Zusammenfassung
Hintergrund
Die Erfahrung von (Bürger‑)Krieg, von politischen, wirtschaftlichen sowie sozialen Krisen im Herkunftsland, das Erleben von Bedrohung, Ausbeutung auf der Flucht und die Wahrnehmung von Abwertung und Ablehnung im Aufnahmeland stellen Belastungserlebnisse dar, die die psychische Gesundheit von Geflüchteten beeinträchtigen können.
Fragestellung
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, ob das Gefühl „willkommen zu sein“ im Aufnahmeland Deutschland im direkten oder indirekten Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit der Geflüchteten steht und inwieweit die Lebenszufriedenheit als Mediator den Zusammenhang zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit der Geflüchteten erklären kann.
Methodik
Die Studie basiert auf der IAB-BAMF-SOEP-Befragung. Die Daten von 4321 Geflüchteten aus dem Erhebungsjahr 2018, welche in Deutschland zwischen Januar 2013 und Dezember 2016 einen Asylantrag gestellt haben, sind ausgewertet worden. Zur Beantwortung der Fragestellung ist eine Mediationsanalyse durchgeführt worden.
Ergebnisse
Das Gefühl „willkommen zu sein“ wirkt sich indirekt über die Lebenszufriedenheit als Mediator auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten aus.
Schlussfolgerungen
Deutschland kann durch die Entwicklung der Willkommenskultur Einfluss auf das Gefühl „willkommen zu sein“ nehmen und damit die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten fördern und in der Folge ihre psychische Gesundheit stärken.
Abstract
Background
The experience of (civil) war, political, economic and social crises in the country of origin, the experience of threats, exploitation while fleeing and the perception of discrimination and rejection in the host country represent psychological stress experiences that can impair the mental health of refugees.
Objective
The focus of the study is the question of whether the feeling of being “welcome” in the host country Germany is directly or indirectly related to the mental health of the refugees and to what extent life satisfaction as a mediator explains this association.
Methodology
The study is based on the IAB-BAMF-SOEP survey. The data of 4321 refugees who applied for asylum in Germany between January 2013 and December 2016 from the survey year 2018 have been evaluated. A mediation analysis was carried out to answer the question.
Results
The feeling of being “welcome” has an indirect effect on the mental health of the refugees through life satisfaction as a mediator.
Conclusions
By developing a welcome culture, Germany can influence the feeling of being “welcome”, thus promoting life satisfaction for the refugees, and consequently strengthening their mental health.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Hintergrund
Geflüchtete in Deutschland sind vielen psychischen Belastungen ausgesetzt [15]. Dies kommt durch die Erfahrung von lebensbedrohlichen Situationen in den Herkunftsländern, wie etwa Krieg oder Verfolgung oder durch potenziell traumatisierende Erfahrungen auf einer häufig sehr gefährlichen Flucht [28]. Doch auch nach Ankunft sorgen ein kompliziertes Asylverfahren, die Wohnsituation, sprachliche Barrieren, Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und viele andere Faktoren für weitere psychische Belastungen [2, S. 3, 6, 7, 17,18,19, S. 10ff., 24]. Geflüchtete haben, im Vergleich zum Rest der Bevölkerung, ein unterdurchschnittliches psychisches Wohlbefinden und ein mit dem Alter steigendes Gesundheitsrisiko für psychische Erkrankungen [22]. Damit zählen Geflüchtete mit zu den vulnerabelsten Migrantengruppen [2, S. 3, 8, 23].
Dabei gibt es Möglichkeiten, solchen psychischen Stressoren entgegenzuwirken, um die allgemeine psychische Gesundheit der Geflüchteten zu verbessern. Die bisherigen Studien verweisen insbesondere auf die Bedeutung von Gesundheitseinrichtungen und den Zugangsmöglichkeiten, den sprachlichen Vermittlungsmöglichkeiten, den kultursensiblen Angeboten für die Geflüchteten, um durch Interventionen die psychische Gesundheit von Geflüchteten wiederherzustellen [12, 26]. Folglich stehen bisher Gesundheitsangebote im Mittelpunkt der gesundheitswissenschaftlichen Forschung.
