Einleitung

Die derzeitige Pandemie durch das SARS-CoV‑2 Virus, vormals 2019-CoV Wuhan, hält die Welt, die Gesundheitssysteme und auch die Gesundheitsämter (GÄ) hierzulande in Atem. In der Überlegung, was mit der Phase 3 auf uns als lokal zuständiges Gesundheitsamt zukommt, kam mir am 29.02.2020 die Idee, die ganze Sache vom Endpunkt her zu betrachten. Wenn die Einflussgrößen auf den Endpunkt, hier die Klinikaufnahme (Hospitalisation), klar würden, dann würde sich daraus auch ergeben, was flussaufwärts, das heißt jetzt, zu tun ist, in der Hoffnung, eine klare Sicht zu bewahren und die Komplexität deutlich reduzieren zu können. Dabei würden sich Variablen ergeben, die leichter zu beeinflussen sind als andere. Wegen der Bedeutung der Inhalte zögerte ich, diese unmittelbar zu publizieren. Allerdings ist ein Zurückhalten ebenso mit Gewissenkonflikten behaftet. Mit jedem Tag fällt aber der Neuigkeitswert dieser Analyse. Die Darstellungen hier können anderen Ämtern, der Ärzteschaft und Planern zugleich dienen, indem sie anhand des regionalen Beispiels den Sachverhalt illustrieren. Der Ansatz ist auf jedes Amt anwendbar.

Methode

Auf der Basis mehrerer Annahmen entwickelte der Autor ein Modell auf Excel Basis. Da nunmehr die erste pandemische Welle unmittelbar bevorsteht, fokussierte ich die Betrachtung auf diese erste Welle; bisher in der Annahme, dass die erste Welle bezüglich der Infektionsrate (attack rate, AR) die stärkste Welle würde. Tab. 1 fasst die Modellparameter zusammen. Die „herd immunity threshold“ (HIT) berechnet sich nach HIT = 1 − 1/R0 [3, 6]. R0 könnte im Verlauf der Pandemie eher noch etwas zunehmen. Bei allen Parametern wurde meist mit den ungünstigeren gerechnet, es sei denn, die Plastizität war gut abzubilden und geht aus den Tabellen hervor, wie zum Beispiel die AR und ihre Auswirkung auf n(stationär); n(stationär), das heißt die Absolutzahl stationär Behandlungspflichtiger (Hospitalisationen). Der errechnete Bedarf ergibt sich aus der AR und dem Verlauf der Erkrankung, die in eine AR(stationär) mündet. Diese kann dann mit der Anzahl der verfügbaren Betten unter bestimmten Annahmen verglichen werden. Vereinfacht errechnet sich die Anzahl bei einer hypothetisch gleichmäßigen Anflutung in 6 Monaten entsprechend der Excel Notation wie folgt:

$$\text{Stationaer versorgbare Patienten}=183(\text{Tage})/\text{Liegedauer}(\text{Tage})*\text{Bettenanzahl}$$
Tab. 1 Modellparameter

Bei einer Dauer der 1. Welle von 4 Monaten würde sich der Zähler auf 122/(Tage) reduzieren. Anhand der mit der AR(stationär) errechneten Anzahl kann ein SOLL-IST-Abgleich erfolgen.

In einem weiteren Schritt wird dann betrachtet, was in Anbetracht der Herausforderung zu tun ist und welche Stellgrößen verändert werden können. Meist liegen aber geschlossene Systeme vor, die nicht beliebig erweitert, sprich geöffnet werden können.

