Hintergrund

Unsere heutige Lebensführung ist ohne den Flugverkehr kaum mehr vorstellbar. Das Fliegen überwindet lange Distanzen und spart Zeit. Dennoch leiden ca. 16 % der deutschen Bevölkerung unter Flugangst, 22 % unter deutlichem Unbehagen beim Fliegen [18]. Angelehnt an die DSM‑V („diagnostic and statistical manual of mental disorders“) definiert sich Flugangst in der ICD-10-GM („international statistical classification of diseases and related health problems-german modification“) unter F40.2 als spezifische isolierte Phobie. Die auslösende Situation der Angst ist stark begrenzt, in diesem Fall durch das Fliegen [7].

Als Bestandteil der etablierten Flugangsttherapien hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt, die eine signifikante Verbesserung der Flugangst bei bis zu 77 % der Teilnehmer über ein Jahr zeigt [26]. Ebenfalls zur Verhaltenstherapie gehörend ist die Konfrontationstherapie. Sie gilt als effektivste Behandlungsmethode einer Angststörung [1]. Dabei gibt es auch vielversprechende Ansätze die Konfrontationssituation durch „virtual reality“ (VR) zu erzeugen [5], die im Vergleich mit klassischer Konfrontationstherapie vergleichbare Ergebnisse erzielt [23].

Eine weitere bei Flugangst eingesetzte Therapieform ist „eye movement desensitization and reprocessing“ (EMDR). EMDR ist eine anerkannte psychotherapeutische Methode zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen. Ziel ist eine „Desensibilisierung“ von belastenden Erlebnissen mittels bilateraler Hirnstimulation [16]. Die Effekte der klassischen Therapie vs. kognitive Verhaltenstherapie mit EMDR oder VR sind vergleichbar [24]. Limitation der klassischen Therapie ist die Zugänglichkeit der Methode, mit langen Wartezeiten von durchschnittlich 19,9 Wochen bei Psychotherapeuten für die Betroffenen [3]. VR-einbeziehende Therapien sind vergleichsweise teuer, da die Inhalte zunächst produziert werden müssen [4]. EMDR-Ansätze benötigen diesbezüglich professionell qualifizierte Anwender [24]. Die Diagnose als spezifische isolierte Phobie birgt für den Betroffenen die Gefahr einer Stigmatisierung durch die Diagnose einer psychischen Erkrankung [14]. Dem entgegenwirkend könnte sich im Coaching, als Sammelbegriff für psychotherapienahe Intervention, ein neuer Ansatz der Flugangstbehandlung finden. Coaching selbst ist eine Kombination von allgemein-psychologischen, kognitiv-verhaltensorientierten, psychodynamischen und systemischen Techniken und wird als „Psychotherapie für Gesunde“ bezeichnet [17]. Coaching versteht sich als ein klientenbezogener Prozess, der das Ziel hat, die vom Klienten definierten Ziele zu erreichen [21]. Im Bereich des Coachings stellt wingwave® (Besser-Siegmund-Institut GmbH, Hamburg, Deutschland) (ww-)Coaching (wwC) aufgrund seiner Standardisierung eine reproduzierbare Methode dar. Grundlage des wwC ist eine Kombination von EMDR, neurolinguistischem Programmieren und einem Myostatiktest [21].