Die Aufnahme und das Willkommenheißen von syrischen Geflüchteten, beispielsweise 2015 in München, hat weltweit Anerkennung gefunden [21]. Die Willkommenskultur in Deutschland ist jedoch mit der Zeit zunehmend in Frage gestellt worden [20, 29]. Jäckle und König [16] zeigen in ihrer empirischen Untersuchung, wie hetzerische und feindselige Demonstrationen, Angriffe auf Geflüchtete und das in Brand setzen von Aufnahmezentren Hinweise für eine „dunkle Seite“ der Willkommenskultur sind, die nicht ohne gesundheitliche Folgen für Geflüchtete sein dürfte.
Die Bedeutung der Willkommenskultur, die in Form von Offenheit und Akzeptanz ihre Wirkung entfaltet und von den Geflüchteten als Gefühl „willkommen zu sein“ wahrgenommen wird, ist bisher hinsichtlich ihrer direkten und indirekten psychosozialen Folgen für die Geflüchteten auf ihre psychische Gesundheit in der Forschung noch nicht diskutiert worden.
Walther et al. [30] zeigen in ihrer empirischen Studie, dass die Lebensbedingungen der Geflüchteten im Aufnahmeland Einfluss auf die Lebenszufriedenheit und die psychische Gesundheit haben. Dabei hoben die Autoren insbesondere die Bedeutung der aufenthaltsrechtlichen, die wohnräumlichen und die sozialen Rahmenbedingungen in ihrem Einfluss auf die psychische Gesundheit hervor.
Der vorliegende Beitrag zielt unter Nutzung der IAB-BAMF-SOEP-Studie darauf ab zu untersuchen, inwieweit das Gefühl „willkommen zu sein“ einen direkten oder indirekten Einfluss auf die psychische Gesundheit von Geflüchteten spielt. Dabei wird untersucht, ob die Lebenszufriedenheit als Mediator den Zusammenhang zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit unter Berücksichtigung relevanter Einflussfaktoren aufklären kann.
Forschungsstand und Hypothesen
Psychische Gesundheit
Die WHO versteht unter psychischer Gesundheit „a state of well-being in which the individual realizes his or her own abilities, can cope with the normal stresses of life, can work productively and fruitfully, and is able to make a contribution to his or her community“ [32]. Die Definition fasst die psychische Gesundheit demnach als einen mentalen Zustand auf, der es erlaubt, die eigenen Fähigkeiten zur Entfaltung zu bringen. Metzing et al. [22] zeigen, dass die psychische Gesundheit von Geflüchteten im Vergleich zu der Aufnahmegesellschaft Deutschland geringer ausgeprägt ist. Zur Messung der psychischen Gesundheit benutzten sie – so wie die vorliegende Arbeit – die „Mental Health Scale“ auf Basis des SF12-Fragebogens. Sie führen neben den traumatischen Erlebnissen, die die Geflüchteten im Herkunftsland und auf der Flucht erlebt haben, die ungewissen Zukunftsperspektiven und den schlechteren Zugang zu den Gesundheitsleistungen in Deutschland an. Darüber hinaus zeigen sie auch, dass die psychische Gesundheit sich mit der Zeit der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund annähert [22].
Lebenszufriedenheit
Lareiro et al. [19] verstehen die Einschätzung der Lebenszufriedenheit als eine Bewertung der Lebensbedingungen insgesamt und nutzen, wie die vorliegende Studie auch, zur Erfassung der Lebenszufriedenheit die Frage „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig alles in allem mit Ihrem Leben?“, die auf einer 11-stufigen Antwortskala (0 „ganz und gar unzufrieden“ bis 10 „ganz und gar zufrieden“) beruht. Lareiro et al. [19] zeigen, dass die Lebenszufriedenheit von Geflüchteten sich mit der Aufenthaltsdauer erhöht hat, aber dies noch kein signifikantes Niveau erreicht hat. Babka von Gostomski et al. [3] kommen auf Basis des gleichen Messinstruments zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit von Geflüchteten niedriger ist als die der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Gambaro et al. [10] kommen ebenfalls mit dem Messinstrument in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten von der Familienstruktur abhängig ist. Die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten sei niedriger, wenn die Familienangehörigen der Geflüchteten noch im Ausland leben.
