Hintergrund

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Wohlbefinden als ein allgemeiner Begriff, der die Gesamtheit menschlicher Lebensbereiche umfasst, einschließlich physischer, mentaler und sozialer Aspekte [10]. Die Komponenten des Wohlbefindens (wie Erziehung, Bildung und Arbeit) sowie die Zufriedenheit am Arbeitsplatz haben einen großen Einfluss auf die Gesundheit des Individuums [10]. Demgegenüber können arbeitsbezogene Belastungen krankheitsfördernd sein. Die Zusammenhänge sind gut untersucht bezüglich der Entwicklung psychischer Symptome [11], insbesondere in Bezug auf die Entwicklung eines Burnouts [16, 21]. Das breit etablierte „job demands-resources model“ [2] unterscheidet dabei zwischen Beeinträchtigungsprozessen und eines Motivierungsprozesses im Kontext mit Arbeitsaufgaben und Ausführungsbedingungen. Demnach führen hohe oder schlecht gestaltete Arbeitsanforderungen (Beeinträchtigungsprozesse) sowie bei mangelnden Arbeitsressourcen und verminderten motivationalen Faktoren (Motivierungsprozesse), gemäß „job demands-ressources model“ zur Erschöpfung und dem Risiko der Entwicklung eines Burnouts [9]. Eine wesentliche Relevanz haben in diesem Zusammenhang die hohe Arbeitsintensität, geringer Tätigkeitsspielraum, mangelnde Gerechtigkeit und mangelnde soziale Unterstützung [29]. In der betrieblichen Gesundheitsförderung wird ein großes Augenmerk auf die Früherkennung und Prävention gelegt. Aus der klinischen Forschung ist bekannt, dass bestimmte individuelle Faktoren, insbesondere Persönlichkeitsstile und -störungen [5, 19], das Risiko für stressbedingte Erkrankungen im Arbeitskontext erhöhen. Auch gibt es Untersuchungen, die auf besonders gefährdete Berufsfelder fokussieren (z. B. Gesundheits- und Sozialbereich). Die Zusammenhänge zwischen Belastungsfaktoren im Arbeitskontext und Wohlbefinden bei verschiedenen Arbeitsprofilen standen bisher nicht im Fokus der wissenschaftlichen Studien. Neben den allgemeinen Grundlagen zur Prävention erscheint es hilfreich, die Grundlagen und Zusammenhänge zwischen Arbeit und Wohlbefinden für spezifische Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen bei unterschiedlichen Berufsprofilen zu untersuchen [25].

Ziel der Arbeit

Das Ziel der Arbeit ist die Analyse, inwieweit arbeitsbezogene Faktoren einen Einfluss auf das Wohlbefinden haben. Dabei wird untersucht, ob Unterschiede für verschiedene Berufsprofile (physischer oder mentaler Arbeit, mit Führungsaufgaben [mFA] oder ohne Führungsaufgaben [oFA]) vorhanden sind und in einem Folgeschritt, wie rollenspezifische Präventionsmaßnahmen aussehen könnten.

Material und Methoden

Erhebung, Zusammensetzung der Stichprobe und Gruppierung

Die Helsana-Versicherungen AG befragte im Jahr 2014 in der Schweiz 3880 Mitarbeitende mit verschiedenen Tätigkeiten aus folgenden Sektoren: Handwerk und Baugewerbe 46 %, Versicherungs- und Bankenwesen 24 %, Gesundheitswesen 9 %, Dienstleistungen 8 % und andere Bereiche 13 %. Die Mitarbeitenden der involvierten Unternehmen nahmen an der webbasierten Datenerhebung auf freiwilliger Basis und mit schriftlicher Zustimmung teil. Alle Daten wurden anonymisiert. Datenschutz, Datensicherheit und Informationsplicht wurden zu jeder Zeit eingehalten. 3350 der 3880 Befragten füllten die Umfrage vollständig aus, was einer Response-Rate von 86,3 % entspricht.

Die Stichprobe wurde über drei Antwortabgaben in sieben Berufsprofile eingeteilt: Berufliche Stellung (Auszubildende, mFA oder oFA), mFA und oFA wurden weiter unterteilt nach körperliche Tätigkeit (physisch ab „trifft eher zu“, sonst mental), mental erhielt die Unterteilung nach Komplexität der Aufgabe anhand dem International Standard Classification of Occupations (ISCO-08 Skill levels; [18]): komplex (kompl.; Level 3 & 4) oder nicht komplex (n. kompl.; fachlich ausgerichtet oder Anlerntätigkeit, Level 1 & 2). Die soziodemographische Aufteilung der Stichprobe nach Alter und Geschlecht für die verschiedenen Berufsprofile wird aufgeführt (Tab. 1).

