Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter sind persistierende Public-Health-Probleme. Bewegungsförderung im Alltag gilt als vielversprechender Interventionsansatz, da hier verhaltens- und verhältnisbezogene Komponenten miteinander verbunden werden können. Um die Perspektive von Kindern in der Planung berücksichtigen zu können, wurde eine Studie unter Nutzung der Methode Photovoice durchgeführt, bei der Kinder Situationen im Zusammenhang mit ihrer Nahmobilität zunächst fotografieren, ehe sie in Gruppeninterviews das Motiv erläutern und die Relevanz der Situation darlegen.

Hintergrund

Die Rate von Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren mit Übergewicht und Adipositas hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland stabilisiert, liegt aber für Übergewicht und Adipositas (BMI [Body-Mass-Index] >90. Perzentile) mit 15,4 % (darunter 5,9 % Adipositas; BMI >97. Perzentile) weiterhin auf hohem Niveau [18]. Interventionsbedarf ergibt sich zum einen aus der Assoziation von kindlichem Übergewicht mit zahlreichen pädiatrischen Erkrankungen [21] und zum anderen aus der hohen Persistenz, die mit erhöhter Morbidität und Mortalität im Erwachsenenalter einhergeht [19]. Bewegungsmangel gilt als einer der Haupteinflussfaktoren [25]. Die repräsentative KiGGS-Studie zeigt, dass lediglich 22,4 % der Mädchen und 29,4 % der Jungen im Alter von 3 bis 17 Jahren die Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation mit 60 min körperlicher Aktivität täglich erreichen [5]. Aus Public-Health-Perspektive kommt daher der Bewegungsförderung eine große Bedeutung zu [16].

Körperliche Inaktivität wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die miteinander in Wechselbeziehung stehen. Das Sozialökologische Modell, das von Sallis et al. [17] für körperliche Aktivität adaptiert wurde, hat sich als analytischer Rahmen bewährt und liegt für die Anwendung im deutschsprachigen Raum in einer Übersetzung von Bucksch und Schneider vor [2]. Es differenziert fünf Ebenen: Intrapersonale Ebene (z. B. Erfahrungen, Gefühle, Selbstwirksamkeit), wahrgenommene Umwelt (z. B. empfundene Attraktivität und Erreichbarkeit), Verhalten: Domänen der Bewegung (z. B. Freizeit, Arbeit, Transport), verhaltensbezogene Settings: Zugang und Beschaffenheit im Wohnquartier, politische Rahmenbedingungen (z. B. Verkehrsplanung, Umweltschutz). Zudem werden die drei Bereiche der Informationsbezogenen, soziokulturellen und natürlichen Umwelt angeführt, welchen Auswirkungen über alle beschriebenen Ebenen hinweg zugeschrieben werden. Das Modell verweist darauf, dass sich Bewegungsförderung nicht auf die personale Ebene beschränken darf, sondern auch die Umwelt gestalten muss. So erstaunt es nicht, dass klassische Ansätze der Gesundheitsförderung durch Sport oder Bewegung in der Freizeit das Problem des Bewegungsmangels bislang nicht lösen konnten [10, 26]. Wichtiger scheint die Förderung von Radfahren und zu Fuß gehen, da sich diese in den Alltag integrieren lassen [26]. Damit verbunden ist die Forderung, Städte bewegungsfreundlicher zu gestalten, da dies eine Grundvoraussetzung für ein ausreichendes Bewegungsverhalten im Alltag ist [2, 7, 9]. Alltagsbezogene körperliche Aktivität kann zu einer Reduktion einer Reihe von nichtübertragbaren Krankheiten beitragen [6]. Sie ist für Kinder nicht nur wegen der gesundheitsförderlichen Aspekte interessant, sondern Nahmobilität ermöglicht die Pflege von Freundschaften, wirkt sich positiv auf die soziale und geistige Entwicklung sowie auf das räumliche Denken aus und verbessert die Wahrnehmung der Umwelt [20].

In der Gesundheitsförderung gilt die partizipative Interventionsentwicklung als wichtiges Qualitätsmerkmal [11, 12]. Bislang gibt es jedoch kaum Studien, die Kinder aktiv einbeziehen, obwohl sich diese Notwendigkeit aus der UN-Kinderrechtskonvention ableiten ließe. Ebenso selten werden Kinder in die Entwicklung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung einbezogen, wie ein Scoping Review von Larsson et al. [13] zeigt. Kinder haben eine eigene Perspektive auf die Welt [23], die es in der Gestaltung von bewegungsfreundlichen Quartieren zu berücksichtigen gälte. Die folgende Studie fokussiert auf die Bedürfnisse von Kindern im Kontext der Nahmobilität, definiert als die „individuelle Mobilität im näheren persönlichen Umfeld und aus eigener Kraft, also zum Beispiel mit dem Fahrrad, aber auch zu Fuß, mit dem Kickboard, im Rollstuhl oder auf Inlinern“ [1].

