Die Kategorie Geschlecht hat für die Gesundheit eine zentrale Bedeutung. Geschlechtsspezifische Unterschiede ergeben sich sowohl bei der Morbidität und Mortalität als auch bei Krankheitsverläufen sowie der Nutzung präventiver Angebote [7]. Geschlechtersensible Perspektiven gehören daher seit Jahren zum Standard in Gesundheitsförderung und Prävention, um die Passung von Interventionen zu erhöhen und gesundheitliche Ungleichheit zu reduzieren [3].

Vor diesem Hintergrund stellen neue digitale Optionen eine Herausforderung dar, denn die Technologien sind weder geschlechtsneutral [6], noch liegen Erfahrungen darüber vor, wie sich fehlende geschlechtersensible Perspektiven auswirken.

Hintergrund und Fragestellung

Eine geschlechtersensible Perspektive differenziert zwischen einem biologischen („sex“) und einem sozialen („gender“) Geschlecht. Unter Zweitem wird die gelebte Selbstidentifikation mit einem der Geschlechter (seit 2018 werden mit dem Drittes Geschlecht u. a. trans- und intersexuelle Identitäten rechtlich Frau und Mann gleichgestellt) verstanden. Die geschlechtlichen Identitäten können wiederum im Ausdruck verschiedene Gestalten annehmen bzw. wahrgenommen werden und mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen zusammenfallen (z. B. eine lesbische androgyne Person, die sich als Frau identifiziert). Angenommen wird dabei, dass sich das Gender einer Person in Interaktionen und über eine lange Zeit hinweg konstituiert [10] und oftmals mit spezifischen Gesundheitsverhalten (Yogakurse oder „Gamification“ zur Gesundheitsförderung), täglichen gesundheitsbezogene Routinen (Rauchen oder Medikamenteneinnahme bei Stress) und typischen Belastungen (Feinstaublunge eines Lackierers oder Bandscheibenvorfälle einer Pflegefachkraft) korrespondiert [17]. Gesundheitsbedarfe und Krankheitsverläufe werden mit eben dieser langfristigen und dynamischen Materialisierung von Körpern (ergo den Auswirkungen von Veranlagungen, sich ändernden Ressourcen und Belastungen) erklärt [18], an die die Gesundheitsförderung mit möglichst passgenauen Interventionen ansetzt.

Das soziale Geschlecht wird bei geschlechtersensiblen Interventionen nicht isoliert betrachtet. Vielmehr wird es mit sozialen Markern wie Alter, sexuelle Orientierung, Behinderung, Ethnizität, kultureller Hintergrund sowie sozialer Schichtzugehörigkeit verknüpft, um Aussagen über die Verteilung spezifischer Gesundheitsverhalten und Erkrankungen machen zu können [1]. Ein solcher gendersensibler und diversitätsorientierter Ansatz der Gesundheitsförderung legt sich entsprechend ein komplexes Zusammenspiel zwischen sozialökonomischen und kulturell geprägten Belastungen und Ressourcen, verschiedenen Genderidentitäten und dem individuellen Organismus vor [3]. Flankiert wird dieser Ansatz durch eine Gesundheitspolitik, die ein Gender-Mainstreaming, also die Einbindung von Menschen verschiedener Gender und damit die Gewährleistung der gleichberechtigten Teilhabe an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozessen, sowie dafür im Konkreten auch die verbesserte Patient*innen- sowie Nutzer*innenbeteiligung befördern will, um den Bedarfen möglichst umfangreicher Teile der Bevölkerung optimal gerecht zu werden [25].

Im Zuge der Etablierung digitaler Infrastrukturen und Angebote ergeben sich neue Optionen für Interventionen der Gesundheitsförderung – und aus diesen resultieren auch für gendersensible und diversitätsorientierte Perspektiven neue Herausforderungen. Anhand zweier Fragestellungen soll die bisher verfügbare Evidenz aufgearbeitet werden:

  1. 1.

    Inwiefern wirken sich die Gender auf Effekte digitaler Interventionen der Gesundheitsförderung aus?

  2. 2.

    Welche möglichen Bedarfe an gendersensiblen Ansätzen lassen sich daraus ableiten?

Material und Methode

Der Artikel basiert auf einem scoping review, das nationale und internationale Studien einschließt, die mittels Literaturrecherche identifiziert und selektiv zusammengefasst wurden. Die Recherche wurde im Mai 2020 in den Datenbanken PubMed, Web of Science und Google Scholar (deutsche Seiten) durchgeführt. Gesucht wurde mit den Schlagwörtern „gender“, „digital“ und „health promotion“. Es ergaben sich insgesamt 238 Treffer. Neben 18 Duplikaten wurden zwei Artikel in Spanisch, vier Ankündigungen sowie 25 Konferenzbeiträge entfernt. Exkludiert wurden 167 weitere Artikel, da ihnen ein inhaltlicher Bezug zu den gestellten Fragen fehlte (Tab. 1).

