Hintergrund

Psychosoziale Krisen gehören zum medizinischen Alltag. Dies betrifft beispielsweise den Umgang mit Patienten im Zuge der Krankheitsverarbeitung oder dem Überbringen schlechter Nachrichten [2]. Kommunikative Fähigkeiten stellen generell einen zentralen Aspekt bei der ärztlichen Berufsausübung dar und können zur höheren Zufriedenheit der Patienten sowie auch jener der betreuenden Ärzte beitragen [3, 22].

Neben Krisen von Patienten sind auch Ärzte selbst mit verschiedensten persönlichen Herausforderungen im Rahmen ihrer Ausbildung wie auch der späteren Berufsausübung konfrontiert. So zeigen diverse Studien bereits bei Medizinstudierenden eine höhere Belastung hinsichtlich Depression und Burnout sowie ein schlechteres Gesundheitsverhalten in Abhängigkeit des Studienfortschritts [7, 21]. Dies ist von Bedeutung, da Erfahrungen während des Studiums eine zentrale Weichenstellungen für den späteren Umgang mit psychosozialen Belastungen im Professionellen wie Privaten sein können [13, 18]. So stellen erlernte Bewältigungsstrategien (Coping-Mechanismen) einen wichtigen Indikator für die Zufriedenheit in einer medizinischen Karriere dar [19]. Depersonalisation andererseits, welche als ein negativer Coping-Mechanismus verstanden werden kann, um mit emotionaler Erschöpfung umzugehen, führt wiederum zu einer steigenden Verwendung biomedizinischer Begrifflichkeiten in der Arzt-Patienten-Interaktion und der Vernachlässigung von psychosozialen Aspekten in der Krankenversorgung [23]. Somit können die persönlichen Belastungen von Medizinern auch eine Auswirkung auf die anvertrauten Patienten nach sich ziehen. Ärzte, die selbst an einer Depression leiden, weisen signifikant mehr Verschreibungsfehler im beruflichen Alltag auf [8]. Im Gegensatz dazu leiten Ärzte, welche persönlich gut auf sich achtgeben, häufiger die eigenen Patienten in der Führung eines guten Lebensstils an bzw. motivieren sie stärker dazu [9]. Zudem kann eine dezidiert positive kommunikative Zuwendung, auch in medizinischen Notfallsituationen, einen Effekt auf Morbidität und Mortalität bedeuten [24]. Ärztliches Wohlbefinden kann damit als Qualitätsindikator für die Patientenversorgung gesehen werden [22].

Im internationalen Vergleich finden sich verschiedenste inhaltliche und methodische Konzepte, die diese Themen einzeln oder miteinander verknüpft bereits im Medizinstudium behandeln. An der Monash-University wurde beispielsweise die Kombination von neurobiologischen Lehrinhalten zur psychischen Gesundheit mit der Selbsterfahrung (Entspannungstechniken) von Medizinstudierenden im Pflichtcurriculum berichtet [10]. Eine Vielzahl an Lehrveranstaltungen beschäftigt sich wiederum explizit mit dem Umgang von Krisen im Kontext der Versorgung von Patienten („breaking bad news“). Hierbei konnten verschiedenste didaktische Zugänge wie Vorlesungen, Kleingruppendiskussion und/oder Rollenspiele beschrieben werden [16].

Um der Wichtigkeit von psychosozialen Fragestellungen bzw. dem Umgang mit emotional belastenden Situationen im ärztlichen Alltag Ausdruck zu verleihen, wurde an der Medizinischen Universität Graz mit Wintersemester 2014/15 ein bereits bestehendes zweisemestriges Wahlfach „Psychosoziale Krisenintervention und Stressbewältigung I und II“ neu adaptiert und um einen salutogenetischen Ansatz erweitert [1]. Insbesondere wurden dabei verstärkt gesundheitsfördernde und präventive Aspekte inkludiert. Im Studienjahr 2016/17 wurden die Inhalte z. T. neu gruppiert bzw. um psychophysiologische Wechselwirkungen und psychoneuroimmunologische Fallbeispiele erweitert. Die zwei Hauptziele der Lehrveranstaltung sind: Medizinstudierende im Umgang mit psychosozialen Krisen (2) bei Patienten als auch (3) in ihrem eigenen privaten Umfeld zu schulen.

Des Weiteren dient das Wahlfach als Basisausbildung für spätere studentische Mitarbeiter des Peer2Peer-Programms an der Medizinischen Universität Graz. In diesem übernehmen höhersemestrige Studierende eine Betreuungsfunktion für Studierende in psychosozialen Krisensituationen. Sie unterstützen bei der Stressbewältigung, sind im Junior-Mentoring aktiv und vermitteln gesundheitsfördernde Aspekte im Sinne eines Peer-Konzepts unter fachlicher Aufsicht [5, 20]. Im Folgenden soll das Konzept dieser Lehrveranstaltung dargelegt werden.

