Hintergrund

Geflüchtete in Deutschland sind vielen psychischen Belastungen ausgesetzt [15]. Dies kommt durch die Erfahrung von lebensbedrohlichen Situationen in den Herkunftsländern, wie etwa Krieg oder Verfolgung oder durch potenziell traumatisierende Erfahrungen auf einer häufig sehr gefährlichen Flucht [28]. Doch auch nach Ankunft sorgen ein kompliziertes Asylverfahren, die Wohnsituation, sprachliche Barrieren, Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und viele andere Faktoren für weitere psychische Belastungen [2, S. 3, 6, 7, 17,18,19, S. 10ff., 24]. Geflüchtete haben, im Vergleich zum Rest der Bevölkerung, ein unterdurchschnittliches psychisches Wohlbefinden und ein mit dem Alter steigendes Gesundheitsrisiko für psychische Erkrankungen [22]. Damit zählen Geflüchtete mit zu den vulnerabelsten Migrantengruppen [2, S. 3, 8, 23].

Dabei gibt es Möglichkeiten, solchen psychischen Stressoren entgegenzuwirken, um die allgemeine psychische Gesundheit der Geflüchteten zu verbessern. Die bisherigen Studien verweisen insbesondere auf die Bedeutung von Gesundheitseinrichtungen und den Zugangsmöglichkeiten, den sprachlichen Vermittlungsmöglichkeiten, den kultursensiblen Angeboten für die Geflüchteten, um durch Interventionen die psychische Gesundheit von Geflüchteten wiederherzustellen [12, 26]. Folglich stehen bisher Gesundheitsangebote im Mittelpunkt der gesundheitswissenschaftlichen Forschung.

Die Aufnahme und das Willkommenheißen von syrischen Geflüchteten, beispielsweise 2015 in München, hat weltweit Anerkennung gefunden [21]. Die Willkommenskultur in Deutschland ist jedoch mit der Zeit zunehmend in Frage gestellt worden [20, 29]. Jäckle und König [16] zeigen in ihrer empirischen Untersuchung, wie hetzerische und feindselige Demonstrationen, Angriffe auf Geflüchtete und das in Brand setzen von Aufnahmezentren Hinweise für eine „dunkle Seite“ der Willkommenskultur sind, die nicht ohne gesundheitliche Folgen für Geflüchtete sein dürfte.

Die Bedeutung der Willkommenskultur, die in Form von Offenheit und Akzeptanz ihre Wirkung entfaltet und von den Geflüchteten als Gefühl „willkommen zu sein“ wahrgenommen wird, ist bisher hinsichtlich ihrer direkten und indirekten psychosozialen Folgen für die Geflüchteten auf ihre psychische Gesundheit in der Forschung noch nicht diskutiert worden.

Walther et al. [30] zeigen in ihrer empirischen Studie, dass die Lebensbedingungen der Geflüchteten im Aufnahmeland Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und die psychische Gesundheit haben. Dabei hoben die Autoren insbesondere die Bedeutung der aufenthaltsrechtlichen, die wohnräumlichen und die sozialen Rahmenbedingungen in ihrem Einfluss auf die psychische Gesundheit hervor.

Der vorliegende Beitrag zielt unter Nutzung der IAB-BAMF-SOEP-Studie darauf ab zu untersuchen, inwieweit das Gefühl „willkommen zu sein“ einen direkten oder indirekten Einfluss auf die psychische Gesundheit von Geflüchteten spielt. Dabei wird untersucht, ob die Lebenszufriedenheit als Mediator den Zusammenhang zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit unter Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren aufklären kann.