Tab. 1 Darstellung der strukturierten Literatursuche

Die Studienlage zur Interferenz von Gendern zu den Effekten digitaler Angebote ist bisher schwach [9]. Kein Treffer setzt sich dezidiert mit den hier gestellten Fragen auseinander. Die inkludierten Studien verweisen jedoch exemplarisch mit Blick auf einzelne Interventionen, Technologien und Zielgruppen darauf, inwiefern diese

  1. a)

    negative Effekte haben, da sie Gender nicht berücksichtigen [2, 5, 7, 11, 15, 16, 20, 23, 24],

  2. b)

    einen Einfluss auf die Manifestation von Genderstereotypen haben [8, 9, 22] und

  3. c)

    von einer gendersensiblen Perspektive profitieren [4, 5, 14, 26].

Die meisten Studien erfassen Gender als die Kategorie der Dichotomie Frau vs. Mann (Ausnahmen: [5, 7, 26]). Dargestellt werden die Ergebnisse im Folgenden als Beantwortung der ersten Frage und dies entlang der drei Themenfelder. Im nächsten Schritt wird die zweite Frage auf Grundlage der dargestellten Ergebnisse beantwortet. Der Artikel endet mit einem hieraus entwickelten Fazit für die Praxis.

Negative Effekte durch fehlende Gendersensibilität

Digitale Interventionen haben die Gesundheitsförderung und Prävention multipliziert und diversifiziert: Eine kaum überschaubare Zahl von Online-Plattformen, Foren und Apps informieren über Erkrankungen und Kampagnen, regen zu präventivem Verhalten an, messen medizinische Werte und begleiten therapeutische Interventionen. Gesundheitswissenschaftliche Studien zeigen, dass Apps moderat positive Effekte in Bezug auf Gesundheitskompetenz und Verbesserung der Gesundheitsversorgung haben, selbst im Vergleich zu entsprechenden konventionellen Interventionsmaßnahmen [20]. Bislang gilt allerdings als zentrales Manko, dass verbindliche Qualitätssiegel für Apps fehlen. Interventionen können insofern unpassende oder fehlerhafte Materialien (z. B. zugrunde liegende Studien oder Annahmen über die Zielgruppe) einbeziehen, woraufhin auf diesen basierende Algorithmen irreführende bis falsche Empfehlungen oder Gesundheitsprognosen generieren können [24].

Techniksoziologische Studien zeigen erstens, inwiefern dies für Apps zutrifft, die explizit für Bedarfe von menstruierenden Frauen entwickelt sind: Manche Zyklus-Apps kranken an Algorithmen, die auf wissenschaftlich überholten Methoden wie der Kalendermethode (Knaus-Ogino) basieren. Diese genoss ihre Hochphase in der Gynäkologie der 1950er-Jahre und dechiffriert die (vermeintlich) fruchtbaren Tage entlang eines fixen Rhythmus [11]. Aufgrund gynäkologischer Expertise ist diese Methode verworfen worden, da erwiesen ist, dass Zyklen von Stress, Ernährung und weiteren Faktoren abhängen. Dennoch suggeriert gerade die Visualisierung durch eine App, es handele sich um eine tatsächliche Aussage über den individuellen Körper [2].

Zweitens verweisen Studien darauf, dass irreführende bis falsche Empfehlungen oder Gesundheitsprognosen nicht alle Gender gleichermaßen treffen: Frauen und Inter- und Transsexuelle waren in der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Forschung lange Zeit unterrepräsentiert. Eklatante Auswirkungen hatte dies auf Schlussfolgerungen basierend auf Studien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da diese lange Zeit als „male-only studies“ durchgeführt und als geschlechtsneutral und allgemeingültig präsentiert wurden. Im Kontrast hierzu zeigen aktuelle differenzierende Studien, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in jedem Stadium von Risikofaktoren, Entwicklung, Symptomatik und sogar in Bezug auf Überlebenschancen, Schutzfaktoren sowie Rehabilitation bestehen. Frauen und Inter- und Transsexuelle können also nur auf der Grundlage differenzierter Studien eine evidenzbasierte Therapie erwarten [18].

