQ-R-Fragebogen die Items skalenweise erfragt werden, werden diese im Puppeninterview in veränderter Reihenfolge dargeboten, um es abwechslungsreicher zu gestalten und Antworttendenzen zu vermeiden (s. Abb. 1). Auch die Itemausprägungen sind den Puppen randomisiert zugeordnet, um möglichen Antworttendenzen bzw. einer Identifikation mit einer der Puppen (z. B. mit der Puppe, die weniger negatives Erleben berichtet) vorzubeugen.

Interviewdurchführung

In Infobox 1 wird der spielerische Beginn eines Puppeninterviews beschrieben, der die Neugier des Kindes wecken soll. Es besteht die Möglichkeit, zunächst eine andere Puppe zu nutzen, um die Bereitschaft für das eigentliche Puppeninterview zu wecken. Diese kann je nach Stimmung des Kindes eine lustige/spannende Geschichte erzählen oder offene Fragen stellen. Anschließend stellen sich die beiden Puppen „Beppi“ und „Seppi“ vor und versuchen mit dem Kind z. B. über Hobbies, Lieblingsfilme, Gemeinsamkeiten etc. ins Gespräch zu kommen (Ressourcenorientierung) und eine spielerische Atmosphäre zu schaffen. Viele Kinder stellen den Puppen auch Rückfragen (z. B. „Wo sind eigentlich eure Eltern?“, „Warum ist einer von euch blau und der andere grün?“). Zum Beziehungsaufbau sind bei der Beantwortung Ähnlichkeiten der Puppen mit dem Kind hilfreich (z. B. gleiches Alter).

Infobox 1 – Neugier für das Puppenspiel wecken

Die 5‑jährige H. stand dem Treffen mit der Interviewerin und den Puppen zunächst abwartend gegenüber. Die Interviewerin versuchte mit einer Schnecken-Handpuppe die Neugier der Patientin zu wecken. Die Schnecke kam langsam aus ihrem Schneckenhaus und stellte ein paar Fragen, um mit H. ins Gespräch zu kommen. H. begann, lebhaft mit der Schnecke zu spielen. Auf den Vorschlag der Schnecke, nun die Freunde Beppi und Seppi dazu zu holen, reagierte H. begeistert. Im Puppeninterview war sie dann aufmerksam und erzählte offen, wie es ihr gerade ging. Oft streichelte sie die Puppen oder bot ihnen etwas von ihrem Essen und Trinken an.

Anschließend wird die Rahmenhandlung erzählt: Beppi und Seppi berichten, dass sie auch schon einmal wegen einer schweren Krankheit für längere Zeit im Krankenhaus waren und dass sie von ihren Erlebnissen dort erzählen wollen. Die Puppen erkundigen sich, wie das Kind seine Zeit im Krankenhaus gerade erlebt. Während des gesamten Interviews wird darauf geachtet, dass die Gesprächsanteile von Kind und Puppen ähnlich groß sind. Es werden einleitende („Weißt du was, [Name]?“), rückfragende („Was meinst du dazu?“, „Wie ist das denn bei dir?“) und bestätigende („Also geht es dir so wie mir.“) Sätze verwendet. Durch eine thematische Pause in der Mitte des Interviews (z. B. zu Hobbies) kann die Interaktionsbereitschaft im Interview verstärkt werden.

Infobox 2 – individueller Beziehungsaufbau

Der 9‑jährige N. hatte zunächst keine Lust auf das Puppenspiel, entschied sich dann aber dafür, es zumindest zu versuchen. Zu Beginn des Puppenspiels war er sehr ernst und berichtete, wie es ihm gerade geht, was ihm Spaß macht und was er schlimm findet. Dabei schien die Rückmeldung der Puppen (z. B. „Ja, mir geht es auch so – ich finde es auch voll doof, dass ich krank bin!“, „Ich habe schon mal versucht, mich abzulenken, wenn es mir nicht so gut ging. Hast du das auch schon mal versucht?“) ihn zu entlasten. N. schien es als befreiend zu erleben, dass die Puppen auch mal ihre Wut über ihre Krankheit äußerten. Am Ende des Gesprächs wirkte er deutlich entspannter und entlasteter.

