Einleitung

Menschen mit Behinderung sind in vielerlei Hinsicht bei der medizinischen Versorgung benachteiligt, wie u. a. bei der barrierefreien Erreichbarkeit von Arztpraxen, in der barrierefreien Kommunikation mit dem medizinischen Fachpersonal oder aber in Form einer adäquaten Versorgung, die im Regelsystem des Gesundheitswesens teils nicht vorhanden ist [3]. In nationalen und internationalen Studien werden zahlreiche Barrieren bei der medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung berichtet. Zu den oftmals genannten Barrieren und Anliegen in der medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderung zählen u. a. mangelndes Fachwissen und mangelnde Erfahrung bei Leistungserbringenden bzw. Behandler_innen, kaum bzw. nicht ausreichende Aus‑, Fort- und Weiterbildungsangebote für eine zielgruppenspezifische Versorgung [8, 17], physikalische Barrieren (z. B. Erreichbarkeit der Praxen, Ausstattung der Praxisräume; [3]), Kommunikationsprobleme [6, 7] sowie ein Mangel an Zeit und weiteren strukturellen Ressourcen (z. B. das Vorhandensein notwendiger Hilfsmittel; [6, 7, 15, 19, 21]).

Seit der Gesetzgeber die Grundlage zur Etablierung von Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) im Jahr 2015 geschaffen hat, soll nun die medizinische Versorgung für Erwachsene mit geistiger und schwerer Mehrfachbehinderung verbessert werden. Möglich gemacht hat dies die Gesetzesänderung durch das Versorgungsstärkungsgesetz, das in § 119c (Sozialgesetzbuch, SGB V) festhält, dass MZEB zur ambulanten Behandlung ermächtigt werden können, um eine ausreichende Versorgung sicherzustellen [20]. Vor der Gesetzesänderung endete die spezifische und auf Zielgruppenadäquanz fokussierte Versorgung für Heranwachsende mit geistiger und mehrfacher Behinderung in den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) mit Vollendung der Volljährigkeit [2]. Eine Anschlussversorgung von Erwachsenen mit Behinderung fehlt(e) meist, wo entweder bislang keine MZEB existieren oder der Zugang zum MZEB nicht möglich ist, sodass seit Jahren eine Versorgungslücke beklagt wird [8, 18].

Eine qualitative Studie zu fördernden und hemmenden Faktoren bei der Etablierung von MZEB verdeutlicht, dass z. T. Vorbehalte gegenüber der Etablierung von MZEB bei einigen Akteur_innen und Institutionen, die an diesem Prozess beteiligt sind, vorherrschen [16]. Kritisch gesehen wird u. a. die Definition der Zielgruppe beim Zugang zum MZEB anhand der ICD-10-Diagnosekriterien (ICD: International Classification of Diseases). Bislang wird die Finanzierung der Behandlung im MZEB durch eine Pauschale von den Krankenkassen geleistet, „was deren Vorbehalte und Ängste bezüglich des Gesamtvorhabens der Realisierung des MZEB (vermutlich) reduziere (…) und die Bereitschaft zum gemeinsamen Wirken (unter anderem im Zulassungsausschuss) nehme möglicherweise zu“ [16, S. 1121]. Schülle und Hornberg [16] weisen darauf hin, dass bei der Konkretisierung der Zielgruppe beim Zugang zu MZEB darauf zu achten ist, dass MZEB für alle zugänglich sind, „die bisher strukturell aufgrund ihrer Behinderung in der gesundheitlich-medizinischen Versorgung benachteiligt sind. Nur einen Teil der „Versorgungslücke“ zu schließen, ergibt wenig Sinn, wenn diejenigen, die durch den definierten Personenkreis ausgeschlossen sind, weiterhin über die „Lücken“ stolpern“ [16, S. 1122]. Eine Festlegung der Zielgruppe mit Hilfe von bestimmten ICD-Diagnosekriterien wird daher kritisch gesehen (ebd.). Vielmehr müsse eine Bedarfsermittlung und -prüfung aus Sicht der Patient_innen erfolgen (ebd.). Mit § 120c wurde die Grundlage einer Pauschalvergütung gelegt. Hier ist es wichtig, dass in Verhandlungen über die Höhe dieser Pauschale diskutiert wird, damit diese kostendeckend ausgestaltet ist, was bisher nicht der Fall ist. Diese Verhandlungen stellen eine Herausforderung für die Zukunft dar. Daher sind weitere gesetzliche Grundlagen notwendig, die es den MZEB ermöglichen, zusätzliche nichtstationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu erbringen. Weiterhin konnte mittels qualitativer Interviews mit Behandler_innen im MZEB aufgezeigt werden, dass nach wie vor Herausforderungen bei der medizinischen Versorgung in MZEB berichtet werden [12, 13].

