Zusammenfassung
Zu glauben, das diabetische Fußsyndrom (DFS) sei nur eine Wunde am Fuß eines an Diabetes erkrankten Menschen, verkennt die Komplexität und Tragweite dieser multifaktoriellen Komplikation einer Diabeteserkrankung. Das DFS geht mit relevanten Einschränkungen bis hin zu Amputationen und reduzierter Lebenserwartung für die Betroffenen sowie einem hohen Ressourcenverbrauch für unser Gesundheitssystem einher. Komplizierte Verläufe und auch Amputationen können signifikant reduziert werden, wenn die Patienten ohne Verzögerung spezialisierten interdisziplinären Behandlungsteams zugeführt werden. Vor der Therapie steht die Diagnose – vor Behandlungsbeginn sollten stets 2 Fragen beantwortet werden: Die nach der Ursache des aktiven diabetischen Fußulkus (DFU; Bedingung) und die nach dessen Lokalisation (Auslöser). Eine Wundbehandlung beim DFS muss stets in ein strukturiertes Diagnose- und Behandlungskonzept eingebettet sein. Dafür bieten IRBESA-PP (Infektionsmanagement, Revaskularisierung, Begleiterkrankungen, Entlastung, stadiengerechte Wundbehandlung, [Grenzzonen-]Amputation, Physiotherapie und psychosoziale Unterstützung, Prävention inklusive Podologie) und das Entitätenkonzept eine geeignete konzeptionelle Grundlage. Dabei ist von essenzieller Bedeutung, dass sämtliche an der Behandlung Beteiligten verstehen und verinnerlichen, welche konkreten Auswirkungen der neuropathiebedingte Verlust schützender sensibler Empfindungen („loss of protective sensations“ [LOPS]) im Behandlungsalltag hat: Aufgrund der neuropathischen Defizite fehlt eine schützende schmerzreflektorische Schonhaltung. Die Patienten laufen im wahrsten Sinne des Wortes in ihre komplexen Probleme hinein. Alle an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer und Professionen müssen ein solides Maß an Erfahrungs- und Behandlungskompetenz besitzen und interprofessionell so gut koordiniert und abgestimmt arbeiten, dass sie das im (neuropathiebedingten) Verlust der leiblichen Ökonomie begründete Fehlverhalten des Patienten bei allen Maßnahmen bereits mit einkalkulieren.
Abstract
To believe that diabetic foot syndrome (DFS) is just a wound on the foot of a person suffering from diabetes fails to recognize the complexity and scope of this multifactorial complication of diabetes. DFS is associated with relevant limitations up to amputation and reduced life expectancy for the affected patients as well as high consumption of healthcare system resources. Complicated courses and also amputations can be significantly reduced if patients are promptly treated by specialized interdisciplinary treatment teams. Diagnosis precedes therapy—two questions should always be answered before treatment begins: Why did the active diabetic foot ulcer (DFU) occur (condition)? Why is the ulcer at this exact location (trigger)? Wound treatment for DFS must always be embedded in a structured diagnostic and treatment concept. IRBESA-PP (infection management, revascularization, concomitant diseases, offloading, stage-appropriate wound treatment, [marginal area] amputation, physiotherapy and psychosocial support, prevention including podiatry) and the Entity Concept provide a suitable conceptual basis for this. It is essential that all those involved in treatment understand and internalize the concrete effects of neuropathy-related loss of protective sensations (LOPS) in everyday treatment: Due to the neuropathic deficits, there is a lack of protective pain reflexive sensation. Patients literally run into their complex problems. All healthcare providers and professionals involved in the treatment must have a solid level of experience and treatment competence and work interprofessionally in such a well-coordinated and coordinated manner that they take into account the patient’s (mal)behavior, which is rooted in the (neuropathy-related) loss of bodily economy, in all measures. The article clearly presents current standards and treatment principles and gives concrete recommendations for action based on case studies, while taking into account the practice recommendations of the German Diabetes Society (DDG, 2022) and the current international guideline (IWGDF Guidelines 2023).
