Die Prävalenz der Adipositas fordert das deutsche Gesundheitswesen aktuell heraus. Wichtig sind Maßnahmen, die Betroffene unterstützen. Ärzte spielen in der Prävention und Behandlung von Folgeerkrankungen eine zentrale Rolle, wenngleich davon auszugehen ist, dass das Potenzial der Beratung nicht voll ausgeschöpft ist. Die vorliegende Studie untersucht mit qualitativer Methodik die Kommunikationspräferenzen von Personen mit Adipositas. Ausgehend von den Ergebnissen wird die Struktur für eine individualisierte Beratung entwickelt und ein Modell vorgestellt.

Das deutsche Gesundheitswesen steht vor einer Herausforderung: 67 % der Erwachsenen sind von Übergewicht, ca. 25 % von Adipositas betroffen [22].Footnote 1 Die Entstehung einer Adipositas ist meist multifaktoriell. Neben den körperlichen Einschränkungen korreliert Adipositas mit Begleit- und Folgeerkrankungen; je länger eine Person betroffen ist, desto schwerer gestaltet sich die Gewichtsreduktion [1, 10]. Im sozialen Umfeld erfahren Betroffene Stigmatisierung, was zu weiterer Gewichtszunahme führen kann [11, 24]. Sie werden negativ charakterisiert und ihnen wird die Verantwortung für das Übergewicht zugeschrieben [23].

Wichtig sind Maßnahmen, die Betroffene unterstützen [5]. Familie und Freunde können als wichtige Quelle gelten [16], es sind allerdings auch Fälle dokumentiert, in denen Betroffenen nach der Gewichtsreduktion Ablehnung durch ihr Umfeld erfahren [21]. Ärzte spielen in der Prävention und Behandlung von Folgeerkrankungen ebenfalls eine zentrale Rolle, wenngleich davon auszugehen ist, dass das Potenzial der Beratung nicht voll ausgeschöpft ist [7, 12]. Eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient etwa kann eine erfolgreiche Gewichtsreduktion begünstigen [13], jedoch weist das Thema einige kommunikative Herausforderungen auf. Aus Scham vermeiden Patienten, über ihr Gewicht zu sprechen und bezweifeln, dass der Arzt ihnen helfen könnte. Damit einher geht zum einen die Angst, dass der Arzt zu hohe Ansprüche an die Gewichtsreduktion legen könnte und zum anderen die Überzeugung, die Verantwortung für eine Gewichtsabnahme liege einzig bei ihnen [18].

Aus der bisherigen Studienlage lassen sich weiterhin zwei allgemeine Tendenzen festhalten: Vorstudien zeigen erstens, dass gerade Vorhaltungen und Belehrungen beim Thema der lebensstilbedingten Erkrankungen die Kommunikation erschweren [7]. Zweitens bringen Ärzte das Gewicht häufiger als ihre Patienten zur Sprache [7], gehen dabei jedoch meist nicht standardisiert vor, da das Thema des hohen Körpergewichts v. a. im Kontext anderer Erkrankungen virulent wird. Heintze et al. [8] stellten beispielsweise heraus, dass in Beratungsgesprächen auf Übergewicht eher indirekt und in Verbindung mit den Laborwerten referiert wurde. Sie unterschieden vier Ansprachen: Erwähnung des Übergewichts durch empfohlene Verhaltensänderung, Umschreibung des Übergewichts, Abwarten auf die Reaktion des Patienten und Aufgreifen des Themas nach der Initiative des Patienten.

Hieran anschließend stellt sich die Frage, welche Präferenzen Betroffene selbst haben. In quantitativen Studien wurde bereits untersucht, wie Bezeichnungen von Betroffenen bewertet werden [6, 20]. Die Betroffenen werteten „fat“ und „(morbidly) obese“ als stigmatisierend. Hingegen wurden „overweight“, „weight“ und „unhealthy weight“ positiv bewertet. Worte, die sich auf die ungesunden Auswirkungen von Übergewicht beziehen, galten für die Teilnehmenden als motivierend. Auch „obese“ könne motivierend sein, wenn der Arzt das Wort sensibel in einer Gesundheitsberatung anwendet.