Mittels wwC sollen angeblich individuelle Stressauslöser aller Emotionsqualitäten (systemische, körperlich und emotional) identifiziert und neutralisiert werden [27]. Der Ablauf eines wwC ist in 12 Phasen standardisiert und benötigt rund drei Sitzungen. Zuerst wird der individuelle Stressauslöser mit Hilfe des evaluierten „Myostatiktests“ [22] identifiziert, indem der Klient mit flugprozesstypischen Situationen konfrontiert wird. Diese werden nach einem festgelegten Aussagenbaum vom Packen des Koffers bis zum Verlassen des Zielflughafens geprüft. Ist ein Stressauslöser in einer Flugphase identifiziert, wird er unmittelbar mittels im Wachen induzierten REM-Phasen („rapid eye movement“), ähnlich dem Vorgehen bei der EMDR-Methode, durch eine winkende Handbewegung des Coaches vor den Augen des Betroffenen integriert. Auf diese Weise werden sowohl somatische Reaktionen als auch „Katastrophenvorstellungen“ (systemischer Stress), die mit der Flugangst verbunden sind, angegangen. Anschließend werden „Deckerinnerungen“ ausgemacht, die sich hinter der Angst verbergen – und nach der wwC-Theorie die eigentlichen Ursachen einer Flugangst darstellen sollen: Sie sind dem Klienten oft nicht bewusst erinnerlich oder haben ihren Ursprung in der Übernahme von Emotionen einer anderen Person und werden daher nur selten in den Zusammenhang mit Flugangst gebracht. Diese Deckerinnerungen werden ebenfalls mit Hilfe der EMDR-Intervention angegangen [2]. Der Myostatiktest dient anschließend zum Überprüfen des Coaching-Ergebnisses [22]. Insgesamt wirkt wwC bei Flugangst durch die Standardisierung des Vorgehens und die Kürze der Intervention als lohnend, näher betrachtet zu werden. Den gesamten schematischen Ablauf eines wwC zeigt Abb. 1.

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung eines wingwave®-Coachings (wwC; eigene Darstellung). REM „rapid eye movement“

Fragestellung/Zielsetzung

Ziel der vorliegenden qualitativen Studie war es, die Hintergründe für Flugangst aus der Erfahrung von ww-Coaches zu explorieren, um somit neue Hypothesen zum Umgang mit Flugangst zu generieren.

Methode

Zur Erstellung der vorliegenden Arbeit wurde ein qualitatives Studiendesign in Form von leitfadengestützten Experteninterviews mit ww-Coaches durchgeführt.

Die Fragen für den Leitfaden wurden durch Diskussionen der Autoren (KN und JS) auf Basis des Lehrbuchs für ww [2] entwickelt und durch ein Probeinterview mit einer erfahrenen ww-Coachin pilotiert, um insbesondere die Verständlichkeit und Eindeutigkeit der Fragen zu überprüfen. Der Leitfaden musste danach nicht überarbeitet werden und enthielt folgende Fragen:

  • Welche Erfahrungen haben Sie mit ww im Zusammenhang mit Flugangst gemacht?

  • Was für Menschen suchen bei Ihnen Hilfe durch ww bei der Behandlung von Flugangst?

  • Welche Themen sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Gründe für Flugangst?

  • Was sind Schwächen oder Stärken der ww-Methode bei Flugangst?

  • Inwiefern wird Ihr Vorgehen durch die Symptomatik (wie sich die Flugangst äußert) beeinflusst?

  • In welchen Fällen verlassen Sie das 12-Phasen-Vorgehen, wenn Sie ww bei einem Klienten mit Flugangst anwenden?

  • Welche Abbruchkriterien haben Sie definiert für eine Sitzung?

  • In welchen Fällen wenden Sie noch weitere Coaching-Techniken an?

  • Welche Aspekte sind Ihnen noch wichtig, über die wir noch nicht gesprochen haben?

Der semistrukturierte Leitfaden enthielt keine vorgegebene Reihenfolge der Fragen, und das Interview war nicht nur auf die Fragen des Leitfadens begrenzt.

Die Experteninterviews erfolgten alle telefonisch im Zeitraum Februar bis April 2017. Sie wurden von einer der Autorinnen (KN, zu der Zeit Medizinstudierende) durchgeführt, mittels eines Diktiergeräts aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht. Hierzu wurden die Transkriptionsregeln des Instituts für Allgemeinmedizin Lübeck berücksichtigt. Während der Transkription fand die Pseudonymisierung statt.

Stichprobe

Die Kontaktdaten der ww-Coaches wurden vom Besser-Siegmund-Institut (Besser-Siegmund Institut GmbH, Hamburg, Deutschland) zur Verfügung gestellt. Die Kontaktaufnahme zu den Coaches erfolgte per E‑Mail oder telefonisch, das Einholen der Einverständniserklärungen und die Terminabsprachen zum Interview erfolgten auf dem Postweg bzw. per E‑Mail-Kontakt.