Willkommenskultur und das Gefühl „willkommen zu sein“
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) definiert Willkommenskultur durch aktive Hilfe und soziale Unterstützung zur Integration in gemeinschaftliche Unternehmungen und zur Vorbeugung sozialer Isolation. Ziel ist es dabei, den Geflüchteten das Gefühl zu geben, hier willkommen zu sein [5]. Heckmann [14] verweist darauf, dass Willkommenskultur gekennzeichnet ist von Offenheit und Akzeptanz. Dabei geht er davon aus, dass die Willkommenskultur auf vier verschiedenen Ebenen zum Ausdruck kommen kann. Dazu zählt er die individuelle, die zwischenmenschliche, die organisationale und die gesellschaftliche Ebene. Gill [11] betont, dass die Erfahrung „willkommen zu sein“ die Freude der Aufnahmegesellschaft bei der Aufnahme von Geflüchteten widerspiegelt. Die Erfahrung „willkommen zu sein“ schafft nach Gill [11] die soziale Grundlage für die Entwicklung von Vertrauen. Damit fördert es in der Folge das Wohlbefinden von Geflüchteten, welches wiederum eine gesundheitsrelevante Konsequenz hat.
Erklärungsansätze und Hypothesen
Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, inwieweit das Gefühl „willkommen zu sein“ direkten oder indirekten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten hat. Dabei wird untersucht, ob die Lebenszufriedenheit als Mediator zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit fungiert und damit den Effekt des Gefühls „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit vermittelt.
Die Erfahrung „willkommen zu sein“ kann als eine psychosoziale Ressource direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten nehmen und dazu beitragen, ihnen das Vertrauen und die Sicherheit zu geben sich zu öffnen und zu entfalten, was als Kernelemente der psychischen Gesundheit verstanden werden kann. Aus den Überlegungen heraus, hätte das Gefühl „willkommen zu sein“ einen direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit, was sich in einer ersten Hypothese formulieren lässt:
H1:
Je willkommener sich Geflüchtete in Deutschland fühlen, desto höher ist deren psychische Gesundheit.
Die Erfahrung „willkommen zu sein“ steht nach Lareiroet al. [19] in Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit. Es ist anzunehmen, dass die Erfahrung in einem fremden Land willkommen zu sein dazu führt, dass man das Leben in dem Land als erfüllter erlebt und damit auch Lebenszufriedenheit erfahrbar macht. Daraus lässt sich eine zweite Hypothese aufstellen:
H2:
Je willkommener sich Geflüchtete in Deutschland fühlen, desto höher ist deren Lebenszufriedenheit.
Die Lebenszufriedenheit bekommt in der wissenschaftlichen Literatur immer mehr Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, das Konzept der psychischen Gesundheit zu verstehen und zu erklären [25, S. 241]. Fergusson et al. [9] kommen zu dem Ergebnis, dass die Lebenszufriedenheit (gemessen anhand von 11 Aussagen zu verschiedenen Lebensbereichen) in einem wechselseitigen Verhältnis zur psychischen Gesundheit (erhoben mittels dem Composite International Diagnostic Interview; [31]) steht. Demnach wirkt die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit und vice versa.
In dieser Arbeit untersuchen wir, ob die Lebenszufriedenheit als ein Prädiktor im Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit von Geflüchteten steht. Es ist davon auszugehen, dass in dem Herkunftsland, in den Transitländern und im Aufnahmeland die entsprechenden Lebensbedingungen die Lebenszufriedenheit beeinflussen und damit in der Folge auch die psychische Gesundheit. Dies zeigen insbesondere die Untersuchungen von Walther et al. [30], welche Fluchtgründe, Fluchterfahrungen und die Lebensbedingungen für die Erklärung der Lebenszufriedenheit und der psychischen Gesundheit berücksichtigen. Die Lebenszufriedenheit, die als eine globale Bewertung der multidimensionalen Lebensbedingungen verstanden wird, stellt aus unserer Sicht einen Einflussfaktor für die Entwicklung der psychischen Gesundheit der Geflüchteten dar. Denn sowohl die objektiv-materiellen Lebensbedingungen (rechtliche, wohnräumliche Rahmenbedingungen) als auch die psychosozialen Lebensbedingungen (Diskriminierungserfahrungen, Willkommenskultur, Kontakte zu Deutschen etc.) münden in die globale Bewertung der Lebenszufriedenheit und beeinflussen die psychische Gesundheit. Als Beispiel sei die unsichere rechtliche Lage von Geflüchteten erwähnt, die sich sowohl negativ auf die Lebenszufriedenheit als auch auf die psychische Gesundheit auswirkt. Aus diesen Überlegungen lässt sich eine dritte Hypothese formulieren:
H3:
Je höher die Lebenszufriedenheit von Geflüchteten in Deutschland ist, desto höher ist deren psychische Gesundheit.