Bisherige Studien zur Nahmobilität von Kindern wurden überwiegend mit Angaben von Proxys (in der Regel Eltern) durchgeführt [15]. Lediglich einige wenige Studien nutzen für die Befragung von Kindern Fragebögen (z. B. [8]). Qualitative Studien liegen zu diesem Themenfeld bislang kaum vor.

Ziel dieser Studie ist es deshalb, die Bedürfnisse von Grundschulkindern in Bezug auf ihre Nahmobilität zu erfassen, um ihre Perspektive sichtbar zu machen und in kommunale Planungsprozesse einfließen lassen zu können.

Methodik

Um die Perspektive der Kinder zu erfassen, fiel die Wahl auf ein qualitatives Vorgehen, das die Verbalisierung durch Kreativelemente erleichtert. Die Methode Photovoice schien hier besonders geeignet. Mit diesem in den 1990er-Jahren entwickelten Ansatz soll es kommunikativ ungeübten Personen, v. a. sog. vulnerablen Gruppen, ermöglicht werden, Stärken und Schwächen im Wohnquartier zu identifizieren und zu benennen ([22]; für ein Beispiel zur körperlichen Aktivität in urbanen Lebensräumen s. [4]). Hierzu werden von den Befragten zunächst Fotos zu einer definierten Frage erstellt, die anschließend die Basis für Gruppeninterviews darstellen. Die Ergebnisse können dann, als ein weiterer Schritt des Empowerments, gegenüber Entscheidungsträgern präsentiert werden.

Studienteilnehmer*innen waren jeweils 9 Mädchen und Jungen der 3. Klasse einer Grundschule in Paderborn (Nordrhein-Westfalen). Die Studie wurde auf einem Elternabend vorgestellt und das Einverständnis der Eltern eingeholt. Um dem partizipatorischen Ansatz Rechnung zu tragen, wurden auch die Kinder ausführlich und kindgerecht informiert, wie auch ihr Einverständnis separat eingeholt wurde.

Die Studienteilnehmer*innen erhielten für 2 Tage eine digitale Kamera mit dem Auftrag, 5 Fotos zu folgender Frage zu machen: „Was hilft und was stört, wenn du mit dem Roller oder Fahrrad von Ort zu Ort fahren möchtest? Wann fährst oder gehst du gern und wann ist es doof?“.

Die Fotos wurden ausgedruckt und spätestens 2 Tage später wurden mit 4–5 Kindern Gruppeninterviews in den Räumlichkeiten der Schule durchgeführt. Es wurde darauf geachtet, bekannte Elemente zu nutzen (z. B. Stuhlkreis), um eine vertraute Atmosphäre zu schaffen. Die Gruppen waren geschlechtshomogen zusammengesetzt. Die Kinder gaben sich zu Beginn ein Pseudonym, um Vertraulichkeit zu gewährleisten.

Die Interviews dauerten zwischen 39 und 54 min und wurden auf der Basis modifizierter SHOWeD-Fragen geführt [24]: What do you see? What is happening? How does this relate to your lifes? Why does this situation, concern, or strength exist? What can we do about it? Ein Interviewleitfaden, der Aspekte des sozialökologischen Modells abdeckte, unterstütze die Interviewführung. Die Interviews wurden vollständig transkribiert, die Pseudonyme wurden dabei in alphabetisch fortlaufende Initiale gewandelt.

Die Transkripte wurden in Anlehnung an Mayring [14] inhaltsanalytisch ausgewertet. Nach einer Festlegung der Analyseeinheiten wurden anhand der Ebenen des bewegungsspezifischen sozialökologischen Modells [2] deduktiv Kategorien definiert. Darauf aufbauend wurden Unterkategorien aus dem Material abgeleitet, indem In-vivo-Codes gebildet wurden. Diese wurden dann zu analytischen Kategorien zusammengefasst (induktive Kategorienbildung) und anschließend sämtliche Transkripte auf dieser Basis kodiert. Transkription und Analyse erfolgten softwaregestützt mit MAXQDA (VERBI GmbH, Berlin, Deutschland).