Analyse

Die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews orientierte sich an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring [13]. Für die Erstellung von Kategorien wurden deduktiv aus den Fragen des Interviewleitfadens heraus Oberkategorien gebildet. Im nächsten Schritt wurden die Interviews hinsichtlich ihrer Aussagen durchgearbeitet und die entsprechend gefundenen Aussagen in das Kodiergerüst einsortiert. War keine entsprechende Kategorie vorhanden, wurde induktiv eine neue erstellt. Diese Auswertung wurde parallel von 2 Personen durchgeführt (KN und L‑MW, eine Ärztin). Nachdem auf die beschriebene Weise unabhängig voneinander zwei Kodierleitfäden entstanden waren, fand ein persönliches Treffen der beiden Erstellerinnen und einem dritten Wissenschaftler (JS, Arzt) statt. Die Kodes wurden verglichen, ggf. diskutiert und eine Konsensusversion erarbeitet.

Im Folgenden werden die Ergebnisse zu folgender für die Fragestellung zentraler Leitfrage vorgestellt:

Welche Themen sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Gründe für Flugangst?

Begriffe

Für die Darstellung der Ergebnisse lag folgendes Begriffsverständnis zugrunde:

  • Grund ist ein Umstand, durch den sich jemand bewogen fühlt, etwas Bestimmtes zu tun, oder der ein Ereignis oder einen anderen Tatbestand erklärt [10].

  • Auslöser ist ein Reiz, der bestimmte instinktmäßige Verhaltensweisen auslöst [9]. Ein auslösender Reiz wird auch als Trigger bezeichnet [11].

  • Ursache ist etwas (Sachverhalt, Vorgang, Geschehen), das eine Handlung oder einen Zustand bewirkt. Die Ursache ist der eigentliche Grund [12].

Ergebnisse

Von 25 kontaktierten Coaches nahmen 23 an der Studie teil. Zwei Coaches wurden ausgeschlossen, da sie bisher keine eigenen Klienten mit dem Thema Flugangst gecoacht hatten. Die Teilnehmer waren im Mittel 52 Jahre alt und mehrheitlich weiblich. Nähere Details zu den soziodemographischen Daten der Studienteilnehmer sind in Tab. 1 aufgelistet.

Tab. 1 Soziodemographische Daten der Studienteilnehmer (n = 23)

Die Interviewdauer betrug zwischen 9 und 35 min, im Mittel 20 min.

Gründe für Flugangst

Bei der Frage nach den Gründen für Flugangst zeigte sich in den Telefoninterviews, dass Gründe und mögliche Ursachen für Flugangst von den ww-Coaches getrennt betrachtet wurden: „[…] da sehe ich nochmal so einen Unterschied zwischen Grund und Ursache […]“ (TN21).

Dementsprechend sind in der Konsensusversion die Ergebnisse zu der Leitfrage in die drei Oberkategorien „Gründe für Flugangst“, „Emotionen als Trigger für Flugangst“ und „Ursachen für Flugangst“ unterteilt worden. Es wurde eine weitere Unterteilung in Haupt- und Unterkategorien vorgenommen und zusätzlich wurden den einzelnen Unterkategorien entsprechende Ankerzitate zugeordnet. Die Ergebnisse der Oberkategorie „Gründe für Flugangst“ mit entsprechenden Haupt- und Unterkategorien zeigt Tab. 2.

Tab. 2 Ergebnisse der Oberkategorie „Gründe für Flugangst“

Negative Vorerfahrungen

Als wesentlicher Grund für die Flugangst wurden negative Vorerfahrungen der Betroffenen bei vorherigen Flügen angegeben: „Man kommt ja mit einer Flugangst nicht auf die Welt, sondern das bedarf dann schon auch irgendeiner schlechten Erfahrung“ (TN22).