Zum Begriff „Kommunikationspräferenz“

Der Begriff „Kommunikationspräferenz“ umfasst in der medizinischen Fachliteratur die von Patienten erwünschten Kommunikationswege im Arztgespräch. Idealerweise kann die Berücksichtigung solcher Präferenzen das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient unterstützen. In der quantitativen Forschung werden sie mittels validierter Fragebögen erfasst, um Orientierung für die ärztliche Beratung zu gewinnen [3].

Im philosophischen Verständnis sind Präferenzen „wertende propositionale Einstellungen, die unmittelbar in unsere Handlungsentscheidungen einfließen“ [14, S. 470]. Solche motivationalen Präferenzen können sich auf „eigene Handlungen“ oder „beliebige Sachverhalte“ (ebd.) beziehen. Eine Präferenz ist eine wertende Einstellung, die in Entscheidungen oder Verhaltensweisen wirksam wird: Eine Person bevorzugt eine bestimmte Handlung, aber dies mehr als eine bloße Vorliebe. Es gibt ein „emotional empfundenes Sehnen“ (ebd.) nach der Erfüllung dieser Präferenz, die auf tieferliegenden Wünschen beruht. Solche Wünsche „repräsentieren subjektiv, was dem Subjekt praktisch wichtig ist, d. h. was es gerne realisiert oder verhindert sehen möchte“ (ebd., S. 471). Kommunikationspräferenzen sind entsprechend wertende Einstellungen, die sich auf verschiedene Aspekte des Angesprochen-Werdens beziehen: Umfang, Inhalt und Situation der Kommunikation (vgl. detailliert [3, 4]). Während solche Kommunikationspräferenzen bezgl. des Umfangs der Informationen und der gewünschte Ansprachen individuell verschieden sein können, haben Personen auch generalisierbare Ansprüche an Kommunikation, wie etwa der Wunsch nach Anerkennung [9].

Kommunikation verstehen wir im Sinne des symbolischen Interaktionismus als Prozess, mit dem Realität produziert, aufrechterhalten und transformiert wird. Durch Kommunikation setzen wir uns miteinander und mit der Welt auseinander, und wir konstruieren und rekonstruieren die soziale Sphäre (als Übersicht [26, S. 38]). Aus ethischer Perspektive ist der Gebrauch von Zeichen eine kommunikative Handlung; und Menschen sind durch solche Handlungen verwundbar. Die Art, wie mit Personen über ein bestimmtes Thema gesprochen wird, hat also eine normative Dimension, die sich durch die Sprechakte in der konkreten Gesprächssituation zwischen Arzt und Patient manifestiert. Mit Personen über ein schambesetztes Thema so zu sprechen, wie sie es selbst wünschen, kann Vertrauen erzeugen und die Betroffenen befähigen, zu einer für sie guten Entscheidung zu kommen bzw. gemeinsame Ziele festzulegen [27]. In medizinischen Beratungssituationen lässt sich davon ausgehen, dass einige Präferenzen in der Beziehung erst konstruiert werden [3], insbesondere wenn überraschende Informationen vermittelt werden. Bezüglich des Körpergewichts bei Erwachsenen lässt sich jedoch davon ausgehen, dass sich Kommunikationspräferenzen über einen längeren Zeitraum herausgebildet haben. Das Thema des hohen Körpergewichts bricht nicht plötzlich über die Betroffenen herein, sondern beschäftigt die Betroffenen über eine lange Zeit.

Material und Methoden

Die Studie wurde im Mai/Juni 2018 und im Mai 2019 in einer Adipositasambulanz vorgestellt. Dabei konnten insgesamt acht Gruppen, bestehend aus jeweils 12–15 Teilnehmenden, eines etablierten Gewichtsreduktionsprogramms angesprochen werden (n = 102). Die Teilnehmenden waren zwischen 18 und 75 Jahre alt (mittleres Alter 49 Jahre). Der BMI der Teilnehmenden betrug zu Beginn des Programmes zwischen 31,6 kg/m2 und 70,52 kg/m2 (im Mittel 44,58 kg/m2). Innerhalb dieses Samples wurde für die Interviews über das Prinzip der Selbstbewerbung rekrutiert: Nachdem die Möglichkeit der Teilnahme in den Gruppen angekündigt wurde, konnten Personen innerhalb von zwei Wochen ihr Interesse aktiv bekunden. Nachfragen waren direkt, per E‑Mail und Telefon möglich. Zu Beginn der halbstrukturierten, leitfadengestützten Interviews wurden alle Befragten mündlich aufgeklärt und gaben ihr schriftliches Einverständnis zur pseudonymisierten Verarbeitung des Datenmaterials sowie der Veröffentlichung. Insgesamt wurden 20 Interviews durchgeführt (m = 12, w = 8; 28–75 Jahre; s. Tab. 1).

