Kurze Hinführung zum Thema

In Deutschland sind viele Kinder in einem zu geringen Maße körperlich aktiv [16]. Aktive Mobilität kann einen wichtigen Beitrag zur körperlichen Aktivität leisten [27]. Kinder, die aktiv zur Schule kommen (z. B. gehend oder mit dem Fahrrad), erreichen höhere Umfänge ihrer Gesamtaktivität und profitieren durch Verbesserungen ihrer physischen Gesundheit als Kinder, die durch motorisierten Transport zur Schule kommen [23, 39]. Die Reduktion von motorisiertem Transport hätte zudem positive Auswirkungen auf die Verkehrssituation vor den Schulen und die Verkehrssicherheit aller Kinder sowie für den Umweltschutz.

Zielstellung und methodisches Vorgehen des Beitrags

Das Ziel dieser narrativen Übersichtsarbeit ist es, einen Überblick zur gesundheitswissenschaftlichen Relevanz von aktiven Schulwegen von Grundschulkindern zu geben und Ansatzpunkte zur Bewegungsförderung durch Förderung von aktiven Schulwegen in Deutschland zu ermitteln. Dieser Beitrag soll somit AkteurInnen aus den Bereichen der Sport‑, Bewegungs- und Gesundheitswissenschaften sowie des Schul- und Gesundheitssystems in Deutschland Anhaltspunkte für die Erforschung und Förderung von aktiven Schulwegen bei Grundschulkindern geben.

Von aktiven Schulwegen spricht man, wenn SchülerInnen körperlich aktiv (also zu Fuß, mit dem Fahrrad, einem Tretroller oder anderen Sportgeräten) den Weg zur Schule oder von der Schule nach Hause zurücklegen [14]. Auch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel auf dem Weg zur Schule oder von der Schule nach Hause wird in einigen Studien als aktiver Schulweg gewertet, da die SchülerInnen in diesen Fällen eine Strecke zu Fuß zur Haltestelle zurücklegen. Diese Definition von aktiven Schulwegen insbesondere in wissenschaftlichen Arbeiten aus dem außereuropäischen Raum gründet darauf, dass dort das öffentliche Nahverkehrssystem häufig schlechter ausgebaut ist als in Europa und die Wege zu den Haltestellen im Durchschnitt mit größeren Umfängen an körperlicher Aktivität einhergehen. In der Kiel Obesity Prevention Studie (KOPS) wurde die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln allerdings als passiver Schulweg eigestuft [21]. Im Kontext der Auseinandersetzung mit aktiven Schulwegen bei Grundschulkindern spielt auch die Erforschung und Förderung der eigenständigen Mobilität von Kindern (Zurücklegen von Wegen ohne Begleitung von Eltern oder anderen Erwachsenen) eine Rolle. Während Kinder sowohl in Begleitung Erwachsener als auch eigenständig aktiv mobil sein können, findet passive Mobilität immer in Begleitung Erwachsener (als MitfahrerInnen im PKW) statt. Zur Relevanz, Prävalenz und Förderung eigenständiger Mobilität von Kindern aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive liegt eine weitere Übersichtsarbeit vor [34].

Die Struktur dieses Beitrags basiert auf dem verhaltensepidemiologischen Rahmenkonzept von Sallis et al. [36]. Dieses Rahmenkonzept kann als Systematisierungsgrundlage zur Erforschung von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen dienen. Hierzu wird das Thema entsprechend der Phasen dieses Konzepts gegliedert (Abb. 1). Das methodische Vorgehen basiert auf einer narrativen Sichtung des Forschungsstands. Die vorliegende Übersicht beruft sich soweit vorhanden auf empirische Studien mit Kindern im Grundschulalter aus Deutschland. Insbesondere im Hinblick auf die Prävalenz ist es Ziel der Arbeit, nationale Daten zu präsentieren. Sofern keine nationalen Daten vorliegen oder verfügbar sind, wird die Darstellung durch Übersichtsarbeiten oder bei bisher wenig beforschten Themenbereichen vereinzelt auch durch Originalarbeiten aus dem internationalen Forschungsfeld ergänzt. Die Fokussierung auf Studien aus Deutschland ist insofern indiziert, als dass die Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Gegebenheiten im Hinblick auf aktive Schulwege von Grundschulkindern im internationalen Vergleich stark differieren. Dies spiegelt sich bereits in deutlichen Differenzen in der Prävalenz von aktiven Schulwegen wider [46]. Die dieser Arbeit zugrunde liegende Recherche erfolgte nach deutsch- und englischsprachigen Forschungsarbeiten in den Datenbanken Web of Science und Surf. Der vorliegende Beitrag schließt mit einem Fazit für die Praxis ab.