Solange Algorithmen aber ein (zumeist) unüberprüfbares Betriebsgeheimnis darstellen und es damit auch unklar bleibt, ob geschlechtsspezifische Unterschiede ausreichend berücksichtigt sind, mangelt es potenziell an reliablen und validen Diagnosen. So können in digitalen (wie analogen) Angeboten zur Symptomerkennung veraltete Datengrundlage dazu führen (Frauen und Inter- und Transsexuelle zeigen bspw. weniger häufig die anerkannten Symptome eines Myokardinfarkts), dass Hilfebedarf zu spät angezeigt werden [23].

Drittens zeigen sich negative Effekte sogar insofern, als dass sich gesundheitsförderliche Potenziale ins Gegenteil verkehren können, wenn gesellschaftliche Stigmatisierungen von Gendern nicht bedacht werden. Evident wird dies bei Angeboten, wie Online-Foren und Gesundheitsplattformen, die zu Verhaltensänderungen anregen und Gesundheitsinformationen verbreiten. Diese bieten häufig die Funktion an, benutzergenerierte Beiträge hochzuladen und jene anderer User zu kommentieren. Ein solch interaktives Verfahren birgt – neben vielen Vorteilen – Gefahren: Eine inhaltsanalytische Studie von Kommentaren zu Videos von Personen auf einem Forum für übergewichtige Menschen arbeitet heraus, dass negative Kommentare die unterstützenden überwogen. Im Besonderen erhielten Videos von Frauen herabwürdigende Anmerkungen und dies überproportional häufig durch User, die sich männlich definierten [16].

Auch eine Studie über Angebote auf Social-Media-Plattformen für LGBTIQ (lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und intergender und -sexuell, queer) Jugendliche kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Jugendlichen gehören bei ihrer sexuellen Identitätsbildung einer sexuellen Minorität an und passende Unterstützungsangebote können zur Gesundheitsförderung beitragen, indem sie fehlende Rollenmodelle und Ansprechpartner*innen stiften und zumeist auch dabei helfen, Diskriminierungserfahrungen zu verarbeiten. Allerdings sind diese Angebote auf der Seite der Inhaltsproduktion meistens männlich geprägt und nur für einen Teil der Jugendlichen attraktiv. Eine inhaltsanalytische Studie, die sich explizit jenen selteneren Angeboten für Frauen und Transpersonen zuwendet, verweist darauf, dass oftmals auf lesbische Selbstoffenbarungen auch ablehnende Reaktionen des Publikums folgen [7].

Viertens bedingt der sog. „digitale divide“, also der ungleich verteilte Zugang zum Internet und der hieraus resultierende gewinnbringende Nutzen, dass nicht jede Person gleichermaßen von digitalen Angeboten profitieren kann. Neben sozialen und altersbedingten Einschränkungen bestehen globale, die sich nicht nur zwischen Ländern, zwischen ländlichem und städtischem Raum, zwischen Armutsvierteln und besser situierten Quartieren bemerkbar machen, sondern Frauen weltweit haben einen geringeren Zugang zu Online-Gesundheitsangeboten [12]. In vielen Ländern sind Frauen auf männliche Familienmitglieder angewiesen, um Angebote nutzen zu können, wodurch sie oftmals ihre Privatsphäre, Autonomie und Entscheidungsfreiheit einbüßen. Auf sie abzielende digitale Interventionen kranken wiederum daran, dass ihnen nur eingeschränkte Mitbestimmungsrechte zugestanden werden und somit die Angebote schwer auf ihre Bedürfnisse abzustimmen sind [13]. Ein solcher „digital gender gap“ kann gesundheitliche Ungleichheiten potenzieren [12]. Gleichzeitig zeigt ein systematisches „literature review“ über digitale Interventionen für Frauen, dass, werden diese entsprechend gendersensible und soziale eingebettet angeboten, sie gesundheitsförderliche Entscheidungen begünstigen und den Zugang zur Gesundheitsversorgung verbessern können [15].