Tab. 1 Anthropometrische Daten

Dabei wurde auch mit Szenarien gearbeitet, um Aussagen bezgl. Präferenzen zu generieren. Es stand den Interviewten frei, in welchem Maße sie einen persönlichen Bezug zur Krankheits- oder Familiengeschichte herstellten. Die Interviews wurden wörtlich transkribiert, pseudonymisiert und danach softwaregestützt kodiert. Die Auswertung erfolgte nach qualitativer Inhaltsanalyse, d. h. die Kategorienbildung erfolgte durch induktives Kodieren [15] von zunächst fünf Interviews. Anschließend erfolgte die Erstellung eines Kodierleitfadens im Team und die Kodierung des gesamten Materials.

Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse dargestellt, wobei eingegangen wird auf 1) die Inhalte der Kommunikation, 2) die Ansprachen und 3) die Haltung der Ärzte.

Inhalte der Kommunikation

Inhalte der Kommunikation sind erstens medizinische Informationen. Patienten erwarten, dass sie medizinische Gründe für die Gewichtsreduktion erfahren, bekommen diese aber nicht unbedingt von den Ärzten auch übermittelt. Herr Wolf (65 Jahre) etwa war schon sein ganzes Leben übergewichtig. Seine (selbst übergewichtige) Ärztin habe ihm von Gewichtsreduktionsprogrammen abgeraten. Er wäre viel früher aktiv geworden, wenn er eine entsprechende Beratung gehabt hätte. Seine Präferenz nach „mehr Informationen“ und einer verstärkten „Aufklärung“ lässt sich also auch als Wunsch nach Unterstützung deuten, ohne dass dieser näher spezifiziert wird. Herr Schneider (61 Jahre) wünschte sich, dass auch einer breiten Öffentlichkeit vermittelt wird, welche Nahrungsmittel Adipositas begünstigen. In seinem Fall hat der jahrelange Konsum ungesunder Nahrungsmittel dazu geführt, dass er im beruflichen Umfeld als Handwerker zunehmend körperlich eingeschränkt wurde. Seine soziale Gruppenzugehörigkeit und die Alltagsroutinen verhinderten zusätzlich, die eigene Ernährung kritisch zu hinterfragen. Die Befragten nannten zweitens Risiken als Kommunikationsinhalte. Er wünscht sich, dass die mit dem Übergewicht einhergehenden Gefahren thematisiert werden. Diese Risiken könnten auch Teil der oben thematisierten medizinischen Informationen sein, die im Rahmen medizinischer Beratung vermittelt werden. Frau Fischer (58 Jahre) etwa hatte verschiedene Gespräche mit Ärzten, in denen aber nie direkt die Risiken des Körpergewichts thematisiert wurden: Sie wünscht sich, dass die Risiken von Bauchfett und die negativen Auswirkungen von Übergewicht auf den Körper direkt zur Sprache kommen.

Ansprachen

Die erlebten Ansprachen bezgl. des Körpergewichts lassen sich in ein Spektrum aus sechs Typen auffächern, die wir im Folgenden vorstellen.

Die Warnung.

Der Arzt entwirft durch die Darstellung von negativen Konsequenzen abschreckende Zukunftsszenarien und versucht, auf den Patienten einzuwirken. Er rückt die Gefahr, die durch das hohe Körpergewicht besteht, aktiv in den Fokus, wie im Fall von Herr Werner (69 Jahre). Dabei standen nicht Aspekte des Gewichts selbst im Vordergrund, sondern andere medizinischen Symptome, die durch das Übergewicht veranlasst wurden:

Der Arzt hat mir so plastisch vorgestellt, wie gefährlich es ist und wie lange ich noch zu leben hab, wenn ich nicht abnehme. Diese Bilder, die er mir gezeigt hat, haben mich doch nachdenklich gemacht, dass ich jetzt nun endlich was machen müsste. (Herr Werner, 69 Jahre)

Die direkt-kumpelhafte Ansprache.