Abb. 1
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Verhaltensepidemiologisches Rahmenkonzept zur Untersuchung aktiver Schulwege aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive

Gesundheitliche Bedeutung aktiver Schulwege

Basierend auf internationaler Evidenz wurden positive Zusammenhänge von aktiven Schulwegen mit biomedizinischen Gesundheitsparametern sowie dem Gesamtumfang an körperlicher Aktivität belegt. So zeigen Übersichtsarbeiten, dass Kinder mit regelmäßigen aktiven Schulwegen insgesamt höhere Aktivitätsumfänge erreichen [23, 27, 39]. Anhand einer deutschen Stichprobe mit Grundschulkindern zeigte sich, dass bei Kindern mit aktiven Schulwegen an mindestens drei Tagen pro Woche die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme am organisierten Sport (von mindestens 75 min pro Woche) erhöht war [19]. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die höheren Aktivitätsumfänge bei Kindern mit aktiven Schulwegen möglicherweise nur partiell auf die während der Schulwege kumulierten Aktivitätszeiten zurückzuführen sind. Ähnliche Befunde zeigten sich auch in weiteren internationalen Studien [7, 8], welche darauf hindeuten, dass neben dem Beitrag aktiver Schulwege zur Gesamtaktivität auch Persönlichkeitsprofile mit aktiven Lebensstilen die Assoziationen von aktiven Schulwegen und höheren Gesamtaktivitätsumfängen erklären könnten. Es existieren Hinweise darauf, dass aktive Mobilitätsroutinen wie beispielsweise bei Grundschulkindern, die ihren Schulweg regelmäßig aktiv zurücklegen, eine regelmäßige körperliche Aktivität im Erwachsenenalter begünstigen [49].

Darüber hinaus liegen aus internationalen Übersichtsarbeiten inkonsistente Befunde hinsichtlich des Zusammenhangs von aktiven Schulwegen mit Parametern der Körperzusammensetzung wie dem Body Mass Index (BMI), der Hautfaltendichte oder dem Taillenumfang vor [23, 39]. Auch die Ergebnisse aus der Motorik-Modul-Studie (MoMo-Studie) bestätigen einen Zusammenhang zwischen aktiven Schulwegen und dem BMI bei Jugendlichen ab elf Jahren nicht [12]. Unter Berücksichtigung des durchschnittlichen Aktivitätsumfangs von aktiven Schulwegen im Grundschulalter von 17 min pro Tag in einer metaanalytischen Auswertung internationaler Arbeiten [27] liegt die Vermutung nahe, dass der Umfang an körperlicher Aktivität bei aktiven Schulwegen möglicherweise nicht ausreichend ist, um Effekte auf Parameter der Körperzusammensetzung zu indizieren. Allerdings sind positive Effekte von aktiven Schulwegen – insbesondere beim Fahrradfahren – auf die kardiovaskuläre Fitness belegt [23]. Hier scheinen die höheren Intensitäten beim Fahrradfahren zum Tragen zu kommen. Die teils inkonsistente Studienlage erschwert die Analyse von gesundheitlichen Vorteilen von aktiven Schulwegen in Übersichtsarbeiten. So wurde in einigen Studien nicht zwischen Schulwegen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden, unterschieden, obwohl beide Mobilitätsformen möglicherweise unterschiedliche Gesundheitseffekte aufweisen [23, 40]. Darüber hinaus wurden bisher neben biomedizinischen Gesundheitsparametern wie der Körperzusammensetzung und der kardiovaskulären Fitness Gesundheitseffekte von aktiven Schulwegen im psychosozialen Spektrum kaum erforscht. Beispielsweise existieren Belege, dass aktive Wege zur Arbeit bei Erwachsenen mit positiven Affekten, Wohlbefinden und gesteigerter Arbeitsproduktivität einhergehen [30]. Einzelne Studien weisen auf ähnliche Befunde im Grundschulalter hin: Kinder, die aktiv zur Schule gehen, weisen ein höheres Wohlbefinden auf, als Kinder, die motorisierte Verkehrsmittel nutzen [25, 44].