Wenngleich deutschlandweit zunehmend MZEB entstehen, ist eine (wissenschaftliche) Begleitung bei der Etablierung von MZEB notwendig, um den Zugang zu und die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung bei Menschen mit Behinderung zu untersuchen. Überdies ist es wichtig, Faktoren zu ermitteln, die diesen Prozess ggf. fördern oder hemmen, wie u. a. die multiprofessionelle Zusammenarbeit im MZEB, aber auch rechtliche, politische und finanzielle Herausforderungen, um geeignete Stellschrauben zur Verbesserung der Versorgung aufzuzeigen. Folgende Fragestellungen stehen daher im Fokus der Studie:

  1. 1.

    Wie gestalten sich der Zugang zu und die Inanspruchnahme medizinischer Versorgung in MZEB?

  2. 2.

    Welche förderlichen und hinderlichen Faktoren werden hinsichtlich des Zugangs und der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im MZEB geschildert?

Methodik

Studiendesign und Feldzugang

Bei Betrachtung des Forschungsstands wird deutlich, dass sich ein qualitatives Vorgehen für die Untersuchung des oben genannten Themas eignet. Für die qualitative Studie war der Feldzugang in einem MZEB in Westdeutschland sowie zu einem Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) MZEB gegeben.

Erhebungsinstrument

Die Befragung wurde mit Hilfe eines qualitativen Interviewleitfadens durchgeführt, welcher auf Basis vorher festgelegter, aus der Theorie entnommener Themenbereiche erstellt wurde. Die Kategorienbildung wurde a priori in Anlehnung an Andersen [1] vorgenommen, der in seinem Verhaltensmodell Faktoren zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen benennt. Zu diesen zählen neben „umweltbezogenen“ Faktoren auch „populationsbezogene“ Merkmale. Die Faktoren von Andersen [1] wurden – in Anlehnung an den aktuellen Forschungsstand [6, 15, 19] – um Faktoren erweitert, die sich als spezifisch für die Klientel der Menschen mit Behinderung beim Zugang zu und der Inanspruchnahme medizinsicher Leistung erweisen [12]. Unter umweltbezogene Faktoren fallen bspw. die Finanzierung sowie Struktur und Organisation des Gesundheitssystems und des MZEB (u. a. zeitliche Ressourcen). Die populationsbezogenen Faktoren beziehen sich auf die Individuen und lassen sich nochmal in Faktoren unterteilen, die zum einen die „Klient_innen“ und zum anderen die „Leistungserbringenden“ (im Folgenden Behandler_innen) betreffen. Unter die Faktoren der Klient_innen fällt z. B. das Umfeld der Klientel oder ihre Kommunikationsart. Zu den Faktoren der Behandler_innen gehören z. B. die Erfahrungen, die multiprofessionelle Zusammenarbeit, die Kommunikation sowie das vorhandene Fachwissen.