Hier wird aufgrund eines guten persönlichen Verhältnisses zwischen Arzt und Patient nicht nur auf einer sachlichen Ebene über das Körpergewicht gesprochen. Die Ansprache erfolgt vielmehr im Rahmen eines freundschaftlichen Gesprächs. Deutlich wird dies am Fallbeispiel von Herr König (41 Jahre), der davon berichtet, dass er mit seinem Arzt Gespräche in Form von Frotzeleien und Sarkasmus geführt habe. Er bringt zum Ausdruck, dass er eine offene und sehr direkte Kommunikation bevorzugt, da er seinem Arzt vertraue:

Das ist halt so eine Frotzelei und auch mal so ein … sarkastisches Gespräch. […] Also ich bin da jemand, sag es mir ehrlich ins Gesicht. (Herr König, 41 Jahre)

Die allgemeine Empfehlung.

Zwar wird empfohlen, Gewicht zu reduzieren, allerdings werden dazu keinerlei konkrete Hinweise gegeben. Dies zeigt sich beispielhaft im Fall von Frau Schulze (71 Jahre), die durch ihre Ärztin darauf hingewiesen wurde, dass sie beide einen Weg zur Gewichtsreduktion finden müssten, aber ohne dabei einen expliziten Weg zu nennen:

[Da] hat sie gesagt, […] mit dem Gewicht, da müssen wir uns mal was einfallen lassen. (Frau Schulze, 71 Jahre)

Die konkrete Empfehlung.

Diese Ansprache ist das Gegenstück zur allgemeinen Empfehlung. Es werden konkrete Ratschläge gegeben, wie genau das Körpergewicht reduziert werden soll, allerdings ohne sich wörtlich direkt auf das Körpergewicht zu beziehen, sondern indem Faktoren angesprochen werden, die das Gewicht beeinflussen. Bei Herrn Schneider (61 Jahre) hat die Hausärztin etwa darauf hingewiesen, dass er am Gewichtsreduktionsprogramm teilnehmen solle, damit er dort sein Essverhalten ändere:

Das hat meiner Hausärztin nicht gereicht und hat zu mir gesagt: „Pass auf, wir müssen deinen Körper umstellen. Der Körper muss umgestellt werden“, ich sollte doch mal bei der Adipositas-Abnehmgruppe mitmachen. (Herr Schneider, 61 Jahre)

Die Motivation zur Eigeninitiative.

Hier wird der Patient dazu aufgefordert, sich aus eigener Kraft zur Gewichtsreduktion zu motivieren und dabei unabhängig von der Unterstützung durch andere Personen zu sein bzw. zu werden. Frau Weber (52 Jahre) suchte Rat bei ihrem Arzt in Bezug auf eine Magenbandoperation. Statt der Operation motivierte ihr Arzt sie, am Gewichtsreduktionsprogramm teilzunehmen, da sie eine Person sei, die durch ihr eigenes Zutun ihr Gewicht erfolgreich reduzieren könne und nicht den Weg über den chirurgischen Eingriff gehen müsse:

Das Gespräch war dahingehend sehr gut, dass er gesagt hat, oder mich auch motiviert hat und gesagt hat: „Sie gehören zu den Menschen, die das selber in den Griff bekommen – ich würde ihnen das Programm nahelegen.“ (Frau Weber, 52 Jahre)

Die Umschreibung.

Sie zeichnet sich dadurch aus, dass das Thema Übergewicht nicht direkt angesprochen wird, sondern verpackt formuliert wird, wie im Interview von Frau Fischer (58 Jahre) beschrieben wird. Da Zwang, Druck, Belehrungen und Verbote bei den Patienten eher unerwünscht sind, kann dies zu Umschreibungen führen, um Trotz-Reaktionen zu vermeiden:

Von daher hat es mir nie ein Arzt so direkt gesagt, dass ich abnehmen muss. Also wäre vielleicht okay gewesen, aber so fand ich es eigentlich immer ein bisschen, dass es alle vielleicht schön umschrieben haben und keiner so irgendwie … Vielleicht hatte das bestimmte Gründe, ich weiß es jetzt gar nicht. Ich habe auch nie gefragt. Aber vielleicht wollten meine Ärzte, meine Hausärztin mir keinen Stress aufsetzen. (Frau Fischer, 58 Jahre)