Gemäß den Hypothesen H1–H3 bestehen somit mehrere direkte Zusammenhänge: Das Gefühl „willkommen zu sein“ nimmt nicht nur direkten Einfluss auf die psychische Gesundheit (H1), sondern auch auf die Lebenszufriedenheit (H2). Zusätzlich geht die dritte Hypothese (H3) von einem direkten Zusammenhang zwischen der Lebenszufriedenheit und der psychischen Gesundheit aus. Diese Dreiecksbeziehung lässt die Überlegung zu, dass sich das Gefühl „willkommen zu sein“ nicht nur direkt auf die psychische Gesundheit auswirkt, sondern auch indirekt über die Lebenszufriedenheit als Mediator. Demnach könnte das Gefühl „willkommen zu sein“ die psychosozialen Lebensbedingungen beeinflussen und damit Bezug auf die Lebenszufriedenheit nehmen. Daher ist anzunehmen, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ in Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit im Aufnahmeland steht, weil man die Erfahrung von Sicherheit, Offenheit und Akzeptanz macht. Das Gefühl „willkommen zu sein“ wirkt dabei über die Lebenszufriedenheit auch indirekt über einen psychosozialen Pfad auf die psychische Gesundheit. Dieser mögliche Zusammenhang lässt sich in einer vierten Hypothese zusammenfassen:
H4:
Das Gefühl „willkommen zu sein“ wirkt indirekt auf die psychische Gesundheit über die Lebenszufriedenheit als Mediator.
Mit Hilfe von Mediationsanalysen [13] lässt sich untersuchen, ob der Zusammenhang zwischen einer unabhängigen und einer abhängigen Variable über einen Mediator vermittelt wird. Der Einfluss der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable wäre indirekt, wenn der Mediator den Effekt der unabhängigen Variable vermittelt, so dass der direkte Effekt der unabhängigen Variable auf die abhängige Variable bedeutungslos wird.
Mediatoranalysen ermöglichen folglich, den Mechanismus zwischen der unabhängigen und abhängigen Variable nachzugehen. In der vorliegenden Untersuchung ist zu prüfen, ob das Gefühl „willkommen zu sein“ direkt oder indirekt über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit wirkt. Dafür sind zwei Modelle zu spezifizieren (Abb. 1).
Der totale Effekt von dem Gefühl „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit wird mit dem Modell 1 (Abb. 1) ermittelt. Das Modell 2 berücksichtigt die Lebenszufriedenheit als Mediator zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit. Auf Basis dieses Modells wird geprüft, ob das Gefühl „willkommen zu sein“ direkt (H1) oder indirekt (H4) über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit wirkt. Zum Nachweis eines Mediatoreffekts müsste der totale Effekt aus dem ersten Modell signifikant sein. Im zweiten Modell muss der Effekt des Gefühls „willkommen zu sein“ auf die Lebenszufriedenheit, als auch der Effekt der Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit signifikant sein. Gleichzeitig sollte im zweiten Modell der direkte Effekt von dem Gefühl „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit an Signifikanz verlieren, um somit den statistischen Nachweis für die Lebenszufriedenheit als Mediator zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit zu erbringen. Kontrolliert werden alle Hypothesen unter Berücksichtigung ausgewählter Kontrollvariablen, wie z. B. herkunftsbedingte Benachteiligung, Religion, Fluchtgrund, Fluchterfahrungen, Sorgen um Asylverfahren, Alltagssorgen, Aufenthaltstitel, Sprachkenntnisse, verbrachte Zeit mit Personen aus dem Herkunftsland, verbrachte Zeit mit Deutschen, Teilnahme an Integrationskursen des BAMF, Geburtsjahr, Geschlecht, Familienstand, Bildungsgrad, Erwerbsstatus, Herkunftsland, Bundesland nach West/Ost, Samplezugehörigkeit und Verbundenheit mit dem Herkunftsland.