Tab. 1 Anzahl Fälle und soziodemographische Aufteilung (Altersklasse und Geschlecht) der Stichprobe nach den Berufsprofilen und insgesamt

Messinstrumente

Die abhängige Variable Wohlbefinden wird mit dem WHO-5-Well-being-Index [33] erfasst und misst mit 5 Items und 6‑stufiger Likert-Skala das subjektive psychologische Wohlbefinden. Das Arbeitsempfinden wird mit den Dimensionen Arbeitsbelastung, soziale Ressourcen, Arbeitsengagement und arbeitsbezogenes Kohärenzgefühl erhoben. Die Arbeitsbelastung und die sozialen Ressourcen wurden mit selbst geschaffenen Skalen basierend auf dem „job demands-ressources model“ abgefragt. Bei der Arbeitsbelastung werden negative Aspekte der Arbeit mit 4 Items (Zeitdruck, Unterbrechungen, unklare Vorgaben und Erschöpfung nach der Arbeit) auf einer 5‑stufigen Likert-Skala („stimmt sehr“ bis „stimmt nicht“) abgefragt, welche als Stressoren zu psychischer oder physischer Überlastung führen können. Mit den sozialen Ressourcen bei der Arbeit befassen sich 4 positive Fragen (Wertschätzung der Arbeit durch Vorgesetzte, durch Mitarbeitende, respektvoller Umgang und faire Abläufe) auf der gleichen 5‑stufigen Likert-Skala. Das Arbeitsengagement wird mit fünf 7‑stufigen Items aus der Utrecht Work Engagement Scale (UWES) gemessen [28]. Das Kohärenzgefühl (ursprünglich vom Salutogenesemodell von Aaron Antonovsky) beinhaltet die drei Dimensionen Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit und Verstehbarkeit. Mit der Skala des Work Sense Of Coherence (W-SOC) wurde dieses Konzept auf die Arbeitswelt übertragen [4]. Daraus sind 6 Items mit jeweils 7‑stufiger Skala selektiert, wobei die Verortung von 2 Items zur Sinnhaftigkeit und 4 Items zur Handhabbarkeit. Infolge hoher Korrelation von Verstehbarkeit und Handhabbarkeit wurden diese beiden Faktoren des Kohärenzgefühls zusammengelegt. Der W‑SOC kann als übergeordneter Indikator für die gesundheitsrelevante Arbeitsumgebung gesehen werden.

Statistische Auswertung

Mit dem Programm R und dem lavaan-Paket [27] wurde ein Strukturgleichungsmodell gerechnet, welches die Kovarianzmatrix und Mittelwerte der beobachteten Variablen modelliert. In einem ersten Schritt wurde eine konfirmatorische Faktoranalyse als Multigruppenanalyse durchgeführt, wobei auch die Messinvarianz bezüglich der Berufsprofile validiert wurde. Nach der konfirmatorischen Faktoranalyse wurde das Strukturgleichungsmodell zwischen den Faktoren aufgesetzt um die Regressionskoeffizienten zu berechnen.

Basierend auf den Empfehlungen in Hair et al. [15] sind aufgrund der Komplexität des Strukturgleichungsmodells Gruppengrößen von mindestens 300 Personen nötig. Daher wurden die 2 Profile mental nicht komplex mFA und Auszubildende nicht ins Strukturgleichungsmodell einbezogen. Ebenfalls basierend auf Hair et al. [15] wird als akzeptables Modellfitkriterium ein „root mean square error of approxmiation“ (RMSEA) < 0,07 und „comparative fit index“ (CFI) > 0,92 verwendet. Die unstandardisierten Regressionskoeffizienten werden als klar signifikanten Prediktor für die Zielvariable betrachtet, wenn der p-Wert < 0,01 beträgt und als leicht signifikant für p < 0,05. Um zu prüfen, ob die Effektstärke für verschiedene Faktoren signifikant verschieden ist, wird ein Wald-Test auf die standardisierten Regressionskoeffizienten angewendet [19].