Methode: Wahlfach an der Medizinischen Universität Graz

Das freie Wahlfach wird in zwei Teilen über 2 Semester im Ausmaß von jeweils 1 Semesterwochenstunde (15 Lehreinheiten, 1 ECTS) jährlich angeboten und gliedert sich in jeweils fünf thematische Blöcke. Während das Wintersemester verstärkt theoretisch ausgerichtet ist, findet im Sommersemester die Vertiefung der praktischen Fertigkeiten statt. Eine Anwesenheitspflicht von 80 % bei den Lehreinheiten pro Semester ist Voraussetzung zur positiven Absolvierung. Des Weiteren sind aktive Mitarbeit sowie nach dem ersten Semester eine schriftliche Reflexion über Inhalte des Wahlfachs verpflichtend. Die Lehrveranstaltung wird von vier Lehrenden (Fachbereiche: Medizin, Psychologie, Psychotherapie) abgehalten. Seit Wintersemester 2016/17 ist eine Teilnahme von max. 16 Studierenden pro Semester vorgesehen.

Wintersemester

  • Block 1 – Kommunikation, psychophysiologische Grundlagen und Krisendefinition: Hintergründe über Stressreaktionen des Körpers (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse sowie psychoneuroimmunologische Beispiele). Des Weiteren Grundregeln der therapeutischen Gesprächsführung nach Carl Rogers [15] und Kommunikationstheorie nach Friedemann Schulz von Thun [17] sowie unterschiedliche Krisenkonzepte (traumatische Krise, Veränderungskrise).

  • Block 2 – Stressmodelle, Ressourcenmanagement und Entspannungstechniken: Einführung in Stressmodelle (allgemeines Adaptationssyndrom, SORK und transaktionales Stressmodell), Coping-Mechanismen, Entspannungstechniken (progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, autogenes Training, Achtsamkeit, Biofeedback, Imaginative-Verfahren etc.).

  • Block 3 – Psychotherapeutische Ansätze im Umgang mit Krisen: Vertiefung von Krisendefinitionen sowie Umgang mit diesen anhand von klinischen/ambulanten Beispielen.

  • Block 4 – Psychiatrische Aspekte von Krisen inklusive medikamentöser Optionen: Im Mittelpunkt stehen die Symptome Angst, depressive Verstimmung sowie Burnout.

  • Block 5 – Gesundheit von Medizinstudierenden, Einführung in das Peer2Peer-Programm: Überblick über ausgewählte Studien hinsichtlich der Gesundheit und Belastung von Medizinstudierenden mit Fokus individuelle Einflussfaktoren. Vorstellung des Peer2Peer-Programms an der Medizinischen Universität Graz mit Tätigkeitsprofil sowie Angebot. Falldiskussion hinsichtlich der Betreuung von Studierenden mit psychosozialen Krisen durch studentische Tutoren.

Sommersemester

  • Block 1 – Vertiefung Hintergrundwissen studentische Gesundheit mit Fokus strukturelle Einflussfaktoren sowie Rekapitulation der erlernten Inhalte des Wintersemesters.

  • Block 2 – Vertiefung Entspannungstechniken: Erlernen der Selbstanleitung von Entspannungstechniken für den späteren ärztlichen Tätigkeitsbereich bzw. einer Tätigkeit als studentischer Mitarbeiter des Peer2Peer-Programms an der Medizinischen Universität Graz.

  • Block 3 – Praxis: „Krise“ aus psychotherapeutischer Sicht: praktische Übungen (Rollenspiele) im Umgang mit psychosozialen Krisensituationen.

  • Block 4 – Psychiatrische Aspekte von Krisen inklusive medikamentöser Optionen: Umgang mit Suizidalität in der studentischen Betreuung sowie im klinischen Setting. Aufbereitung anhand von Spielfilmsequenzen.

  • Block 5 – Abschlusstermin: Zusammenfassung der erlernten Inhalte, Diskussion/Austausch mit den aktuell im Peer2Peer-Programm angestellten studentischen Mitarbeitern, Abklärung hinsichtlich eines Einstiegswunsch in das Programm als Mitarbeiter. Fokusgruppendiskussion hinsichtlich von Lerneffekten und offenen Fragen das Wahlfach betreffend.

