Zusammenfassung
Hintergrund
Kinder aus Familien in benachteiligten sozialen Lagen nutzen Präventionsangebote seltener und haben häufiger Defizite in der Entwicklung als sozial besser gestellte Kinder. Vernetzte Unterstützung und Beratung in Form von Präventionsketten sollen dem entgegenwirken. Deren individuellen Nutzungsmuster sind bislang kaum untersucht.
Fragestellung
Die Studie untersucht, ob sich Muster der Präventionsnutzung beobachten lassen und ob diese mit der sozialen Lage und der kindlichen Entwicklung verknüpft sind.
Material und Methoden
Dies wurde anhand von Befragungsdaten zur Präventionsnutzung analysiert, die in der Schuleingangsuntersuchung bei 6480 Kindern erhoben wurden. Mit einer hierarchischen Clusteranalyse wurden zunächst Cluster ähnlicher Präventionsnutzung identifiziert. Mit Poisson-Regressionsanalysen („rate ratios“, 95 %-Konfidenzintervall) wurden Zusammenhänge zwischen den Clustern und ausgewählten Merkmalen der sozialen Lage sowie der Häufigkeit auffälliger Befunde (altersgemäße Entwicklung, Gewicht, Aufmerksamkeit, Körperkoordination, Verhalten) untersucht.
Ergebnisse
Es wurden drei Muster identifiziert: eines mit starker Nutzung (aktives Cluster), eines mit geringer Nutzung (passives Cluster) und eine Mischform mit Teilnahme an einer Kindergartenuntersuchung (KU) und mittlerer Präventionsnutzung (KU-Cluster). Das KU-Cluster hat den höchsten, das aktive Cluster den geringsten Anteil von Kindern in einer benachteiligten sozialen Lage. Im KU-Cluster und im passiven Cluster zeigen sich häufiger auffällige Befunde als im aktiven Cluster.
Schlussfolgerung
Im KU-Cluster zeigt sich eine höhere Nutzung von Präventionsangeboten als man im Hinblick auf die soziale Lage der Kinder erwarten würde. In kommunalen Präventionsketten könnte die KU daher eine Lotsenfunktion erfüllen.
Abstract
Background
Children from families in disadvantaged social circumstances are less likely to take advantage of preventive services and more likely to have developmental deficits than children from families that are better off. Networked support and counselling in the form of prevention chains should counteract this. Their individual utilisation patterns have hardly been studied so far.
Objectives
The study investigates whether combinations of prevention use can be observed and whether these are linked to social circumstances and child development.
Materials and methods
The study was conducted using survey data on prevention use collected from 6480 children in the school entrance examination in Germany. First, clusters of similar prevention use were identified by hierarchical cluster analysis. Afterwards, associations between clusters and selected characteristics of the social situation as well as the frequency of conspicuous findings (age-appropriate development, weight, attention, body coordination, behaviour) were analysed by Poisson regression analyses (rate ratios with 95% confidence interval).
Results
Three patterns of prevention use were identified: one with high use (active cluster), one with low use (passive cluster), and a mixed pattern characterized by participation in a kindergarten examination (KU cluster) and midrange in other prevention use. The KU cluster has the highest proportion of children in disadvantaged social circumstances, while the active cluster has the lowest. The KU cluster and the passive cluster show more frequent abnormal findings than the active cluster.
Conclusion
In the KU cluster, there is a higher use of prevention services than would be expected in terms of children’s social circumstances. In community “prevention chains”, the kindergarten examination could be a mediator into other services of prevention.
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Einleitung
Kinder aus Familien mit niedriger elterlicher Bildung, mit Migrationshintergrund oder aus einem sozioökonomisch benachteiligten Wohnumfeld nutzen Präventionsangebote seltener. Das wurde beispielsweise für Frühe Hilfen [9], Elternbildung [2] und Bewegungsförderung [21] gezeigt. Diese sozialen Ungleichheiten in der Präventionsnutzung können zu sozialen Ungleichheiten in der Entwicklung und der Gesundheit im Kindesalter führen [7].