Infobox 2 zeigt, dass Kinder im Puppenspiel mitunter erstmals Gefühle und Gedanken äußern, die sie bisher noch nicht ausgesprochen haben. In solchen Situationen können die Puppen ganz individuell auf die Kinder eingehen: Ein sehr trauriges Kind profitiert vielleicht eher davon, wenn eine Puppe ihm spiegelt, dass sie auch traurig ist, während ein wütendes Kind eher davon profitiert, wenn die Puppe ebenfalls wütend ist und Bewältigungsmöglichkeiten vorschlägt. Dabei ist wichtig, dass sich die Interviewer:innen in ihrer Rolle wohl fühlen und empathisch, wertschätzend und echt reagieren.

Wenn nötig, können die Puppen auch die „Regeln“ für das Puppenspiel mit dem Kind aushandeln (s. Infobox 3). Besonders jüngere Kinder haben mitunter Probleme, sich für die Dauer des gesamten Interviews zu konzentrieren. Deshalb sollten die Bedürfnisse des Kinders beachtet und ggf. Pausen gemacht werden, in denen das Kind z. B. mit den Puppen spielen oder erzählen kann, was es in der Woche schon erlebt hat.

Infobox 3 – Aushandeln von ‚Regeln‘

Der 8‑jährige A. war schon sehr neugierig auf die Puppen und hat sie begeistert mit der Interviewerin „geweckt“. Er hat gleich angefangen, den Puppen von seinem Tag und seinen Hobbies (Dinosaurier) zu erzählen. Die Puppen schlugen vor, dass A. immer ein paar Fragen beantwortet und dann ein paar Minuten mit den Puppen „Dino“ spielen kann. Auf diese Weise konnte das Puppeninterview vollständig durchgeführt werden.

Das Puppeninterview kann sowohl in der Akutversorgung oder auch (wenn passend) in der psychosozialen Nachsorge durchgeführt werden. Bei der Planung der Durchführung sollte sensibel auf die Bedürfnisse des Kindes eingegangen werden, ggf. kann ein erster Termin zum Beziehungsaufbau genutzt werden (z. B. spielen oder malen). Im Akutkrankenhaus können verschiedene Umstände (z. B. Unruhe am Nachbarbett, Müdigkeit durch Therapie) die Befragung erschweren. Weiterhin sind Nebenwirkungen der Erkrankung oder der Medikamente (z. B. Schmerzen, Fieber, Erbrechen) während der Akutbehandlung häufig. Manchmal stehen auch wichtige Untersuchungen an oder das Kind und die Eltern sind durch unklare Befunde oder das Warten auf Testergebnisse aufgeregt oder verunsichert. Solche Situationen stellen keine generelle Kontraindikation für den Einsatz des Puppeninterviews dar. Mitunter bietet das Puppeninterview gerade in der akuten Krise auch eine Möglichkeit der Ablenkung vom Klinik- und Behandlungsalltag oder es können spielerisch die nächsten Behandlungsschritte besprochen werden. Viele Kinder unterhalten sich auch trotz starker Übelkeit bzw. trotz Erbrechen mit den Puppen, um eben genau darüber zu erzählen. Das zeigt, dass das Puppeninterview auch in schwierigeren Phasen der Akutbehandlung entlastend wirken kann.

Indikation

Allgemeine Voraussetzungen.

Die Grundvoraussetzung für die Teilnahme an einem Puppeninterview ist die Fähigkeit des Kindes, die Puppen wahrzunehmen und die Fragen zu verstehen.

Alter.

Das Puppeninterview zur Erfassung subjektiver Krankheitsannahmen wurde für Kinder ab einem Entwicklungsalter von 4 Jahren konzipiert und überprüft. Grundsätzlich ist die kognitive Entwicklung (die vom tatsächlichen Lebensalter abweichen kann) zu berücksichtigen. Bei jüngeren Kindern sollten häufig Spielsequenzen als Pausen in das Puppeninterview eingebaut werden. Kinder ab 10 Jahren können entweder am Puppeninterview teilnehmen oder den IPQ-R-Fragebogen ausfüllen.

Sprache.

Obwohl die verbalen Anforderungen an das Puppeninterview sehr niedrig sind und individuell angepasst werden können, ist es wichtig, dass die Kinder die Aussagen und Fragen der Puppen verstehen. Dies kann spielerisch herausgefunden werden.

Kontraindikation.