Methodisches Vorgehen und Stichprobenbeschreibung
Die Datenbasis der vorliegenden Arbeit beruht auf der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten in Deutschland. Im Zuge dieser Befragung wurden Geflüchtete interviewt, die zwischen Januar 2013 und Dezember 2016 nach Deutschland gekommen und einen Antrag auf Asyl gestellt haben. Die Daten dieser Arbeit stammen aus dem Jahr 2018, in welchem 4321 erwachsene Personen befragt wurden.
Zur Messung der psychischen Gesundheit ist die „Mental Health Scale“ auf Basis des SF 12 verwendet worden [1]. Ein Beispielitem ist „Wie oft waren sie in der vergangenen Woche entmutigt und traurig“. Die 12 Fragen des SF 12 sind anhand einer explorativen Faktorenanalyse zu zwei Skalen zusammengefasst worden, wovon eine die psychische Gesundheit darstellt [1].
Die Lebenszufriedenheit und das Gefühl „willkommen zu sein“ sind als Single-Item erhoben worden. Die Lebenszufriedenheit ist mit der Frage „Wie zufrieden sind Sie gegenwärtig alles in allem mit Ihrem Leben?“ erfasst worden und beruhte auf eine Antwortskala, die von „0 –ganz und gar unzufrieden“ bis „10 – ganz und gar zufrieden“ reichte. Zur Erhebung des Gefühls „willkommen zu sein“ ist die Frage „Und wie sehr fühlen Sie sich in Deutschland willkommen?“ gestellt worden. Die Variable ist rekodiert worden, so dass die Antwortmöglichkeiten von „1 – gar nicht“ bis „5 – sehr stark“ reichen.
Von der gewichteten Stichprobe sind 70,7 % männlich und 29,3 % weiblich, wobei das durchschnittliche Alter zum Befragungsjahr bei 32 Jahren lag. 86,7 % der Befragten gibt dabei an, eine Aufenthaltsgestattung oder -erlaubnis zu haben, während 8,5 % geduldet werden und es sich bei den restlichen 4,8 % um einen anderen Aufenthaltsstatus handelt. 71 % sind Anhänger der islamischen und 16,9 % der christlichen Religion. Lediglich 12 % sind konfessionslos oder fühlen sich einer anderen Religionsgemeinschaft zugehörig. Mit 43,1 % kommt die überwiegende Mehrheit aus Syrien. Weitere stark vertretene Herkunftsländer sind der Irak mit 10,1 % und Afghanistan mit 13,8 %. Insgesamt wurden 58 verschiedene Länder als Herkunftsländer angegeben.
Ergebnisse
In der Tab. 1 sind alle gewichteten Mittelwerte für die psychische Gesundheit, dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der Lebenszufriedenheit der Geflüchteten in Deutschland nach Bundesländern aufgelistet. Bei der psychischen Gesundheit (p < 0,001) schwanken die Mittelwerte dabei je nach Bundesland stark. In Bremen weisen Geflüchtete im Schnitt die geringsten Werte bei der psychischen Gesundheit auf (42,3) und die in Mecklenburg-Vorpommern die höchsten (56,4). Der Gesamtmittelwert der psychischen Gesundheit für die Zielgruppe liegt bei 48,7.
Auch beim Gefühl „willkommen zu sein“ sind signifikante Mittelwertdifferenzen (p < 0,001) in Abhängigkeit vom Bundesland auszumachen. Während sich die Geflüchteten mit einem Wert von 4,4 in Niedersachsen und Schleswig-Holstein am willkommensten fühlen, berichten Geflüchtete in Sachsen-Anhalt und Thüringen im Durchschnitt von der geringsten Wahrnehmung eines Willkommensgefühls (3,7). Der Gesamtdurchschnitt liegt hier bei 4,0.