Um diese Ungleichheiten auf kommunaler Ebene zu adressieren, wurden integrierte Gesamtansätze entwickelt. Sog. „Präventionsketten“ sind darauf ausgerichtet, ein auf die Lebensphasen der Kinder abgestimmtes Netzwerk von Unterstützung, Beratung und Begleitung zu bieten [18, 19]. Bislang bleibt zu zeigen, ob Präventionsketten dort ankommen, wo sie benötigt werden und ob sie einen gesundheitlichen Mehrwert haben. Um dies zu prüfen, müssen Individualdaten zur Präventionsnutzung, zur sozialen Lage und zur Gesundheit korreliert werden. Es besteht jedoch das Problem, die individuelle Nutzung von Präventionsketten empirisch abzubilden. Es liegt nahe, dass die Nutzung von Angeboten, ähnlich wie dies auch schon für Gesundheitsverhalten [12] und Lebensstil [13] gezeigt wurde, bestimmten Mustern unterliegt, deren Auswirkungen über die Nutzung von einzelnen Angeboten hinausgehen. Aus der Untersuchung solcher Muster können sich Erkenntnisse ergeben, wie besonders vulnerable Gruppen erreicht werden können.
Eine Möglichkeit solche Muster zu identifizieren, die in ihrer Präventionsnutzung ähnlich sind, ist die Clusteranalyse [15]. Die Bestimmung einer Typologie der Präventionsnutzung kann helfen Gruppen zu finden, die in der Ansprache und Angebotsplanung besonders berücksichtigt werden sollten.
Die Ziele dieser Studie sind deshalb (1) die Identifizierung von Mustern in der Präventionsnutzung, (2) deren sozial bedingte Modifikationen und (3) deren Zusammenhänge mit der Kindesentwicklung.
Material und Methoden
Datenquellen
Die Bearbeitung dieser Fragen erfolgte mit Daten der Studie „Gesundheit bei Schuleingang“ [20]. Die retrospektive Kohortenstudie hat zum Ziel, die Inanspruchnahme und den gesundheitlichen Nutzen kommunaler Prävention für Kinder zu bewerten. Die Analyse basiert auf Informationen zu 6480 Vorschulkindern aus Düsseldorf sowie deren Nutzung von Präventionsangeboten und Ergebnissen in der Schuleingangsuntersuchung (SEU).
Die Präventionsnutzung wurde mit 23 Präventionsangeboten gemessen. Diese wurden zu fünf binären und zwei metrischen Kategorien zusammengefasst (Tab. 1). Die Angebote wurden – falls möglich – in eine zeitliche Reihenfolge gebracht und ansonsten thematisch sortiert. Alle Angebote werden aktiv von Eltern aufgesucht, mit Ausnahme der Kindergartenuntersuchung (KU), einem Entwicklungsscreening, das in Kitas als aufsuchendes Angebot in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf durchgeführt wird.
Die soziale Lage wurde über die Bildung der Eltern, den Migrationshintergrund des Kindes und den Sozialraum, in dem das Kind lebt, bestimmt. Diese Angaben wurden jeweils dichotomisiert. Dabei wird zwischen kein Abschluss/Hauptschule vs. mittlere/höhere Bildung, Migrationshintergrund vs. kein Migrationshintergrund sowie Sozialraum mit hohem Handlungsbedarf vs. Sozialraum mit niedrigem Handlungsbedarf unterschieden.
Die kindliche Entwicklung wurde anhand der Befunde der SEU gemessen. Dabei wurde jeweils in einer Variable gemessen, ob ein problematischer Befund vorliegt bei: altersgemäße Entwicklung, Gewicht, Aufmerksamkeit, Körperkoordination, Verhalten. Hierzu wurden die entsprechenden Merkmalsbereiche aus dem sozialpädiatrischen Entwicklungsscreening (SOPESS) herangezogen [5]. Als problematischer Befund beim Gewicht wurden die beiden aus dem BMI hergeleiteten Kategorien Übergewicht und Adipositas definiert.
Statistische Analysen
Aus den in Tab. 1 vorgestellten Variablen wurden zunächst mittels hierarchischer Clusteranalyse die Cluster gebildet. Da die Ausprägungen der Variablen in unterschiedlichen Spannweiten vorliegen, ist es notwendig, die Variablen zu standardisieren. Dies wurde mit einer „Z-Transformation“ durchgeführt, die zu einer Variable mit einem Mittelwert von 0 und einer Standardabweichung von 1 führt [15]. Zunächst bildet jede Beobachtung ein Cluster. Im Anschluss werden die beiden Beobachtungen, die sich am ähnlichsten sind, zusammengeführt. Dieser Prozess wird fortgeführt, bis die festgelegte Anzahl der Cluster erreicht ist. Für die Bestimmung der optimalen Anzahl der Cluster wurden sowohl analytische Methoden (Duda-Hart-Index, „variance ratio criterion“; [11]) als auch inhaltliche Kriterien herangezogen. Dabei ist die sinnvolle Interpretierbarkeit der gebildeten Cluster das entscheidende Kriterium [15]. Nach Berücksichtigung dieser formalen und inhaltlichen Kriterien wurde eine Reduzierung auf drei Cluster als optimale Lösung gewählt. Die Clusterbildung wurde abschließend auf Stabilität geprüft, indem mit dem K-means-Verfahren erneut eine Clusterung durchgeführt wurde und die Ergebnisse verglichen wurden [15].