Ergebnisse

Einstellung zu Bewegung

Die befragten Kinder äußern eine grundsätzliche Freude an aktiver Fortbewegung, welche sie Fahrten mit dem Auto vorziehen. Sie befürworten es, Wege zu Transportzwecken eigenständig zurücklegen zu können. Dementsprechend empfinden sie es als störend, dass viele Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht werden:

Da waren überall fast immer Autos. Und manchmal war die Straße auch so vollgeparkt. Dass da halt niemand mehr reinkonnte. (Pers. R, m)

Aktive Fortbewegung ist für die Kinder mit unabhängiger Mobilität verbunden und gibt ihnen die Möglichkeit, die Umwelt eigenständig zu erkunden:

Dann kann man halt manchmal ein bisschen langsamer fahren, damit man sich auch andere Sachen angucken kann. Zum Beispiel wenn man an einem Teich vorbei kommt die Enten. (Pers. M, w)

Erreichbarkeit

Die Erreichbarkeit von Geschäften, Sportstätten, Spielplätzen und Parks, aber auch die Möglichkeit, Freunde eigenständig zu besuchen, ist den befragten Kindern wichtig. Erreichbarkeit und damit verbundene Unabhängigkeit wird nicht nur von der Entfernung bestimmt, sondern häufig über die Eltern definiert:

Ich möchte ja immer mit dem Fahrrad zum Schwimmbad fahren, aber meine Mutter möchte das nicht, weil da/der ist echt weit von uns entfernt, das Schwimmbad. (Pers. Q, m)

Hindernisse und Umwege erschweren die Erreichbarkeit:

Da muss ich immer bis zur Ampel und dann da noch warten bis es grün wird und dann da rüber und dann wieder bis zum Eingang. Wenn man hier lang, dann müsste man nur bis da und dann könnte man rüber (…). Also ich würde mir wünschen, dass da ein Zebrastreifen hinkommt. (Pers. A, m)

Sicherheit

Das obige Interviewzitat verdeutlicht zudem, wie wichtig den Kindern Sicherheit im Straßenverkehr ist. Ein Aspekt, der auch in der Diskussion um Ampeln betont wird. Dabei ist das Thema Sicherheit eng verwoben mit der sozialen Umwelt, sei es, weil Eltern die Sorge formulieren, dass ihrem Kind im Straßenverkehr etwas passieren könnte, sei es, weil Regelverstöße Erwachsener (z. B. Geschwindigkeitsüberschreitungen) als gefährlich wahrgenommen werden:

An so manchen Stellen sind halt äh keine Zebrastreifen, keine Ampeln und keine keine Verkehrsinseln. Und dann hat sie [die Mutter] halt Angst, dass wir von einem Auto überfahren werden könnten. (Pers. L, w)

Die befragten Kinder formulieren im Gruppeninterview kreative Ideen wie eine „Schrankenampel“, um die Sicherheit durch bauliche Maßnahmen zu erhöhen:

Das ist der Vorteil mit der Schranke, dass du nicht überfahrn werden kannst mitten auf der Ampel, wenn du rübergehst. (Pers. R, m)

Die Kinder sehen sich durchaus auch selbst in der Verantwortung, etwa wenn sie betonen, wie wichtig es ist, einen Helm zu tragen oder den Fahrradführerschein zu machen, damit sie regelsicher sind.

Infrastruktur

Aspekte der Infrastruktur werden in den Gruppeninterviews häufig genannt. Zur Beschaffenheit von Fuß- und Radwegen bestehen klare Vorstellungen. Sie sollten einheitlich und eindeutig sowie frei von Löchern oder Rissen sein, eine rutschfeste Oberfläche haben und ausreichend beleuchtet sein. Zudem wird häufig die Trennung von Individual- und Autoverkehr genannt. Da viele Kinder aufgrund ihres Alters noch auf dem Bürgersteig fahren, ist für sie die Abgrenzung von Rad- und Fußweg gleichermaßen bedeutsam.