Kinder, die blind oder taub sind, können wichtige Inhalte des Puppenspiels nicht verfolgen. Das gilt auch bei sehr starker Intelligenzminderung. In solchen Fällen sollte die Durchführbarkeit des Puppeninterviews entsprechend abgewogen oder getestet werden. Neben Unkonzentriertheit und fehlender Motivation kann eine Ablehnung des Puppeninterviews auch durch die Annahme des Kindes begründet sein, dass es sich um eine schmerzhafte oder beängstigende Untersuchung handelt oder dass ein Rückmeldegespräch zu ungünstigen medizinischen Befunden stattfindet. Derartige Vermutungen können ggf. angesprochen und revidiert werden (Infobox 4).

Infobox 4 – (Kontra)indikation

Die 4‑jährige F. wollte nach einer 15-minütigen Spielsequenz mit den Puppen die ersten Fragen zu ihrer Krebserkrankung nicht mehr beantworten. Ein möglicher Grund hierfür war die aufkommende Unruhe in dem Zimmer, da Pflegekräfte den Patienten im Nachbarbett versorgen mussten. F. ließ sich dadurch leicht ablenken und wollte sich nicht mehr auf die Puppen konzentrieren. Es wurde ein neuer Termin für das Puppeninterview eine Woche später vereinbart. Zu diesem Termin war F. sehr schüchtern und wollte gar nicht mit der Interviewerin und den Puppen interagieren. Die Interviewerin begann, ein Märchen zu erzählen und F. wurde neugierig und holte eigene Fingerpuppen heraus, mit denen sie und die Interviewerin den „Froschkönig“ spielten. In diesem Spiel fiel auf, dass F. sich nur kurz konzentrieren konnte und häufig vom Thema abwich. Sie war körperlich sehr unruhig. Mit den Eltern wurde ein weiterer Termin mit zeitlichem Abstand vereinbart. Mit der behandelnden Stationspsychologin wurde erörtert, warum es F. aktuell möglicherweise schwerfällt, sich auf die Interviewsituation einzulassen (z. B. mögliche Erschöpfung, da Behandlung aktuell sehr anstrengend, aktuell sehr viele Personen in der Behandlung involviert). Zum späteren Termin hatte sich die Behandlungssituation insgesamt entspannt und das Puppeninterview konnte vollständig durchgeführt werden. F. konnte sich besser konzentrieren und hatte sich aufgrund der positiven Erinnerung an das Spiel mit dem „Froschkönig“ im Vorfeld schon auf die Puppen und die Interviewerin gefreut.

Methodik in Pilotstudie und Hauptstudie

Für die Pilotstudie wurden 11 onkologisch erkrankte Kinder im Alter von 4 bis 11 Jahren, welche sich entweder in der Akut- und Behandlungsphase oder in der Nachsorgephase befanden, von Hering [11] befragt. Es wurden Fragen zur Akzeptanz und Verständlichkeit gestellt. Außerdem wurden die kindlichen Angaben zu den erlebten Symptomen mit den Angaben der Eltern verglichen (exakter Test nach Fisher). Interskalenkorrelationen und Korrelationen mit internaler Kontrolle (IE‑4 [15]), Ängstlichkeit und Depressivität (SDQ [14]) wurden mittels Spearman-Rangkorrelation berechnet.

In der multizentrischen Hauptbefragung wurden bislang 64 Kinder im Alter von 4 bis 11 Jahren während der Akut- und Behandlungsphase (n = 32) und in der Nachsorgephase (n = 32) befragt. Die Antworten im Puppeninterview von Kindern in der Akut- und Behandlungsphase wurden denen der Kinder in der Nachsorgephase deskriptiv gegenübergestellt. Die internen Konsistenzen der Skalen des Puppeninterviews wurden mittels Cronbach’s Alpha berechnet.

Alle Berechnungen wurden mit IBM SPSS Statistics 27.0 durchgeführt. Es wurde ein Signifikanzniveau von p < 0,05 angenommen.

Ergebnisse der Pilotstudie

Akzeptanz

Alle Kinder (100 %) beurteilten das Puppeninterview insgesamt als positiv („Unser Gespräch hat mir viel Spaß gemacht“) und die Fragen als verständlich („Ich habe alle Fragen gut verstanden“).

Objektivität

Aufgrund der standardisierten Instruktionen und des geschlossenen Antwortformates wird die Durchführungs- und Auswertungsobjektivität gut eingeschätzt [3].