Erfassungsmethoden

Zur Erfassung von aktiven Schulwegen werden üblicherweise Selbstberichte der Kinder oder ihrer Eltern (meist Fragebögen) herangezogen. Eine umfangreiche Übersichtsarbeit zu vorhandenen Methoden (Selbstberichten) zur Erfassung von aktiven Schulwegen wurde von Herrador-Colmenero et al. [14] vorgelegt. In dieser Übersichtsarbeit wurden auch drei Studien identifiziert, die in Deutschland durchgeführt wurden [6, 21, 33]. In diesen Fällen handelt es sich allerdings um Studien mit Jugendlichen (im Alter von elf Jahren und älter). Allerdings liegen aus dem deutschsprachigen Raum verschiedene Fragebogenskalen z. B. aus der MoMo-Studie [33, 47] und dem Projekt „Komm mit in das gesunde Boot – Grundschule“ [19] vor.

Bei der Verwendung von Fragebögen zur Erfassung von aktiven Schulwegen ist zu berücksichtigen, dass Unterschiede zwischen dem Weg zur Schule und von der Schule nach Hause berichtet wurden [13]. Daher wird empfohlen, getrennt nach beiden Wegen zu fragen, um valide Daten zum Umfang an aktiven Schulwegen zu erhalten. Dies ist im deutschsprachigen Raum auch insofern relevant, als dass unter „dem Weg zur Schule“ sowohl nur der Hinweg als auch im umgangssprachlichen Gebrauch häufig beide Wege, der Weg von Zuhause zur Schule und der Weg von der Schule nach Hause, verstanden werden können. Darüber hinaus ist bei der Erfassung von aktiven Schulwegen vor dem Hintergrund des jeweiligen Untersuchungsziels zu entscheiden, ob Einzelwege (z. B. am Vortag der Befragung), ein (kurzer) Zeitraum eines Rückblicks (z. B. „Wie kam Ihr Kind an den meisten Tagen der letzten Woche zur Schule?“) oder das habituelle Verhalten (z. B. „Wie kommt Ihr Kind normalerweise zur Schule?“) von Bedeutung ist und erfasst werden soll. Auch die Erfassung der Eigenständigkeit bzw. von Begleitpersonen beim Zurücklegen der Schulwege kann je nach Untersuchungsziel von Bedeutung sein [34].

Da in vielen Studien, die sich beispielsweise mit Einflussfaktoren oder Gesundheitseffekten von aktiven Schulwegen befassen, nicht nur der Modus des Schulweges, sondern auch die zurückgelegte Distanz bzw. Wegezeit von Relevanz ist, wird empfohlen, diese neben dem Mobilitätsverhalten ebenfalls zu erfassen [24, 33]. Allerdings sind Verzerrungen bei der Erfassung der Distanz zwischen Wohnort und Schule bei subjektiven Methoden wie Befragungen in Abhängigkeit von soziodemographischen Faktoren und der Verkehrsmittelwahl festgestellt worden [48]. Eine Alternative zur Erfassung der Distanz können objektive bzw. technische/digitale Methoden wie beispielsweise GPS-Tracking oder Geoinformationssysteme darstellen. Diese wurden in einigen internationalen Studien bereits eingesetzt und stellen in Ergänzung mit Akzelerometern eine Möglichkeit zur Erfassung aktiver Schulwege dar [7, 10], wenngleich Befragungen mittels Fragebögen nach wie vor die am häufigsten eingesetzte Methode sind [23].

