Hintergrund

Österreich hat mit 4,9 ÄrztInnen pro 1000 EinwohnerInnen im Vergleich mit dem EU-15-Schnitt von 3,7 eine hohe ÄrztInnendichte. Die Gesamtzahl der ÄrztInnen ist von 1970 bis 2012 von 12.438 auf 41.268 stark gestiegen [9]. In diesem Zeitraum ist auch die Lebenserwartung stark angestiegen und die Bevölkerung, v. a. der Anteil der älteren Personen, gewachsen. Nimmt man diese (fiktive) demographische Entwicklung als Berechnungsbasis, ergibt sich eine notwenige Steigerung der ÄrztInnenzahlen um 28 % [9]. Auch das Bundesministerium für Gesundheit schätzt, dass der Bedarf an AllgemeinmedizinerInnen bis 2030 um 22 % ansteigen wird [2]. Nur ein Bruchteil der Ärzte und Ärztinnen in Österreich ist in der Allgemeinmedizin, als niedergelassener Arzt, niedergelassene Ärztin mit Kassenvertrag tätig. Österreichweit gab es davon im Jahr 2005 3786 und im Jahr 2015 4005. Dies bedeutet eine Steigerung von lediglich 0,7 % in diesem Zeitraum [5]. Bezieht man nun mit ein, dass 2016 bereits mehr als die Hälfte aller ÄrztInnen in Österreich über 50 Jahre alt waren [19], ist es naheliegend, dass die flächendeckende Versorgung durch AllgemeinmedizinerInnen in Zukunft eine Herausforderung darstellen wird [10]. Ein weiterer Aspekt des „Ärztemangels“ besteht darin, dass junge ÄrztInnen sich heute nur mehr wenig für eine Niederlassung im ländlichen Raum begeistern können [16]. Somit sind ländliche Gegenden noch stärker als städtische bedroht, die allgemeinmedizinische Versorgung in Zukunft nicht mehr leisten zu können. Dieses Problem betrifft jedoch nicht nur Österreich, auch Deutschland und die Schweiz haben mit ÄrztInnen- und LandärztInnenmangel zu kämpfen [3, 18]. Eine Studie von Voigt et al. zeigt, dass die Tendenz zur Urbanisierung für Studierende mit Berufswusch Facharzt und Allgemeinmedizin gleichermaßen gilt, wobei Studierende, die in dörflichen Strukturen sozialisiert sind, sich signifikant häufiger vorstellen können, wieder auf dem Land zu leben als städtisch sozialisierte [21]. Dies bestätigt auch ein Review internationaler Studien von Laven und Wilkinson [11], die auch wie Gaski und Abelsen [4] einen positiven Einfluss von Ausbildungszeiten, die auf dem Land absolviert werden, feststellten. Befragungen mit bereits im Beruf befindlichen ÄrztInnen zeigten auf, dass lange und ungeregelte Arbeitszeiten sowie verhältnismäßig bescheidene Einkunftsmöglichkeiten für AllgemeinmedizinerInnen generell ein Problem darstellen [7] und eine schlechte Infrastruktur und mangelnde Vorbereitung durch die Ausbildung [16, 20] die Niederlassung speziell auf dem Land unattraktiv machen. Auch die Fachärztedichte ist im städtischen Raum fast doppelt so hoch als im ländlichen [6]. Deutschland, die Schweiz und Österreich handhaben die Ausbildung der AllgemeinmedizinerInnen unterschiedlich. In Deutschland gibt es eine Facharztausbildung für AllgemeinmedizinerInnen. In Österreich gibt es nach dem regulären Spitalsturnus eine 6‑monatige Lehrpraxisphase in einer allgemeinmedizinischen Praxis. In der Schweiz gibt es AllgemeinmedizinerInnen mit und ohne Facharztausbildung; die Eröffnung einer Praxis ist mit dem Weiterbildungstitel „Praktischer Arzt/Praktische Ärztin“ möglich. Der FachärztInnentitel „Allgemeine Innere Medizin“ kann zusätzlich erworben werden [1, 13, 18]. In Österreich wurde im August 2018 der „Masterplan Allgemeinmedizin“ vorgestellt [15]. Ein Maßnahmenkatalog, der Verbesserungen in folgenden Bereichen vorsieht, um die Attraktivität der Allgemeinmedizin zu erhöhen: (1) universitäre Ausbildung (2) Fachausbildung (3) Niederlassung (4) niedergelassene Tätigkeit (5) strukturelle Aufwertung (6) ökonomische Wertschätzung. Es gibt keine publizierten Daten, welche die Einstellung von österreichischen Studierenden zu diesen Themen behandeln. Unsere Studie fokussiert auf Faktoren, welche bei Medizinstudierenden mit der Entscheidung für oder gegen eine Laufbahn als AllgemeinmedizinerIn oder für oder gegen eine Niederlassung auf dem Land assoziiert sind. Spezielle Aufmerksamkeit widmeten wir er universitären Ausbildung.