Anschließend wurde untersucht, wie sich die soziale Lage und die kindliche Entwicklung zwischen den Clustern unterscheiden. Zuletzt wurde in multivariablen Poisson-Regressionsanalysen „rate ratios“ (RR) mit Konfidenzintervall (KI) für einen Befund in der Entwicklung nach Präventionsnutzung unter statistischer Kontrolle der sozialen Position berechnet. Alle Analysen wurden mit Stata 14 durchgeführt.
Ergebnisse
Jungen und Mädchen sind vergleichbar in der Stichprobe vertreten. Etwa 11 % der Kinder haben Eltern mit niedriger Schulbildung, über die Hälfte der Stichprobe hat einen Migrationshintergrund, mehr als ein Viertel wächst in einem belasteten Sozialraum auf. Auffällige Befunde in der Entwicklung sind in der Körperkoordination am häufigsten, Verhaltensauffälligkeiten werden seltener festgestellt (Tab. 2).
Cluster-Präventionsnutzung
Die Tab. 3 zeigt, wie viele Kinder in den jeweiligen Clustern und im gesamten Sample an einem Präventionsangebot teilnahmen. Bei den Kategorien Angebote zur Erziehung und Bewegungsangebote wird angegeben, an wie vielen Angeboten die Kinder teilnahmen. Die Unterschiede in der Präventionsnutzung zwischen den Clustern werden auf Signifikanz geprüft (χ2-Test).
Die Abb. 1 zeigt die Zusammensetzung der Cluster. Durch die Darstellung der standardisierten Werte wird deutlich, welche Angebote in den Clustern unterdurchschnittlich (Balken nach unten) und welche überdurchschnittlich (Balken nach oben) genutzt werden. Ein Skalenwert von 0 entspricht dabei einer durchschnittlichen Nutzung im Vergleich zur Gesamtstichprobe. In Tab. 3 ist abzulesen, wie häufig einzelne Angebote in den Clustern genutzt werden.
Das aktive Cluster weist eine überdurchschnittliche Nutzung aller Kategorien der Prävention mit Ausnahme der KU auf. Das passive Cluster zeigt hingegen in allen Kategorien eine unterdurchschnittliche Nutzung. Bis auf Angebote zur Erziehung und zur Bewegung wurden keine Angebotskategorien genutzt. Das KU-Cluster ist geprägt von der hohen Nutzung dieses Entwicklungsscreenings. Alle Kinder, die zu diesem Cluster gezählt werden, haben an der KU teilgenommen. Alle anderen Angebote wurden unterdurchschnittlich genutzt, die meisten jedoch häufiger als im passiven Cluster. Ernährungs- und Bildungsangebote wurden nicht genutzt.
Soziale Lage/Cluster
Die Abb. 2 zeigt, wie häufig Kinder in einer benachteiligten sozialen Lage in den Clustern vorkommen. Am seltensten ist dies beim aktiven Cluster der Fall: 5,7 % der Eltern haben eine niedrige Bildung, 41,2 % der Kinder haben einen Migrationshintergrund und 20,3 % leben in einem Sozialraum mit Handlungsbedarf. Im KU-Cluster hat ein höherer Anteil der Kinder einen Migrationshintergrund, auch die anderen beiden Indikatoren treten häufiger auf. Das passive Cluster liegt bezüglich der sozialen Lage in der Mitte.
Cluster/Entwicklung
Die Abb. 3 zeigt die Häufigkeiten von problematischen Befunden in den Kategorien altersgemäße Entwicklung, Gewicht, Aufmerksamkeit, Koordination und Verhalten in den jeweiligen Clustern. Am häufigsten ist ein Befund bei der altersgemäßen Entwicklung beim KU-Cluster. Auch hier nimmt das passive Cluster eine Mittelstellung ein: Knapp ein Drittel der Kinder zeigt keine altersgemäße Entwicklung. Die anderen gesundheitlichen Outcomes zeigen mit Ausnahmen eine ähnliche Verteilung zwischen den Clustern, insgesamt jedoch auf niedrigerem Niveau.