Die Fragen im Leitfaden wurden möglichst offen formuliert, um den Erzählfluss anzuregen. Außerdem wurde darauf geachtet, dass genügend Raum für spontane Nachfragen möglich war, um tiefergehende Einblicke in das von den Befragten Erzählte erlangen zu können. Die Interviews dauerten zwischen 40 und 75 min.

Stichprobe

Das qualitative Studiendesign umfasste insgesamt neun Interviews mit einem Behandler_innenteam von Psycholog_innen, Psychiater_innen, Ergotherapeut_innen, medizinischen Servicekräften und der ärztlichen Leitung eines MZEB sowie einem Vorstandsmitglied der BAG MZEB.

Durchführung der Erhebung

Vorgaben des gesetzlichen Datenschutzes wurden während des gesamten Forschungsprozesses strikt eingehalten. Bevor die Befragungen durchgeführt wurden, erfolgte eine Informations- und Einleitungsphase durch die Interviewenden. In dieser Phase hatten die Befragten die Möglichkeit, ihr Einverständnis sowohl mündlich als auch schriftlich zu bestätigen. Außerdem wurden die Befragten über die auditive Aufzeichnung der Interviews und den diskreten Umgang mit ihren persönlichen Daten aufgeklärt. Im Anschluss an die Befragungen wurden die Interviews transkribiert und im Sinne der Datenschutzvorgaben mit einem Zahlencode anonymisiert.

Auswertung

Das Interviewmaterial wurde mittels der strukturierenden sowie der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring [9] ausgewertet. Kern der inhaltlich strukturierenden Vorgehensweise ist es, am Material ausgewählte inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben – beispielsweise im Hinblick darauf, was zu bestimmten Themen im Rahmen einer Interviewstudie ausgesagt wird (zitiert nach [14]). Diese Aspekte bilden zugleich die Struktur des Kategoriensystems und die verschiedenen Themen werden als Kategorien des Kategoriensystems expliziert. Die inhaltlich strukturierende Inhaltsanalyse nach Mayring [9] ist ein geeignetes Verfahren, um das in dieser Forschung vorliegende Interviewmaterial auswerten zu können. Bei dieser Form der Inhaltsanalyse geht es darum, das dort vermittelte Wissen zu extrahieren, um es im Anschluss interpretieren zu können. Dafür wird zunächst ein Kategorienschema erstellt (s. Abschnitt Erhebungsinstrument/Leitfaden), welches auf Grundlage des behindertenspezifischen Modells in Anlehnung an Andersen [1] und Schülle [15] entwickelt wurde. Mithilfe dieses Kategorienschemas wird das Interviewmaterial kodiert, d. h. die Textstellen werden den Kategorien inhaltlich zugeordnet [9]. Die Kategorien werden definiert, indem festgelegt wird, welche Bestandteile unter die jeweilige Kategorie fallen. Außerdem werden Ankerbeispiele, die konkrete Textbeispiele aus dem Interviewmaterial für die jeweiligen Kategorien aufführen, festgehalten. Ebenso werden Kodierregeln aufgestellt, die dazu dienen, die Zuordnung eindeutig vornehmen zu können, sodass keine Abgrenzungsprobleme zwischen den verschiedenen Kategorien auftreten. Diese Schritte dienen dazu, das Vorgehen transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Nachdem die Textstellen den Kategorien zugeordnet wurden, erfolgt eine Paraphrasierung des Zitats. Anschließend wird im nächsten Schritt die inhaltliche Aussage generalisiert, d. h. verallgemeinert und zusammenfassend in eigenen Worten dargestellt. Im letzten Schritt werden die Inhalte reduziert, indem nur noch inhaltliche Aspekte aufgenommen werden, die sich nicht doppeln. Dieses Vorgehen ist als theoriegeleitetes Verfahren gewählt und an das Ziel des Forschungsvorhabens angepasst worden [14]. Ziel dieser Auswertungsmethode ist es, den Informationsgehalt, bezogen auf die zwei oben genannten Forschungsfragen, aus dem Interviewmaterial zu extrahieren. Ein deduktives und induktives Vorgehen ergänzte sich hierbei.