Die Annahmen von R0, der sogenannte Basisreproduktionskoeffizient in der Erreger-naiven Population, und Tg, der Generationszeit oder dem Serienintervall, der durchschnittliche Zeitabstand zwischen Ansteckung des einen und Ansteckung des nächsten, für das SARS-CoV2 sind genau gegenläufig zu Influenza. Influenza hat zwar nur ein R0 von 2–2,5, aber eine besonders kurze Tg von 3–4. Das SARS-CoV‑2 hat meines Erachtens eine R0 von 4–5 und eine Tg von 7–8. Read et al. bezifferten die R0 3,8 {3,6; 4,0}, das heißt mit einer 95 % Konfidenzintervall-Obergrenze von 4,0 [14]. Die in der Anfangsphase berechneten Werte von R0 ≤3 [7, 10] sind meines Erachtens nach eher Unterschätzungen. Nach der Formel von Roy Anderson [1, 2] Y = ∫ e(Ro−1)/Tg für eine 1. Pandemiewelle gleichen sich die Parameter für beide Erreger aus. Auch die mangelnde Eindämmung lässt durch die Formel θ × R0 > 1 ein höheres R0 vermuten. θ (Theta) ist hierbei die Fraktion der vor dem Symptomeintritt Infizierten [8]. Die Tg von SARS-CoV‑2 von 7–8 Tage ist doppelt so lange wie bei Influenza [12], und erlaubt so allerdings ein rechtzeitigeres Intervenieren mit Isolation oder sogenannten nicht-pharmazeutischen Interventionen (NPI) bei SARS-CoV‑2 im Vergleich zu Influenza. Dies für R0 und Tg vorausgesetzt, liegen in Sachen Extrapolation einer AR für eine 1. Welle gute Daten für Influenza bei Kindern unter 3 bzw. 5 Jahren aus Phase 3 Studien zu Grippeimpfstoffen und der AR im Kontrollarm von randomisierten Studien vor [5, 11, 18]. Teilnehmer an diesen Studien werden sehr engmaschig untersucht, was zu hochauflösende Daten führt. Die AR in solchen Studien lag bei 15–32 % und damit etwas höher als in Beobachtungsstudien. Für die Zwecke hier sollen aber gerade diese hochauflösenden Studiendaten herangezogen werden, um auch leichtere Infektionen mit abzubilden. Kinder unter 3 bzw. 5 Jahren sind weitgehend Influenza-naiv wie Erwachsene in einer Pandemie durch einen neuen Erreger.

Die AR bei saisonaler Influenza bei Erwachsenen liegt meist unter 5 % [11] und damit viel niedriger als bei SARS-CoV‑2 zu erwarten ist. Der gemeinsame Infektionsdruck, auf Kinder und Erwachsene zusammen, sollte bei SARS-CoV‑2 deutlich höher liegen als bei Influenza. Die AR mit 30 % festzulegen, sollte damit plausibel sein. Auch höhere und niedrigere Prozentsätze für die AR sind im Modell dargestellt.

Die pandemischen Phasen sind nach „detection/containment, protection und mitigation“ eingeteilt [17]. Der Autor verwendet aber für die Hauptphase „mitigation“ simultan auch den Begriff der Phase 3, denn Phase 3 spielt auch in der Organisationsentwicklung, in der Produktentwicklung und der damit verbundenen Managementherausforderungen eine besondere Rolle, nicht zuletzt aufgrund der damit verbundenen Komplexitätszunahme (VUCA).

Aufgrund der Lokalisation des Gesundheitsamtes des Autors im Kreis Plön, dem Landkreis östlich und nordöstlich von Kiel mit seinen westlichen Anteilen im Ballungsraum Kiel, werden sowohl die Betrachtungen anhand des Landkreises als auch der Metropolregion Kiel angestellt [19]. Die Bettenkapazitäten für den Kreis Plön umfassen das Kreiskrankenhaus mit 172 Planbetten (davon 12 Intensivbetten mit 5 Beatmungsplätzen) und die psychiatrische Klinik auf dem gleichen Campus mit 52 Planbetten (ohne Sauerstoffanschlüsse). In Kiel käme primär das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Betracht mit insgesamt 105 Intensivbetten; 60 davon werden in die Überlegungen hier einbezogen. Daneben gibt es noch weitere Kliniken im Stadtbereich, die aber in diese Betrachtung nicht einbezogen werden, denn diese wären vornehmlich für die Stadt Kiel und seine Einwohner zu verplanen. Für die Betten der Allgemeinstationen wird ein flexibler Zugang unterstellt. Die Betten aus dem Kreis Plön (Abb. 1) werden bei der Regionalbetrachtung auf die im UKSH angenommenen Betten hinzugerechnet (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

1. Welle über 6 Monate (183 Tage) im Kreis Plön

Abb. 2
figure 2

1. Welle über 6 Monate (183 Tage) im Kreis Plön und Stadt Kiel

Ergebnisse

Bei einem R0 von 4 bis 5 ergibt sich eine HIT von 75 % bzw. 80 % (Abb. 3). Das heißt, 75 bis 80 % der Bevölkerung würden durch das Virus infiziert, bevor der Erreger in den endemischen Zustand übertritt. Wie schnell das passieren wird ist offen, sollte aber mindestens 2 bis 3 Jahre in Anspruch nehmen. Die Art und die Qualität der Immunität, sprich die Langzeitimmunität, werden dann entscheidend werden. Wie viele Wellen und Wellen mit welcher AR es geben wird, ist momentan ebenfalls offen, bis ausreichend Daten vorliegen, die den einschlägigen Modellierungsspezialisten die Grundlage liefern. In den Gesundheitsämtern sind aber jetzt die Vorkehrungen auf die entscheidende Phase (mitigation) zu treffen.