Mit multivariablen Poisson-Regressionsanalysen (Abb. 4 und 5) wurden Rate Ratios (RR) für einen problematischen Befund bei der altersgemäßen Entwicklung, Gewicht, Aufmerksamkeit, Körperkoordination und Verhalten bei Zugehörigkeit zum KU-Cluster oder zum passiven Cluster im Vergleich zur Zugehörigkeit zum aktiven Cluster (Referenzkategorie) geschätzt. Diese wurden zunächst ohne Adjustierung und anschließend unter Adjustierung von Geschlecht und sozialer Lage (Bildung, Migrationshintergrund und Sozialraum) geschätzt. Aufgrund von fehlenden Angaben wurden 639 Beobachtungen ausgeschlossen. Es ergibt sich daraus ein Sample von 5720 Kindern. Im unadjustierten Modell zeigt sich bei Kindern im KU-Cluster eine 1,5-fach so hohe Wahrscheinlichkeit einer nicht altersgemäßen Entwicklung (95 %-KI 1,4–1,7) als bei Kindern im aktiven Cluster. Im adjustierten Modell ist diese Wahrscheinlichkeit 1,3-fach erhöht (95 %-KI 1,1–1,4).
Beim passiven Cluster zeigt sich im unadjustierten Modell bei allen Indikatoren der Entwicklung ein signifikant häufigeres Auftreten von problematischen Befunden im Verhältnis zur Referenzkategorie des aktiven Clusters – mit Ausnahme von Körperkoordination und Verhalten. Beim KU-Cluster ist der Zusammenhang bei der altersgemäßen Entwicklung und der Aufmerksamkeit etwas ausgeprägter und beim Gewicht etwa gleich wie beim passiven Cluster. Im adjustierten Modell bleibt der Zusammenhang zwischen Präventionscluster und Entwicklung bestehen, verliert jedoch beim Zusammenhang zwischen passivem Cluster, altersgemäßer Entwicklung und Aufmerksamkeit die statistische Signifikanz.
Diskussion
Ziel dieser Studie war (1) die Identifizierung von Mustern in der Präventionsnutzung, (2) deren sozial bedingte Modifikationen und (3) deren Zusammenhänge mit der Kindesentwicklung. Die Arbeit identifizierte ein aktives, ein passives und ein gemischtes Cluster (KU-Cluster) der Präventionsnutzung, das sehr häufig von der KU erfasst wird und sich in der sonstigen Präventionsnutzung im unteren Mittelfeld befindet. Die KU unterscheidet sich von den anderen Präventionsangeboten dahingehend, dass dieses Angebot aufsuchend in Stadtteilen mit hohem sozialen Handlungsbedarf durchgeführt wird.
Im aktiven Cluster finden sich die wenigsten Kinder aus einem Haushalt mit benachteiligter sozialer Lage, im KU-Cluster die meisten. Das passive Cluster liegt diesbezüglich in der Mitte. Problematische Befunde zeigen sich gehäuft bei Kindern mit Zugehörigkeit zum passiven und zum KU-Cluster gegenüber Kindern mit eher aktiver Präventionsnutzung. Die Unterschiede zwischen dem KU-Cluster und dem passiven Cluster sind eher unsystematisch und gering. Der Zusammenhang zwischen Präventionsnutzung und Entwicklung bleibt bei Adjustierung für das Geschlecht und die soziale Lage in den meisten Fällen bestehen.
Ausgangspunkt der Analyse ist der Versuch, eine Kombination der Präventionsnutzung, ähnlich wie es in Präventionsketten konzeptionalisiert wird, abzubilden. Arbeiten zum Gesundheitsverhalten [12] und Lebensstilfaktoren bei Jugendlichen [13] legen nahe, dass die mehrdimensionale Betrachtung solcher Verhaltensweisen Potenzial für die Erkennung des Förderbedarfs vulnerabler Gruppen birgt. Beispielsweise zeigen Höpker et al. [12], dass sich bei Jugendlichen Cluster mit typisch gesundheitsschädlichem (z. B. Rauchen, körperliche Inaktivität) und eher gesundheitsförderlichem Verhalten (bewusste Ernährung, körperliche Aktivität) unterscheiden lassen. Durch eine solche Betrachtung werden Gruppen mit gemeinsamen Problemlagen und sozialpolitischen Bedürfnissen erkannt [15]. Dies kann für eine zielgerichtete Prävention unter den gegebenen knappen Ressourcen hilfreich sein. Jedoch ist eine zeitliche Abfolge der Präventionsnutzungen über die Phasen der kindlichen Entwicklung – wie in den Präventionsketten angedacht – mit den vorliegenden Daten nur bedingt abbildbar.