Forschungsstand und Hypothesen

Psychische Gesundheit

Die WHO versteht unter psychischer Gesundheit „a state of well-being in which the individual realizes his or her own abilities, can cope with the normal stresses of life, can work productively and fruitfully, and is able to make a contribution to his or her community“ [32]. Die Definition fasst die psychische Gesundheit demnach als einen mentalen Zustand auf, der es erlaubt, die eigenen Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Metzing et al. [22] zeigen, dass die psychische Gesundheit von Geflüchteten im Vergleich zu der Aufnahmegesellschaft Deutschland geringer ausgeprägt ist. Zur Messung der psychischen Gesundheit benutzten sie – so wie die vorliegende Arbeit – die „Mental Health Scale“ auf Basis des SF12-Fragebogens. Sie führen neben den traumatischen Erlebnissen, die die Geflüchteten im Herkunftsland und auf der Flucht erlebt haben, die ungewissen Zukunftsperspektiven und den schlechteren Zugang zu den Gesundheitsleistungen in Deutschland an. Darüber hinaus zeigen sie auch, dass die psychische Gesundheit sich mit der Zeit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund annähert [22].

Lebenszufriedenheit

Lareiro et al. [19] verstehen die Einschätzung der Lebenszufriedenheit als eine Bewertung der Lebensbedingungen insgesamt und nutzen, wie die vorliegende Studie auch, zur Erfassung der Lebenszufriedenheit die Frage „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig alles in allem mit Ihrem Leben?“, die auf einer 11-stufigen Antwortskala (0 „ganz und gar unzufrieden“ bis 10 „ganz und gar zufrieden“) beruht. Lareiro et al. [19] zeigen, dass die Lebenszufriedenheit von Geflüchteten sich mit der Aufenthaltsdauer erhöht hat, aber dies noch kein signifikantes Niveau erreicht hat. Babka von Gostomski et al. [3] kommen auf Basis des gleichen Messinstruments zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit von Geflüchteten niedriger ist als die der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Gambaro et al. [10] kommen ebenfalls mit dem Messinstrument in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten von der Familienstruktur abhängig ist. Die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten sei niedriger, wenn die Familienangehörigen der Geflüchteten noch im Ausland leben.

Willkommenskultur und das Gefühl „willkommen zu sein“

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) definiert Willkommenskultur durch aktive Hilfe und soziale Unterstützung zur Integration in gemeinschaftliche Unternehmungen und zur Vorbeugung sozialer Isolation. Ziel ist es dabei, den Geflüchteten das Gefühl zu geben, hier willkommen zu sein [5]. Heckmann [14] verweist darauf, dass Willkommenskultur gekennzeichnet ist von Offenheit und Akzeptanz. Dabei geht er davon aus, dass die Willkommenskultur auf vier verschiedenen Ebenen zum Ausdruck kommen kann. Dazu zählt er die individuelle, die zwischenmenschliche, die organisationale und die gesellschaftliche Ebene. Gill [11] betont, dass die Erfahrung „willkommen zu sein“ die Freude der Aufnahmegesellschaft bei der Aufnahme von Geflüchteten widerspiegelt. Die Erfahrung „willkommen zu sein“ schafft nach Gill [11] die soziale Grundlage für die Entwicklung von Vertrauen. Damit fördert es in der Folge das Wohlbefinden von Geflüchteten, welches wiederum eine gesundheitsrelevante Konsequenz hat.

Erklärungsansätze und Hypothesen

Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, inwieweit das Gefühl „willkommen zu sein“ direkten oder indirekten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten hat. Dabei wird untersucht, ob die Lebenszufriedenheit als Mediator zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit fungiert und damit den Effekt des Gefühls „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit vermittelt.

Die Erfahrung „willkommen zu sein“ kann als eine psychosoziale Ressource direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten nehmen und dazu beitragen, ihnen das Vertrauen und die Sicherheit zu geben sich zu öffnen und zu entfalten, was als Kernelemente der psychischen Gesundheit verstanden werden kann. Aus den Überlegungen heraus, hätte das Gefühl „willkommen zu sein“ einen direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit, was sich in einer ersten Hypothese formulieren lässt:

H1:

Je willkommener sich Geflüchtete in Deutschland fühlen, desto höher ist deren psychische Gesundheit.