Die Mittelwerte zu der Lebenszufriedenheit variieren in Abhängigkeit vom Bundesland ebenfalls signifikant (p < 0,001). Der Durchschnittswert für die Lebenszufriedenheit der Geflüchteten in Schleswig-Holstein liegt mit 7,5 am höchsten. Geflüchtete, die in Brandenburg wohnen, geben von allen Bundesländern den geringsten Wert bei der Lebenszufriedenheit an (6,4). Im Gesamtdurchschnitt liegt die Lebenszufriedenheit bei einem Wert von 7,0.
Die Mediationsanalyse wurde mit dem von Andrew F. Hayes entwickelten SPSS-Modul „Process“ gerechnet [13]. Die dabei zustande gekommenen Ergebnisse dienen als Grundlage für die Prüfung der vier aufgestellten Hypothesen und dem Mediationsmodell (Abb. 2).
Der direkte Zusammenhang von dem Gefühl „willkommen zu sein“ auf die psychische Gesundheit, wie in Abb. 2 veranschaulicht, ist mit einem Koeffizienten von 0,79 signifikant (p < 0,001) und bestätigt die Hypothese H1. Demnach erhöht sich der Wert für die psychische Gesundheit um 0,79 Einheiten, wenn die Einschätzung des Gefühls „willkommen zu sein“ um eine Einheit steigt.
Im zweiten Modell, dem Mediationsmodell, fällt der Koeffizient auf 0,09 und verliert dabei gänzlich seine Signifikanz, wenn die Lebenszufriedenheit als Mediator Eingang in das Modell findet. Des Weiteren weist im zweiten Modell das Gefühl „willkommen zu sein“ einen signifikanten Einfluss (p < 0,001) auf die Lebenszufriedenheit auf (H2). Und auch der Einfluss der Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit (H3) ist in diesem Modell signifikant (p < 0,001). Der indirekte Effekt (H4) des gesamten Mediationsmodells ist ebenfalls mit einem Wert von 0,70 signifikant (p < 0,001). Das bedeutet, wenn das Gefühl „willkommen zu sein“ um eine Einheit steigt, dann erhöht sich die Lebenszufriedenheit um 0,54 Einheit und dies wirkt sich positiv auf die psychische Gesundheit aus, die in der Folge um 0,7 Einheiten steigt.
Die vorliegende Mediationsanalyse bestätigt damit, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ indirekt über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit wirkt. Basierend auf diesen Ergebnissen lässt sich somit sagen, dass Geflüchtete, durch das Gefühl „willkommen zu sein“ an Lebenszufriedenheit hinzugewinnen, was einen positiven Einfluss auf deren psychische Gesundheit hat.
Diskussion
Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit geben Hinweise auf einen sozialen Mechanismus, der anzeigt, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ einen indirekten Einfluss auf die psychische Gesundheit der Geflüchteten hat. Dieser indirekte Einfluss wird dabei von dem Gefühl „willkommen zu sein“ über die Lebenszufriedenheit auf die psychische Gesundheit vermittelt. Dabei ist anzunehmen, dass das Gefühl „willkommen zu sein“ die psychosozialen Lebensbedingungen positiv beeinflusst, welche die Lebenszufriedenheit und damit in der Folge die psychische Gesundheit verbessert. Das Herausarbeiten solcher Wirkungszusammenhänge und Mechanismen bietet die Möglichkeit, mit mehr Klarheit erklären und verstehen zu können, auf welche Weise das Gefühl „willkommen zu sein“ die psychische Gesundheit beeinflussen kann. Jedoch ist die Lebenszufriedenheit hierbei ein kleiner Teil einer wahrscheinlich langen und komplexen kausalen Kette, welche zwischen dem Gefühl „willkommen zu sein“ und der psychischen Gesundheit bei Geflüchteten existieren dürfte. Je besser wir verstehen lernen, wie die Willkommenskultur sich in ihrer Vielfältigkeit auswirkt, desto gezielter können Maßnahmen ergriffen werden, um Geflüchteten ein ressourcenreiches Umfeld zu geben, welches eine positive Entwicklung der psychischen Gesundheit unterstützt.