Ziel der Studie

Mit der Befragung wollen wir Einstellungen und Faktoren identifizieren, welche die Wahl der Allgemeinmedizin als Berufsfeld sowie die Niederlassung im städtischen oder ländlichen Raum beeinflussen. Zudem interessierte uns, welche Möglichkeiten die Studierenden selbst sehen, die Attraktivität der Allgemeinmedizin (im städtischen und ländlichen Raum) zu steigern und wie Aspekte der universitären Ausbildung von den Studierenden bewertet werden.

Methode

Stichprobe

Studierende der Medizinischen Universität Wien im 5. und 6. Studienjahr wurden zur Teilnahme an der Online-Befragung eingeladen. 89 aktive Studierende (51,2 % männlich) nahmen an der Umfrage teil. Dies entspricht einem Rücklauf von ca. 5 % aller kontaktierten Studierenden (n = 1819) des 5. und 6. Studienjahres. Diese wurden als relevant angenommen, da sie unmittelbar vor der Berufswahl stehen, einen großen Teil der Ausbildung bereits durchlaufen haben und diese daher inhaltlich beurteilen können. 57,3 % der TeilnehmerInnen geben an, auf dem Land aufgewachsen zu sein oder längere Zeit ihres Lebens auf dem Land gelebt zu haben.

Datensammlung

Die Befragung erfolgte über das Online-Evaluationstool der Medizinischen Universität Wien. Die Studierenden des gewählten Abschnitts erhielten den Link zur Studie automatisiert per E‑Mail. Der Fragebogen war vom 06. Juni 2018 bis zum 22. Juli 2018 zugänglich. Das Ausfüllen des Fragebogens dauerte etwa 5 min. Die Studie wurde durch die inneruniversitäre Datenschutzkommission und die Clearingstelle der Medizinischen Universität Wien befürwortet.

Instrument und Fragebogen

Der Fragebogen enthält – aus der Literatur [14, 20, 22] abgeleitete – Inhalte aus folgenden Bereichen: persönliche Zukunftsplanung, Arbeitszeit, Einkommen, Leben auf den Land vs. Leben in der Stadt, allgemeine Einstellungen zu Allgemeinmedizin, Einstellungen zur Allgemeinmedizin speziell auf dem Land und ausbildungsspezifische Aspekte der Allgemeinmedizin. Verschiedene Aspekte wurden zur Bewertung aufgelistet. Die Antwortmöglichkeiten reichten von 0 „ich stimme gar nicht zu“ bis 4 „ich stimme voll zu“.

Statistische Auswertung

Die Auswertung erfolgte mit SPSS 24.0.0.0. Deskriptive Auswertungen zur kumulierten Darstellung der Einstellungen durch Mittelwertvergleiche, Häufigkeitsunterschiede mittels χ2-Tests und eine qualitative Auswertung der Fragen mit offenem Antwortformat mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse wurden durchgeführt.

Ergebnisse

Berufsziele

Die teilnehmenden Studierenden streben für ihre berufliche Zukunft folgende Laufbahnen an: 9,7 % AllgemeinmedizinerIn (selbstständig), 6,1 % AllgemeinmedizinerIn (angestellt), 23,0 % FachärztIn (selbstständig), 30,6 % FachärztIn (angestellt), 15,8 % universitäre Laufbahn, 11,7 % Ausbildung oder berufliche Laufbahn im Ausland, 3,1 % Sonstiges (u. a. Pharmaindustrie, öffentlicher Dienst, Public Health).