Prävalenz von aktiven Schulwegen in Deutschland

Einige aktuelle Studien machen Angaben zur Prävalenz aktiver Schulwege in Deutschland. Allerdings unterscheiden sich diese in den Studien aufgrund von unterschiedlichen lokalen und schulspezifischen Gegebenheiten und unterschiedlichen Untersuchungsgruppen. Eine Übersicht der vorhandenen Studien aus dem deutschsprachigen Raum und die Angaben zur Prävalenz sind in Tab. 1 dargestellt. In den meisten Studien wird berichtet, dass über 50 % der Grundschulkinder den Schulweg aktiv zurücklegen [20, 28, 38]. Die Ergebnisse aus „Mobilität in Deutschland“ (MiD), einer bundesweiten Befragung von Haushalten zu ihrem alltäglichen Verkehrsverhalten im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, zeigen mit 47 % eine etwas geringere Prävalenz von aktiven Schulwegen [29]. In einer Ländervergleichsstudie zeigte sich, dass in Deutschland (47 %) im Vergleich zur Schweiz (59 %) und den Niederlanden (62 %) am wenigsten Kinder im Alter von 6 bis 9 Jahren aktiv den Schulweg zurücklegen [29]. Eine deskriptive Analyse der Prävalenz von aktiven Schulwegen in neun europäischen Städten zeigt, dass die Prävalenz von aktiven Schulwegen in Berlin mit 65,3 % im Durchschnitt der Städte liegt [28]. Höhere Prävalenzen im städtischen Raum im Vergleich zu ländlichen Regionen zeigten sich auch im Rahmen der MoMo-Studie [33]. Diese sind möglicherweise auf kürzere Distanzen zwischen Wohnung und Schule sowie eine geringere Verfügbarkeit von PKWs bei Familien, die in Städten leben, im Vergleich zu Familien auf dem Land zurückzuführen. Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Prävalenz von aktiven Schulwegen gehen aus der aktuellen Studienlage in Deutschland nicht hervor [20]. Ebenso hat das Alter in der Grundschule keinen Einfluss auf den aktiven Schulweg zu Fuß [20]. Der Anteil der Kinder, die mit dem Fahrrad zur Schule fahren, steigt von der ersten zur vierten Grundschulklasse an [38].

Tab. 1 Vorhandene Studien zur Prävalenz aktiver Schulwege bei Grundschulkindern in Deutschland

Anhand einiger Studien lässt sich feststellen, dass aktive Wege im Grundschulalter eher zu Fuß als mit dem Fahrrad zurückgelegt werden [28, 29]. Zudem lässt sich hier ein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellen: Mehr Jungen als Mädchen nutzen das Fahrrad auf dem Schulweg [2]. Eine deutliche Verschiebung wird hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl und dem Altersverlauf ersichtlich: Ältere Kinder und Jugendliche nutzen auf dem Schulweg häufiger das Fahrrad als Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren [2]. Diese Alterseffekte sind möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass von Seiten der Grundschulen vielerorts empfohlen wird, dass die Kinder vor der Fahrradprüfung (welche i. d. R. in der vierten Klasse stattfindet) den Schulweg nicht (allein) mit dem Fahrrad zurücklegen (www.adfc.de/artikel/mit-dem-rad-zur-schule/).

Analysen der MiD zeigen in Einklang mit internationalen Studien, dass die Wahrscheinlichkeit aktiver Schulwege von der Distanz zwischen Wohnort und Schule abhängig ist [29]: Einen Schulweg von unter 1 km legen 75 % der Kinder bis 10 Jahre aktiv zurück. Bei einer Strecke von 2–5 km sind es nur 14 % der Kinder, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, dahingegen sind 65 % der Kinder Mitfahrer im motorisierten Individualverkehr.