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Einleitung
Über leitlinienbasierte und konkrete Maßnahmen eines adäquaten lokalen Wundmanagements beim diabetischen Fußsyndrom (DFS) kann nicht gesprochen werden, ohne voranzustellen, dass dieses mehr ist als nur eine Wunde am Fuß eines an Diabetes mellitus erkrankten Menschen. Daher muss die Wundbehandlung stets eingebettet sein in ein interprofessionelles Diagnose- und Behandlungskonzept. Internationale Ergebnisse ergaben, dass die frühzeitige Einbindung in spezialisierten Fußbehandlungseinrichtungen hilft, komplizierte Verläufe und Amputationen zu vermeiden [1].
Chronische Wunden im Allgemeinen führen meist zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität, zu langen Behandlungszeiten und zu erhöhten Kosten. Neben konkreten Einschränkungen in der Alltagsaktivität, Mobilität und Selbstständigkeit der Betroffenen hat das nicht zuletzt auch Auswirkungen auf das seelische Wohlbefinden und das soziale Umfeld. Als mögliche Indizes für diese patientenbezogenen Endpunkte (PROM [„patient reported outcome measures“]) identifizierte eine texanische Arbeitsgruppe jüngst 3 Kriterien, welche für eine wirksame und effektive Versorgungsstruktur dieser besonderen Risikopopulation, Menschen mit Hochrisikokonstellation aktives DFS, gelten können: ulkusfreie, hospitalisierungsfreie und aktivitätsreiche Tage [2]. Diesen Ansatz gilt es auch in die DFS-Versorgung in Deutschland zu implementieren und dafür hinreichend effektive Strukturen, Prozesse und Finanzierungskonzepte zu schaffen.
In vielen Übersichtsarbeiten zur Behandlung chronischer Wunden werden meist Schmerzen als bedeutendste Beeinträchtigungen beschrieben. Das aber trifft für die Behandlung beim DFS aufgrund des Verlustes schützender Empfindungen („loss of protective sensation“ [LOPS]) im Rahmen der peripheren (diabetischen) Neuropathie mehrheitlich nicht zu! Daher bedürfen Diagnostik, Versorgung und Betreuung dieser besonderen Klientel einer speziellen Expertise:
„Aufgrund der besonderen Komplexität des Krankheitsbildes ‚Diabetisches Fußsyndrom‘ müssen alle an der Behandlung beteiligten Leistungserbringer und Professionen ein solides Maß an Erfahrungs- und Behandlungskompetenz haben und interprofessionell gut koordiniert und abgestimmt arbeiten. Und zwar so, dass sie das im [neuropathiebedingten] Verlust der leiblichen Ökonomie begründete Fehlverhalten des Patienten bei allen Maßnahmen bereits mit einkalkulieren.“ [3]
Das DFS ist die häufigste Ursache für Amputationen oberhalb des Sprunggelenks in Deutschland. Damit einhergehen ein hohes Mortalitätsrisiko und ein hoher Verbrauch an Ressourcen: Einer Metanalyse zufolge ist mit einer 5‑Jahres-Mortalität für Charcot-Fuß, diabetisches Fußulkus (DFU), Amputationen mit Teilfußerhalt (Minoramputation) und Amputationen ohne Fußerhalt (Majoramputation) von 29,0 %; 30,5 %; 46,2 % bzw. 56,6 % zu rechnen [4]. Im Zusammenhang mit einer hohen Amputation wegen eines DFS werden demnach mehr als die Hälfte der Patienten nach 5 Jahren verstorben sein. Zudem bedeutet die Versorgung dieser gefürchteten Komplikation einer Diabeteserkrankung enorme Belastungen für das Gesundheitssystem [5, 6].
Grundlegende Diagnostik
Merke.
Vor der Therapie steht die Diagnose.