Die allgemeine Empfehlung wurde in unseren Interviews am häufigsten erwähnt. Die konkrete Empfehlung ohne Referenz auf das Körpergewicht wurde viel seltener erfahren, ebenso die Warnung. Noch seltener war die direkt-kumpelhafte Ansprache, die unter Männer vorkam, wenn Arzt und Patient sich gut kannten. Am seltensten waren die Motivation zur Eigeninitiative und die Umschreibung. Als Teilnehmende eines Gewichtsreduktionsprogramms waren unsere Probanden sehr motiviert, ihr Körpergewicht zu reduzieren. Für diese Zielgruppe lässt sich eine besondere Präferenz nach der Vermittlung möglichst konkreter Handlungsempfehlungen und der Motivation zur Eigeninitiative konstatieren (s. hierzu auch Abb. 1). Für sie bestand in der Praxis eine Diskrepanz zwischen den tatsächlich erfahrenen und den präferierten Ansprachen.

Abb. 1
figure 1

Die sechs verschiedenen Typen der Ansprache

Haltung der Ärzte

In den Interviews wurde mithilfe eines Szenarios gearbeitet: „Stellen Sie sich vor, jemand hält einen öffentlichen Vortrag zum Thema Körpergewicht.“ Die Interviewten wurden aufgefordert zu sagen, welche Worte die vortragende Person in dieser Situation verwenden bzw. vermeiden sollte. In allen Interviews zeigte sich gerade bei dieser Frage eine Pause (von durchschnittlichen 6 s). Alle Befragten brauchten Zeit, um zu überlegen, wie sie auf diese Frage antworten sollen. Wir interpretieren dies als genuin neues Forschungsergebnis: Die Kommunikationssituation scheint weniger durch die konkrete Wortwahl als durch die Einstellung beeinflusst zu sein, die Betroffene seitens der Ärzte wahrnehmen. Dass die konkrete Wortwahl wenig relevant ist, spiegelt sich etwa in der Aussage von Herr Schmitt (49 Jahre) wider:

Ich bin da nicht so zimperlich, wenn er sagen würde dick, dann wäre ich dick. Dann wenn er sagen würde adipös, dann wäre ich adipös. Das wäre mir relativ egal, wobei ich adipös komischer finde als dick. (Herr Schmidt, 49 Jahre)

Vielmehr als die konkrete Wortwahl spielt es v. a. eine Rolle, dass in der Situation Vertrauen aufgebaut und Akzeptanz durch die Ärzte vermittelt wird, wie sich auch an der Aussage von Frau Müller (28 Jahre) zeigt. Sie schätzt sich selbst als eine sehr direkte Person ein, reflektiert aber, dass diese eine sehr individuelle Kommunikationspräferenz ist. Andere könnten durch „dumme Sprüche“ direkt beleidigt sein und Vertrauen verlieren:

Es käme auf die Person an, die da steht. Weil ich wäre dann wieder eine, die würde einen dummen Spruch reißen und das ist dann die Frage, wie fasst das derjenige auf, ist er dann gleich beleidigt? (Frau Müller, 28 Jahre)

Insbesondere die Herablassung, wie sie Frau Richter (61 Jahre) ausführt, zeigt eine demotivierende Wirkung. Sie war während einer Reha nach einem medizinischen Eingriff damit konfrontiert, dass es dort kein Bewegungsprogramm für Übergewichtige gab. So wurde dort das reine Sportprogramm auch als Maßnahme zur Gewichtsreduktion angeboten:

In der Reha war ein Arzt, der hat sehr von oben herab auch über Gewicht gesprochen und was man alles mit Sport erreichen kann und ich fand das sehr … die Art und Weise, das war sehr herablassend. Ich glaube, wenn man zu jemandem Vertrauen hat oder wenn man merkt, dass das akzeptiert wird, dass da jemand auch das Problem versteht, der kann sonst was für Worte verwenden. (Frau Richter, 61 Jahre)

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Übergewicht auch weiterhin ein mit Scham besetztes Thema darstellt, da die Gesprächssituation überwiegend nur zwischen Arzt und Patient stattfand. Mitunter sind zwar auch die Partner oder andere Menschen aus dem persönlichen Umfeld der Patienten dabei gewesen, was in diesen Fällen auch positiv bewertet wurde. Allerdings hat die Frage, ob jemand in der Gesprächssituation dabei sein sollte bei den Personen, die unbegleitet dort waren, für Irritationen gesorgt.