Abb. 3
figure 3

Infektionsrate in der 1. Welle stratifiziert nach Kreis Plön und Stadt Kiel. (AR attack rate (Infektionsrate), HIT 75–80 % (herd immunity threshold))

Bei einer Bevölkerung von 130.000 für den Kreis Plön, einen Flächenkreis, und 230.000 für die Stadt Kiel, einen Ballungsraum, würde eine HIT von 80 % 104.000 bzw. zusammen 288.000 Infizierte bedeuten (Abb. 3). Bei einer AR (1. Welle) von 30 % ergäben sich 39.000 bzw. zusammen 108.000 Infizierte in einer 1. Welle, die 4 bis 6 Monate andauern könnte, je nach Verlangsamung durch Interventionen des Öffentlichen Gesundheitswesen und der Ministerien.

Aufgrund der populationsbezogenen Betrachtung über die AR wird die AR(stationär) deutlich niedriger ausfallen als in den bisher betrachteten und publizierten Kohorten [4, 9], denn diese unterliegen aufgrund ihrer Generierung einem ascertainment bias mit einer konsekutiven Überschätzung des populations-bezogenen Schweregrades. Die absoluten Zahlen steigen aber an, da der Nenner größer wird. Auch wenn momentan meines Wissens nach aus den Vorreitergebieten keine populations-bezogenen Daten vorliegen, ist das Modell dahingehend plastisch, da die verschieden Prozentsätze der AR(stationär) und der damit verbundenen n(stationär) mit den Bettenzahlen in der gelb unterlegten Matrix verglichen werden können (Abb. 1 und 2). Bei der Annahme einer zweifachen Überschätzung in den Kohorten würde die AR(stationär) unter 10 % liegen, so dass 10 % ein worst case scenario darstellt. Eine AR(stationär) von 10 % wäre mit den Kapazitäten im Kreis Plön alleinig schwer darstellbar; eine AR(stationär) von unter 5 % rückte aber sehr wohl in das Machbare (Abb. 1). Bei dem erweiterten Blick auf die Region wären 10 % in greifbarer Nähe, und 5 % könnten sehr gut abgebildet werden. Da der Kreis Plön populations-bezogen einen besonders niedrigen Anteil an Intensivbetten hat, ist hier die regionale Betrachtung nochmals wichtiger. Auch wenn durch die populations-bezogene Betrachtung eine AR(intensiv) von 3 % unwahrscheinlich ist, wäre diese für den Kreis Plön nicht abbildbar. Für den Kreis Plön ließen sich maximal unrealistisch kurze Liegezeiten auf der Intensivstation darstellen. Allerdings kommt eine AR(intensiv) von 1 % in den Bereich des Machbaren. Nochmals leichter zu bewältigen ist die Herausforderung im intensivmedizinischen Bereich in der Regionalbetrachtung inklusive Kiel. Selbst eine AR(intensiv) von 3 % scheint dann aussichtsreich umsetzbar.

Nochmals zu betonen sind hier die vereinfachten Annahmen des Modells. Insbesondere die Kinetik der Anflutung stationär bzw. intensivmedizinisch Behandlungsbedürftiger kann nicht abgebildet werden und bliebe weiterhin die besonders heikle Komponente.

Diskussion

„All models are wrong, but they are helpful“. Unter dieser Devise wage ich diese Publikation. Denn auch wenn die absoluten Zahlen in den Tabellen sicherlich nicht stimmen werden, da die bisherigen epidemiologischen Daten lückenhaft sind, und zudem das Modell nicht dynamisch, sondern statisch ist, zeigen die Überlegungen doch, auf was es in der jetzt anstehenden Phase („mitigation“), der alles entscheidenden Phase, ankommen wird. Obwohl diese Art Überlegungen in allen Pandemieplänen thematisiert werden, hoffe ich dennoch, dass es zu keinen Verwerfungen mit der Leserschaft kommt.