Einfluss auf die Manifestation von Genderstereotypen

Die meisten digitalen Technologien für die Gesundheitsförderung sind für alle Gender designt. Dennoch, so zeigen qualitative Studien, unterscheiden sich die Nutzungsverhalten auch entlang der Gender. Qualitative Studien heben hervor, dass Frauen häufiger Self-tracking-Apps einsetzen, um ihren Kalorienverbrauch nachzuvollziehen sowie Trainingsprogramme nutzen, um Körperpartien zu formen, während Männer im Durchschnitt häufiger ihre körperliche Leistungsfähigkeit aufzeichnen und teilen. Auch wenn Nutzer*innen gemäß ihrer Interessen die Programme wählen, werden sie durch die in den Apps vorformatierten Ziele (sowie entlang von Bildgebungsverfahren und Praktiken) auf stereotypische traditionelle Körperideale ausgerichtet. Damit (re)manifestieren und verfestigen sich Dichotomien entlang der Kategorien Frau vs. Mann [22]: Einerseits aktualisieren sich hierdurch Genderhierarchien zwischen makellosen zierlichen, begehrlichen Frauen und leistungsstarken, begehrenden Männern [8]. Andererseits werden bestimmte Körper, in einer Studie expliziert an nicht-weißen sowie trans- und intersexuellen Körpern, sowie von heterosexuellem Begehren abweichende Formen der Sexualität, als Abweichungen bestimmbar [8].

Eine andere qualitative Studie über Erfahrungen von Nutzerinnen verschiedener Fitness-Apps hebt außerdem hervor, dass die Reflexion über genderspezifisches Rollenverhalten immens wichtig ist, um unintendierte Effekte digitaler Fitnesstechnologien verstehen zu können. US-amerikanische Fitbit-Userinnen, die ihre gesundheitlichen Belastungen, Trainingsprogramme und Fitnessziele in entsprechenden Foren darlegten, monierten, wie die Studie nachvollzieht, dass sie die standardisierten Trainingsziele des Anbieters selbst unter größten Anstrengungen nicht erreichen konnten. Geschuldet war dies einer räumlichen und zeitlichen Belastung, ausgelöst durch gleichzeitig an sie gestellte Anforderungen des Arbeitsmarktes sowie durch reproduktive häusliche und familiäre Verpflichtungen. Im Vergleich beklagten männliche Nutzer solche Effekte nicht. Die Studie schloss entsprechend damit, dass die Wirkung von Apps nur unter Einbeziehung sozioökonomischer Faktoren und bei genderdifferenzierter Analyse nachzuvollziehen ist [9].

Gendersensible Gesundheitsförderung mit Apps

Einige Online-Interventionen basieren bereits auf gendersensiblen Ansätzen. Diese sind jedoch nicht per se Erfolg versprechend. Demgemäß arbeitet eine Studie über Online-Gesundheitsinformationen heraus, dass Frauen häufiger als Männer Online-Gesundheitsinformationen suchten, dass aber ein gewinnbringender Nutzen von sozioökonomischen Faktoren abhing [4]. In diesem Sinne zeichnet eine andere Studie über die visuelle und sprachliche Gestaltung einer kanadischen Gesundheitskampagne zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen nach, dass ein nicht-inklusives Design einer online Kampagne schaden kann: Diese versäumte nämlich ethnische, sexuelle und anderer Minderheiten in den Materialien zu repräsentieren, woraufhin Personengruppen dieses Angebot als nicht für sich relevant wahrnahmen. Die Intervention erwies sich dadurch als nur begrenzt wirksam [5].

Von einem gelingenden gendersensiblen Ansatz berichtet wiederum ein anderer Projektbericht. Im Rahmen der Entwicklung von digitalen Unterstützungsangeboten zum Diabetes-Selbstmanagement entwickelte das Projekt ein Modell, mit dem das Selbstmanagement entlang von differenzierten Verhaltenstipps verbessert werden könne. Dabei basierten die Tipps auf Studien zu biologischen, verhaltensbezogenen und psychosozialen Faktoren. Die im Projekt entwickelten Unterstützungsangebote wurden jedoch anlassbezogen und nicht entlang der Angaben zum Gender generiert. So erhielten auch Männer Empfehlungen zum Anlass „geringe Selbstwirksamkeit“, obwohl die Studiengrundlagen dies als ein Spezifikum der durchschnittlichen Krankheitserscheinungen von Frauen auswiesen. Ebenso wurden auch keine automatisierten Tipps an Frauen zur Vermeidung schlechter Gemütszustände versandt, obwohl Daten zeigen, dass Frauen durchschnittlich häufiger von depressiven Verstimmungen betroffen sind. Neben den anlassbezogenen Gesundheitstipps konnten Nutzer*innen auch ihre eigenen Spezifizierungen vornehmen, bspw. in Form von persönlichen Präferenzen: Als Beispiel wurde zitiert, dass Nutzer*innen Grenzwerte ihres Alkoholkonsums festlegen konnten, die mit ihren Gewohnheiten und Verträglichkeiten korrespondierten. Es war Teil der diversitätsorientierten und gendersensiblen Herangehensweise, diese nicht entlang der in der Literatur festgelegten geschlechtsspezifischen Grenzwerte automatisiert festzulegen [26].