Der Grundsatz, zuerst die Diagnose, dann die Theraie, wird leider viel zu häufig missachtet, und es wird viel zu oft ein hoher, ressourcenverbrauchender Aufwand betrieben, ohne dass zuvor eine klare Diagnose gestellt wurde. Bevor also eine lokale Wundversorgung beginnt, müssen eine Arbeitsdiagnose gestellt und die entsprechende Diagnostik durchgeführt werden (um diese entweder zu verifizieren oder ggf. auch zu verwerfen), damit auf dieser Basis ein schlüssiges Behandlungskonzept erstellt und verfolgt werden kann. Dabei ist diabetisches Fußsyndrom keine für die Behandlungsplanung hinreichend spezifische Diagnose.
Als Mindestvoraussetzung bedarf es vor Behandlungsbeginn vielmehr der Beantwortung folgender 2 Fragen:
1. Warum überhaupt?
Warum überhaupt kam es zu dem aktiven diabetischen Fußulkus (DFU)?
Das ist die Frage nach den Bedingungen: Liegen neuropathische Defizite vor? Besteht eine relevante Durchblutungsstörung im Zielgebiet?
2. Warum genau da?
Warum ist dieses Ulkus genau dort, genau an dieser Stelle und nicht etwa 3 cm weiter links, rechts, oben oder unten oder an einer anderen Zehe oder sogar am anderen Fuß? Die Beantwortung der Frage Warum ist das DFS genau hier lokalisiert? klärt den pathobiomechanischen Auslöser und bestimmt den Ort, an dem sich das Problem konkretisiert.
Entitäten sind Untergruppen des DFS, die durch ihre Lage definiert sind und einen intuitiven Zugang zu den therapeutischen Möglichkeiten eröffnen [7, 8].
Die Entität beschreibt ein relativ homogenes Krankheitsbild mit definierter Lokalisation, zugrunde liegender Pathobiomechanik, der Wahrscheinlichkeit einer PAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) und anderer Ursachen sowie geeignete Entlastungsmöglichkeiten und prognostische Informationen. Daten und Fotos von über 10.000 Behandlungsfällen, erhoben im Rahmen von Selektivverträgen zum DFS, wurden in die Analyse der Lokalisation einbezogen. Von den dokumentierten Läsionen waren 28,9 % durch eine pathobiomechanische Plantarisierung von Zehenanteilen entstanden [9, 10]. Von einer Plantarisierung kann dann gesprochen werden, wenn Abschnitte des Fußes Teil der plantaren Auflagefläche werden, die dafür nicht vorgesehen sind. Sie sind weniger geschützt, und Ulzera können sich auch bei Belastungen entwickeln, denen die Fußsohle normalerweise widersteht.
Chirurgische Verfahren zur sog. inneren Druckentlastung rücken zunehmend in den Fokus. In der aktuellen Leitlinie der IWGDF (International Working Group on the Diabetic Foot) 2023 wird empfohlen, chirurgische Maßnahmen in der Behandlungsplanung zu erwägen [11]. Sie können zumindest dann in Betracht gezogen werden, wenn Amputationen das alternative Verfahren wären, oder bei Lokalrezidiven, die auf ein hohes Risiko künftiger Amputationen hindeuten. Ein Beispiel hierfür ist die Nadeltenotomie der (langen) Beugesehnen der Zehen. Die positiven Effekte dieser vergleichsweise einfachen Maßnahme in der Therapie von Zehenkuppenläsionen konnten inzwischen in einer randomisierten Multizentrumsstudie zweifelsfrei belegt werden [12].
Interprofessionelles Behandlungskonzept: IRBESA-PP
Das bereits 1996 von J. Vollmar beschriebene IRA-Prinzip [13], wobei „I“ für Infektsanierung, „R“ für Revaskularisierung und „A“ für Amputation steht, muss inzwischen als eine sehr verkürzte Darstellung angesehen werden, die der modernen Versorgung des DFS angesichts der Komplexität des Krankheitsbilds nicht (mehr) gerecht wird. Es wurde daher zum IRBESA-PP-Prinzip weiterentwickelt und erstmals 2019 publiziert [14]: Infektionsmanagement, Revaskularisierung, Erkennen und Behandlung und von Begleiterkrankungen, Entlastung, stadiengerechte (lokale) Wundversorgung, (Grenzzonen‑)Amputation, Physiotherapie und psychosoziale Unterstützung sowie Präventionsmaßnahmen umreißen die wichtigsten Bausteine für eine effiziente Behandlung und Rezidivvorbeugung beim DFS.