Ergebnisse

Hinsichtlich des Zugangs zu und der Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung im MZEB (Fragestellung 1) verdeutlicht das Interviewmaterial in der Kategorie Struktur und Organisation, dass die Versorgung im MZEB durch medizinische Leistungen gekennzeichnet ist, die (besser) koordiniert werden können. Zudem findet im MZEB eine ambulante Versorgung statt, bei der es um eine umfassende Diagnostik und Behandlungserprobung des Personenkreises geht. Dabei stellt die Versorgung im MZEB eine spezialisierte Versorgungsform dar, die die Versorgung im Regelsystem ergänzt, um auf die besonderen Bedarfe und gesundheitlichen Probleme der Patient_innen mit Behinderungen einzugehen. Ziel der MZEB ist es, auf Grundlage der Diagnostik und Behandlungserprobung einen Weg für ganzheitliche Versorgung aufzuzeigen, der auf die jeweilige Klientel abgestimmt ist. Im Anschluss an die Versorgung im MZEB werden die Klient_innen in das Regelsystem rücküberwiesen, und die dort gesammelten Erfahrungen werden zur Weiterbehandlung genutzt.

Hinsichtlich des Zugangs und der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im MZEB erwiesen sich bzgl. Fragestellung 2 sowohl förderliche als auch hinderliche Aspekte. Die folgenden Aspekte wurden als förderlich in den Bereichen „umweltbezogene“ sowie „populationsbezogene“ Faktoren herausgearbeitet (Tab. 1).

Tab. 1 Exemplarische Zitate zu förderlichen Faktoren beim Zugang zu und der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im MZEB

Bei den umweltbezogenen Faktoren kristallisierten sich folgende Aspekte als förderlich heraus:

  • Struktur und Organisation: Die Leistungen im MZEB sind durch eine ganzheitliche Versorgung charakterisiert, da sowohl auf körperliche als auch seelische Probleme eingegangen wird, um die bestmögliche Behandlung anbieten und an andere Behandler_innen bzw. Institutionen vermitteln zu können. In den Interviews wird dies als „Lotsenfunktion“ beschrieben, die im MZEB übernommen wird.

  • Zeitliche Ressourcen: Ein weiterer förderlicher Faktor sind die zeitlichen Ressourcen, die im MZEB für die Versorgung zur Verfügung stehen und so erst den ganzheitlichen Blick auf den Menschen mit Behinderung ermöglichen. Im Regelsystem des Gesundheitswesens steht diese Zeit oftmals nicht zur Verfügung, obwohl gerade Menschen mit geistiger und schwerst-mehrfacher Behinderung auf diese zeitlichen Ressourcen angewiesen sind, um eine bestmögliche Behandlung gewährleisten zu können. Nur so könne den spezifischen Kommunikationsbedürfnissen der Zielgruppe und den komplexen Erkrankungsbildern Rechnung getragen werden.

Bei den populationsbezogenen Faktoren wurde zusätzlich zwischen Faktoren auf Seiten der Behandler_innen sowie seitens der Klient_innen unterschieden. Insbesondere hinsichtlich der Faktoren der Behandler_innen zeigten sich folgende förderliche Aspekte:

  • Berufserfahrung: Die langjährige Erfahrung der Mitarbeitenden im MZEB im Umgang mit der Zielgruppe ist unter den förderlichen Faktoren zu erwähnen. Sie ermöglicht bspw. einen gelungenen Beziehungsaufbau, der für die Versorgung eine wichtige Rolle spielt.

  • Multiprofessionelle Zusammenarbeit: Als förderlich bei der Versorgung im MZEB hat sich die multiprofessionelle Zusammenarbeit erwiesen. Laut der Interviewaussagen ist genau dies eine Stärke, denn so kann eine umfassende Diagnostik und Behandlungserprobung aus den Blickwinkeln der verschiedenen Fachdisziplinen erfolgen. Die jeweiligen Stärken und Wissensgebiete werden gebündelt und sind für die Patient_innen, dessen gesundheitliche Einschränkungen und Erkrankungen oftmals sehr komplex sind, an einem Ort zu erreichen.