Auslöser beim Fliegen/Flugprozess

Die ww-Coaches berichteten, dass jede einzelne Phase des Flugprozesses ein Auslöser für Flugangst sein könne. Der Flugprozess beginne hierbei bereits mit der Vorbereitung auf die Reise und der Anfahrt zum Flughafen: „Das ‚Die-Haustür-Verlassen‘ ist bei ganz vielen Klienten schon ein ganz großer Stress-Trigger […]“ (TN16). Weiterhin setzten sich die Phasen des Flugprozesses in den Abläufen am Flughafen fort. Auslöser für Flugangst könnten z. B. die Gepäckabgabe oder die Sicherheitskontrolle sein: „Dann mit der Sicherheitskontrolle fängt das an mit früher Schummeln“ (TN14). Ebenfalls wurden Auslöser der Flugangst während des Fluges selbst bzw. im Flugzeug erwähnt. Angefangen von dem Schließen der Türen, über die Sicherheitseinführung, das Anschnallen im beengten Flugzeug oder das Ertönen von Durchsagen: „Also das eine Mal, die Durchsage sowohl beim Check-In als auch im Flugzeug. Das Thema war Durchsage. Also, Durchsage durch Lautsprecher. Ja das war bei der einen, ein wahnsinniger Stressor“ (TN23). Das Anrollen und Abheben des Flugzeugs, den Lärm der Turbinen oder die Vibrationen bei Turbulenzen benannten die Coaches als weitere vielfache Auslöser für Flugangst. Es wurden aber auch zwischenmenschliche Auslöser berichtet, wonach ein negatives Erlebnis mit jemand anderem der Grund für das eigene Unbehagen und damit für die Flugangst sein könne: „Schlechte Vorerfahrungen bei Flügen, also schlechte Vorerfahrungen im Sinne von Turbulenzen, Stress bei sich selber, bei den anderen Fluggästen. Sogar vielleicht beim Personal, die dann mal mit komischem Gesicht rumlaufen, also von den Stewards und Stewardessen“ (TN09).

Beschäftigung mit dem Thema

Meldungen über Flugzeugabstürze, Notlandungen, Flugzeugentführungen oder Terroranschläge finden sich vielfältig in den Medien. Auch wurden an den Flughäfen Sicherheitsvorkehrungen gegen Terrorismus erhöht. Eine übermäßige Beschäftigung mit diesen Themen wurde in den Interviews als weiterer Grund für Flugangst genannt: „Nicht unerheblich sind aber auch die klassischen Katastrophenmeldungen, die man in den Medien hat, Fernsehen, Zeitungsberichte. Wo die Leute dann Horrorbilder im Kopf haben“ (TN09).

Lernen am Modell

Mehrmals wurde berichtet, dass beim Thema Flugangst ein Lernen am Modell stattfände. Kinder von Flugangsteltern würden Flugangst auch ohne eigene schlechte Flugerfahrungen erlernen, indem sie das Unbehagen eines Elternteils beim Fliegen erlebten: „Naja, es sei denn die Eltern hatten schon dramatische Flugangst und haben schon immer, wer weiß wie, Alarm geschlagen oder das Gesicht verzerrt. Dann lernt natürlich so ein Kind auch schon ohne eigene traumatische Erfahrung, dass das Fliegen irgendwie nicht so lustig ist“ (TN22). Dieser Lernprozess könne auch ohne das direkte Erleben der Flugsituation, z. B. durch Medienberichte, auftreten oder als ein weitergegebenes Thema. Z. B. könne Flugangst als Erfahrung von Vorfahren an den Betroffenen weitergegeben worden sein: „Dann ist das Thema oft auch genetischer Stress. Also es gibt ja auch Traumata von Großeltern, die bis zur dritten Generation bei einem selber testbar sind […]“ (TN04). Letztlich reiche es oft, in einer Situation dabei gewesen zu sein, in der eine andere Person unter Flugangst litt. Die Beobachtung und das eigene Erleben dieser Situation könnten dann als Grund für die eigene Flugangst gedient haben: „[…] von daher so Spiegelneurotischer Stress, ist ganz oft auch bei Flugangst immer dabei. Dass man schon mal geflogen ist, mit jemandem der eine Panik hatte“ (TN04).