Die gesundheitlich beeinträchtigten Personen werden in einer separaten Betrachtung mit gesunden Personen verglichen. Dazu sind Personen mit einer Wohlbefindenscore < 50 (Summe der WHO‑5 normiert auf 100) oder einer Symptomatikscore von > 12 analog dem „brief symptoms inventory-“ (BSI-)18-Fragebogen [12] als gesundheitlich gefährdet definiert. 18 % des Samples (611 Personen) gehören zu den so definierten gesundheitlich Gefährdeten. Mittels k‑Means-Clustering werden 4 Gruppen aus den gesundheitlich gefährdeten Personen gebildet, indem alle Items des Arbeitsempfindens geclustert werden. Der Clustering-Algorithmus teilt die Personen automatisch in möglichst separierte und homogene Gruppen ein. Cohens d zeigt, wie stark sich die Gruppen in den Arbeitsfaktoren von den gesunden Personen unterscheiden, wobei |d| > 0,2 als kleiner, |d| > 0,5 als moderater und |d| > 0,8 als großer Unterschied gewertet wird [7]. Mittels Pearson χ2-Test wird getestet, ob der Anteil der Mitarbeitenden pro Berufsprofil in den 4 Gruppen von einer gleichmäßigen Verteilung abweicht.

Ergebnisse

Konsistenz der Messinstrumente

Die Reliabilität der Skalen wird über McDonalds Omega (ωh) getestet. Die Werte von ωh für die verschiedenen Faktoren und Berufsprofile sind dargestellt (Tab. 2). Die Grenze von ungefähr 0,7 wird als Maß für eine akzeptable Reliabilität [26] verwendet und meist eingehalten. Einzig für die Sinnhaftigkeit befindet sich der Wert für mehrere Profile leicht unter 0,7, wie auch für das Profil physisch mFA bei der Arbeitsbelastung.

Tab. 2 McDonalds Omega (ωh) pro Berufsprofil für die 6 Faktoren des Strukturgleichungsmodells
Tab. 3 Anzahl (n) und Anteil (%) von Gesunden und Gefährdeten pro Berufsprofil, sowie Anzahl (n) und Anteil gefährdeter (% gef.) Personen pro Berufsprofil pro Cluster

Regressionsanalyse mittels Strukturgleichungsmodell

Das Strukturgleichungsmodell erfüllt mit RMSEA = 0,056 und CFI = 0,931 die Modellfitkriterien. Das Modell bildet die Daten somit adäquat ab. Die berechneten standardisierten Regressionskoeffizienten β werden in (Abb. 1) für alle Berufsprofile graphisch dargestellt. Die Signifikanz der verbindenden Pfade ist farblich hervorgehoben. Das Wohlbefinden hängt für alle Berufsprofile signifikant (p < 0,003 für alle Berufsprofile) von Arbeitsbelastung (β zwischen −0,26 und −0,49) und Arbeitsengagement (β zwischen 0,25 und 0,39) ab. Die sozialen Ressourcen, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit beeinflussen das Wohlbefinden jedoch nur indirekt, denn je nach Berufsprofil ist p > 0,01 oder p > 0,05 für den direkten Pfad zum Wohlbefinden, aber p < 0,003 für den indirekten Pfad über die Arbeitsbelastung und/oder das Arbeitsengagement. Bei Profilen mFA wirkt sich die Belastung signifikant (p-Wert des Wald-Tests 0,006) stärker aus als das Arbeitsengagement. Bei den anderen Profilen ist der β‑Koeffizient der beiden Faktoren nicht statistisch signifikant verschieden. Für das Berufsprofil mental komplex oFA ist die Sinnhaftigkeit von signifikant höherer (p-Wert des Wald-Tests < 0,001) Bedeutung für das Arbeitsengagement als die sozialen Ressourcen.

Abb. 1
figure 1

Resultate der Regressionsanalyse mittels Strukturgleichungsmodell für 5 Berufsprofile. Die standardisierten Regressionskoeffizienten β sind bei allen signifikanten Pfaden angegeben (mFA mit Führungsaufgaben, oFA ohne Führungsaufgaben). Grüne Pfade sind klar signifikant (p < 0,01), orange leicht signifikant (0,01 < p < 0,05), rote nicht signifikant (p > 0,05). Die Prozentangaben sind die Varianz der Faktoren, welche durch das Modell erklärt sind (R2)