Bei den Faktoren seitens der Klient_innen wurde insbesondere folgender förderlicher Faktor genannt:

  • Umfeld: Bei Zugang zu und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im MZEB hat sich weiterhin in den Interviews gezeigt, dass die Bezugspersonen eine zentrale Rolle spielen. Sie sind oftmals dafür verantwortlich, dass ein Kontakt zum MZEB zustande kommt und ihre Anwesenheit bei den Terminen vor Ort hilft dabei, dass bspw. eine Kommunikation mit den Patient_innen besser gelingt.

Als hinderlich beim Zugang zu und der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im MZEB wurden ebenfalls Aspekte seitens der „umwelt-“ und „populationsbezogene“ Merkmale (Behandler_innen und Klient_innen) aus dem Interviewmaterial herausgearbeitet (Tab. 2).

Tab. 2 Exemplarische Zitate zu hinderlichen Faktoren beim Zugang zu und der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im MZEB

Bei den umweltbezogenen Faktoren erwiesen sich folgende Merkmale als hinderlich:

  • Struktur und Organisation: Die längeren Wartelisten seien hinderlich im Zugang zur Versorgung im MZEB. Patient_innen warten teilweise bis zu sechs Monate auf einen ersten Termin im MZEB. Als weiterer hinderlicher Faktor wurde in den Interviews benannt, dass im MZEB (derzeit) keine Dauerbehandlung möglich ist. Dies wird jedoch von vielen Patient_innen gewünscht, da sie hier eine umfassende und zielgruppenspezifische Versorgung erhalten und ihnen ausreichend Zeit gewidmet wird.

  • Zeitliche Ressourcen: Bei den zeitlichen Ressourcen zeigen sich hinderliche Aspekte, die sich v. a. auf die Kooperation mit anderen Behandler_innen der Regelversorgung beziehen. Aus den Interviewaussagen wurde deutlich, dass sich der Zeitmangel von ambulant behandelnden Ärzt_innen im Regelsystem hinderlich auf die Zusammenarbeit mit Behandler_innen im MZEB auswirkt. Dabei sei es von immenser Bedeutung, sich viel Zeit für die Patient_innen zu nehmen, insbesondere um Beziehungen aufzubauen und eine ganzheitliche Versorgung gewährleisten zu können.

  • Finanzierung: Hinderlich ist auch, dass die Quartalspauschale, die zur Finanzierung der Versorgung zur Verfügung steht, zurzeit laut Interviewaussagen noch nicht kostendeckend sei. Diesbezüglich seien Nachverhandlungen mit den Krankenkassen angesetzt. Weiterhin wird beklagt, dass es keine Anschubfinanzierung zur Etablierung eines MZEB gibt. Im Moment sei es den großen Trägern zu verdanken, dass eine Versorgung im MZEB finanziert wird und eine Kostenübernahme für Räumlichkeiten und Personal zur Verfügung steht. Deshalb gestalte sich der Ausbau der Versorgung im MZEB schwierig.

Hinsichtlich der Faktoren der Behandler_innen wurden folgende hinderliche Faktoren genannt:

  • Multiprofessionelle Zusammenarbeit: Obwohl die multiprofessionelle Zusammenarbeit größtenteils als förderlich dargestellt wurde, seien damit Schwierigkeiten in Bezug auf die Terminkoordination verbunden.

  • Berufserfahrung sowie Aus- und Fortbildungen: In den Interviewaussagen wurde ersichtlich, dass es schwierig sei, ausreichend Mitarbeitende zu finden, die Erfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit geistiger und schwerst-mehrfacher Behinderung mitbringen. Weiterhin wurde darauf hingewiesen, dass es bisher kaum Aus‑, Fort- und Weiterbildungsangebote im Bereich der medizinischen Versorgung von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung gebe. Eine Ausrichtung dieser (Weiter‑)Bildungsmöglichkeiten auf eine multiprofessionelle Zusammenarbeit wurde gewünscht.

