Hinführung zum Thema

Die holistische Herangehensweise ist ein Kennzeichen der Allgemeinmedizin [39]. In der allgemeinärztlichen Versorgung wird der Betreuung des Individuums in seinem psychosozialen Kontext besondere Aufmerksamkeit geschenkt [15]. Im deutschen Gesundheitssystem stehen Allgemeinärzte als erste ärztliche Ansprechpartner zur Verfügung. Sie können mehrheitlich die Beratungsanlässe, weswegen Patienten in die Praxis kommen, ohne andere Ärzte hinzuziehen zu müssen, erfolgreich lösen [13, 14, 32]. Weitere Kennzeichen der hausärztlichen Tätigkeit sind die Kontinuität der Versorgung und die damit einhergehende Langzeitversorgung [12]. Rund ein Drittel der Patienten in der Hausarztpraxis sind über 65 Jahre alt und von denen sind >70 % multimorbide, d. h. bei ihnen liegen zwei oder mehr chronische Erkrankungen vor [5]. Für diese Patienten ist das Stärken des Selbstmanagements eines der zentralen Ziele [35]. Mit dieser Stärkung soll das Gesundheitsverhalten optimiert werden [40]. Eine in der Allgemeinmedizin hierfür angewendete Herangehensweise ist die partizipative Entscheidungsfindung („shared decision making“; [20]).

Für das Erreichen gesundheitlich relevanter Ziele wird zunehmend auch „Coaching“ angeboten. So bieten z. B. die Plattform HausMed, eine Initiative des Hausärzteverbands, mit dem Slogan „Hausmed Coaches – einfach gesünder leben“ [18] oder die Techniker Krankenkasse unter dem Begriff „ecoach“, ein Coaching an [11].

Der Begriff Coaching wird allerdings in unterschiedlichen Kontexten verwendet, hinter denen sich verschiedene Methoden verbergen können [3]. Coaching ist im Bereich des Leistungssports entstanden und ist von dort in den Business-Kontext und Gesundheitsbereich eingeflossen [10]. So gibt es inzwischen die Bereiche Businesscoaching, Lifecoaching und Gesundheitscoaching [4]. Dabei ist der Fokus von Coaching jeweils ein anderer: Während mit „Lifecoaching“ jegliche Alltagsthemen, die kognitiven, emotionalen oder verhaltensbedingten Veränderungen bedürfen, adressiert werden, stehen beim Gesundheitscoaching gesundheitsrelevante Themen und Ziele im Vordergrund [1, 30].

Eine Grundvoraussetzung für Coaching ist eine normale psychische und physische Belastbarkeit. Coaching wird daher auch „Psychotherapie für Gesunde“ bezeichnet [21]. Das Gesundheitscoaching steht im Folgenden im Fokus dieses Beitrags.

Ziel des Beitrags war es, der Frage nachzugehen, wie (Gesundheits‑)Coaching aus der Perspektive der Allgemeinmedizin definiert wird und welchen Stellenwert es in der Allgemeinmedizin haben kann.

Methode

Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde im Oktober 2017 eine systematische und computerunterstützte Suche in den elektronischen Datenbanken PubMed, Web of Science und CINAHL durchgeführt. Des Weiteren wurden eine Handrecherche in Google sowie eine Sichtung der Referenzlisten eingeschlossener Publikationen und anderer als potenziell relevant identifizierter Studien durchgeführt, um graue Literatur zu identifizieren. Für die Suche wurden die Schlüsselwörter „coaching“, „health coaching“, „resilience coaching“, „primary care“, „family medicine“ and „family physician“ verwendet. Der Screeningprozess sowie die Datenextraktion wurden von 2 Autoren (DW und JS) durchgeführt.

Eingeschlossen wurden nur Studien in deutscher oder englischer Sprache. Bezüglich Studiendesgin und Publikationsjahr wurden keine Limitationen festgelegt, um möglichst alle relevanten Studien zu gewinnen. Ausgeschlossen wurden Studien, die sich nicht auf Coaching in der Allgemeinmedizin bezogen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 2370 Publikationen gesichtet, wovon 3 zur Beantwortung der Fragestellung herangezogen werden konnten (Tab. 1). Alle identifizierten Publikationen wurden in Englisch publiziert. Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird in Abb. 1 der gesamte Screeningprozess mithilfe des PRISMA-Flowcharts [25] visualisiert.