Clusteranalyse

Die Spanne der Werte der Gesundheits- und Arbeitsfaktoren der 4 durch das Clustering erstellten gesundheitlich gefährdeten Gruppen sind im Vergleich mit den gesunden Personen in (Abb. 2) dargestellt. Die Mitarbeitenden in Gruppe 1 unterscheiden sich am stärksten von den Gesunden und die Unterschiede sind in allen Arbeitsfaktoren groß, d. h. sie haben in allen Arbeitsfaktoren negative Bewertungen geäußert. Dies gilt insbesondere für das Arbeitsengagement (d = 2,38), die Arbeitsbelastung (d = −2,15) und die sozialen Ressourcen (d = 1,70). In Gruppe 2 weisen die Personen zwar eine klar höhere Arbeitsbelastung (d = −1,64) und tiefere Handhabbarkeit (d = 1,22) auf als die gesunden, der Unterschied in Arbeitsengagement und Sinnhaftigkeit ist aber nur klein (d = 0,26 für beide). Die Personen sind demnach überlastet. Demgegenüber sind Personen der Gruppe 3 mit klar tieferem Arbeitsengagement (d = 2,35) und Sinnhaftigkeit (d = 0,92), aber nur wenig höherer Arbeitsbelastung (d = −0,29) und nur wenig tieferer Handhabbarkeit (d = 0,36) im falschen Job. Mitarbeitende der Gruppe 4 unterscheiden sich in allen Arbeitsfaktoren kaum von den Gesunden, so sind andere Probleme für die gesundheitliche Gefährdung verantwortlich. Personen aller Berufsprofile lassen sich in den 4 Clustergruppen finden (Tab. 3), dennoch kann die Verteilung laut Pearson χ2-Test nicht für alle Gruppen mit zufälligen Abweichungen von der Gleichverteilung erklärt werden. Mental kompl. arbeitende Personen mFA sind häufiger in Gruppe 2 als in den anderen Gruppen vertreten (p < 0,001), physisch mFA in Gruppen 2 und 4 klar über- und in Gruppen 1 und 3 klar untervertreten (p < 0,001). Mental komplex oFA hingegen finden sich häufiger in Gruppe 3 (p = 0,005). Für die anderen Berufsprofile sind keine statistisch signifikanten Aussagen möglich.

Abb. 2
figure 2

Median mit 10. und 90. Perzentil für alle Gesundheits- und Arbeitsfaktoren pro Cluster (s. Tab. 3) der gesundheitlich Gefährdeten und im Vergleich zu den gesunden Personen. Alle Werte außer Symptomatik sind auf die Skala 0–100 normiert

Diskussion

In allen Berufsprofilen zeigte sich, dass eine höhere Arbeitsbelastung (zusammengesetzt aus dem Faktoren Zeitdruck, ständige Unterbrechungen, Erschöpfung am Abend und unklare Vorgaben) mit einem niederen Wohlbefinden verbunden ist. Dieser Zusammenhang ist besonders evident bei den Führungskräften. Der in dieser Studie beschriebene negative Einfluss von Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit bildet sich in der Literatur im „job demands-resources model“ ab. Dieses Modell beschreibt die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastungen, Ressourcen und der Entwicklung eines Burnouts [16, 21]. Der Zusammenhang zwischen quantitativen Arbeitsanforderungen und Burnout wird auch in einer repräsentativen Untersuchung von mehr als 4000 Angestellten in Deutschland ausgewiesen [24]. Bereits 2010 wurden Arbeitsbelastungsfaktoren in einer vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) veröffentlichten Stressstudie erkannt, in der 1005 in der Schweiz Erwerbstätige befragt wurden [14]. Darin sind Unterbrechungen (48 %) und Arbeit mit hohem Tempo (43 %) am häufigsten als Stressoren genannt.

Die Bedeutung des Arbeitsengagements und der Arbeitsbelastung für das Wohlbefinden

Die Arbeit hat nicht bei allen Profilen den gleichen Stellenwert. Bei Profilen mFA, sowohl physisch wie mental komplex, hat die Arbeitsvariable (Belastung) einen höheren Einfluss auf das Wohlbefinden. Dies ist im Einklang mit Forschungsergebnissen, die zeigen, dass Burnout – als „klassisches Beispiel“ für eine Stresserkrankung im Leistungskontext – v. a. in Arbeitsbereichen mit hohen Anforderungen relevant ist [32]. Die Bedeutung des Arbeitsengagements unterscheidet zwischen Erwerbstätigen mFA und oFA. Dies ist bei physischen Jobs besonders ausgeprägt, aber auch bei mental kompl. Berufen zu erkennen. Für die psychische Gesundheit ist ein hohes Arbeitsengagement im Allgemeinen förderlich, wie die Regressionskoeffizienten des Strukturgleichungsmodells zeigen. Personen oFA mit reduziertem Wohlbefinden fanden sich besonders oft im Cluster mit signifikant niedrigerem Arbeitsengagement. Demgegenüber konnten in dieser Studie Personen mFA und einem hohen Arbeitsengagement die negativen Effekte einer hohen Arbeitsbelastung nicht ausreichend ausgleichen.