Landleben vs. Stadtleben

Ein Leben auf dem Land, in dörflicher Umgebung (bis 5000 EinwohnerInnen) bevorzugen 20,7 % der TeilnehmerInnen, etwa ein Drittel (30,5 %) bevorzugen ein Leben in einer Kleinstadt bis 100.000 EinwohnerInnen, fast die Hälfte (48,8 %) würden grundsätzlich lieber in einer Großstadt (ab 100.000 EinwohnerInnen) leben. Wobei Personen, die angeben, selbst auf dem Land gelebt zu haben, häufiger ein Leben im Dorf bevorzugen (χ2(1) = 18.721; p < 0,05). Der Aussage, dass das Landleben für Familien Vorteile bietet, stimmen 80 % der Studierenden zu, ein Drittel (32,1 %) denkt, dass sich auf dem Land keine geeigneten Ausbildungsstätten für Kinder finden, in einer Dorfgemeinschaft eingebunden zu leben möchten hingegen nur 28,1 %. Eine städtische Infrastruktur ist für zwei Drittel der Befragten (61,7 %) unverzichtbar. Etwa die Hälfte der TeilnehmerInnen (46,8 %) geben an ihr/e PartnerIn würde keinen geeigneten Arbeitsplatz auf dem Land finden.

Einkommen und Arbeitszeit

Für eine Vollzeittätigkeit als ÄrztIn empfinden die TeilnehmerInnen ein Nettoeinkommen um die 5000–8000 € als angemessen. Abb. 1 zeigt die Verteilung der Antworten in Bezug auf das Einkommen. Etwa 60 % der TeilnehmerInnen geben an, dass AllgemeinmedizinerInnen, auf dem Land und in der Stadt zu wenig verdienen. Die Hälfte der Studierenden (50,6 %) geben an, dass eine deutlich bessere Bezahlung sie zur Eröffnung/Übernahme einer Landarztpraxis motivieren könnte.

Abb. 1
figure 1

Angemessenes Nettoeinkommen als ÄrztIn in Euro (Antwortverteilung in %)

Die Studierenden schätzen die Arbeitszeit in der Allgemeinmedizin auf dem Land höher ein als in der Stadt. Abb. 2 zeigt die Verteilung der Antworten in Bezug auf die Wochenstunden.

Abb. 2
figure 2

Geschätzte Wochenstunden in der Allgemeinmedizin (Antwortverteilung in %)

Beurteilung verschiedener Aspekte der Allgemeinmedizin

Die Allgemeinmedizin gilt als interessantes Arbeitsfeld, welches besonders auf dem Land mit großer Verantwortung einhergeht. Diese wird nicht grundsätzlich als überfordernd eingeschätzt. Besonders schlecht hingegen wird die Reputation der Allgemeinmedizin innerhalb der ÄrztInnenschaft bewertet. Abb. 3 zeigt die Mittelwerte der Antworten zur Allgemeinmedizin.

Abb. 3
figure 3

Mittelwerte (MW), Zustimmung/Ablehnung verschiedener Aspekte der Allgemeinmedizin

Gemeinschafts- oder Gruppenpraxen

Der Wunsch eine Praxis gemeinsam mit weiteren Personen zu eröffnen ist stark ausgeprägt. Dabei ist die Praxis gemeinsam mit anderen ÄrztInnen ebenso eine beliebte Option wie Praxisgemeinschaften mit PartnerInnen aus anderen Gesundheitsberufen. Etwa 60 % der Studierenden stimmen der Aussage zu eine allgemeinmedizinische Praxis nur in Gruppen- oder Gemeinschaftsform eröffnen zu wollen. Die Zustimmung dazu ist bei Frauen noch höher als bei Männern, jedoch sind die dargestellten Geschlechterunterschiede nicht signifikant (p > 0,05; Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Tendenz zu Gemeinschafts- oder Gruppenpraxen im städtischen oder ländlichen Raum, getrennt nach Geschlecht

Aspekte der Ausbildung

Über 80 % der teilnehmenden Studierenden halten eine stärkere Einbindung des Fachs „Allgemeinmedizin“ für notwendig. Abb. 5 zeigt die Zustimmung/Ablehnung zu verschiedenen Ausbildungsaspekten.