Tab. 1 Übersicht der eingeschlossenen Studien
Abb. 1
figure 1

PRISMA-Flowchart

Coaching in der Allgemeinmedizin

Eine eigene Definition von Coaching innerhalb der Allgemeinmedizin existierte nicht. Insgesamt standen Selbstfindung und Selbstverwirklichung des Klienten im Vordergrund, um die Verantwortung für das eigene Verhalten und Handeln bewusst zu machen. Coaching sollte den Klienten dazu befähigen, sich aktiver für die Verbesserung der eigenen Gesundheit einzusetzen [26, 27, 34].

Durch den Coachingprozess, welcher durch Kontinuität und eine sich aufbauende Beziehung zwischen Coach und Gecoachtem gekennzeichnet war, konnten Klienten umfassend lernen, ihre Leistungen zu verbessern und die Lebensqualität zu erhöhen.

Besonders bei chronischen Erkrankungen war der Prozess der Befähigung und Motivation der Patienten zur Lebensstiländerung eine große Herausforderung für die Angehörigen der Gesundheitsberufe, weshalb Coaching als sinnvolle Erweiterung in der Primärversorgung angesehen wurde [26].

Beim Coaching lag die Konzentration darauf, wo sich der Klient aktuell befindet und durch gezieltes Coaching wurde die Bereitschaft gefördert, Veränderungen herbeizuführen, um dorthin zu gelangen, wo er morgen sein möchte. Dabei übernahm der Coach eine passive Rolle, in dem er den Klienten lediglich unterstützte, anleitete und begleitete.

Neuner-Jehle et al. [26] haben die Machbarkeit und Akzeptanz eines in die Primärversorgung integrierten „Health-Coachingprogramms“ untersucht. Das Programm enthielt mehrere Komponenten: eine Veränderung weg von der typischen Arzt-Patienten-Rolle und Verantwortung hin zum Fungieren in einem Team, eine patientenbasierte Auswahl für ein vordergründig zu veränderndes Gesundheitsverhalten (wie z. B. Ernährung, körperliche Aktivität oder Rauchen), der Einsatz von gezielten Coachingtechniken (wie motivierende Gesprächsführung, gemeinsame Entscheidungsfindung oder transtheoretisches Modell der Verhaltensveränderung) und letztendlich eine entsprechende Schulung eines Coaches (für Kompetenzen wie Beziehung/Vertrautheit mit dem Klienten aufbauen, aktives Zuhören, Einfühlungsvermögen, wirkungsvolle Fragen stellen, Bewusstsein schaffen, Lernen und Erreichen von Ergebnissen fördern und konstruktives Feedback geben). Um die einzelnen Komponenten des Programms umsetzen zu können, waren verschiedene Schritte im Veränderungsprozess nötig. Als erstes musste der Patient für die Übernahme von Verantwortung für das eigene Verhalten und seine Rolle sensibilisiert werden. War dieser Schritt erreicht, muss die Motivation zur Veränderung gesteigert und ein gemeinsamer Plan entwickelt werden. Schlussendlich setzte der Patient die geplanten Maßnahmen um und wurde bei auftretenden Schwierigkeiten und Problemen vom Coach unterstützt. Durch diese Studie konnte aufgezeigt werden, dass ein multidimensionales und patientenzentriertes „Health-Coachingprogramm“ in die Primärversorgung integrierbar ist und sowohl von Patienten als auch Allgemeinmedizinern sehr gut angenommen wurde [26].

Daneben gab es auch die Möglichkeit, einen eigenen „Health Coach“ in das Praxisteam miteinzubeziehen. Dieser hatte die zeitliche Kapazität, während oder nach medizinischen Visiten, bei Einzelsitzungen oder auch telefonisch mit den Patienten zu kommunizieren. Durch diese verbesserte Kommunikation konnte eine bessere Vertrauensbasis geschaffen werden.