Emotionen als Trigger für Flugangst

Viele der Interviewten berichteten, dass eine Flugangst durch Emotionen getriggert würde: „Die Flugangst ist oft versteckt. Das heißt das Thema ist im Prinzip nicht Flugangst, sondern eine Emotion. Die irgendwann irgendwo im Zusammenhang mit einem Erlebnis mal stattgefunden hat und irgendwie verknüpft war mit dem Thema fliegen“ (TN10). Die Ergebnisse der Oberkategorie „Emotionen als Trigger für Flugangst“ mit entsprechenden Haupt- und Unterkategorien zeigt Tab. 3.

Tab. 3 Ergebnisse der Oberkategorie „Emotionen als Trigger für Flugangst“

Kontrollverlust

Viele Menschen fühlen sich im Flugzeug hilflos. Sie geben ihr Leben in die fremden Hände der Piloten und müssen darauf vertrauen, sicher zum Ziel gebracht zu werden. Diese Hilflosigkeit wurde mehrfach als emotionaler Trigger für Flugangst genannt, zusammen mit dem Gefühl von Kontrollverlust: „Das sogenannte Beifahrersyndrom. Also dass die Leute diese, diesen Kontrollverlust, im, im Kontext Flugzeug natürlich besonders deutlich erleben, weil da ist er einfach maximal, nicht?“ (TN01).

Angst

In dem Zusammenhang wurde von den ww-Coaches hervorgehoben, dass sich oft eine ganz andere Angst hinter der Flugangst verberge. Diese andere Angst trete im Zusammenhang des Fliegens mit der Flugangst kombiniert auf bzw. werde während des Fliegens von den Klienten als Flugangst interpretiert: „[…] sondern es sind mehr so Ängste wie Kontrollverlustangst, Platzangst, Höhenangst, Angst vor der Angst, teilweise Angst vor Terror […]“ (TN06).

Wut

Letztlich könne eine Flugangst auch in einer anderen Emotion begründet sein. So wurde erwähnt, dass Wut eine Emotion sei, die ein negatives Gefühl auslöse. Komme diese Wut im Flugzeug auf, werde sie missverständlich als Flugangst wahrgenommen: „[…] dass es meistens gar nicht richtig um Angst ging, sondern zum Beispiel kann ich mich noch erinnern: Einmal war es eigentlich Wut, die dann als Angst wahrgenommen wurde, weil man kann ja nicht ‚Flugwut‘ haben“ (TN12).

Ursachen für Flugangst

Bei den auslösenden Ursachen für Flugangst gibt es die Hauptkategorien „Zeitpunkt der Ursache“, „Ursacheneigenschaften“, „Unfälle“ und „Emotional belastende Erlebnisse“. Die Ergebnisse der Oberkategorie „Ursachen für Flugangst“ mit entsprechenden Haupt- und Unterkategorien zeigt Tab. 4.

Tab. 4 Ergebnisse der Oberkategorie „Ursachen für Flugangst“

Die genannten Ursachen waren den Flugangstklienten dabei oft nicht bewusst erinnerlich oder zugänglich, sondern wurden durch den Myostatiktest der ww-Methode identifiziert und in den Interviews von den Coaches berichtet.

Zeitpunkt der Ursache

Die Mehrheit der ww-Coaches berichtete, dass die auslösende Ursache einer Flugangst häufig in der Vergangenheit des Klienten zu finden sei: „Und, die häufigste Ursache ist definitiv die Vergangenheit, dass dem Klienten irgendwas in seiner Vergangenheit widerfahren ist“ (TN02). Dabei wurde als ergänzender Aspekt der Zeitpunkt beginnend bei der Geburt, aber v. a. in der Kindheit und Jugend angegeben. „Ganz häufig sind es Sachen gewesen, die im Kindes- oder Jugendalter passiert sind“ (TN18).