Es existieren wenig Befunde zu historischen Trends von aktiven Schulwegen: Es liegen zwar Daten der MiD-Surveys aus den Jahren 2008 [2] und 2017 [29] vor. Diese lassen aber aufgrund unterschiedlicher Sampling-Strategien keinen verlässlichen Kohortenvergleich zu. Anhand der Daten der MoMo-Studie kann keine Veränderung über die Zeit festgestellt werden [35]. Der Anteil aktiver Schulwege bei Grundschulkindern ist hier seit 2003 gleichbleibend (2003–2006: 81,2 %; 2014–2017: 79,7 %). Es liegen keine Daten über längere Zeiträume, die beispielsweise einen Generationenvergleich zulassen würden, vor. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass das Zufußgehen und die Eigenständigkeit von Kindern beim Zurücklegen von Schulwegen in den letzten Dekaden zurückgegangen ist [11, 41].

Korrelate und Einflussfaktoren aktiver Schulwege

International liegen vielzählige Studien über Korrelate aktiver Schulwege vor. In den meisten Studien wurde ein Querschnittdesign verwendet. Daher kann aus diesen Studien in Bezug auf veränderbare Faktoren wie die soziale oder räumlich-bauliche Umwelt keine Aussage über die Richtung der Zusammenhänge erfolgen. Eine Ausnahme stellt die Längsschnittstudie von Chen et al. [5] dar. Die Befunde werden im Folgenden nach sozial-ökologischen Ebenen gegliedert vorgestellt.

Individuelle Faktoren

Nationale Studien deuten auf soziodemographische Unterschiede bei Grundschulkindern in Bezug auf die Mobilitätsentscheidung auf dem Weg zur Schule hin [33]. Im Grundschulalter ist das Zurücklegen des Schulweges zu Fuß oder mit dem Fahrrad unabhängig von Geschlecht [2, 20] und Alter des Kindes [20]. Daten aus dem Projekt „Komm mit in das gesunde Boot“ [20] zeigen aber, dass an deutschen Grundschulen Kinder mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund häufiger zur Schule gefahren werden. Demzufolge könnten kulturelle Normen eine Rolle spielen.

Auch der sozioökonomische Status steht in Zusammenhang mit der Mobilitätsentscheidung beim Schulweg: Kinder aus Elternhäusern mit hohem Bildungsniveau legen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ihren Schulweg aktiv zurück als Kinder aus bildungsfernen Familien [20]. Demgegenüber geht ein höheres Einkommen der Eltern mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit aktiver Schulwege einher [20]. Auch in einer internationalen Übersichtsarbeit von Pont et al. [32] gingen bei Kindern im Alter zwischen 5 und 18 Jahren ein steigendes Einkommen der Eltern und die Anzahl der Autos im Haushalt mit einer Abnahme von aktiven Schulwegen einher.

Hinsichtlich psychosozialer Faktoren auf Seiten des Kindes zeigen Lu et al. [26] in einem systematischen Review, dass der selbstwahrgenommene emotionale Zustand und die Selbstwirksamkeitserwartung positiv mit aktiven Schulwegen in Verbindung stehen.