Abb. 5
figure 5

Mittelwerte (MW), Zustimmung/Ablehnung zu verschiedenen Ausbildungsaspekten

Große Zustimmung erhalten die vermehrte Bereitstellung von Lehrpraxen im ländlichen Raum, um sich mit der Tätigkeit des Landarztes/der Landärztin besser vertraut machen zu können sowie spezielle Angebote, die es den Studierenden ermöglichen, grundsätzlich mit ÄrztInnen auf dem Land in Kontakt zu kommen. Eher ablehnend stehen die TeilnehmerInnen Konzepten gegenüber, die verpflichtende Praxisjahre auf dem Land mit geänderten Zulassungsmodalitäten in Zusammenhang bringen. Abb. 6 zeigt die Antworten im Detail.

Abb. 6
figure 6

Mittelwerte (MW), Zustimmung/Ablehnung zu speziellen Ausbildungsaspekten

Kommentare und Anregungen der Studierenden

Im Anschluss an den quantitativen Teil der Befragung hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Kommentare zu den Bereichen Ausbildung, Niederlassung im ländlichen Raum und auch allgemeine Kommentare zu formulieren. Die Anzahl der Kommentare in den jeweiligen Kategorien sind in den Abb. 7 und 8 zu sehen.

Abb. 7
figure 7

Kategorien der Studierendenkommentare zum Thema Ausbildung und Anzahl der Nennungen

Abb. 8
figure 8

Kategorien der Studierendenkommentare zum Thema Niederlassung auf dem Land und Anzahl der Nennungen

Kategorien zum Thema Ausbildung

Die Kategorie (1) „Reguläre Ausbildung und Wahlfach“ inkludiert alle Kommentare, welche die verstärkte Einbindung des Themas Allgemeinmedizin in die reguläre Ausbildung oder ein vermehrtes Wahlfachangebot fordern. (2) „Praktikum/Famulatur“ beinhaltet alle Kommentare, welche ein verstärktes Angebot von Praktika oder Famulaturen in Allgemeinmedizinischen Praxen fordert oder auch verpflichtende Famulaturen oder Praktika in diesem Bereich. (3) „Ein eigenes Ausbildungstertial in der klinisch-praktischen Ausbildung“ wurden ebenfalls vorgeschlagen sowie eine (4) „Facharztausbildung zur Erhöhung der Beliebtheit“. (5) „Spezielle Zusatzangebote“ wie Kurse zu rechtlichen oder organisatorischen Inhalten aber auch rein informelle Angebote wie „Erfahrungsberichte“ über die allgemeinmedizinische Tätigkeit fallen in diese Kategorie. Kommentare zur (6) „Reputation, Anerkennung oder Respekt der Allgemeinmedizin innerhalb der ÄrztInnenschaft“ wurden zusammengefasst.

Kategorien zum Thema Niederlassung auf dem Land

Die Kategorie (1) „Bezahlung“ enthält alle Kommentare, welche eine vermehrte Bereitschaft zur Niederlassung auf dem Land durch bessere/gute Bezahlung suggerieren. (2) „Annehmlichkeiten“ inkludiert alle nicht finanziellen Leistungen. die die Bereitschaft zur Niederlassung auf dem Land erhöhen könnten wie z. B. zur Verfügung gestellter Wohnraum oder Praxisräume, Sekräter/in, Assistentin, Chauffeur usw. (3) „Infrastruktur“ beinhaltet die erwarteten Gegebenheiten in der Gemeinde wie etwa Sportverein, kulturelle Angebote oder Schulen ebenso wie medizinische Infrastruktur wie naheliegende Spitäler oder Fachärzte sowie die Verkehrsanbindung und Entfernung zur nächsten größeren Stadt. In der Kategorie (4) „Gemeinschaft/Gemeinschaftspraxis“ sind alle Kommentare subsummiert, welche eine vermehrte Bereitschaft zur Niederlassung auf dem Land in Verbindung mit Gruppenpraxen, Gemeinschaftspraxen oder Primärversorgungzentren nahelegen. (5) „Arbeitszeit“ inkludiert alle Kommentare zu verkürzter oder gut geregelter Arbeitszeit oder guter Work-Life-Balance. (6) Die Kategorie „Sonstiges“ umfasst alle Kommentare, die nur einmalig genannt wurden. Beispielhaft seien familiäre Gründe oder Partnerschaft genannt.

Reputation der Allgemeinmedizin

Eine Kategorie, die sich aus den freien Kommentaren herauskristallisierte, befasst sich mit Aussagen, die das Image, das Ansehen oder den Respekt für die Allgemeinmedizin innerhalb der ÄrztInnenschaft thematisiert. Exemplarisch werden hier einige zitiert.