Eine Komplexitätsreduktion, sprich Vereinfachung, tut not, um mit der Komplexität der Phase 3 umgehen zu können (VUCA Prinzip). Phase 3 meint hier ausdrücklich nicht die Phasen der Pandemie, sondern Managementprinzipien. Interessanterweise treffen aber beide Herausforderungen zusammen, denn die „mitigation“ Phase ist an sich die 3. Phase einer Pandemie, nach detection/containment (Phase 1) und „protection“ (Phase 2). So bezeichnet man als „Phase 3 habit“ im Management die grundsätzliche Einstellung in der Zusammenarbeit, dass jeder seinen Job so verrichtet, damit der andere optimal weiterarbeiten kann und gleichzeitig jeder Verantwortung für das Ganze mitübernimmt. Schnelles Denken ist gefragt.

Wenn man durch die Endpunktbetrachtung verstanden hat, worauf es ankommt, kann man fokussierter und geordneter die anstehenden Aufgaben angehen und Entscheidungen treffen, die flussaufwärts jetzt unmittelbar notwendig sind oder zeitnah notwendig werden. Auch wenn die GÄ von Entspannung weiter weg sind denn je, kann oder sollte diese Betrachtung hilfreich sein, u. a. auch um sich nicht in Nebenschauplätze zu verzetteln.

Die verschiedenen Einflussgrößen auf die Anzahl stationär Behandlungsbedürftiger n(stationär), die verfügbaren Betten und die Organisation werden entsprechend Tab. 2 untergliedert.

Tab. 2 Anzahl an stationär Behandlungsbedürftigen, verfügbare Bettenzahl und Organisation

Anzahl stationär Behandlungsbedürftiger n(stationär)

Die n(stationär) hängt ab von der AR(total), der AR(stationär), der AR(intensiv) und der Anflutungsgeschwindigkeit. Die AR(total) wurde aus Erkenntnissen der AR(Influenza) im Kontrollarm großer Wirksamkeitsstudien zu Grippe-Impfstoffen bei Kindern unter 3 bzw. 5 Jahren in einer Grippesaison extrapoliert. Kinder unter 3 bzw. 5 Jahren sind weitgehend Influenza-naiv, so dass es sich bei den meisten um sogenannte Primärinfektionen handelt wie bei der Gesamtpopulation in einer Pandemie mit einem neuen Erreger. Ob die unterschiedliche Ausprägung der Parameter R0 und Tg für beide Erreger bei einer späteren Modellierung zu einer unterschiedlichen Anflutungskinetik führt, muss offen bleiben. Noch dazu ist das abhängig von den Gegenmaßnahmen. Wie oben erwähnt erlaubt die längere Tg für SARS-CoV2 mehr Zeit für den Beginn von Interventionsmaßnamen. Die große Unbekannte „θ“ für den neuen Erreger soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, aber auch hier könnten sich die Effekte zwischen Influenza und SARS-CoV2 aneinander annähern [1, 8].

Die Anflutungsgeschwindigkeit stationärer Aufnahmen kann zurzeit nur durch sogenannte nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) beeinflusst bzw. abgebremst werden: Schließungen von Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen oder Absagen/Untersagen von Großveranstaltungen (§ 28 IfSG), Quarantäne und Isolation (§ 30 IfSG), Tätigkeitsverbote (nach § 31 IfSG), Reisewarnungen und Appelle zur Kontaktreduktion. Zuständig diesbezüglich sind die Gesundheitsämter (GÄ) und die Landesministerien und in Sachen Veranstaltungsabsagen die jeweiligen Organisatoren. Die Anflutungsgeschwindigkeit unterliegt dem R0, der Generationszeit (Tg) oder auch Serienintervall und der Zunahme der sukzessiv Immunen nach überstandener Infektion [1, 2].