Bei der Präventionsteilnahme bewegt sich das KU-Cluster mit dem größten Anteil von Kindern in einer benachteiligten sozialen Lage im Mittelfeld. Das KU-Cluster steht damit teilweise im Widerspruch zu bisherigen Befunden, dass die Präventionsteilnahme mit der soziökonomischen Position (SEP) sinkt [9, 21]. Das Abweichen des KU-Clusters von diesem sog. „Präventionsdilemma“ [1] könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Kindergartenuntersuchung als Lotse für sozial benachteiligte Gruppen in Präventionsangebote fungiert. Neben den U‑Untersuchungen könnte sie ein weiterer niedrigschwelliger Türöffner für Prävention und Gesundheitsförderung sein [6].
Bezüglich der kindlichen Entwicklung zeigt sich sowohl bei Kindern im passiven als auch im KU-Cluster ein vergleichbares erhöhtes Risiko einer problematischen Entwicklung. Bisherige Studien weisen darauf hin, dass Kinder, die selten an Präventionsangeboten teilnehmen, und Kinder aus benachteiligten sozialen Lagen Auffälligkeiten in der Entwicklung haben [10, 23]. Denkbar ist, dass das KU-Cluster von seiner – im Vergleich zum passiven Cluster – aktiveren Präventionsnutzung profitiert und dadurch die Auswirkungen der benachteiligten sozialen Lage auf die kindliche Entwicklung kompensiert.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Teilnahme an Präventionsangeboten durch den „recall bias“ [4] zu niedrig oder durch soziale Erwünschtheit zu hoch angegeben wird. Wenn sich diese Effekte zwischen bestimmten Gruppen unterscheiden, sind Verzerrungen in der Analyse denkbar. Die Stärke dieser Studie liegt in der großen Datenbasis, reliablen Gesundheitsinformationen und der geringen Gefahr von Selektion. Die vorliegende Analyse beruht auf einer großen Fallzahl (n = 6480). Es liegt nahezu eine Vollerhebung von zwei Einschulungsjahrgängen in Düsseldorf vor [22]. Die Gesundheitsdaten beruhen auf ärztlichen Untersuchungen mit validierten Instrumenten (SOPESS; [17]). Da die SEU eine verpflichtende Untersuchung ist, ist eine soziale Selektion der Teilnehmer/innen nicht gegeben und die Teilnahme an zusätzlichen, im Rahmen der SEU durchgeführten Elternbefragungen weist im Prinzip keine Verzerrung auf [20].
Kinder aus Familien in benachteiligten sozialen Lagen nutzen kommunale Prävention in stärkerem Maße, wenn sie die KU in Anspruch genommen haben. Im Rahmen von Präventionsketten kann die KU eine Lotsenfunktion in weitere präventive Angebote erfüllen. Bei festgestellten Auffälligkeiten erhalten die betroffenen Familien Empfehlungen für wohnortnahe Angebote [8]. Es gibt viele Ansätze für solche Untersuchungen im Kindergarten [14, 16]. Diese werden häufig in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf angeboten, dies trifft auch auf Düsseldorf zu [3]. Durch eine solche sozialräumliche Priorisierung, die auch den begrenzten kommunalen Mitteln geschuldet ist, besteht jedoch die Gefahr, dass andere vulnerable Gruppen nicht angesprochen werden, obwohl ein Bedarf da wäre. Gleichwohl könnte die Kindergartenuntersuchung ein wirksames Instrument zur Minderung gesundheitlicher Ungleichheiten im Kindesalter sein.
Fazit für die Praxis
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Eine Kindergartenuntersuchung kann die Nutzung kommunaler Prävention von Kindern in benachteiligten Lebenslagen steigern.
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Es ergeben sich Hinweise, dass sie die kindliche Entwicklung positiv beeinflussen kann.
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Bei einer sozialräumlichen Priorisierung werden nicht alle Kinder mit Förderbedarf erfasst.
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Die Kommunen sollten nach ihren Möglichkeiten Ressourcen schaffen, um Kinder flächendeckend im Kindergarten zu untersuchen und bei Bedarf mit Förderangeboten zu vernetzen.
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Funding
Die Analysen entstanden im Rahmen des von der Auridis-Stiftung geförderten Projekts „Kurzerhebung zur Nutzung kommunaler Prävention durch Schulneulingseltern – Pilotierung eines Standardverfahrens in der Schuleingangsuntersuchung – PRÄVPIKO“ (Laufzeit 7/19–9/21).
Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
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Götz, S., Kreffter, K. & Weyers, S. Soziale Lage, Muster in der Präventionsnutzung und kindliche Entwicklung – eine Clusteranalyse im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung. Präv Gesundheitsf 18, 78–86 (2023). https://doi.org/10.1007/s11553-022-00933-5
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