Soziale Umwelt

Die soziale Unterstützung und das Vorbildverhalten der Eltern wurden als relevante Faktoren der sozialen Umwelt identifiziert, die mit aktiven Schulwegen von Kindern in Verbindung stehen [20]. Kinder, deren Mütter selbst körperlich aktiv sind und sich selbst als gesundheitsbewusst einschätzen, wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, zu Fuß zur Schule zu gehen. Hingegen ließen sich keine signifikanten Zusammenhänge zur körperlichen Aktivität und zum Gesundheitsbewusstsein des Vaters nachweisen [20]. Dem mütterlichen Mobilitätsverhalten kommt daher eine wichtige Vorbildfunktion bezüglich der aktiven Schulwege von Kindern zu. Im Rahmen eines auf internationalen Studien basierenden Reviews zeigte sich mangelnde wahrgenommene soziale Unterstützung durch die Eltern als eine der Hauptbarrieren von aktiven Schulwegen [26]. Außerdem wurden darin positive Zusammenhänge aktiver Schulwege mit dem Vorbildverhalten und der Selbstwirksamkeitserwartung der Eltern berichtet. Die subjektiven Einstellungen und Ängste der Eltern beeinflussen, ob ihre Kinder ihren Schulweg aktiv zurücklegen, wobei allgemein nach elterlichen Ängsten zur Verkehrssicherheit und zur Sicherheit vor gewalttätigen Übergriffen differenziert werden kann. Befunde aus der Schweiz zeigten, dass Kinder, deren Eltern Sicherheitsbedenken bezüglich des Schulwegs haben, häufiger mit dem Auto zur Schule gefahren werden. Die Sicherheitsbedenken der Eltern bezogen sich größtenteils auf Gefahren im Straßenverkehr (85 %) und seltener auf Gewalt und Belästigung (23 %) [4]. Das elterliche Unterstützungsverhalten und die Einstellungen der Eltern werden zusätzlich durch eine Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst wie das Vorhandensein von Geschwisterkindern, zeitliche Restriktionen durch die Berufstätigkeit der Eltern, Arbeitszeitregelungen [37] und die regelmäßige Betreuung des Kindes in der Kindertagesstätte [4]. Darüber hinaus spielen auch Faktoren wie der individuelle Lebensstil [4] und Bequemlichkeitsaspekte eine Rolle [37]. Neben den elterlichen Faktoren wurde in einer Metaanalyse das Schulumfeld als relevant identifiziert: Der sozioökonomische Status des Schulumfelds war dabei positiv mit der Wahrscheinlichkeit aktiver Schulwege assoziiert [15].

Räumlich-bauliche Umwelt

Die Distanz vom Wohnort zur Schule weist in empirischen Studien durchweg die stärkste Assoziation zu aktiven Schulwegen auf [4, 15, 20, 32, 45]: Je kürzer die Distanz zur Schule, desto höher die Wahrscheinlichkeit aktiver Schulwege [15]. Eine Metanalyse zeigt zudem, dass der aktive Schulweg negativ mit der Wohnraumdichte und positiv mit der Dichte von Verkehrsknotenpunkten assoziiert ist [15]. An diesen Befunden wird deutlich, wie bedeutsam der Einfluss der Lage der Schule und die Wohngegend für die Verkehrsmittelwahl der Kinder ist. Internationale Übersichtsarbeiten zu räumlich-baulichen Umweltkorrelaten des aktiven Schulwegs identifizierten außerdem die Begehbarkeit („walkability“) und die Einwohnerdichte in der Nachbarschaft als positive Korrelate und fehlende Straßenanbindungen als negative Korrelate von aktiven Schulwegen [1, 9]. Die Daten stammen jedoch überwiegend aus dem Raum USA/Kanada/Australien. Daher ist unklar, ob diese Befunde auf Deutschland übertragbar sind. Beispielsweise sind fehlende Straßenanbindungen in Deutschland seltener gegeben. Allerdings fehlt es hierzulande an empirischen Daten. Darüber hinaus stellte in einer Schweizer Studie die Notwendigkeit zur Überquerung von Hauptstraßen eine Barriere für aktive Schulwege dar [4]. In Deutschland zeigen die Analysen der MoMo-Studie, dass im Vergleich zu ländlichen Gebieten aktive Schulwege in städtischen Gebieten häufiger auftreten. In mittelgroßen Städten erhöht sich hierbei die Wahrscheinlichkeit mit dem Fahrrad zu fahren im Vergleich zu Großstädten [33]. Die räumlich-bauliche Umwelt beeinflusst auch die Entscheidungen der Eltern, da die Urbanität mit elterlichen Sorgen um die Verkehrssicherheit und die soziale Sicherheit im öffentlichen Raum interagieren [37]. Die Interpretation der Interaktionseffekte zwischen sozialen und räumlich-baulichen Umweltfaktoren stellt sich häufig als schwierig dar [37].