Ursacheneigenschaften

Die Ursachen einer Flugangst wurden als sehr unterschiedlich angegeben, da nach Angaben der Interviewteilnehmer prinzipiell alle Erlebnisse im Leben eine Flugangst auslösen können. Diese Erlebnisse seien daher oftmals thematisch völlig unabhängig von der späteren Flugangst: „Bestimmte Erlebnisse. […] Also irgendwelche Erlebnisse, die nicht unbedingt direkt mit Flugangst zu tun haben“ (TN05). Dabei sei es unwesentlich, ob der Klient das Ereignis selbst erlebt habe oder nur anwesend war: „Es ist meistens so, dass, es muss nicht einmal der Person geschehen sein, aber im sozialen Umfeld etwas geschehen ist, wie ein Unfall, oder Angst um die Mutter oder, was auch immer, wo man als Person dann hilflos dastand, und sich das dann gezeigt hat, als Problem später“ (TN17). Weiterhin sei es für die spätere Flugangst unwesentlich, ob es nur eine Ursache oder eine Kombination mehrerer Ursachen gab: „Also insofern – gibt es also Leute da hängen sich ganz viele Sachen an die Flugangst. Und bei anderen ist es eben nur eine Sache oder zwei oder maximal drei. Und, insofern ist es absolut unterschiedlich“ (TN18).

Unfälle

Ebenfalls häufig genannte Ursachen einer Flugangst waren Unfälle: „Ansonsten eben ganz viele Erlebnisse so, ich sage mal so, so Spuren im Unfallgedächtnis. Leute die irgendwie vom Baum gefallen sind. Oder, oder vom Pferd gefallen sind“ (TN18). Dabei berichteten die ww-Coaches sowohl von eher banaleren Stürzen, wie sie jedes Kind erlebte, als auch von gefährlicheren Situationen wie Beinahe-Ertrinken oder Hubschrauberabstürzen: „[…] jemand der, ein Erlebnis hatte wo er unter Wasser gedrückt wurde und fast, also, wirklich so eine Nahtoderfahrung hatte. Und dann war diese Einflugschneise eben über dem Wasser, und der Gedanke ‚Ich könnte Ertrinken‘ […]“ (TN08).

Emotional belastende Erlebnisse

Neben den Unfällen wurden auch andere, vor allem emotional belastende, Erlebnisse als Ursache für Flugangst in den Interviews genannt: „Ja, also das sind immer – persönliche Erlebnisse mit, im Zusammenhang mit starken Emotionen. […] Und das sind immer ganz starke Emotionen mit Erlebnissen, die in irgendeiner Form, mich mit meinen Emotionen mit anderen verbunden haben“ (TN10). Diese Erlebnisse seien sehr vielfältig und mit entsprechend vielfältigen Emotionen verbunden. Beginnend bei Scham- und Schuldgefühlen, Situationen wie beim Versteckspiel nicht gefunden oder beklaut worden zu sein, wurden auch körperliche Erfahrungen als auslösende Ursache für Flugangst genannt: „Ich sage mal man sitzt und soll sich anschnallen. Da hatten wir schon einen Fall, dass eine Frau als Kind Neurodermitis hatte und die war tatsächlich immer öfter im Krankenhaus und musste angeschnallt werden, damit sie sich nicht verletzt“ (TN14). Auch das Thema Sexualität nannten die ww-Coaches als Ursache für Flugangst. Sexuelle Belästigung stellt zweifelsohne ein emotional belastendes Erlebnis dar, aber auch der erste Sexualkontakt ist ein besonderes Erlebnis, das in den Interviews als auslösende Ursache auftauchte: „Und das Angstthema war dann der erste Sexualkontakt mit ihrem damaligen Partner, der sehr viel älter war und der ein ganz – großes, männliches Glied hatte. Und sie hat da die Assoziation zu einem Flugzeug bekommen und da hat sich das manifestiert“ (TN16).

Diskussion

Mit der gewählten Methode konnten neue Hypothesen zum Umgang mit Flugangst aus der Erfahrung von ww-Coaches generiert werden. In den Interviews werden verschiedene Gründe und Auslöser für Flugangst genannt. Zusätzlich werden von den ww-Coaches mehrere Auslöser beschrieben, die während des Flugprozesses jeweils eine Flugangst triggern können. Entsprechend dem Kausalitätsprinzip von „Ursache-und-Wirkung“ ([8] basierend auf der griechischen Philosophie) wird den genannten Auslösern ein Grund für die Flugangst, z. B. negative Vorerfahrungen oder eine übermäßige Beschäftigung mit der Thematik, von den Coaches gegenübergestellt.