Die Erfahrung „willkommen zu sein“ steht nach Lareiroet al. [19] in Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit. Es ist anzunehmen, dass die Erfahrung in einem fremden Land willkommen zu sein dazu führt, dass man das Leben in dem Land als erfüllter erlebt und damit auch Lebenszufriedenheit erfahrbar macht. Daraus lässt sich eine zweite Hypothese aufstellen:

H2:

Je willkommener sich Geflüchtete in Deutschland fühlen, desto höher ist deren Lebenszufriedenheit.

Die Lebenszufriedenheit bekommt in der wissenschaftlichen Literatur immer mehr Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, das Konzept der psychischen Gesundheit zu verstehen und zu erklären [25, S. 241]. Fergusson et al. [9] kommen zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit (gemessen anhand von 11 Aussagen zu verschiedenen Lebensbereichen) in einem wechselseitigen Verhältnis zur psychischen Gesundheit (erhoben mittels dem Composite International Diagnostic Interview; [31]) steht. Demnach wirkt die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit und vice versa.

In dieser Arbeit untersuchen wir, ob die Lebenszufriedenheit als ein Prädiktor im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit von Geflüchteten steht. Es ist davon auszugehen, dass in dem Herkunftsland, in den Transitländern und im Aufnahmeland die entsprechenden Lebensbedingungen die Lebenszufriedenheit beeinflussen und damit in der Folge auch die psychische Gesundheit. Dies zeigen insbesondere die Untersuchungen von Walther et al. [30], welche Fluchtgründe, Fluchterfahrungen und die Lebensbedingungen für die Erklärung der Lebenszufriedenheit und der psychischen Gesundheit berücksichtigen. Die Lebenszufriedenheit, die als eine globale Bewertung der multidimensionalen Lebensbedingungen verstanden wird, stellt aus unserer Sicht einen Einflussfaktor für die Entwicklung der psychischen Gesundheit der Geflüchteten dar. Denn sowohl die objektiv-materiellen Lebensbedingungen (rechtliche, wohnräumliche Rahmenbedingungen) als auch die psychosozialen Lebensbedingungen (Diskriminierungserfahrungen, Willkommenskultur, Kontakte zu Deutschen etc.) münden in die globale Bewertung der Lebenszufriedenheit und beeinflussen die psychische Gesundheit. Als Beispiel sei die unsichere rechtliche Lage von Geflüchteten erwähnt, die sich sowohl negativ auf die Lebenszufriedenheit als auch auf die psychische Gesundheit auswirkt. Aus diesen Überlegungen lässt sich eine dritte Hypothese formulieren:

H3:

Je höher die Lebenszufriedenheit von Geflüchteten in Deutschland ist, desto höher ist deren psychische Gesundheit.

Gemäß den Hypothesen H1–H3 bestehen somit mehrere direkte Zusammenhänge: Das Gefühl „willkommen zu sein“ nimmt nicht nur direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit (H1), sondern auch auf die Lebenszufriedenheit (H2). Zusätzlich geht die dritte Hypothese (H3) von einem direkten Zusammenhang zwischen der Lebenszufriedenheit und der psychischen Gesundheit aus. Diese Dreiecksbeziehung lässt die Überlegung zu, dass sich das Gefühl „willkommen zu sein“ nicht nur direkt auf die psychische Gesundheit auswirkt, sondern auch indirekt über die Lebenszufriedenheit als Mediator. Demnach könnte das Gefühl „willkommen zu sein“ die psychosozialen Lebensbedingungen beeinflussen und damit Bezug auf die Lebenszufriedenheit nehmen. Daher ist anzunehmen, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ in Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit im Aufnahmeland steht, weil man die Erfahrung von Sicherheit, Offenheit und Akzeptanz macht. Das Gefühl „willkommen zu sein“ wirkt dabei über die Lebenszufriedenheit auch indirekt über einen psychosozialen Pfad auf die psychische Gesundheit. Dieser mögliche Zusammenhang lässt sich in einer vierten Hypothese zusammenfassen:

H4:

Das Gefühl „willkommen zu sein“ wirkt indirekt auf die psychische Gesundheit über die Lebenszufriedenheit als Mediator.