Längsschnittliche Daten zu räumlich-baulichen Einflussfaktoren auf aktive Schulwege liegen aus einer 12-Jahres-Studie an Kindern und Jugendlichen in Seattle (USA) vor [5]. In dieser Studie wurde untersucht, wie sich die Maßnahmenpläne der Stadt zur Umgestaltung von Geh- und Fahrradwegen auf den aktiven Schulweg auswirkten. Die Errichtung einer Infrastruktur für den nichtmotorisierten Verkehr wie die Schaffung von Gehwegen und Zebrastreifen erwies sich dabei als ein zentraler Faktor zur Förderung aktiver Schulwege.

Effektivitätsnachweise von Programmen zur Förderung aktiver Schulwege

In einigen internationalen Übersichtsarbeiten wurden Evaluationsstudien, die Interventionen zur Förderung von aktiver Mobilität adressierten, zusammengefasst [17, 22, 31]. In der aktuellsten Übersichtsarbeit, die sich ausschließlich auf Interventionen für Grundschulkinder bezog [17], wurden 17 Studien einbezogen, in denen verschiedene Interventionsansätze verfolgt wurden. Diese beinhalteten neben aktiven Interventionsstrategien wie beispielsweise Fahrradtrainings oder „walking school buses“ auch inaktive Interventionsstrategien wie beispielsweise pädagogische Ansätze zur Wissensvermittlung. Die pädagogischen Ansätze und die „Walking school bus“-Ansätze erwiesen sich als besonders effektiv [17]. Bei dem „walking school bus“ handelt es sich um eine Initiative, die von Eltern, Schulpersonal, Nachbarschaftsvereinen, der Polizei, Krankenkassen oder Gemeindeverbänden initiiert werden kann und auch in Deutschland bekannt ist. Dabei handelt es sich um einen „virtuellen Bus“, der durch Beteiligung mehrerer Kinder und einer erwachsenen Begleitperson entsteht [3]. Für den „walking school bus“ gibt eine ausgewiesene (möglichst risikoarme) Strecke, Haltestellen, Abfahrtszeiten und Pläne [42]. Der Bus startet an der ersten Haltestelle mit der Begleitperson („der Busfahrer/die Busfahrerin“), welche für die Sicherheit der Kinder und das Einhalten von Zeiten und Strecken verantwortlich ist. Bei jeder Haltestelle kommen Kinder dazu, die so gemeinsam als Gruppe zur Schule gehen. In Deutschland liegen vielfältige praxisnahe Publikationen zur Beschreibung von „Walking school bus“-Initiativen vor (z. B. [3]; www.schulexpress.de; www.walkingbus-os.de). Ergänzend liegen Befunde vor, die zeigen, dass auch verkehrsinfrastrukturelle Maßnahmen zur Förderung von aktiver Mobilität (wie z. B. die Schaffung von Gehwegen und Zebrastreifen) zur Förderung aktiver Schulwege beitragen können [5].