Bisher fühlt sich die Mehrheit der Geflüchteten hier willkommen und äußert auch die Absicht, für immer in Deutschland leben zu wollen. Aber es wurde auch festgestellt, dass das Gefühl in Deutschland willkommen zu sein mit zunehmender Bleibedauer leicht abnimmt [3, S. 46]. Fast 1,8 Mio. Geflüchtete leben zur Zeit in Deutschland (Stand 2018, Quelle: Statistisches Bundesamt [27]). Zum generellen Wohl und zur bestmöglichen Gesundheit dieser besonders vulnerablen Migrantengruppe ist eine nachhaltige Willkommenskultur daher unabdingbar. Die Anzahl der Asylanträge ist seit 2016 [4] zwar rückläufig, doch eine auf Offenheit und Akzeptanz ausgerichtete Willkommenskultur ist für das Einwanderungsland Deutschland weiterhin bedeutsam.
Fazit für die Praxis
-
Alle Maßnahmen, die Geflüchteten das Gefühl geben, in Deutschland willkommen zu sein, können zu einer besseren Lebenszufriedenheit und psychischen Gesundheit beitragen. Dazu zählen folgende:
-
Willkommenskultur auf allen Ebenen (gesellschaftlich, organisational, zwischenmenschlich und individuell) fördern,
-
Etablierung von Quartiersmanagement und Integrationslotsen zur besseren sozialen Integration von Geflüchteten,
-
Verbesserung der wohnräumlichen Situation durch dezentrale Unterbringung,
-
Ausbau der (Aus‑)Bildungschancen um gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten zu fördern,
-
rechtliche und politische Hürden bei der Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft, in den Arbeitsmarkt und in die Bildungssysteme abbauen,
-
Zugang zu Gesundheitsleistungen erleichtern.
Literatur
Andersen H, Mühlbacher A, Nübling M, Schupp J, Wagner G (2007) Computation of standard values for physical and mental health scale scores using the SOEP version of SF-12v2. Schmollers Jahrb 127(1):171–182
Bhugra D, Gupta S, Bhui K, Craig TOM, Dogra N et al (2011) WPA guidance on mental health and mental health care in migrants. World Psychiatry 10(1):2
Babka von Gostomski et al (2016) IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Überblick und erste Ergebnisse. In: Brücker H, Rother N, Schupp J (Hrsg) IAB Forschungsbericht. Politikberatung kompakt. DIW, Berlin
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2020) Aktuelle Zahlen. Ausgabe: November 2020. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-november-2020.html. Zugegriffen: 10. August 2020
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2018) Willkommenskultur. Integration – Artikel. https://www.bamf.de/DE/Themen/Integration/AkteureEhrenamtlicheInteressierte/EhrenamtlichesEngagement/Willkommenskultur/willkommenskultur-node.html. Zugegriffen: 10. August 2020
Çelebi E, Verkuyten M, Bagci SC (2017) Ethnic identification, discrimination, and mental and physical health among Syrian refugees: the moderating role of identity needs. Eur J Soc Psychol 47(7):832–843. https://doi.org/10.1002/ejsp.2299
Ellis BH, MacDonald HZ, Lincoln AK, Cabral HJ (2008) Mental health of Somali adolescent refugees: the role of trauma, stress, and perceived discrimination. J Consult Clin Psychol 76(2):184–193. https://doi.org/10.1037/0022-006X.76.2.184
Fegert JM, Plener PL, Kölch M (2015) Traumatisierung von Flüchtlingskindern – Häufigkeiten, Folgen und Interventionen. Recht Jugend Bildungswes 63(4):380–389
Fergusson DM, McLeod GFH, Horwood LJ, Swain NR, Chapple S, Poulton R (2015) Life satisfaction and mental health problems (18 to 35 years). Psychol Med 45(11):2427–2436
Gambaro L, Kreyenfeld M, Schacht D, Spieß K (2018) Lebenszufriedenheit von Geflüchteten in Deutschland ist deutlich geringer, wenn ihre Kinder im Ausland leben (korr. Version). DIW Wochenber 42:905–916. https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-42-2
Gill N (2018) The suppression of welcome. Fennia 196(1):88–98. https://doi.org/10.11143/fennia.70040
Gong-Guy E, Cravens RB, Patterson TE (1991) Clinical issues in mental health service delivery to refugees. Am Psychol 46(6):642–648
Hayes AF (2018) Introduction to mediation, moderation, and conditional process analysis: a regression-based approach, 2. Aufl. Guilford, New York