Mit Hilfe von Mediationsanalysen [13] lässt sich untersuchen, ob der Zusammenhang zwischen einer unabhängigen und einer abhängigen Variable über einen Mediator vermittelt wird. Der Einfluss der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable wäre indirekt, wenn der Mediator den Effekt der unabhängigen Variable vermittelt, so dass der direkte Effekt der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable bedeutungslos wird.

Mediatoranalysen ermöglichen folglich, den Mechanismus zwischen der unabhängigen und abhängigen Variable nachzugehen. In der vorliegenden Untersuchung ist zu prüfen, ob das Gefühl „willkommen zu sein“ direkt oder indirekt über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit wirkt. Dafür sind zwei Modelle zu spezifizieren (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Mediationsmodell

Der totale Effekt von dem Gefühl „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit wird mit dem Modell 1 (Abb. 1) ermittelt. Das Modell 2 berücksichtigt die Lebenszufriedenheit als Mediator zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit. Auf Basis dieses Modells wird geprüft, ob das Gefühl „willkommen zu sein“ direkt (H1) oder indirekt (H4) über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit wirkt. Zum Nachweis eines Mediatoreffekts müsste der totale Effekt aus dem ersten Modell signifikant sein. Im zweiten Modell muss der Effekt des Gefühls „willkommen zu sein“ auf die Lebenszufriedenheit, als auch der Effekt der Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit signifikant sein. Gleichzeitig sollte im zweiten Modell der direkte Effekt von dem Gefühl „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit an Signifikanz verlieren, um somit den statistischen Nachweis für die Lebenszufriedenheit als Mediator zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit zu erbringen. Kontrolliert werden alle Hypothesen unter Berücksichtigung ausgewählter Kontrollvariablen, wie z. B. herkunftsbedingte Benachteiligung, Religion, Fluchtgrund, Fluchterfahrungen, Sorgen um Asylverfahren, Alltagssorgen, Aufenthaltstitel, Sprachkenntnisse, verbrachte Zeit mit Personen aus dem Herkunftsland, verbrachte Zeit mit Deutschen, Teilnahme an Integrationskursen des BAMF, Geburtsjahr, Geschlecht, Familienstand, Bildungsgrad, Erwerbsstatus, Herkunftsland, Bundesland nach West/Ost, Samplezugehörigkeit und Verbundenheit mit dem Herkunftsland.

Methodisches Vorgehen und Stichprobenbeschreibung

Die Datenbasis der vorliegenden Arbeit beruht auf der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten in Deutschland. Im Zuge dieser Befragung wurden Geflüchtete interviewt, die zwischen Januar 2013 und Dezember 2016 nach Deutschland gekommen und einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Die Daten dieser Arbeit stammen aus dem Jahr 2018, in welchem 4321 erwachsene Personen befragt wurden.

Zur Messung der psychischen Gesundheit ist die „Mental Health Scale“ auf Basis des SF 12 verwendet worden [1]. Ein Beispielitem ist „Wie oft waren sie in der vergangenen Woche entmutigt und traurig“. Die 12 Fragen des SF 12 sind anhand einer explorativen Faktorenanalyse zu zwei Skalen zusammengefasst worden, wovon eine die psychische Gesundheit darstellt [1].

Die Lebenszufriedenheit und das Gefühl „willkommen zu sein“ sind als Single-Item erhoben worden. Die Lebenszufriedenheit ist mit der Frage „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig alles in allem mit Ihrem Leben?“ erfasst worden und beruhte auf eine Antwortskala, die von „0 –ganz und gar unzufrieden“ bis „10 – ganz und gar zufrieden“ reichte. Zur Erhebung des Gefühls „willkommen zu sein“ ist die Frage „Und wie sehr fühlen Sie sich in Deutschland willkommen?“ gestellt worden. Die Variable ist rekodiert worden, so dass die Antwortmöglichkeiten von „1 – gar nicht“ bis „5 – sehr stark“ reichen.