Ein besonders wichtiger Stakeholder in der anstehenden Phase, wie auch in den zurückliegenden Phasen, werden die niedergelassenen Ärzte (NÄ) sein, denn in der „mitigation Phase“ steigt bei flächendeckender Übertragung („community transmisson“) der positive Vorhersagewert für klinische Diagnose einer Coronavirusinfektion rasch an. In der jetzt anstehenden Phase sollte es selbstverständlich sein, dass die Tatsache, positiv getestet worden zu sein, alleine kein hinreichender Grund für eine Hospitalisierung ist. Die jüngste Änderung im Flussdiagramm des Robert Koch-Institut vom 05.03.2020 bildet das nunmehr auch so ab [15]. Des Weiteren wird eine vorherige häusliche Testung via Abstrich zunehmend unnötig, denn die Maßnahmen richten sich dann am klinischen Zustand des Patienten aus. Die Indikationsstellung zur Klinikeinweisung ist allerdings subjektiven Einflüssen unterworfen und sollte bei Knappheit an verfügbaren Betten entsprechend streng ausgelegt werden. Der Hausarzt kennt seinen Patienten und seine Lebensumstände am besten, so dass er, zusammen mit der Untersuchung im Rahmen eines Hausbesuches, die Indikation zur Einweisung am besten stellen kann. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass er selbst zur Untersuchung der Kernparameter Abstand zum Patienten halten kann, denn das Messen der Atemfrequenz, das Beobachten interkostaler Einziehungen und die Gesichts- bzw. Lippenfarbe, Frage Zyanose, sind die wichtigsten Prädiktoren für den Schweregrad des klinischen Zustandes; ergänzt durch ein tragbares Pulsoximeter wäre das perfekt. Das am Rande der Diskussion um die Verfügbarkeit von persönlicher Schutzausrüstung (PSA). Für NÄ, die die Indikation zu weit stellen, wäre es denkbar den Rettungsdienst samt Notarzt oder die Notaufnahme der Kliniken als „gate keeper“ zu instruieren. Sollte eine Priorisierung im Sinne einer Triage notwendig werden, ist dazu ein DSMB-ähnliches Gremium oder eine Ethikkommission zu empfehlen. DSMB steht für data safety manegement board, wie es in klinischen Studien als unabhängiges Gremium fortlaufend zum Monitorieren der Daten einer Studie eingesetzt wird.

Verfügbare Betten

Da die Kliniken in der Wintersaison durch andere Atemwegsinfektionen, allen voran der Influenza, noch gut ausgelastet sind, wird die Entscheidung zum Übertritt in den Pandemiemodus erschwert. Der Pandemiemodus bedeutet, elektive Einweisungen bzw. stationäre Aufnahmen abzusagen und die Betten für Patienten der Pandemie vorzuhalten bzw. zu verwenden. Die meisten Systeme sind geschlossen und können nur unter großen Mühen geöffnet werden. So wäre zum Beispiel die Erweiterung der Bettenkapazitäten durch Umfunktionieren stillgelegter Strukturen wie der alten Universitätskinderklinik in Kiel mit ca. 100 Betten und ca. 15 Intensivbetten zwar eine theoretische Option, aber in Anbetracht des Personalmangels eher fraglich. Dennoch sollten aber solche Konzepte nicht a priori verworfen werden. Dass Deutschland zusätzliche Kliniken bauen und mit Personal bestücken kann wie in Wuhan, ist noch weniger vorstellbar. Allerdings sollte jetzt unmittelbar ein regionaler und ggf. auch ein Schleswig-Holstein-weiter Bettenkoordinator berufen werden, denn der regionale Ansatz wie hier modelliert, ist auch im Pandemieplan SH2.0 so vorgesehen [13].

Das Pflegepersonal, aber auch die Ärzteschaft, zusammen hier als HCW (health care workers) abgekürzt, unterliegen ebenso dem Infektionsdruck, sowohl in der Freizeit, als insbesondere auch in ihrer Tätigkeit. Um in Sachen Manpower die Kliniken funktionstüchtig zu halten, wurde jüngst (am 05.03.2020) eine sogenannte Kategorie III an begründeten Verdachtsfällen eingeführt, die es erlaubt, HCW (Kontakte), die bei einer Exposition bei einem Coronavirus-infizierten Patienten durch PSA geschützt waren nicht automatisch ein Tätigkeitsverbot zu verordnen, sondern unter den Kautelen, wie vom Robert Koch-Institut vorgeschlagen, weiterarbeiten zu lassen [16]. Da die Infektionskrankheit durch das SARS-CoV2 ansonsten bei den meisten gesunden und jüngeren Mitarbeitern überwiegend blande verläuft, könnte man sich im worst case bei zeitgleicher Exposition und Infektion einer großen Anzahl an HCW auch vorstellen, diese eben auf der Coronavirus-spezifischen Station einzusetzen, auch wenn sie das Virus noch ausscheiden. Eine klare Trennung müsste dann zwischen dem infizierten und nicht-infizierten Personal erfolgen. Bevor aber die Kliniken betriebsunfähig werden, sollte das im Stadium einer intensiven „community transmission“ überlegt werden.