Eine Person hat besonders die Zusammenarbeit mit FachärztInnen als problematisch antizipiert.

(…) dass ich nicht von Fachärzten ausgelacht werde, wenn ich einen Patienten mit einer Verdachtsdiagnose schicke, die sich dann als falsch herausstellt. Man kann sich in Allgemeinmedizin nicht in jedem Fach auskennen. Außerdem würde ich mir mehr Ansehen von Fachärzten wünschen

Weitere Personen haben dies in Zusammenhang mit der Ausbildung stehend wahrgenommen.

(….) Zudem wissen auch alle Fachärzte anderer Richtungen um die Ausbildungsqualität des Allgemeinmediziners und man erntet keinerlei Respekt für die Verantwortung die man in der Praxis trägt.

Die Haltung vieler Ärzte im (Krankenhaus) gegenüber Allgemeinmedizinern/Hausärzten, insbesondere Landärzten, ist häufig sehr missbilligend, abwertend und spöttisch. Ich hatte viele Seminare und sonstige LVs, in denen wir darauf hingewiesen wurden, dass ausschließlich klinische Medizin in einem wissenschaftlichen Umfeld, echte Medizin ist. Man wird jahrelang darauf gedrillt, dass man nie etwas erreichen wird in der Medizin, wenn man nicht forscht und publiziert. Oft wurde es so dargestellt, als wären Landärzte die schlechteren Mediziner. DAS MUSS SICH DRINGEND ÄNDERN!!!

Auch eine grundsätzliche Missachtung der Bedeutsamkeit der Allgemeinmedizin für das Gesundheitswesen wurde rückgemeldet.

Ich denke, die Allgemeinmedizin hat viel zu bieten und wird aber momentan bzw. zu lange als Stiefkind der Medizin behandelt. Dabei bietet sie wahnsinnig große Möglichkeiten, Geld und Arbeit im restlichen vor allem sekundären und tertiären Gesundheitssektor einzusparen

Neue Ansätze

Aber auch ein gänzliches Umdenken in der Frage des MedizinerInnenbedarfs auf dem Land wird angeregt.

(…) es sollten andere Ansätze gesucht werden, um das eigentlich Ziel, die PatientInnenversorgung, sicherzustellen und nicht den Beruf des Landarztes.