Diskussion/Erfahrungen des Wahlfachs

Evaluierung einer Vorversion des Wahlfachs

Im Wintersemester 2015/16 wurde eine Vorversion des Wahlfachs anhand eines eigen erstellten 19 Items umfassenden Fragebogens evaluiert (Tab. 1; [12]). 13 Studierende (11 weiblich; Mittelwert des Alters = 25,8; Mittelwert des Studienjahres = 3,85; 70 % Studierende der Humanmedizin) nahmen an der Evaluierung teil. Die Studierenden bewerteten den ersten – überwiegend theoretischen – Teil des Wahlfachs positiv (Gesamtmittelwerte: 1,23–2,38). Die im Vergleich niedrigeren Werte im Themenblock Wissenszuwachs (Fragen 12–15) könnten auf eine generelle Unsicherheit in Bezug auf das Thema (kein Vorhandensein einer definitiven Checkliste für Krisensituationen) zurückzuführen sein sowie den zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden vertieften praktischen Übungen („Der Umgang mit Krisen muss erlebt sein“). Basierend auf diesen Rückmeldungen wurden u. a. die zuvor beschriebenen Anpassungen durchgeführt.

Tab. 1 Subjektive Einschätzung von 13 Teilnehmern zu Aussagen über das Wahlfach anhand einer 5‑stufigen Likert-Skala (1–5; völlig – eher – teilweise – eher nicht – überhaupt nicht) bei der schriftlichen Evaluation

Lehrdidaktische Umsetzung

Im Verlauf des Wahlfachs zeigte sich ein multimedialer (Powerpoint, Spielfilmsequenzen z. B. beim Thema Suizidalität) sowie praxisorientierter Zugang (Rollenspiele, Falldiskussionen, Anleitung von Entspannungstechniken) als am zielführendsten. Insbesondere bei der Auseinandersetzung mit psychosozialen Krisen ist die Wahrnehmung der emotionalen Befindlichkeit beim Betroffenen sowie bei sich selbst – u. a. durch Übertragungs-Gegenübertragungs-Effekte [11] – von großer Wichtigkeit. Diese Schärfung des Bewusstseins für intrapsychische und interpersonelle Vorgänge ist somit essenziell und unterstreicht den hohen Stellenwert des praktischen Übens. Des Weiteren konnte die Vermittlung von psychoneuroimmunologischen sowie stresstheoretischen Modellen mit Wintersemester 2016/17 die Akzeptanz der Inhalte erhöhen. Diese verstärkte naturwissenschaftliche Perspektive dürfte den Studierenden das Verständnis für die komplexen Auswirkungen von psychosozialen Vorgängen auf körperliche Vorgänge erleichtern.

Umgang mit Krisen und Emotionen

Der Umgang mit psychosozialen Krisen stellt für Medizinstudierende eine Herausforderung dar. Dies liegt u. a. daran, dass es zur Bewältigung von psychosozialen Krisen keine „Checkliste“ – im Sinne von Algorithmen wie in der Biomedizin gibt, welche die eigene Unsicherheiten im Umgang mit den oftmals multifaktoriell beeinflussten Situationen (Setting, biographische Aspekte der beteiligten Personen, Emotionen etc.) minimieren könnte. Zudem ist oftmals das alleinige Zugegensein im mitmenschlichen Kontakt eine zentrale stabilisierende Maßnahme in psychosozialen Krisen. Dies kann jedoch oftmals mit der Einschätzung der Studierenden kollidieren, die ihrer ärztlichen Sozialisation entsprechend eher meinen, eine aktive Handlung (Intervention) setzen zu müssen. Neben dem Umgang mit psychosozialen Ausnahmesituationen im Studium wie im späteren Beruf an sich stellt v. a. die Möglichkeit der Reflexion dieser mitunter belastenden Erfahrungen eine zentrale Notwendigkeit dar. Hierzu gibt es verschiedenste methodische Konzepte (u. a. Balint-Gruppen) und universitätsspezifische Angebote [4, 6, 10, 14]. Im Hinblick auf die zunehmenden Bedeutung der individuellen Work-Life-Balance sowie die Bewältigung von psychosozialen Belastungssituation für Ärzte könnten zusätzliche universitäre Angebote zum Umgang mit emotional belastenden Situationen ein unterstützender Mosaikstein für eine höhere Zufriedenheit und Gesundheit von Medizinstudierenden und späteren Ärzten sein.

Fazit für die Praxis

  • Psychosoziale Krisen sind ein Teil des ärztlichen Alltags und bereits Medizinstudierende werden in ihrer Ausbildung mit diesen im persönlichen wie auch professionellen Bereich konfrontiert.

  • Aus diesem Grund ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Themen – abseits der klassischen Arzt-Patienten-Kommunikation mit Fokus Anamneseführung – sinnvoll, um die psychische Gesundheit von Ärzten sowie Patienten langfristig zu unterstützen.

  • Lehrangebote an den Universitäten ebenso wie Möglichkeiten zur Selbstreflexion der eigenen Tätigkeiten könnten ein probates Mittel hierfür sein.