Da HCW aber oft zugleich Eltern kleinerer Kinder oder Schulkinder sind, würden NPI durch Schließung von KITAs und Schulen HCW und schließlich die Anzahl betreibbarer Betten reduzieren. Aber auch eine Nichtschließung würde negative Auswirkungen auf die verfügbaren HCW haben, denn die community transmission würde angekurbelt werden. Deshalb gilt es schon jetzt, back-up Konzepte in seinem individuellen Umfeld zu planen, wie zum Beispiel eine Kinderbetreuung durch Großeltern oder bei Mangel an Großfamilien die klassische Renaissance der Nachbarschaftshilfe und ähnliche Ideen.

Um die Bettenkapazität aufrecht erhalten zu können, sollte die Liegedauer in den Akutklinken limitiert und Patienten, sobald als sie stabilisiert sind, in nachgeordnete Strukturen, wie zum Beispiel Kliniken mit weniger akutem Patientengut, verlegt werden (Patientenabfluss-Konzepte). Die Lokalstrukturen sind dabei maßgeblich. Eine besondere Herausforderung sind Patienten, bei denen von vorne herein mit einer überlangen Liegedauer aufgrund von hohem Alter und Komorbiditäten zu rechnen ist. Sie können durch Zufallsereignisse insbesondere in der kritischen Anfangsphase des logarithmischen Anstiegs von n(stationär), das System in Bedrängnis bringen.

Organisation

Bei einer Pandemie werden alle Systeme bis an ihre Grenzen gebracht, sowohl das Gesundheitssystem als auch Wirtschaft und Finanzen. In der stationären Versorgung innerhalb der „mitigation“ Phase sind die besonders kritischen Punkte Zufallsereignisse wie Ausbrüche in Altenpflegeheimen, die zu einer Füllung der Kliniken mit Langliegern zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt führen könnten, und dann die Anflutungskinetik an stationär Versorgungsbedürftigen an sich. Gerade um hier ein Systemversagen möglichst abzuwenden, wird ein Bettenkoordinator dringend gebraucht. Die Fragestellungen rund um die Versorgung sind komplex, von HCW Management, über verfügbare PSA bis hin zu anderen Medizinprodukten und Medikamenten. Die Krankenhaushygiene und die klinische Infektiologie inklusive das „antibiotic stewardship“ werden im ganz besonderen Maße gefordert werden. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass die meisten in der Betrachtung stehenden Systeme geschlossene Systeme sind und Änderungen an einer Variablen Folgewirkungen auf andere Variablen haben.

Wie Prof. C. Drosten am 27.02.2020 in der Diskussion bei Maybrit Illner anmerkte, ist jetzt nicht die Zeit, sich zu zerfleischen oder einander zu tadeln, sondern zusammenzustehen und hilfreiche Konzepte nach vorne zu bringen. Ich hoffe, das ist mir mit dieser Arbeit gelungen, obwohl der Grad ausgesprochen schmal ist. Ich hoffe, das Überstehen der sogenannten Russischen Grippe 1889/1890, dem ebenfalls eine Coronavirus zugrunde lag, gibt uns Zuversicht, die anstehenden Aufgaben zu schaffen, so wie dies auch durch unsere Vorfahren vor 130 Jahren geschehen ist.

Noch ein Wort an eventuelle Kritiker: Ist es schlechter, es publiziert zu haben, und es war Schrott, inklusive dem damit verbundenen Shitstorm, oder ist es schlechter, es nicht publiziert zu haben und es hätte vielen helfen können?

Lassen Sie uns alle zusammenstehen, denn „es kommt auf jeden an“.

Fazit für die Praxis

  • Die Betrachtung vom Endpunkt „stationäre Aufnahme“ aus, ermöglicht eine deutliche Komplexitätsreduktion und ist hilfreich für Gesundheitsämter, niedergelassene Ärzte und insbesondere Krankenhäuser und Rettungsdienst.

  • Die Versorgung ist möglichst regional zu betrachten und ein Bettenkoordinator ist dazu zu etablieren. Die Bettenzahl, insbesondere Intensivbettenzahl, ist die kritische Größe, die durch die Anflutungsgeschwindigkeit bedroht ist.

  • In der anstehenden Phase 3 – „mitigation“ wird es auf die klassischen ärztlichen Tätigkeiten und die klinische Diagnose sowohl bei den niedergelassenen Ärzten als auch den Kliniken ankommen. Der ärztlich Ethos ist gefragt und eine proaktive, Phase 3 Arbeitseinstellung im Schulterschluss aller ist die einzige Chance, die wir haben.