Weiterhin wird von starken Emotionen als Auslöser einer Flugangst berichtet. Kontrollverlust, Angst und Wut werden hier genannt. Sie alle lösen ein negatives Gefühl bei dem Klienten aus und führen, sofern sie in dem Zusammenhang mit Fliegen auftreten, zu Flugangst, da der Prozess des Fliegens damit zwangsweise als negativ empfunden wird.

Ein wesentliches Ergebnis der Interviews ist, Gründe und Auslöser der Flugangst getrennt von den eigentlichen Ursachen einer Flugangst zu betrachten. Hier kommen die ww-Coaches zu dem Schluss, dass oft ein emotional belastendes Erlebnis in der Vergangenheit die Ursache einer Flugangst darstellt, welches mehrheitlich berichtet während der Kindheit und Jugend des Betroffenen zu finden ist. In den Interviews wird deutlich, dass diese prägnanten Erlebnisse in der Vergangenheit ebenfalls oft mit starken Emotionen verbunden sind. Sowohl eine übermäßig erlebte Angst als auch Hilflosigkeit wird häufig im Rahmen des Erlebten geschildert. Auch wenn die erlebten Situationen ursprünglich in einem völlig anderen Kontext als dem Fliegen auftraten, scheinen die entsprechenden Emotionen im späteren Verlauf im Rahmen einer Flugangst wieder in Erscheinung zu treten (Abb. 2). Hierzu passen neuere Erkenntnisse zum Verständnis von EMDR, bei denen eine Deaktivierung der anatomischen Struktur der Amygdala durch EMDR gezeigt werden konnte. Diese anatomische Struktur spielt eine zentrale Rolle beim Erlernen von Ängsten [6].

Abb. 2
figure 2

Entwicklungskonstrukt für das zeitliche Auftreten und das Zusammenspiel von Grund, Auslöser und Ursache einer Flugangst (eigene Darstellung)

In den Interviewberichten wurde ein Dreiklang aus Grund, Emotion und Ursache beim Auftreten von Flugangst deutlich. Die vorliegende Arbeit ergänzt den Gedanken „Ursachen einer Flugangst“ für die Behandlung, da diese bisher kein Gegenstand der Behandlungsmethoden sind.

Die Konfrontationstherapie funktioniert nach dem Prinzip Gewöhnung. Dadurch, dass sich der Klient wiederholt in die für ihn beängstigende Situation bringt, soll der Reiz, hier Flugangst, langsam abgebaut werden indem eine Gewöhnung einsetzt.

Innerhalb der etablierten Behandlungsmethoden von Flugangst wird eine Kombination einzelner Methoden, wie kognitiver Verhaltenstherapie mit „virtual reality“, empfohlen [19]. Auch die Kombination dieser Methoden mit EMDR, wie es ein Teil des ww-Coachings ist, wies eine deutliche Wirksamkeit der Behandlung von Flugangst auf [24]. Da EMDR bisher in der Verhaltenstherapie für die Behandlung von Traumata eingesetzt wird, bleibt auch hier die Ursachensuche weitestgehend unbeachtet, da das Trauma in der Regel bekannt ist. Es geht primär um das Neutralisieren der Belastung [15].

Hier ist einschränkend zu betonen, dass sich die vorliegende Studie nicht der Frage nach der Wirksamkeit von ww in der Behandlung von Flugangst widmete. Ebenfalls war es nicht das Ziel, ww im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden zu bewerten.