Diskussion

Nur etwa 15 % der TeilnehmerInnen nennen die Allgemeinmedizin als bevorzugtes Tätigkeitsfeld. Die antizipierte, zu geringe Bezahlung scheint dabei eine gewisse Rolle zu spielen. Das tatsächliche Einkommen von MedizinerInnen in verschiedenen Fachrichtungen ist nicht genauer eruierbar. Nicht überprüfbaren Internetquellen zufolge liegt das Einkommen von AllgemeinmedizinerInnen bei 3500 € netto pro Monat (14-mal jährlich), das von FachärztInnen bei 5500 € netto 14-mal jährlich [14]. Um das gewünschte Nettoeinkommen von 5000 € (aufwärts) pro Monat mit einer allgemeinmedizinischen Kassenordination zu erwirtschaften, sollten laut einer von den Autoren durchgeführten Modellrechnung etwa 10 PatientInnen/h (bei 20 h Wochensprechzeit) behandelt werden. Eine starke Praxisauslastung sollte also gegeben sein. Der finanzielle Erfolg unterliegt aber zahllosen Aspekten wie etwa der Konkurrenzsituation, der Anzahl der PrivatpatientInnen und dem unternehmerischen Talent der jeweiligen Person [20]. Grundsätzlich scheint die gewünschte Summe jedoch im Bereich des Möglichen zu liegen. Ob sich das Einkommen nur über Kassenleistungen (höhere Auslastung oder angehobene Tarife) weit nach oben optimieren lässt ist fraglich, auch wenn Kriegel et al. [10] darin eine Möglichkeit zur Verbesserung der medizinischen Versorgung auf dem Land sehen würden. Die für eine Niederlassung auf dem Land sprechende „bessere“ Bezahlung scheint damit und mit dem verbreiteten Wunsch nach überschaubaren Arbeitszeiten und ausgeglichener Work-Life-Balance nur schwer vereinbar zu sein. Auch die Tatsache, dass laut Hofmann et al. [7] LandärztInnen tatsächlich einer signifikant höheren Arbeitsbelastung ausgesetzt sind als ihre KollegInnen in der Stadt, steht dem entgegen. Es stellt sich zudem die Frage, inwieweit ländliche und strukturschwache Gemeinden sich gewünschte Annehmlichkeiten wie das zur Verfügung stellen Wohnraum und Assistenz leisten können würden und ob eine rein finanziell motivierte Übernahme oder Eröffnung einer LandärztInnenpraxis für Patienten, Gemeinden, das Gesundheitssystem und nicht zuletzt für die ÄrztInnen selbst befriedigend sein kann. Gegen eine Niederlassung auf dem Land dürfte grundsätzlich die Tatsache sprechen, dass für mehr als 60 % der TeilnehmerInnen die städtische Infrastruktur unverzichtbar scheint, dagegen nur etwa ein Drittel das Leben innerhalb einer Dorfgemeinschaft als erstrebenswert erachtet. In einer deutschen Erhebung [21] gaben nur 7,7 % der befragten Studierenden an, in dörflichen Strukturen leben zu wollen. Studierende, die auf dem Land aufgewachsen sind, können sich ein erneutes Landleben signifikant häufiger vorstellen [21]. Die teilnehmenden Studierenden zeigen große Offenheit in Bezug auf die gemeinschaftliche Eröffnung von Ordinationen, mit weiteren ÄrztInnen oder auch Personen aus anderen Professionen des Gesundheitsbereichs. Diese Tendenz wurde ebenfalls von Steinhäuser et al. [20], Riedler [16], Kiesel [9] und Krigl et al. [10] festgestellt und die leichtere Umsetzbarkeit solcher Gemeinschaften als Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Versorgung genannt. In der vorliegenden Befragung haben v. a. weibliche Teilnehmerinnen Gruppen- oder Gemeinschaftspraxen stark favorisiert. Die Vermutung von Riedler [16] „ÄrztInnen wollen keine Einzelkämpfer mehr sein“ scheint bestätigt. Es liegt auch nahe, dass in Praxisgemeinschaften der Wunsch nach geregelter Freizeit und guter Work-Life-Balance eher erfüllt werden kann und auch das finanzielle Risiko – das für viele abschreckend wirkt – kann aufgeteilt werden. Die Allgemeinmedizin erhält als interessantes Arbeitsfeld in dieser Befragung viel Zustimmung. Jedoch fühlt sich die Hälfte der hier befragten durch die Ausbildung der Tätigkeit als AllgemeinmedizinerIn nicht gewachsen. Auch eine Befragung der Universität Graz für die österreichische Ärztekammer [14] kam zu dem Ergebnis, dass sich nur 15 % der Studierenden und 6 % der Turnusärzte österreichweit durch die Ausbildung gut auf die Tätigkeit als AllgemeinmedizinerIn vorbereitet fühlen. Auch Kriegl et al. [10] identifizieren Aus- und Weiterbildung als mögliche Maßnahme zur Versorgungssicherung. Die Studierenden wünschen sich eine bessere Einbindung des Fachs „Allgemeinmedizin“ oder „Familienmedizin“ mit eigenen Vorlesungen, eigenem Block oder Tertial und eine eigene FachärztInnenausbildung. Im Gegensatz dazu geben 74 % deutscher Studierender in einer Umfrage des Marburger Bundes [12] an, eine verstärkte Einbindung für nicht notwendig zu halten und dass die Allgemeinmedizin gut bzw. sehr gut gelehrt wird. Hierbei muss bedacht werden, dass in Deutschland eine 5‑ bis 6‑jährige FachärztInnenausbildung für Allgemeinmedizin existiert. In Österreich folgen auf das Studium ein Spitalsturnus und danach 6 Monate in einer allgemeinmedizinischen Lehrpraxis. Der Bedarf an fachspezifischer Ausbildung innerhalb des Regelstudiums ist wohl auch deshalb in Österreich höher. Zustimmung finden auch spezifische Angebote zur Vorbereitung auf die „Unternehmertätigkeit“, welche auch Steinhäuser et al. [13] schon als „entängstigend“ bezeichnen. Besonders im ländlichen Raum wären Lehrpraxen und spezielle Betreuungsangebote zum Knüpfen von Kontakten interessant. Auch diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit Kriegl et al. [10] und Riedler [16] und zeigen dringenden Handlungsbedarf – v. a. der Universitäten – auf. Auch internationale Studien [4, 11] belegen, dass praktische Ausbildung im ländlichen Umfeld die Entscheidung zur Niederlassung auf dem Land positiv beeinflussen kann. In Bezug auf den „Masterplan Allgemeinmedizin“ [15] können wir v. a. bei der universitären Ausbildung und Förderung von Gemeinschaftspraxen große Übereinstimmung zwischen Studierendenwünschen und geplanten Verbesserungen feststellten. Ein besonderer Aspekt zeigt sich im Bereich der Reputation der Allgemeinmedizin innerhalb der ÄrztInnenschaft. Die teilnehmenden Studierenden schätzen das Ansehen der Allgemeinmedizin in der Bevölkerung als durchaus positiv ein. Innerhalb der KollegInnenschaft wurde dies jedoch als sehr schlecht bewertet. Auch viele Kommentare zeigten dies eindrücklich. Die Verbesserung der Attraktivität der Allgemeinmedizin in Stadt und Land hängt scheinbar zu einem beachtlichen Teil an der ÄrztInnenschaft selbst. Die Wahl der Allgemeinmedizin als Berufsfeld wird durch Außenfaktoren schwer beeinflussbar sein, wenn sie einen „Gesichtsverlust“ innerhalb der eigenen Community bedeutet. Hier sind die Universitäten und besonders die StandesvertreterInnen in der Pflicht, langfristig einen Gesinnungswechsel herbeizuführen und mehr Respekt und Achtung für diesen Berufszweig zu schaffen. Auch Kaucher et al. [8] haben in einer deutschlandweiten Umfrage festgestellt, dass Studierende das Ansehen der Allgemeinmedizin bei KommilitonInnen wie praktizierenden ÄrztInnen als eher gering einschätzen. Unter deutschen ÄrztInnen in Ausbildung fand Riedler [17] dies ebenfalls und ergänzt, dass der Eindruck v. a. im Spitalskontext bestehe. Ein weiterer, vielleicht besonders zukunftsweisender Denkanstoß könnte sein, den Fokus grundsätzlich auf die Sicherstellung der Versorgung, speziell im ländlichen Raum, zu lenken und nicht an den althergebrachten Strukturen (LandärztInnen) festzuhalten. Innovative Ansätze wie mobile HausärztInnenpraxen oder auch die Aufwertung anderer Berufsgruppen (z. B. „advanced practice nurse“; [9, 21]), evtl. gekoppelt an den Einsatz moderner telemedizinischer Lösungen [21], könnten integrale Bestandteile einer langfristigen Lösung sein.