Diskussion

Insgesamt zeigt sich in unserem Sample im Einklang mit Vorstudien [7, 8, 16, 25], dass Übergewicht im Kontext anderer medizinischer Fragen besprochen wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Thema selten angesprochen wird, wenn zwar hohes Körpergewicht, aber keine medizinischen Probleme bestehen. Wer nicht ohnehin zum Check-up geht, erhält wenig Gelegenheit, einen medizinischen Rat zubekommen. Dazu passt, dass in nur 4 unserer 20 Fälle die Patienten mit dem Thema auf ihren Arzt initiativ zugegangen sind. Sich aufgrund des hohen Gewichts an Ärzten zu wenden, ist alles andere als selbstverständlich. Wie lässt sich nun, ausgehend von der der Studienlage, die gegenwärtige Praxis weiter verbessern? Dieser Frage möchten wir uns im Folgenden zuwenden.

Bisherige Ansätze in Relation zu unseren Daten

InternationalFootnote 2 wurden bereits verschiedene Hilfestellungen für eine Beratung zur Gewichtsreduktion vorgeschlagen. Für Deutschland sind die Empfehlungen des IFB in Leipzig einschlägig.Footnote 3 Unsere Ergebnisse decken sich hiermit, da sie auch zeigen, dass die vom IFB nicht empfohlenen Vorgehensweisen als wenig wirksam eingeschätzt wurden. Insbesondere der Wunsch nach konkreten Hinweisen und die Ablehnung von allgemeinen Empfehlungen finden wir auch in unserer Analyse. Ein möglicher Ansatzpunkt zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und Patient wäre, den Fokus stärker auf möglichste konkrete Ratschläge zu legen als auf eine allgemeine Aussage wie „Sie sollten abnehmen“, wenn das Thema Körpergewicht angesprochen wird.

Neu ist in unserer Studie, dass auch eine Warnung und eine saloppe Kommunikation nicht per se kontraproduktiv, aber stark typabhängig sind: Wer eher zurückhaltend ist, den wird genau diese Ansprache abschrecken. Wer eher ein impulsiver und konfrontativer Typ ist, den werden vorsichtige Umschreibungen wiederum kaum erreichen. Zudem legen unsere Daten die Hypothese nahe, dass die Worte allein gar nicht entscheidend sind. Sicherlich ist es zutreffend, dass eine Zuschreibung wie „von Adipositas geplagt sein“ von einigen Betroffenen abgelehnt wird.Footnote 4 Andere Betroffene jedoch bewerten dies vielleicht als zutreffend. In unserer Studie hat die Frage nach der konkreten Wortwahl für Irritation gesorgt. Dies lag nicht etwa daran, dass die 20 Befragten diese Frage nicht verstanden haben – vielmehr zeigt sich, dass die Art der Ansprache und die Haltung der Behandelnden wichtig sind. Mit unserem Verständnis von Kommunikation als symbolischer Interaktion lässt sich hier sagen, dass in Gesprächen über Körpergewicht nicht nur medizinische Information übermittelt wird. Die Art, wie das Gespräch geführt wird, kann typenabhängig eine tiefe persönliche, soziale und auch moralische Dimension berühren. Diese gilt es bei der Reflexion von Gesprächstechniken im Blick zu behalten.

„Motivational interviewing“

Als Kommunikationstechnik bietet sich das „motivational interviewing“ (MI) an, das als „5-R-“ und „5-A-Modell“ bereits bei der Tabakentwöhnung empfohlen wird [17]. MI ist ein Gesprächsstil, bei dem die vorhandene Motivation für eine Veränderung herausgearbeitet und gestärkt wird. Die zentrale Annahme ist, dass Menschen sich eher überzeugen lassen, wenn der Grund zur Verhaltensänderung von ihnen ausgeht und sie das Vorhaben explizit aussprechen. Wenn hingegen ein Gesprächspartner Gründe für eine Veränderung vorgibt, werden diese weniger angenommen, was bisweilen in Reaktanz oder auch „Trotz-Reaktion“ enden kann [17]. Eine herablassende Kommunikationsweise, so legen unsere Ergebnisse nahe, kann dies noch verstärken.