Symptomangaben im Selbst- und Elternurteil

In der Frage nach erlebten Symptomen unterschieden sich die Angaben von Kind und Elternteil teilweise deutlich, wobei Kinder prozentual seltener Symptome berichteten als ihre Eltern (z. B. Schmerzen – Eltern: 100 %, Kinder: 54,4 %, Übelkeit – Eltern: 90,9 %, Kinder: 54,5 %; Erschöpfung – Eltern: 100 %, Kinder: 63,6 %). Im exakten Test nach Fisher zeigte sich ein signifikanter Unterschied im Selbst- und Elternurteil in Bezug auf Schmerzen (p = 0,035).

Interskalenkorrelationen

Es zeigten sich erwartungskonforme Interskalenkorrelationen im Puppeninterview. Je chronischer das Kind die Krebserkrankung einschätzte, desto gravierendere krankheitsbedingte Konsequenzen für die Lebensführung erwartete es (r = 0,690, p ≤ 0,05). Je stärker die Kinder ihre Krankheitssymptome wahrnahmen, desto höher schätzten sie die Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf ihre Erkrankung ein (r = 0,647, p ≤ 0,05).

Konstruktvalidität

Weiterhin zeigten sich hypothesenkonforme Ergebnisse zur Konstruktvalidität: Je chronischer ein Kind die eigene Krebserkrankung im Zeitverlauf beurteilte (IPQ-R: Zeitverlauf) bzw. je mehr Konsequenzen durch die Erkrankung auf das eigene Leben wahrgenommen wurden (IPQ-R: Konsequenzen), desto geringer schätzten die Kinder ihre internale Kontrolle (IE‑4 [15]) ein (r = −0,711, p ≤ 0,05, r = −0,622, p ≤ 0,05). Außerdem ging die kindliche Wahrnehmung eines zyklischen Zeitverlaufs (IPQ-R) mit höheren Ängstlichkeits- und Depressivitätswerten (SDQ [14]) einher (r = 0,661, p ≤ 0,05). Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse wurde die Hauptstudie mit einer größeren Stichprobengröße durchgeführt.

Ergebnisse der Hauptstudie

Akzeptanz

In einer aktuellen, multizentrischen Studie (gefördert durch die Deutsche Krebshilfe, DKH: 70112444) konnten ausgewählte Ergebnisse der Pilotstudie bestätigt werden. So ist die Zustimmung zum Puppeninterview bei bisher 64 Kindern im Alter von 4 bis 11 Jahren erneut sehr hoch („Ich habe alle Fragen gut verstanden.“: 82,8 %; „Unser Gespräch hat mir viel Spaß gemacht.“: 89,1 %).

Deskriptive Ergebnisse

Die Abb. 2 (häufigste Symptome) und Abb. 3 (restliche Skalen) zeigen, dass sich Krankheitsannahmen je nach Krankheitsphase unterscheiden können. Dabei muss berücksichtigt werden, dass diese in der Nachsorgephase retrospektiv für die akute Erkrankungsphase erhoben werden. Hier dargestellt sind die Ergebnisse von zwei querschnittlichen Befragungen unterschiedlicher Patient:innen.

Abb. 2
figure 2

Deskriptive Gegenüberstellung der Wahrnehmung der häufigsten Symptome bei Patient:innen aus der Akutversorgung (n = 32), verglichen mit Patient:innen aus der Nachsorge (n = 32). (Anm.: In der Nachsorge wird retrospektiv nach der Zeit während der Akuterkrankungsphase gefragt)

Abb. 3
figure 3

Deskriptive Gegenüberstellung ausgewählter Items der restlichen Skalen bei Patient:innen aus der Akutversorgung (n = 32), verglichen mit Patient:innen aus der Nachsorge (n = 32). (Anm.: Sowohl in der Akutphase als auch in der Nachsorge beziehen sich die Aussagen auf die aktuelle Wahrnehmung)

Interne Konsistenz der Skalen

In Gaabs IPQ‑R (drei 5‑stufige Items pro Skala) ergaben sich akzeptable Werte für die interne Konsistenz (αZeitverlauf akut/chronisch = 0,84, αKonsequenzen = 0,77, αPersönliche Kontrolle = 0,72, αKohärenz = 0,86, αEmotionale Repräsentationen = 0,75), mit Ausnahme der Skala „Zeitverlauf: zyklisch“ (α = 0,57; [9]). Die interne Konsistenz der Skalen des Puppeninterviews (drei dichotome Items pro Skala) wurde mit der Kuder-Richardson-20-Formel berechnet (n = 64). Die interne Konsistenz der Skalen „Zeitverlauf akut/chronisch“ (α = 0,748) und „Persönliche Kontrolle“ (α = 0,717) war gut. Für die restlichen Skalen ergaben sich geringere interne Konsistenzen (αZeitverlauf zyklisch = 0,098, αKonsequenzen = 0,256, αKohärenz = 0,498, αEmotionale Repräsentation = 0,465). Manche Items werden von fast allen Kindern bejaht oder verneint (z. B. Item 22), was zu geringerer Konsistenz einer Skala führen kann. Weiterhin haben wir weniger Kinder befragt als für den Original-IPQ‑R befragt wurden [9], was ebenfalls Einfluss auf die interne Konsistenz nehmen kann.