Heckmann F (2012) Willkommenskultur – Was ist das, und wie kann sie entstehen und entwickelt werden? efms, Bamberg
Heeren M, Mueller J, Ehlert U, Schnyder U, Copiery N, Maier T (2012) Mental health of asylum seekers: a cross-sectional study of psychiatric disorders. BMC Psychiatry 12(1):114
Jäckle S, König PD (2017) The dark side of the German ‘welcome culture’: investigating the causes behind attacks on refugees in 2015. West Eur Polit 40(2):223–251
Johnson H, Thompson A (2008) The development and maintenance of post-traumatic stress disorder (PTSD) in civilian adult survivors of war trauma and torture: a review. Clin Psychol Rev 28(1):36–47
Laban CJ, Komproe IH, Gernaat HB, de Jong JT (2008) The impact of a long asylum procedure on quality of life, disability and physical health in Iraqi asylum seekers in the Netherlands. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 43(7):507
Lareiro PD, Rother N, Siegert M (2020) Dritte Welle der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten: Geflüchtete verbessern ihre Deutschkenntnisse und fühlen sich in Deutschland weiterhin willkommen. BAMF-Kurzanalyse, 1‑2020. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl (FZ), Nürnberg
Liebe U, Meyerhoff J, Kroesen M, Chorus C, Glenk K (2018) From welcome culture to welcome limits? Uncovering preference changes over time for sheltering refugees in Germany. PLoS ONE 13(8):1–13. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0199923
Marek M (2019) Refugees in Germany: amongst culture of welcome and xenophobia. Int J Interrelig Intercult Stud 2(2):68–74. https://doi.org/10.32795/ijiis.vol2.iss2.2019.452
Metzing M, Schacht D, Scherz A (2020) Psychische und körperliche Gesundheit von Geflüchteten im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen. DIW Wochenber 87(5):63–72. https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-5-1
Nesterko Y, Kaiser M, Glaesmer H (2017) Kultursensible Aspekte während der Diagnostik von psychischen Belastungen bei Flüchtlingen – Zwei kommentierte Fallberichte. Psychother Psychosom Med Psychol 67(03/04):109–118
Noh S, Beiser M, Kaspar V, Hou F, Rummens J (1999) Perceived racial discrimination, depression, and coping: a study of Southeast Asian refugees in Canada. J Health Soc Behav 40(3):193–207
Pech E, Rose U, Freude G (2010) Zum Verständnis mentaler Gesundheit – eine erweiterte Perspektive. Zbl Arbeitsmed 60:234–243
Pumariega AJ, Rothe E, Pumariega JB (2005) Mental health of immigrants and refugees. Community Ment Health J 41(5):581–597. https://doi.org/10.1007/s10597-005-6363-1
Statistisches Bundesamt (2019) Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Schutzsuchende – Ergebnisse des Ausländerzentralregisters. Fachserie 1, Reihe 2.4
Steel Z, Chey T, Silove D, Marnane C, Bryant RA, Van Ommeren M (2009) Association of torture and other potentially traumatic events with mental health outcomes among populations exposed to mass conflict and displacement: a systematic review and meta-analysis. JAMA 302(5):537–549
Vollmer B, Karakayali S (2017) The volatility of the discourse on refugees in Germany. J Immigr Refug Stud 16(1/2):118–139. https://doi.org/10.1080/15562948.2017.1288284
Walther L, Fuchs LM, Schupp J, von Scheve C (2020) Living conditions and the mental health and well-being of refugees: evidence from a large-scale German survey. J Immigr Minor Health. https://doi.org/10.1007/s10903-019-00968-5
World Health Organization (1993) Composite international diagnostic interview (CIDI). World Health Organization, Genf
World Health Organization (2004) Promoting mental health: concepts, emerging evidence, practice (summary report). World Health Organization, Genf
Funding
Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
A. M. Keller und R. Hajji geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Keller, A.M., Hajji, R. Die psychische Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland. Präv Gesundheitsf 16, 354–360 (2021). https://doi.org/10.1007/s11553-021-00833-0
Received:
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s11553-021-00833-0