Haben Sie an alles gedacht? In Tab. 1 sind die einzelnen Behandlungselemente in einer Art Checkliste aufgeführt, und Abb. 1 zeigt die zentrale Rolle spezialisierter Fußbehandlungseinrichtungen für Behandlung und (Rezidiv‑)Prophylaxe beim DFS.
Interprofessionelles Behandlungskonzept IRBESA-PP (Infektionsmanagement, Revaskularisierung, Erkennen und Behandlung und von Begleiterkrankungen, Entlastung, stadiengerechte Wundversorgung, [Grenzzonen-]Amputation, Physiotherapie und psychosoziale Unterstützung sowie Prävention inklusive Podologie) und zentrale Rolle spezialisierter Fußbehandlungseinrichtungen für die Behandlung und (Rezidiv‑)Prophylaxe beim DFS (diabetisches Fußsyndrom), ABS Antibiotikasteuerung bzw. „antibiotic stewardship“, AG Arbeitsgemeinschaft, DDG Deutsche Diabetes Gesellschaft, ICW Initiative Chronische Wunden. (Mod. nach [13])
I – Infektionsmanagement
Die aktuelle internationale Leitlinie enthält insgesamt 25 konkrete Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie von Infektionen des diabetischen Fußes, die hier nicht umfassend wiedergegeben werden können [15]. Grundsätzlich ist bei jeder Wundbehandlung zu prüfen, ob eine Infektion vorliegt. Falls ja, sollte deren Schweregrad nach standardisiertem Schema klassifiziert werden. Das zwingt zur kritischen Reflexion und erlaubt eine professionelle Verständigung über den Ausprägungsgrad der Erkrankung. Empfohlen wird die seit 2004 bestehende und zuletzt in 2023 überarbeitete IWGDF-Klassifizierung (Tab. 2; [15]).
Merke.
Eine relevante Durchblutungsstörung erschwert die Diagnose und Behandlung einer Infektion.
Diese Einteilung in die Schwergrade leichte, mittelschwere und schwere Infektion ist insofern von klinischer Relevanz, als sie zugleich auch die Basis für die konsekutiven Therapieempfehlungen bildet: Während milde Infektionen in der Regel ambulant versorgt werden können, sollen Menschen mit Diabetes und schwerwiegenden Fußinfektionen stationär eingewiesen werden; das gilt auch für Patienten mit mittelschweren Infektionen, wenn diese sich kompliziert darstellen und/oder in Verbindung mit entsprechenden Komorbiditäten stehen. Kennzeichen, die auf eine schwerwiegende diabetische Fußinfektion hinweisen und die eine potenzielle Indikation für eine Krankenhauseinweisung darstellen, sind in Tab. 3 übersichtlich zusammengefasst.
Wichtige praktische Hinweise
Bei infizierter Wunde müssen stets repräsentatives Material aus der Tiefe der Wunde für die mikrobiologische Analyse gewonnen und am besten das Débridementmaterial direkt eingesendet werden. Ein oberflächlicher sog. Abstrich ist ungeeignet, da er voraussichtlich nur die Keime der Hautflora repräsentiert, die in der Regel nicht für den tiefen Wundinfekt verantwortlich sind. Vorher darf die Wunde nur mit NaCl- oder Ringer-Lösung zur Reduktion der Oberflächenkeime gespült werden, eine Dekontamination mit antiseptischen Spüllösungen ist erst nach der Probenentnahme durchzuführen.
Wichtig.
Systemisch antibiotisch behandelt wird nicht ein mikrobiologischer Keimnachweis, sondern nur eine Infektion – nicht etwa Kontaminationen oder Kolonisation. Dies erfordert stets eine sorgfältige klinische Einschätzung des Infektionsgrades einer Wunde nach dem vorgestellten Klassifizierungsschema!