Thom et al. [34] hatten diese Möglichkeit im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie über einen Zeitraum von 12 Monaten hinweg untersucht. Um als „Health Coach“ agieren zu können, erhielten Ärzte oder andere Angehörige des Praxisteams eine entsprechende Coachingschulung (à 40 h innerhalb von 6 Wochen). Dieser kommunizierte mit den Patienten während der Arztbesuche, bei individuellen Terminen oder telefonisch. Somit hatten die Patienten die Möglichkeit, ihre Behandlungspläne noch einmal mit dem „Health Coach“ zu besprechen und etwaige Verständnisprobleme zu klären. Im Rahmen dieser Studie konnte aufzeigt werden, dass sich durch die Integration eines „Health Coachs“ in das Praxisteam die Zufriedenheit mit und das Vertrauen der Patienten in die Primärversorgung steigern kann [34].

Auch Ngo et al. [27] untersuchen im Rahmen einer Fallstudie die Auswirkungen der Integration eines „Health Coachs“ in ein Primärversorgungsteam. Hier fungierte der Kliniker mit dem „Health Coach“ als Team. Die Hauptaufgabe des Coachs lag in der Unterstützung der Patienten mit dem Behandlungsplan und Klärung von Verständnisfragen sowie in der Unterstützung und Beratung bei Veränderungsmaßnahmen. Der „Health Coach“ agiert in diesem Fall als eine „Brücke“ zwischen Patient und Arzt und hat die Möglichkeit und die zeitlichen Ressourcen, sich Dingen anzunehmen, die der Allgemeinmediziner während seiner Behandlung nicht hat. Auch hier konnte aufgezeigt werden, dass durch den Einsatz eines Coachs die Zufriedenheit und das Vertrauen der Patienten verbessert werden kann [27].

Diskussion

Obwohl eine eigene Definition von (Gesundheits‑)Coaching innerhalb der Allgemeinmedizin nicht existiert, kann Coaching allgemein als ein klientenbezogener Prozess, der darauf abzielt vom Klienten definierte Ziele zu erreichen, umschrieben werden. Gesundheitscoaching beschreibt ein Weg der Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung, der das Wohlbefinden des Individuums und das Erreichen seiner gesundheitsassoziierten Ziele bestärkt [1]. Die Ergebnisse der Literatursuche ergaben, dass durch diese Einbeziehung des Patienten in den Entscheidungsprozess positive Effekte auf die Übernahme von Verantwortung und Entscheidungen und letztendlich auch auf Motivation, Zufriedenheit und Gesundheitszustand verzeichnet werden können [26].

Potentiell mit Coaching zu adressierende Themen sind Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Bewegung oder Stress [1, 9]. Vor diesem Hintergrund gibt es eine Überschneidung mit der von Hausärzten durchgeführten Gesundheitsberatung, die alle Ebenen der Prävention beinhalten. Unter Gesundheitsberatung werden dabei inhaltlich Information, Motivation und Begleitung des Patienten bei der Veränderung von gesundheitsrelevantem Risikoverhalten verstanden [2]. Die Begriffe Gesundheitsberatung und Gesundheitscoaching sind daher nicht 100 % trennscharf, da sich die verwendeten Methoden überschneiden können.

Ein Beispiel für eine sowohl im Gesundheitscoaching wie auch in der Allgemeinmedizin verwendete Methode ist die der motivierenden Gesprächsführung [6, 19].

Das Anbieten einer Reihe von Optionen ist ein klientenzentrierter Weg innerhalb des Coaching, um Informationen und Ratschläge anzubieten, welcher dem hausärztlichen „shared decision making“ sehr nahe kommt [6, 20].

Allen Coachingarten und -techniken gemein ist allerdings, dass sich der Coach darauf konzentriert, wo sich der Klient aktuell befindet und fördert die Bereitschaft, Veränderungen herbeizuführen, um dorthin zu gelangen, wo er morgen sein möchte. Dabei übernimmt er eine passive Rolle, in dem er den Klienten lediglich unterstützt, anleitet und begleitet [1, 8, 10].

Voraussetzung für erfolgreiches Coaching ist der ausdrückliche Wunsch des Klienten, sein Wohlbefinden oder sein gesundheitliches Problem zu verbessern bzw. zu ändern. Durch Coaching erhält er den nötigen Anstoß und Anleitung zur Entwicklung der dafür notwenigen „skills“ [29].