Limitationen

Trotzdem die durgeführte Onlineumfrage keinen Anspruch auf Repräsentativität stellt, sind klare Tendenzen erkennbar. Der geringe Rücklauf von nur ca. 5 % erschwert Verallgemeinerbarkeit noch zusätzlich. Eine Verzerrung der Ergebnisse durch einen Selektionsbias ist bei allen Studien mit freiwilliger Teilnahme möglich und kann auch hier nicht ausgeschlossen werden.

Fazit für die Praxis

  • Eine Einbindung der Allgemeinmedizin in das Medizinstudium ist wichtig und sinnvoll, um angehende MedizinerInnen für das Fach zu begeistern.

  • Lehrpraxen und spezielle „Coaching-Programme“ zur Kontaktherstellung mit LandärztInnen könnten dazu beitragen, Interesse an einer Niederlassung auf dem Land zu wecken.

  • Von Standesvertretungen geförderte Imagekampagnen könnten zur Verbesserung der Reputation der Allgemeinmedizin innerhalb der ÄrztInnenschaft beitragen.

  • Eine Entbürokratisierung – auch im Bereich der Kassenverträge – könnte die Gründung von Praxisgemeinschaften erleichtern. Dies könnte v. a. Frauen für die Allgemeinmedizin in Stadt und Land begeistern.

  • Zur Sicherstellung der flächendeckenden PatientInnenversorgung sollten auch alternative Lösungsansätze berücksichtig werden. Mobile Praxen, die Aufwertung anderer Medizinberufe („advanced practice nurse“) und/oder ein Ausbau der telemedizinischen Versorgung könnten einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.