Die Kinder befürworten den Ausbau der Fahrradinfrastruktur, damit das Fahrrad als Fortbewegungsmittel auch für Erwachsene attraktiver wird und somit empfundene Vorteile, wie eine erhöhte Reisegeschwindigkeit zu einer Veränderung des Fortbewegungsverhaltens führen:

(…) weil auf dem Fahrradweg dürfte man dann schneller fahrn. Und dann würde man auch schneller zur Arbeit kommen. (Pers. F, w)

Auch die Verfügbarkeit von Fahrradständern wird als notwendig empfunden:

Weil wenn man mit dem Fahrrad eine Strecke fährt und hinterher kein Fahrradständer hat, aber ein Schloss und so, dann nützt es ja eigentlich auch nicht. (Pers. P, m)

Soziokulturelle Umwelt

Sowohl Erwachsene als auch Gleichaltrige sind wichtige Bezugsgruppen für die Nahmobilität. Erwachsene, insbesondere Eltern, legen den Rahmen des Erlaubten fest und vermitteln Regeln. Kinder erwarten deshalb von Erwachsenen, dass diese Vorbild sind und sich selber an die Regeln halten. Nicht sanktionierte Regelverstöße verletzen ihr Gerechtigkeitsempfinden.

Sie dürften eigentlich gar nicht so schnell fahren und sie müssen sich an die Regeln halten! (Pers. I, w)

Weil manche kommen einfach auch schadenfroh davon weg. Also so die rasen dann so und dann komm die davon einfach. (Pers. R, m)

Dabei verbleiben die befragten Kinder nicht bei der Darstellung von Problemen, sondern bieten diverse Lösungsvorschläge an. Diese beinhalten sowohl bekannte Maßnahmen wie Buckel, Einbuchtungen oder Polizeikontrollen zur Geschwindigkeitsreduktion als auch innovative Ideen wie die in zwei Interviews genannten „Schrankenampeln“ oder in Navigationsgeräten verbaute Messstationen.

Ja, manche Autos haben ja diese Internetnavis und dann könnte mal also ein Blitzer ein/in das in das Auto einbauen und wer dann zu schnell fährt, misst das das Auto ja selber und blitzt selber (Pers. O, m)

Doch nicht nur das das Ignorieren von Geschwindigkeitsbeschränkungen, roten Ampeln und Zebrastreifen wird von den teilnehmenden Kindern als relevante Regelverstöße thematisiert. Auch regelwidriges Parken wird in den Interviews häufig genannt. Dieses ist aus der Perspektive der Kinder besonders problematisch, denn es stellt sie vor Situationen, in denen sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen:

Ich habe dieses Foto (…) gemacht, weil da der Fahrradweg auf der Straße ist und da halt ein Auto einfach so auf dem Fahrradweg parkt und das finde ich dann halt doof und man muss dann halt entweder durchf/um das Auto rumfahr/um das Auto herumfahrn oder auf den Rasen fahrn. (Pers. L, w)

Trotz der reichhaltigen Kritik am Fehlverhalten Erwachsener (Autofahrer*innen) werden diese als Vorbilder betrachtet und von ihnen aufgestellte Regeln nicht nur akzeptiert, sondern als Schutz wahrgenommen, sodass die Kinder diese Regeln grundsätzlich befolgen möchten.

Gleichaltrige Kinder, als weitere wichtige Bezugsgruppe vermitteln zum einen ein Schutzgefühl in Angstsituationen durch die Fortbewegung in der Gruppe und zum anderen macht die gemeinsame Fortbewegung mehr Spaß:

Ich finde es auch gut, dass Freunde mitfahren (…), dann machts viel mehr/viel mehr Spaß mitn Fahrrad zu fahrn. (Pers. Q, m)

Diskussion

In den Interviews wurden alle Ebenen des sozialökologischen Modells thematisiert und viele der in der Literatur beschriebenen Einflussfaktoren auf die Nahmobilität konnten in der Studie bestätigt werden. Die Studie erhält aber darüber hinausgehende Bedeutung, weil sie die Bedürfnisse der Kinder erfasst, ihren Relevanzsetzungen Aufmerksamkeit schenkt und Wechselwirkungen verdeutlicht.

Die Studie belegt das große Bedürfnis von Grundschulkindern an eigenständiger Nahmobilität, zugleich formulieren sie aber Sicherheitsbedenken, die die Nahmobilität einschränken. Die Möglichkeit, Wege eigenständig, gerne auch in Begleitung von Gleichaltrigen, zurücklegen und wichtige Ziele (Schule, Geschäfte, Spielplätze, Sportstätten) erreichen zu können, ohne auf Erwachsene angewiesen zu sein, ist ihnen wichtig. Dieses Ergebnis ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, als der Steigerung des Radfahrens am Modal Split (als Anteil der Wege mit dem Verkehrsmittel an den insgesamt unternommenen Wegen) verkehrs- und umweltpolitisch eine wichtige Rolle zugesprochen wird [3]. Die teilnehmenden Kinder betonen die Notwendigkeit eines spürbaren Systemvorteils des Fahrrads, indem Strecken im Nahbereich im Vergleich zum Auto schneller zurückgelegt werden können – einen Vorteil, den sie auch für Erwachsene sehen. Eine Verbesserung der Wegführung z. B. an Baustellen oder durch die Einrichtung von Querungshilfen hilft, Umwege zu vermeiden. Der Infrastruktur, einschließlich ausreichender Fahrradständer und guter Wegbeleuchtung, sprechen die Befragten hohe Relevanz zu.