Außerdem liegen im englischsprachigen sport- und gesundheitswissenschaftlichen Diskurs diverse Reviews vor, die positive Effekte von aktiven Schulwegen zur Steigerung der körperlichen Aktivität bzw. zur Verbesserung der Gesundheit (im physischen wie psychischen Sinne) bei Kindern und Jugendlichen belegen [17, 22]. Im deutschsprachigen Bereich sind demgegenüber nur vereinzelte Studien zu finden [18, 43]. Kehne [18] konnte im Rahmen einer Interventionsstudie, die ein „Walking-school-bus-Programm“ beinhaltete, aufzeigen, dass Kinder, die ihren Schulweg in körperlich aktiver Weise zurückgelegt haben (im Durchschnitt 15 min pro Weg), einen wöchentlichen Aktivitätsvorsprung von rund 2,5 Stunden im Vergleich zu den mit Bus oder Auto fahrenden Kindern aufweisen. Durch den aktiven Schulweg erreichen diese Kinder bereits einen Teil des von der Weltgesundheitsorganisation geforderten Mindestmaßes an 60 min körperlicher Aktivität mit moderater oder hoher Intensität pro Tag und erfüllen damit diese Vorgabe auch signifikant häufiger als ihre inaktiven MitschülerInnen. Auch ihr tägliches Schrittpensum (gemessen mit Pedometern) ist signifikant höher als das von Kindern, die mit dem Bus fahren oder im Auto zur Schule gebracht werden. In einer Intervention zur Einstellung und zum Fortbewegungsverhalten mit deutschen und österreichischen Jugendlichen konnte gezeigt werden [43], dass die Intervention (aktiver Transport an bestimmten Wochentagen) positive Effekte auf die Änderung der Einstellung/Haltung zu aktivem Transport, der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle und der generellen Absicht nicht-motorisierte Fortbewegungsmittel zu nutzen, aufweisen konnte.

Forschungsdesiderata und Implikationen für die Praxis

Die vorliegende Übersichtsarbeit zeigt, dass die Förderung aktiver Schulwege bei Grundschulkindern in Deutschland ein Potential zur Gesundheitsförderung birgt. Trotz einer relativ hohen Dichte an Grundschulen, die in der Regel geringe Distanzen vom Wohnort zur nächstgelegenen Grundschule indiziert, legen einige Grundschulkinder den Schulweg nicht aktiv zurück. Allerdings liegen bisher keine langfristigen Trendstudien vor, die neben der Verkehrsmittelwahl auch die Distanzen zur Schule berücksichtigten. Insofern lassen sich historische Trends, die auf einen Rückgang an aktiven Schulwegen hindeuten, lediglich anhand der Reduktion der Schuldichte, der Zunahme des Verkehrsaufkommens und der Zunahme an Problemberichten von Seiten der Schulen, die über ein tägliches Verkehrschaos durch Elterntaxis vor den Schulgebäuden klagen, mutmaßen, aber nicht quantitativ belegen.

Auch die Barrieren aktiver Schulwege wurden bisher in Studien aus Deutschland wenig erforscht. Internationale Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass hier ein multifaktorielles Bedingungsgefüge zugrunde liegt und neben individuellen und sozialen auch baulich-räumliche Einflüsse entscheidend sind. Die vorliegenden Befunde hinsichtlich der Korrelate von aktiven Schulwegen können wichtige Erkenntnisse liefern, an welchen Stellen zukünftig effektive Interventionen zur Förderung aktiver Schulwege ansetzen sollten. Demnach sollten Eltern in Interventionsprogrammen einbezogen werden, da sie wichtige Rollenvorbilder und „Türöffner“ für ihre Kinder sind [20].

Fazit für die Praxis

  • Aktive Schulwege bei Grundschulkindern gehen mit erhöhten Aktivitätsumfängen einher und leisten einen Beitrag zur Verkehrssicherheit im Schulumfeld sowie zum Schutz der Umwelt.

  • In Deutschland legen nur lediglich etwa 50 % der Grundschulkinder den Schulweg aktiv zurück. Daher sind (weitere) Maßnahmen zur Förderung aktiver Schulwege notwendig, welche wissenschaftlich evaluiert werden, um effektive Maßnahmen und Interventionswege zu identifizieren.

  • Zur Förderung von aktiven Schulwegen bei Grundschulkindern in Deutschland bedarf es einer sicheren Infrastruktur, pädagogischer und kulturschaffender Maßnahmen sowie Aufklärungsarbeit, die gemeinsam von Schulen, Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen, Kommunen und betroffenen Familien getragen werden.

  • „Walking school buses“ stellen ebenso wie pädagogische Maßnahmen eine Möglichkeit dar, aktive Mobilität im Grundschulalter zu fördern.