Diskussion und praktische Implikationen

Die bisherige Arbeit mit dem Puppeninterview zeigt, dass subjektive Krankheitsannahmen ein sehr wichtiges Thema in der stationären und ambulanten psychosozialen Versorgung krebskranker Kinder und in der (Langzeit)nachsorge darstellen und mehr klinische Aufmerksamkeit erhalten sollten.

In einer Pilotstudie (n = 11) und einer multizentrischen Hauptstudie (n = 64) wurden die psychometrischen Eigenschaften des Puppeninterviews mit onkologisch erkrankten Kindern im Alter von 4 bis 11 Jahren in der Akut- und Behandlungsphase bzw. in der Nachsorgephase untersucht. Aufgrund der Ergebnisse zur Akzeptanz des Puppeninterviews durch die Kinder, zur Durchführungs- und Auswertungsobjektivität, zur Konstruktvalidität und zur internen Konsistenz kann zur Anwendung des Puppeninterviews als Diagnostikum geraten werden. Die positiven Rückmeldungen der Kinder und die klinischen Erfahrungen verschiedener Interviewer:innen verdeutlichen, dass das Puppeninterview als diagnostisches Instrument gerade bei jüngeren Kindern sehr gut anwendbar, verständlich, ökonomisch und praktikabel ist.

Die klinische Erfahrung mit dem Puppeninterview zeigt, dass die Einschätzungen von Kindern, Eltern und medizinischem Behandlungspersonal v. a. in der stationären Versorgung sehr unterschiedlich sein können. Möglicherweise berichten Kinder v. a. die Symptome, die sie unmittelbar in der Befragungssituation erleben. Andererseits könnte es sein, dass die Eltern einige Symptome über- oder unterschätzen, was zu Problemen bei der Medikamentengabe führen könnte. In der Gesamtschau lassen sich Implikationen für die bedarfsgerechte pharmazeutische Versorgung in der pädiatrischen Onkologie ableiten.

Auch für eine bedarfsgerechte psychosoziale Versorgung sind die diagnostischen Informationen von großem Nutzen, denn die Frage, ob und in welcher Form ein Kind psychisch belastet ist oder eine bestimmte psychosoziale Intervention benötigt, ist nicht allein durch ein Fremdurteil zu beantworten. Durch routinemäßigen Einsatz des Puppeninterviews kann nun auch der psychosoziale Unterstützungsbedarf bei jüngeren Patient:innen präzise und in Ergänzung zur Einschätzung der Eltern erfasst werden. Das Puppeninterview ist somit ein wichtiges Instrument, um die subjektiven Krankheitsannahmen von Kindern schon ab einem Alter von 4 Jahren zu erfassen.

Darüber hinaus kann das Puppeninterview bei mangelnder Therapiemitarbeit auch helfen, die Gründe für das ablehnende Verhalten (z. B. bei Verweigerung der Tabletteneinnahme) in Erfahrung zu bringen. Infobox 5 zeigt, wie das Puppeninterview bei der Wiederherstellung der Compliance helfen kann. Weitere Studien sind geplant, um Interventionen für Auffälligkeiten in den einzelnen Bereichen des Puppeninterviews (weiter) zu entwickeln.