Anders als in vorherigen Studien konnte die kindliche Perspektive des Aspekts der Sicherheit mit ihren Wechselwirkungen herausgearbeitet werden. Die Kinder wünschen sich nicht nur von der Straße getrennte Fuß- und Radwege, sondern auch einen vom Fußweg abgegrenzten Radweg. Auch zeigen die teilnehmenden Kinder ein Bedürfnis nach der Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und anderen Regeln durch Erwachsene, weil es das Sicherheitsempfinden erhöht und es als ungerecht wahrgenommen wird, wenn Regelverstöße nicht geahndet werden. Fehlverhalten von Erwachsenen wurde häufig als angsterzeugend bezeichnet und sie formulierten die Erwartung, dass die Einhaltung der Regeln stärker kontrolliert wird und Maßnahmen ergriffen werden, die zur Befolgung der Regeln zwingen („Buckel“, eingezogene Bordsteine, „Schrankenampel“).

Die Abb. 1 fasst die generierten Ergebnisse zusammen und bettet diese als konkrete wahrgenommene Bedürfnisse der Nahmobilität von Kindern in die Begrifflichkeiten der Ebenen des sozialökologischen Modells [2] ein. Gleichzeitig werden die reichhaltigen Wechselwirkungen und Zusammenhänge, sowohl als reziproker Determinismus als auch innerhalb der Ebenen verdeutlicht. Dabei wurde die Ebene der wahrgenommenen Umwelt noch um die Begrifflichkeit Gerechtigkeit/Verlässlichkeit zum Verkehrsverhalten Erwachsener erweitert, da dieser aus Sicht der Teilnehmer*innen eine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Es ist zu beachten, dass für das Bedürfnis nach unabhängiger Mobilität keine direkte Zuordnung zu einer Ebene möglich ist, da diese, ähnlich wie Nahmobilität selbst, durch verschiedene Aspekte und Wechselwirkungen bedingt wird.

Abb. 1
figure 1

Ergebnisdarstellung der Bedürfnisse von Kindern zur Nahmobilität in Anlehnung an das bewegungsspezifische sozialökologische Modell in Übersetzung von Bucksch und Schneider [2], eigene Darstellung

Die Studie versteht sich als explorativ und gibt erste Hinweise auf die Bedürfnisse von Grundschulkindern im Nahverkehr, die bei einer bewegungs- und fahrradfreundlichen Stadt- und Verkehrsplanung berücksichtigt werden sollten. Dabei sollte eine Planung nicht nur Maßnahmen berücksichtigen wie Nahmobilität gefördert werden könnte sondern gleichermaßen auf die Frage fokussieren, warum Kinder dem grundlegendem Wunsch nach aktiver Fortbewegung nicht nachkommen. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die Methode „Photovoice“ hierfür gut eignet. Die Fotos lieferten viel Material und führten zu reichhaltigen Interviews. Die in den Gruppeninterviews generierten Inhalte gingen weit über die einzelnen Fotomotive hinaus und regten zu einer thematischen Auseinandersetzung an, bei der sich die Kinder aufeinander bezogen und gemeinsame Lösungen für wahrgenommene Probleme erarbeiteten. Allerdings konnte die Studie lediglich in einer Grundschule mit Kindern aus Familien mit höherem sozioökonomischem Status (SES) durchgeführt werden, sodass die Frage offen bleiben muss, ob Kinder aus anderen Wohngegeneden und aus Familien mit geringerem SES zu ähnlichen Einschätzungen kommen.

Fazit für die Praxis

  • Die grundsätzliche Freude an (unabhängiger) Nahmobilität, gern in sozialer Interaktion, sollte durch wahrnehmbare Vorteile auf kurzen Distanzen gegenüber dem Autoverkehr gefördert werden.

  • Wahrgenommene Sicherheit steht in engem Zusammenhang mit Fehlverhalten erwachsener Autofahrer*innen, welches Ungerechtigkeitsempfinden und Angst auslöst.

  • Erfasste Bedürfnisse sollten bei der kommunalen Gestaltung kindgerechter Nahmobilität bedacht werden.