Von der gewichteten Stichprobe sind 70,7 % männlich und 29,3 % weiblich, wobei das durchschnittliche Alter zum Befragungsjahr bei 32 Jahren lag. 86,7 % der Befragten gibt dabei an, eine Aufenthaltsgestattung oder -erlaubnis zu haben, während 8,5 % geduldet werden und es sich bei den restlichen 4,8 % um einen anderen Aufenthaltsstatus handelt. 71 % sind Anhänger der islamischen und 16,9 % der christlichen Religion. Lediglich 12 % sind konfessionslos oder fühlen sich einer anderen Religionsgemeinschaft zugehörig. Mit 43,1 % kommt die überwiegende Mehrheit aus Syrien. Weitere stark vertretene Herkunftsländer sind der Irak mit 10,1 % und Afghanistan mit 13,8 %. Insgesamt wurden 58 verschiedene Länder als Herkunftsländer angegeben.

Ergebnisse

In der Tab. 1 sind alle gewichteten Mittelwerte für die psychische Gesundheit, dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der Lebenszufriedenheit der Geflüchteten in Deutschland nach Bundesländern aufgelistet. Bei der psychischen Gesundheit (p < 0,001) schwanken die Mittelwerte dabei je nach Bundesland stark. In Bremen weisen Geflüchtete im Schnitt die geringsten Werte bei der psychischen Gesundheit auf (42,3) und die in Mecklenburg-Vorpommern die höchsten (56,4). Der Gesamtmittelwert der psychischen Gesundheit für die Zielgruppe liegt bei 48,7.

Tab. 1 Mittelwerttabelle nach Bundesländern (gewichtet)

Auch beim Gefühl „willkommen zu sein“ sind signifikante Mittelwertdifferenzen (p < 0,001) in Abhängigkeit vom Bundesland auszumachen. Während sich die Geflüchteten mit einem Wert von 4,4 in Niedersachsen und Schleswig-Holstein am willkommensten fühlen, berichten Geflüchtete in Sachsen-Anhalt und Thüringen im Durchschnitt von der geringsten Wahrnehmung eines Willkommensgefühls (3,7). Der Gesamtdurchschnitt liegt hier bei 4,0.

Die Mittelwerte zu der Lebenszufriedenheit variieren in Abhängigkeit vom Bundesland ebenfalls signifikant (p < 0,001). Der Durchschnittswert für die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten in Schleswig-Holstein liegt mit 7,5 am höchsten. Geflüchtete, die in Brandenburg wohnen, geben von allen Bundesländern den geringsten Wert bei der Lebenszufriedenheit an (6,4). Im Gesamtdurchschnitt liegt die Lebenszufriedenheit bei einem Wert von 7,0.

Die Mediationsanalyse wurde mit dem von Andrew F. Hayes entwickelten SPSS-Modul „Process“ gerechnet [13]. Die dabei zustande gekommenen Ergebnisse dienen als Grundlage für die Prüfung der vier aufgestellten Hypothesen und dem Mediationsmodell (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Mediationsmodell mit Ergebnissen und Kontrollvariablen

Der direkte Zusammenhang von dem Gefühl „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit, wie in Abb. 2 veranschaulicht, ist mit einem Koeffizienten von 0,79 signifikant (p < 0,001) und bestätigt die Hypothese H1. Demnach erhöht sich der Wert für die psychische Gesundheit um 0,79 Einheiten, wenn die Einschätzung des Gefühls „willkommen zu sein“ um eine Einheit steigt.