Durch MI sollen Personen unterstützt werden, eigene Ressourcen zu entdecken. Dafür sollten abhaltende Gründe nicht verstärkt, Motive und bereits erreichte Erfolge gespiegelt und reflektiert werden. Der Arzt nimmt also eine partnerschaftliche sowie beratende Rolle ein. Er hilft den Patienten, eigene Beweggründe sowie abhaltende Gründe für eine Verhaltensänderung herauszuarbeiten [17]. Faktoren, die die Motivation erhöhen können, sind Einfühlungsvermögen, die Fähigkeit des aktiven Zuhörens und der konstruktive Umgang mit Widerständen [19]. Die individuellen Gründe für und gegen eine Gewichtsabnahme sollten mit dem Patienten besprochen werden, um ein persönliches Ziel zu definieren [2], denn dieses kann sehr individuell sein. So sagte etwa Frau Müller (28 Jahre):

Weil mich das so geärgert hat, dass ich in diese Achterbahn hineinwollte und die halt erleben wollte und es nicht konnte. Dass ich halt wieder aussteigen musste und an so einer Menschenmasse an der Schlange vorbeigehen musste, das war dann so erniedrigend, wo ich dann gesagt habe, das möchtest du nicht noch einmal.

Zugleich sind solche Motivationen und die Präferenzen nicht unendlich heterogen, sondern können typisiert werden. Den individuellen Fall hier einzuordnen, erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern auch viel Erfahrung. Unser „5-G-Ansatz“ in Bezug auf die Gewichtsreduktion soll hierfür eine Matrix liefern (Tab. 2). Wir gehen davon aus, dass dies eine Hilfestellung sein kann, die jeweils auch im situativen Kontext abgewandelt werden kann.

Tab. 2 Fünf Schritte zur praktischen Unterstützung von Personen mit hohem Körpergewicht

Ausgehend von einem Spektrum der Kommunikationspräferenzen und vielen Ursachen für hohes Körpergewicht liegt es nahe, die Beratung stärker als bisher einerseits strukturiert zu rahmen, aber innerhalb dieses Rahmens wiederum zu typisieren bzw. zu individualisieren. Es empfiehlt sich etwa, das Alter und die Lebensumstände des Patienten, wie z. B. die familiäre und berufliche Situation, zu berücksichtigen, statt sich pauschal am BMI zu orientieren. Auf diese Weise kann Überforderung von Patienten vermieden werden, die in Frustration oder Rückzug enden kann. Auch medizinisch kann es Gründe geben, die individuelle gesundheitliche, psychosoziale und familiäre Situation zu berücksichtigen. Entscheidend ist, dass der Patient sich wohlfühlt und eine Änderung des Lebensstils als wichtig, möglich und jetzt nötig erkennt [3]. Voraussetzung dafür ist eine gelungene Kommunikation über das Thema Körpergewicht, welche zudem dem Erfolg einer Gewichtsreduktion zuträglich sein kann [13].

Fazit für die Praxis

  • Kommunikationspräferenzen bezgl. des Körpergewichts sind individuell unterschiedlich. Verschiedene Ansprachen können typ- und situationsabhängig adäquat sein.

  • Entscheidend für gelungene Kommunikation sind die Art der Ansprache, die Gesprächssituation und die innere Einstellung des Arztes, weniger die konkrete Wortwahl.

  • Die Beratung sollte mit Berücksichtigung der gesundheitlichen, psychosozialen und familiären Situation zukünftig stärker individualisiert werden.

  • Zur Begleitung von Patienten mit Adipositas in der Praxis eignet sich das Konzept des „motivational interviewing“, welches auf die intrinsische Motivation zur Gewichtsabnahme, mögliche Widerstände und Ressourcen fokussiert.

  • Unser entwickeltes „5-G-Modell“ kann bei der Beratung als Hilfestellung dienen.