Im Personalbereich wird Arbeitsengagement als protektiver, gesundheitserhaltender Faktor und als Gegenpol zum Burnout beschrieben [9]. Dass der protektive Effekt in dieser Analyse bei Personen mFA von geringerer Relevanz ist, kann ein Hinweis sein, dass ein (zu) hohes Arbeitsengagement bei Führungspersonen auch negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben kann. Vor allem aus klinischen Studien ist bekannt, dass gerade die leistungsorientierten und verantwortungsbewussten Mitarbeitenden besonders gefährdet sind an Burnout zu erkranken. Gründe dafür können mangelnde Selbstfürsorge oder auch Gratifikationskrisen sein [30]. Im Modell beruflicher Gratifikationskrisen führt Siegrist den Begriff des „overcommitment“ ein; damit ist eine übersteigerte, berufliche Verausgabungsneigung („overcommitment“). Die Grenze zwischen Engagement und „overcommitment“ kann fließend sein. Dies wäre ein möglicher Erklärungsversuch für den geringeren protektiven Effekt des Arbeitsengagements auf das Wohlbefinden bei Führungspersonen [29].

Sinnhaftigkeit und Handhabbarkeit

In der Literatur wird die Sinnhaftigkeit als salutogenetischen Faktor beschrieben [1, 3]. In der vorliegenden Analyse findet sich ein indirekter Einfluss der Sinnhaftigkeit auf Arbeitsbelastung und Arbeitsengagement und damit auf das Wohlbefinden für alle Berufsprofile. Der Effekt der Sinnhaftigkeit ist in der Regressions- und Clusteranalyse am Höchsten bei mental komplex Berufsprofilen oFA. Im Arbeitskontext wird unter Sinnhaftigkeit v. a. der Kohärenzsinn nach Antonovsky verstanden, dieser entsteht, wenn das Aufgabenprofil des Berufs in Relation zu den persönlichen Werten steht. Neben der Sinnhaftigkeit zählt die Handhabbarkeit zu den salutogenetischen Faktoren des Kohärenzgefühls nach Antonovsky [1]. Unter Handhabbarkeit versteht man die persönliche Überzeugung, dass es im Leben Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Damit gemeint ist die Überzeugung, dass es Gestaltungsmöglichkeiten im eigenen Leben, in der vorliegenden Analyse bezogen auf den Beruf, gibt. In der Regressionsanalyse zeigte sich, dass auch die Handhabbarkeit bei allen Arbeitsprofilen einen indirekten Einfluss auf Arbeitsbelastung und Arbeitsengagement hat. In der Clusteranalyse war der Faktor Handhabbarkeit besonders relevant für gesundheitlich vulnerable Personen mFA (mental und physisch). Die Verstehbarkeit als dritten Faktor des Kohärenzsinns nach Antonovsky wurde in der Befragung in die Handhabbarkeitsfragen integriert. Es existieren in der Literatur organisationale Ansätze, die darauf zielen, salutogenetische Faktoren durch Maßnahmen am Arbeitsplatz fördern, z. B. durch Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen, soziale Anerkennung für das Unternehmen sowie Tätigkeits- und Entscheidungsspielräume [17].