Bei den Faktoren seitens der Klient_innen zeigte sich v. a. folgender hinderlicher Faktor:

  • Kommunikation: Die eingeschränkten kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten der Klient_innen stellen den Interviewaussagen zufolge eine Hürde in der medizinischen Versorgung dar, da sich dadurch der Beziehungsaufbau und die Behandlung als schwierig erweisen.

Diskussion

Ziel des Beitrags war es, aufgrund der im Jahr 2015 geänderten Gesetzeslage zur Etablierung der MZEB qualitativ zu erfassen, wie sich Zugang und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung von Menschen mit Behinderung in MZEB gestalten. Die vorliegenden Ergebnisse dienen dazu, den Status quo der Versorgung besser einschätzen und mit Hilfe der Erkenntnisse zu förderlichen sowie hinderlichen Faktoren Handlungsoptionen zur Verbesserung der Versorgung aufzeigen zu können.

Im Bereich der Struktur und Organisation wird die Lotsenfunktion von MZEB als besonders relevant für die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung angesehen und auch von Mau et al. [8] als eine wesentliche Aufgabe von MZEB erwähnt. Erkennbar ist, dass von den Befragten ein Mangel an zeitlichen Ressourcen für die medizinische Versorgung von Erwachsenen mit geistiger und schwerst-mehrfacher Behinderung im Regelsystem gesehen wird, worauf auch Hasseler [6] eingeht. Im Einklang mit den vorliegenden Ergebnissen weisen Mau et al. [8] darauf hin, dass im MZEB ausreichend Zeit für eine zielgruppenadäquate Versorgung zur Verfügung steht. Auch wurde bei niedergelassenen Ärzt_innen das Fehlen von zielgruppenspezifischem Fach- und Erfahrungswissen beklagt [8, 19]. Die Befragten in der vorliegenden Studie äußerten, dass der Bedarf einer Möglichkeit zur dauerhaften Behandlung im MZEB für Patient_innen besteht, die wohnortnah keine adäquate medizinische Versorgung vorfinden. Die in der vorliegenden Studie befragten Behandler_innen im MZEB verfügen über jahrelange Erfahrungen im Umgang mit der Zielgruppe und über zielgruppenspezifisches Wissen. Allerdings erwies sich die Rekrutierung qualifizierten Personals als schwierig. Außerdem verweisen die Befragten auf zu wenig Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich der Behindertenmedizin, worauf bereits Elstner et al. [4] aufmerksam machen und gerade für Hausärzt_innen trotz der Etablierung von MZEB Bedarf an zielgruppenspezifischen Aus- und Fortbildungen sehen, denn sie übernehmen weiterhin die Grundversorgung der Menschen mit geistiger und schwerer Mehrfachbehinderung. Als weiterer förderlicher Faktor wird die multiprofessionelle Zusammenarbeit im MZEB benannt. Die European Union Agency for Fundamental Rights [5] verdeutlichte, dass Menschen mit geistiger Behinderung oftmals viele verschiedene Ärzt_innen aufsuchen, um eine adäquate medizinische Versorgung bei Gesundheitsproblemen zu erhalten. Durch die multiprofessionelle medizinische Versorgung im MZEB könnte diese Schnittstellenproblematik verringert werden.