Im zweiten Modell, dem Mediationsmodell, fällt der Koeffizient auf 0,09 und verliert dabei gänzlich seine Signifikanz, wenn die Lebenszufriedenheit als Mediator Eingang in das Modell findet. Des Weiteren weist im zweiten Modell das Gefühl „willkommen zu sein“ einen signifikanten Einfluss (p < 0,001) auf die Lebenszufriedenheit auf (H2). Und auch der Einfluss der Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit (H3) ist in diesem Modell signifikant (p < 0,001). Der indirekte Effekt (H4) des gesamten Mediationsmodells ist ebenfalls mit einem Wert von 0,70 signifikant (p < 0,001). Das bedeutet, wenn das Gefühl „willkommen zu sein“ um eine Einheit steigt, dann erhöht sich die Lebenszufriedenheit um 0,54 Einheit und dies wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit aus, die in der Folge um 0,7 Einheiten steigt.

Die vorliegende Mediationsanalyse bestätigt damit, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ indirekt über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit wirkt. Basierend auf diesen Ergebnissen lässt sich somit sagen, dass Geflüchtete, durch das Gefühl „willkommen zu sein“ an Lebenszufriedenheit hinzugewinnen, was einen positiven Einfluss auf deren psychische Gesundheit hat.

Diskussion

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit geben Hinweise auf einen sozialen Mechanismus, der anzeigt, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ einen indirekten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten hat. Dieser indirekte Einfluss wird dabei von dem Gefühl „willkommen zu sein“ über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit vermittelt. Dabei ist anzunehmen, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ die psychosozialen Lebensbedingungen positiv beeinflusst, welche die Lebenszufriedenheit und damit in der Folge die psychische Gesundheit verbessert. Das Herausarbeiten solcher Wirkungszusammenhänge und Mechanismen bietet die Möglichkeit, mit mehr Klarheit erklären und verstehen zu können, auf welche Weise das Gefühl „willkommen zu sein“ die psychische Gesundheit beeinflussen kann. Jedoch ist die Lebenszufriedenheit hierbei ein kleiner Teil einer wahrscheinlich langen und komplexen kausalen Kette, welche zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit bei Geflüchteten existieren dürfte. Je besser wir verstehen lernen, wie die Willkommenskultur sich in ihrer Vielfältigkeit auswirkt, desto gezielter können Maßnahmen ergriffen werden, um Geflüchteten ein ressourcenreiches Umfeld zu geben, welches eine positive Entwicklung der psychischen Gesundheit unterstützt.

Bisher fühlt sich die Mehrheit der Geflüchteten hier willkommen und äußert auch die Absicht, für immer in Deutschland leben zu wollen. Aber es wurde auch festgestellt, dass das Gefühl in Deutschland willkommen zu sein mit zunehmender Bleibedauer leicht abnimmt [3, S. 46]. Fast 1,8 Mio. Geflüchtete leben zur Zeit in Deutschland (Stand 2018, Quelle: Statistisches Bundesamt [27]). Zum generellen Wohl und zur bestmöglichen Gesundheit dieser besonders vulnerablen Migrantengruppe ist eine nachhaltige Willkommenskultur daher unabdingbar. Die Anzahl der Asylanträge ist seit 2016 [4] zwar rückläufig, doch eine auf Offenheit und Akzeptanz ausgerichtete Willkommenskultur ist für das Einwanderungsland Deutschland weiterhin bedeutsam.

Fazit für die Praxis

  • Alle Maßnahmen, die Geflüchteten das Gefühl geben, in Deutschland willkommen zu sein, können zu einer besseren Lebenszufriedenheit und psychischen Gesundheit beitragen. Dazu zählen folgende:

  • Willkommenskultur auf allen Ebenen (gesellschaftlich, organisational, zwischenmenschlich und individuell) fördern,

  • Etablierung von Quartiersmanagement und Integrationslotsen zur besseren sozialen Integration von Geflüchteten,

  • Verbesserung der wohnräumlichen Situation durch dezentrale Unterbringung,

  • Ausbau der (Aus‑)Bildungschancen um gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten zu fördern,

  • rechtliche und politische Hürden bei der Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt und in die Bildungssysteme abbauen,

  • Zugang zu Gesundheitsleistungen erleichtern.