Resümierend lässt sich die Frage nach den Auswirkungen von Gendern auf die Effekte der digitalen Interventionen insofern beantworten, als dass die Interferenzen facettenreich sind: Es bedarf in der Technologieentwicklung einer Einbeziehung gendersensibler Perspektiven, um unintendierte Effekte zu vermeiden. Gleichzeitig müssen diese kontextabhängig mit diversitätsorientierten Ansätzen verschränkt sein, um neue Vulnerabilitäten durch die digitalen Interaktionen zu minimieren.

Bedarfe an gendersensiblen Perspektiven

Die Studien des Reviews verweisen darauf, dass gendersensible Ansätze für digitale Interventionen relevant sind, um unintendierte negative Effekte zu reduzieren und die Vertiefung struktureller Ungleichheiten zu vermeiden. Zur Realisierung erfolgreicher digitaler Interventionen sind in der Entwicklung jedoch nicht nur gendersensible Ansätze zu wählen, sondern diese mit weiteren Kategorien wie genderspezifische Diskriminierung, sexuelle Orientierung, sozioökonomischer Status und kultureller Hintergrund zu verschränken, damit digitale Interventionen angenommen werden (können; [21]).

Eine Reaktion hierauf ist die Entwicklung von diversitätsorientierter und/oder barrierefreier Soft- und Hardware, die unterschiedlichen Vorlieben und Bedarfen sowie körperlichen, sprachlichen, technischen und kognitiven Kompetenzen gerecht wird. Ein solches Design stellt die entwickelnden Personen – mehrheitlich junge, männliche eTechniker, Informatiker und Produktdesigner mit höherem Bildungsgrad sind – vor eine Herausforderung [26]: Die von ihnen entwickelten Technologien spiegeln ihre Vorstellungen über die Wünsche, Kompetenzen und Bedarfe ihrer anvisierten potenziellen Nutzer*innen wieder. Die Diskrepanz zwischen vermuteten und tatsächlichen Kompetenzen und Bedarfen kann dazu beitragen, dass Angebote potenzielle Zielgruppen verfehlen [14]. Gegengesteuert werden kann dadurch, dass im Forschungs- und Entwicklungsteam Gender- und Diversitätskompetenzen einbezogen werden [26].

Auf der Versorgungsebene können politische Rahmenbedingungen bspw. zur verbindlichen Regelung von Kassenübernahmen, wie jüngst partiell über das Digitale-Versorgung-Gesetz realisiert, den Zugang zu Angeboten verbessern. Hierin besteht eine große Chance, denn Studien zeigen, dass online Gesundheitsangebote im Besonderen für sozial benachteiligte Frauen gesundheitsförderlich wirken können [19].

Resümierend lässt sich folgern, dass bereits vorliegende Erfahrungen aus (analogen) Interventionen nicht unbedingt ausreichen, um unintendierte Effekte zu vermeiden: Algorithmen, digitalen Bildgebungsverfahren und Online-Kommunikationen wohnen neue Risiken inne. Offene Gesundheitsforen oder Gesundheitsangebote auf Social Media bedürfen so beispielsweise einer zeitnahen Redaktion, denn die Anonymität digitaler Kommunikation begünstigt die Zunahme genderspezifischer (digitaler) Gewalt, die häufig eine Ergänzung oder Verstärkung von bereits offline erfahrenen Gewaltdynamiken darstellt.

Fazit für die Praxis

  • Um mit qualitativ hochwertigen Interventionen große Teile der Bevölkerung zu erreichen und gesundheitlicher Ungleichheit entgegen zu treten, bedarf es Gendersensibilität als Kernkompetenz. Allerdings wird es für eine gendersensible Gestaltung der Digitalisierung keine einfache Checkliste oder Rezeptur geben. Es bedarf vielmehr langfristiger Lernprozesse und Reflektionen von Technikentwicklung, Implementierungen und Techniknutzung in actu.

  • Hierfür bieten die Kernelemente der gendersensiblen Ansätze der Gesundheitsförderung, wie eingangs ausdifferenziert, eine Basis: Dies würde erstens eine Sicherstellung des Gender-Mainstreaming-Prinzips in der Technikentwicklung bedeuten, das ein durchgängig gendersensibles Design befördert. Zweitens wäre die Verschränkung von Gender- und Diversitätssensibilität als Kriterium guter Interventionen festzuhalten. Drittens befördert partizipative User-orientierte Technikentwicklung Interventionen, die heterogenen Bedarfen verschiedener Gender, Bedarfe und Bevölkerungsgruppen entsprechen.