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, sind verschiedene Kompetenzen nötig, über die ein Coach verfügen sollte: Beziehung/Vertrautheit mit dem Klienten aufbauen, aktives Zuhören, Einfühlungsvermögen, wirkungsvolle Fragen stellen, Bewusstsein schaffen, Lernen und Erreichen von Ergebnissen fördern und konstruktives Feedback geben [7, 8, 33].

Coaching im Gesundheitsbereich wird zu etwa 97 % von Gesundheitsexperten und zu etwa 3 % von Laien durchgeführt. Ärzte und Angehörige anderer Gesundheitsberufe (hauptsächlich Pflegepersonen) zählen dabei zu den Hauptakteuren. Um die nötigen Kompetenzen zu erlangen, sind spezielle Schulungen unerlässlich [8, 10, 22, 38]. Diesbezüglich gibt es allerdings eine sehr große Bandbreite der Intensität. So gibt es Programme mit einer Dauer von <2 h bis hin zu 2 Jahren, im Durchschnitt aber wird von einer Dauer zwischen 6 und 40 h berichtet [38]. Das National Consortium for Credentialing Health and Wellness Coaches (NCCHWC) hat folgende Empfehlungen für die Absolvierung eines coachingspezifischen Trainings ausgesprochen: einen Hochschulabschluss, mindestens 125 h Schulung, 200–300 h Coachingpraxis und eine abschließende Zertifizierung [22].

Das Erlernen einer professionellen Art der Kommunikation ist bisher kein fester Bestandteil der Weiterbildung. Grundlagen davon werden allerdings im Rahmen der Ausbildung vermittelt [16, 36]. Erste Initiativen wie der Einsatz des MAAS-Global-Instruments bei Fortbildungen existieren, die die kommunikativen Kompetenzen bei Allgemeinärzten gezielt optimieren können [17]. Im Nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM; [16]) wird auf die professionelle ärztliche Kommunikation unter Zuhilfenahme professioneller Kommunikationstechniken zur Ressourcenstärkung Wert gelegt.

Aufgrund der heterogenen und teilweise in Studien nicht exakt beschriebenen Methoden kann von einer systematischen wissenschaftlichen Evaluation von Coaching kaum gesprochen werden. Es existiert allerdings zu einzelnen Methoden Evidenz. Eine, die aufgrund seiner Methode reproduzierbar nachvollzogen werden kann, ist wingwave® (Dipl.-Psych. Cora Besser-Siegmund, Hamburg, Deutschland) [37].

Die Intervention selbst basiert auf der Verknüpfung von Erfahrungen aus dem „eye movement desensitization reprocessing“ (EMDR) und einem evaluierten Myostatiktest [28, 31]. An einer Universität in Deutschland wird diese Methode aktuell in einer Studie angewendet, die überprüft, ob so gecoachte Studierenden mit weniger Stress (z. B. Prüfungsangst) das Studium der Humanmedizin bewältigen könnten [23, 24].

Fazit für die Praxis

  • Eine der Hauptaufgaben der allgemeinärztlichen Tätigkeit ist die Langzeitbegleitung des Menschen in seinem Lebensumfeld und mit seinen (chronischen) Erkrankungen.

  • Eine weitere Übernahme von sog. Coachingmethoden könnte möglicherweise hilfreich sein, dem Allgemeinarzt einen Methodenkoffer an die Hand zu geben, um das Selbstmanagement der Patienten noch intensiver zu bestärken. Da unter dem Begriff Coaching eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden zusammengefasst wird, ist es zudem erforderlich, diese Methoden weiter wissenschaftlich zu evaluieren.

  • Es existiert keine einheitliche Definition von Coaching in der Allgemeinmedizin.

  • Unterschiedlichste Methoden werden unter dem Begriff Coaching zusammengefasst.

  • Die Einbeziehung des Patienten in den Entscheidungsprozess seiner Behandlung hat positive Effekte auf Zufriedenheit und Gesundheitszustand.

  • Coachingmethoden werden teilweise bereits in der Allgemeinmedizin verwendet und sollten daher weiter wissenschaftlich evaluiert werden.