Weiterhin wurde in den Interviews deutlich, dass Zugang und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im MZEB u. a. durch ein engagiertes Umfeld positiv beeinflusst werden, bspw. indem die Bezugspersonen (z. B. Angehörige, betreuendes Personal etc.) dabei unterstützen, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Patient_innen und MZEB-Mitarbeitenden aufzubauen. Naaldenberg et al. [11] betonen die Wichtigkeit des Umfelds ebenfalls, denn sie konnten im Rahmen einer Analyse von Berichten zum Thema der gesundheitlichen Benachteiligung von Menschen mit Behinderung herausfinden, dass engagierte Personen im Umfeld der Menschen mit Behinderung Gesundheitsfragen und -probleme erkennen und diese ansprechen.

Dass in dem in der vorliegenden Studie kooperierenden MZEB zurzeit eine längere Warteliste entstanden ist, liegt laut der Befragten v. a. daran, dass nicht genügend Personal aufgestockt werden kann. In den Interviews wurde in Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Schülle und Hornberg [16] eine problematische Finanzierung deutlich, da eine Anschubfinanzierung für die Behandler_innen im MZEB fehlt und die Quartalspauschale zurzeit noch nicht kostendeckend ist, weshalb auch Meir [10] auf die Notwendigkeit einer Neuverhandlung dieser verweist. Ebenfalls hinderlich beim Zugang zu und der Inanspruchnahme sind sprachliche Barrieren seitens der Patient_innen, die auch in internationalen Studien angeführt werden [5] und den Einsatz von Leichter Sprache und Unterstützter Kommunikation erfordern. Im MZEB ist es von besonderem Vorteil, dass die Fachkräfte über jahrelange Erfahrung in der Kommunikation mit Menschen mit geistiger und schwerst-mehrfacher Behinderung verfügen und Leichte Sprache sowie Piktogramme zur Kommunikationsunterstützung verwendet werden.

Stärken und Schwächen der Studie

Die Berücksichtigung verschiedener Fachdisziplinen in den Experteninterviews ermöglichte die Betrachtung von Zugang und Inanspruchnahme medizinischer Versorgung aus verschiedenen Perspektiven der Behandler_innen im MZEB. Das behinderungsspezifische Modell [12] erwies sich als besonders hilfreich, um Faktoren zu erfassen, die Zugang und Inanspruchnahme förderlich bzw. hinderlich bedingen.

Für weitere Forschungsvorhaben wären eine Ausweitung des Umfangs des Studiendesigns und ein Einbezug der Menschen mit Behinderung wünschenswert. MZEB nehmen erst seit 2015 schrittweise ihre Arbeit auf, sodass zurzeit wenige MZEB über längere Erfahrungen bei der medizinischen Versorgung verfügen. Es liegen bislang keine Evaluationsergebnisse zur medizinischen Versorgung im MZEB vor, da der Erhebungszeitpunkt sehr früh erfolgte. Eine wissenschaftliche Begleitung der weiteren Entwicklung der MZEBs ist daher sinnvoll.

Fazit für die Praxis

  • Ziel war es, Herausforderungen beim Zugang zu und der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung im Medizinischen Behandlungszentrum für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) herauszuarbeiten und dabei förderliche sowie hinderliche Faktoren zu ermitteln.

  • Die Versorgungsmöglichkeit in MZEB kann zur Verbesserung der medizinischen Versorgungssituation beitragen.

  • Es konnten Stellschrauben zur Verbesserung der Bedingungen für Zugang und Inanspruchnahme medizinischer Leistungen im MZEB aufzeigen, um Maßnahmen – u. a. auf politischer Ebene – abzuleiten.

  • Künftig ist es relevant, die Finanzierung der Versorgung im MZEB sicherzustellen, strukturelle und organisatorische Aspekte hinsichtlich der langen Wartezeiten auf eine Behandlung im MZEB und der Möglichkeit einer Dauerbehandlung im MZEB zu reflektieren.

  • Auch ist die barrierefreie Kommunikation auszubauen, Aus‑, Fort-, und Weiterbildungsmöglichkeiten im Bereich der Behindertenmedizin zu schaffen, die Kooperation mit niedergelassenen Fachärzt_innen zu vertiefen und die festgelegten Zugangskriterien zu überdenken.