Infobox 5 – Wiederherstellung der Compliance

Der 5‑jährige B. verweigert die Tabletteneinnahme. Einige Versuche des Personals, ihn zur Einnahme zu motivieren, scheitern: B. verschränkt die Arme und versteckt sich darunter. Die Situation eskaliert und er schreit seine Mutter an und meint, dass er dann eben nicht mehr gesund werden wolle, wenn er dafür Tabletten nehmen müsse. Der Psychologe betritt den Raum und nutzt die beiden Puppen, um in Kontakt zu kommen. Eine Puppe erzählt, dass es ihr auch schwergefallen sei, Tabletten zu nehmen. Die andere gibt damit an, dass es ihr keinerlei Probleme bereitet habe. Auf Nachfrage der Puppen untereinander, warum es schwergefallen sei, werden verschiedene Gründe ausgesprochen (die Tabletten sind zu groß, schmecken bitter, …). Daraufhin erzählt B., dass ihm immer schlecht von den Tabletten werde und dass er, wenn er sich erbrechen müsse, nicht nach Hause dürfe. Weil er nach Hause wolle, wolle er keine Tabletten nehmen. Im weiteren Verlauf konnte geklärt werden, dass die Tabletten eigentlich gegen diese Übelkeit helfen sollen. Nachdem B. das erkannt hatte, nahm er die Tabletten wieder ein. Über seine Sehnsucht nach zu Hause wurde gesondert besprochen.

Durch die separate Erfassung von elterlichen und kindlichen Annahmen ergibt sich die Möglichkeit, bedarfsgerechte systemische Interventionen anzubieten und adäquat auf die Kinder und die meist sehr ausgeprägten elterlichen Sorgen einzugehen. In Infobox 5 war es die kognitive Fehlannahme des Patienten, der verallgemeinert verinnerlicht hatte, dass ihm bei Einnahme von Tabletten übel werde und er erbrechen müsse. Durch die neuen Informationen, die er von den Puppen erhielt, konnte die Compliance wiederhergestellt werden. Es zeigte sich zudem, dass die Mutter des Patienten eine Entlassung in die Häuslichkeit zu früh angekündigt hatte. Auch dies konnte im weiteren Verlauf besprochen werden.

Aufgrund ihrer Bedeutung für die individuelle Krankheitsbewältigung sollten subjektive Krankheitsannahmen zukünftig auch bei anderen chronischen und schwerwiegenden Erkrankungen im Kindesalter erfasst werden. Durch das neu entwickelte Puppeninterview ist dies nun möglich.

Bezüglich der Stärken des Puppeninterviews ist hervorzuheben, dass es sich um ein innovatives Instrument zur Befragung v. a. sehr junger Patient:innen handelt, deren Selbsturteil ansonsten nicht erfassbar wäre (z. B. mittels Fragebogen). Durch den spielerischen Aufforderungscharakter fällt der Zugang zu den Patient:innen leicht. Des Weiteren bietet das Puppeninterview auch die Möglichkeit, aus dem Diagnostikum heraus mit der gleichen Methodik eine spieltherapeutische Intervention abzuleiten. Weitere Forschungsfragen sollten sich hinsichtlich der Evaluation einer solchen Intervention anschließen. Eine Limitation des Puppeninterviews hingegen ist, dass ein vorheriges Einarbeiten in die Methodik unabdingbar ist, welche über das bloße Lesen des Manuals hinausgeht. Nach unserer praktischen Erfahrung ist es dringend nötig, vor dem Einsatz an den Patient:innen das Puppeninterview zu üben. Als Beispiel sei hier genannt, dass der Blickkontakt zwischen Interviewer:in und Kind die Interaktion des Kindes mit der Puppe unterbrechen würde und das Kind so in einen Dialog mit der Interviewer:in anstelle der Puppe tritt. Aus unserer Erfahrung heraus empfehlen wir, das Puppeninterview daher ca. 3‑mal zu üben, um genügend Sicherheit im Umgang mit den Puppen zu entwickeln. Dieser zusätzliche Arbeitsaufwand wird jedoch durch den schnellen Zugang zu den Patient:innen relativiert.

Die Interpretation der Ergebnisse aus der Pilotstudie sei vor dem Hintergrund der kleinen Fallzahl (n = 11) zu betrachten.

Fazit für die Praxis

  • Mithilfe des Puppeninterviews ist die spielerische Erhebung subjektiver Krankheitsannahmen bei pädiatrisch-onkologischen Patient:innen im Alter von 4 bis 11 Jahren möglich.

  • In zwei Studien wurde die ökonomische und praktikable Anwendbarkeit des Puppeninterviews belegt und es wurden erste zufriedenstellende Ergebnisse zu psychometrischen Gütekriterien (Konstruktvalidität, interne Konsistenz) vorgelegt.

  • In Ergänzung zum Urteil der Eltern liefert das Urteil der Kinder wichtige Informationen für die behandelnden Ärzt:innen und psychosozialen Behandler:innen, die für die medikamentöse Behandlung sowie für die Bearbeitung maladaptiver Krankheitsannahmen genutzt werden können.