Zur wissenschaftlichen Erfassung von Flugangst werden gängige Fragebögen genutzt, wie z. B. der Flugangstfragebogen (FFB) und der Flugphobie-Screeningbogen (FSB) aus dem Flugangst- und Flugphobieinventar (FAPI) der Testzentrale des Hogrefe-Verlags [20]. Während sich der FFB eher auf die spezifischen Auslöser von Flugangst während des Flugprozesses konzentriert, fragt der FSB nach möglichen Hintergründen einer Flugangst. Auch hier konzentriert man sich auf anamnestische Fakten, wie z. B. bereits erlebte Notlandungen, Flugzeugentführungen oder andere Belastungen, die eine Flugangst erklären können. Ursachen hinter der Angst (v. a. emotionaler Natur) bleiben auch hier weitestgehend unbeachtet.

Für weitere Forschung in dem Bereich empfiehlt sich daher ein Langzeitvergleich der verschiedenen Behandlungskonzepte von Flugangst. Da die entsprechenden Ursachen, wie sie in unseren Interviews berichtet wurden, den Betroffenen selbst jedoch kognitiv nicht bewusst erinnerlich sind, weil sie sehr individuell und im Zusammenhang mit Flugangst oft nicht offenkundig erscheinen, entziehen sie sich weitestgehend den möglichen Untersuchungsmethoden. Stattdessen sollte untersucht werden, ob nach erfolgreicher Behandlung der Flugangst mit unterschiedlichen Methoden, neue Ängste stellvertretend für die Flugangst auftreten. Weiterhin erscheint es empfehlenswert, mittels der ww-Methode systematische Untersuchungen zur Verifikation der aus den Interviews ableitbaren Hypothesen anzustellen, dass sich hinter jeder Flugangst eine Ursache in der Vergangenheit verbirgt, ferner wie die Ursachen gelagert sind und ob sich weitere als die bisher hier herausgefundenen Häufigkeiten und Gemeinsamkeiten innerhalb der Ursachen einer Flugangst belegen lassen.

Stärken und Schwächen

Schlussfolgernd aus dem Dreiklang Grund-Emotion-Ursache wäre es nötig, die entsprechenden Ursachen hinter einer Flugangst ebenfalls zu behandeln. Lässt man wie in den bisher etablierten Flugangsttherapien die Ursachen unbeachtet, hätte man zwar die Flugangst erfolgreich behandelt, die zugrunde liegende Ursache mit ihren Problemen könnte sich aber zukünftig in einer neuen Angst oder einem anderen einschränkenden Problem bei dem Betroffenen zeigen. Diese Hypothese ist bekannt unter dem Begriff Symptomverschiebung oder Symptomsubstitution. Eine Limitation der vorliegenden Studie liegt sicherlich in der fehlenden Übertragbarkeit dieser Hypothese bei EMDR. Da es sich zudem um eine theoretische Überlegung handelt, lässt sich die Theorie bis heute kaum überprüfen. Eine empirische Evidenz liegt bisher nicht vor [25].

Diese Studie widmete sich den möglichen Hintergründen von Flugangst, wie sie im Rahmen des wwC beobachtet wurden, aus der Sicht der ww-Coaches. Für die Befragung wurden Coaches mit Erfahrung im Bereich Flugangst ausgewählt, sodass einerseits die Befragung spezieller erfolgen konnte als z. B. mit standardisierten Fragebögen, andererseits aber nur die persönliche Erfahrung der Coaches mit z. T. nur wenigen Flugangstklienten wiedergegeben werden konnte. Aufgrund des qualitativen Studiendesigns können keine Rückschlüsse auf die Gesamthintergründe bei Flugangstbetroffenen gezogen werden.

Fazit für die Praxis

  • Diese Studie zeigt vielfältige Hintergründe von Flugangst aus der Erfahrung von wingwave®- (ww‑)Coaches.

  • Ein wesentliches Ergebnis der Interviews ist, Gründe und Auslöser der Flugangst getrennt von den eigentlichen Ursachen einer Flugangst zu betrachten. Für eine dauerhafte Flugangstbewältigung scheint es wichtig zu sein, auch diese eigentlichen Ursachen hinter der Angst zu beachten.

  • Es wird deutlich, dass die Herausforderung in der Untersuchung dieser Ursachen besteht, da diese sehr individuell und abstrakt erscheinen und den Betroffenen oft nicht kognitiv zugänglich sind. Dies sollte im Rahmen weiterführender Studien bedacht werden.