Beziehungen zu Vorgesetzten und Arbeitskollegen

Respekt und Unterstützung durch Vorgesetzte und Arbeitskollegen gelten als protektiver Faktor im Arbeitskontext [9, 29]. Ein eher überraschendes Resultat – und im Kontrast dazu – ist der geringe direkte Einfluss der sozialen Ressourcen, d. h. der Beziehungen zu den Vorgesetzten und Arbeitskollegen, in der vorliegenden Analyse. Lediglich bei physisch tätigen Mitarbeitenden mFA haben soziale Ressourcen einen direkten Einfluss auf das Wohlbefinden. Da nur ein kleiner Anteil der Befragten Unzufriedenheit mit den Beziehungen zu Vorgesetzten und zum Team äußern, scheint dieser Faktor eine relativ geringe Relevanz zu haben im Vergleich zu anderen arbeitsbezogenen Faktoren. Einschränkungen im Wohlbefinden werden meist aufgrund anderer Faktoren erklärt. Die i. Allg. gute Zufriedenheit mit dem Vorgesetzten entspricht auch den Ergebnissen der Stressstudie bei Schweizer Erwerbstätigen [14]. Soziale Ressourcen sind stark mit dem Arbeitsengagement wie auch der Arbeitsbelastung verknüpft, dies zeigt das Strukturgleichungsmodell. Erst wenn Probleme mit sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz in Kombination mit hoher Arbeitslast oder niedrigem Arbeitsengagement auftreten, sinkt das Wohlbefinden substantiell. Dies weist darauf hin, dass die Förderung der sozialen Dimension am Arbeitsplatz besonders dann von Wichtigkeit ist, wenn hohe Belastungen und Herausforderungen (z. B. Umstrukturierungsmaßnahmen) auftreten.

Limitationen

Die niedrigen Stichprobengröße der Auszubildenden konnten nicht für valide Aussagen zugezogen werden. Des Weiteren erfasst das Modell hauptsächlich arbeitsbezogene Faktoren, auch wenn davon auszugehen ist, dass bei Wohlbefinden respektive bei Belastungen und Entwicklungen von Krankheiten mit Bezug auf das Arbeitsleben häufig auch Persönlichkeitsfaktoren [5, 22] und private Faktoren [6, 8] von Relevanz sind. Dabei handelt es sich häufig um Mehrfachbelastungen, so dass in der Praxis extrinsische und intrinsische Faktoren von Bedeutung sind [31].

Fazit für die Praxis

  • Bei unterschiedlichen Berufsprofilen unterscheidet sich der Einfluss der Arbeit auf das Wohlbefinden in einigen Aspekten. Aufgrund dieser Tatsache ist es sinnvoll, dass Maßnahmen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsfürsorge spezifisch auf verschiedene Berufsprofile ausgerichtet werden.

  • Insbesondere bei mental kompl. Berufsprofilen sowie allen Berufsprofilen mit Führungsaufgaben (mFA) haben arbeitsbezogene Faktoren einen relevanten Einfluss auf das Wohlbefinden. Diese Berufsgruppen sind damit besonders vulnerabel für psychische Erkrankungen im Leistungskontext. Der Einsatz von Screeninginstrumenten zu psychosozialen Stressfaktoren am Arbeitsplatz (z. B.: Work-Health-Check [13]), sowie die Früherfassung von Anzeichen für Burnout (z. B. Shirom-Melamade-Burnout-Fragebogen [23]) und Depression (z. B. Gesundheitsfragebogen für Patienten PHQ‑9 [20]) ist für diese Berufsgruppe besonders sinnvoll.

  • Die Einschätzung des Faktors Arbeitsengagement ist komplex. Bei vielen Mitarbeitenden ist Arbeitsengagement mit hohem Wohlbefinden verbunden. Ein (zu) hohes Arbeitsengagement kann bei Mitarbeitenden mFA aber einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden haben. Daher gilt es besonders zu beachten, dass Engagement nicht in eine übersteigerte Verausgabung gipfelt. Entsprechende Vorsichtsmaßnahmen sind in der fachlichen Betreuung von Führungspersonen zu treffen.

  • In einer professionell fachlichen Begleitung einer erwerbstätigen Führungsperson (z. B. „case management“ oder „coaching“) müssen in die Situationsanalyse, neben den Belastungsfaktoren auch die Aspekte zum Arbeitsengagement und das Kohärenzgefühl (Sinnhaftigkeit, Handhabbarkeit und Verstehbarkeit) in die Gesamtbeurteilung einfließen. Dies ist insbesondere bei Personen mit einem mentalen Berufsprofil unabdingbar.

  • Unternehmen sollten organisationsübergreifende präventive Maßnahmen lancieren, die Aspekte der Sinnhaftigkeit einbeziehen (z. B. „mindful leadership“, partizipative Maßnahmen, soziales Engagement des Unternehmens, Erweiterung der Tätigkeits- und Entscheidungsspielräume). Diese Maßnahmen sind von besonderer Relevanz bei der gesundheitlich gefährdeten Berufsprofilgruppe „mental komplex ohne Führungsaufgaben“ (oFA).