Merke.
Der Start einer kalkulierten Antibiotikatherapie setzt immer eine vorangegangene tiefe repräsentative mikrobiologische Probenentnahme voraus.
Grundlegende Behandlungsempfehlungen nach Wundtiefe und Infektionsgrad
Oberflächliches Ulkus mit milder Infektion.
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Wundreinigung mit Débridement avitalen Gewebes und ggf. Abtragung von Hyperkeratosen
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Beginn mit empirischer oraler Antibiotikatherapie mit primärer Wirksamkeit auf Staphylococcus aureus und Streptokokken
Tiefe oder ausgedehnte Infektion (moderat oder schwer, potenziell das Bein gefährdend).
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Zwingend Evaluation, ob eine dringliche Operation erforderlich ist (z. B. Nekrosektomie ggf. inklusive infizierten Knochens bzw. Osteonekrosen, Entlastung eines infektiösen Kompartmentsyndroms, Drainageoperation zur sicheren Exsudatableitung)
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Beginn einer empirischen i.v. Antibiotikatherapie, Breitspektrum mit Wirksamkeit bei den häufigsten grampositiven und -negativen Bakterien inklusive Anaerobiern
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Adaptation an das Resistogramm, sobald dieses vorliegt
Merke.
Es gilt: Zeit ist Bein.
Hygiene
Alle Einrichtungen, welche Menschen mit akutem diabetischem Fußsyndrom behandeln, benötigen einen Hygieneplan und müssen ihre Verfahrensweisen und Prozesse daraufhin abstimmen. Das gilt insbesondere für Problemkeime wie MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus), MRE (multiresistenter Erreger) oder MRGN (multiresistenter gramnegativer Erreger).
Eine wichtige Bedeutung kommt den Verbandswechseln zu, die durch Patienten selbst, Angehörige oder ambulante Pflegedienste in den häuslichen Räumlichkeiten der Patienten selbst erfolgen. So gehören z. B. Haustiere wie Hunde oder Katzen nicht in die Nähe von Wundbehandlungen.
Wahl des Antibiotikums
Zur empirischen Auswahl geeigneter systemischer Antibiotika sei auf Tab. 4 verwiesen. Hier sind nur allgemeine Strategien für eine Antibiotikatherapie benannt. Selbstverständlich ist der Einsatz von Antibiotika stets kritisch zu prüfen, und mögliche Anwendungsbeschränkungen oder -hinweise sowie individuelle Unverträglichkeiten sind zu berücksichtigen.
R – Revaskularisierung
Am Eingangsportal der ehemaligen Chirurgie des Universitätsklinikums Gießen (heute umgebaut zum modernen medizinischen Lehrzentrum) steht in goldenen Lettern geschrieben: „vulnerando sanamus“ (durch Verwunden heilen wir). Dank der Selbstheilungskräfte unseres Körpers ist eine Wundheilung jeder Art prinzipiell überhaupt erst möglich. Diese geniale Wundheilung bedarf jedoch einer grundlegenden Voraussetzung: Das Wundgebiet muss ausreichend durchblutet sein. Das Prinzip gilt genauso für einen Behandlungserfolg beim diabetischen Fuß. Daher kommt der sorgfältigen Erhebung des Durchblutungsstatus eine hohe Bedeutung zu.
Wichtig ist, daran zu denken, dass eine bestehende Neuropathie die klassischen Symptome einer relevanten Durchblutungsstörung (Claudicatio intermittens, Ruheschmerzen) verschleiern kann. Daher gilt es, klinische Aspekte und mehrere Parameter apparativer Diagnostik zusammenzuführen. Zeigt eine Wunde keine adäquate Heilungstendenz trotz Beachtung aller anderen hier im Rahmen von IRBESA-PP genannten Kriterien, ist die Indikation zur Angiographie in Interventionsbereitschaft erneut zu prüfen.
In Tab. 5 sind die wichtigsten aus 25 in dem entsprechenden Kapitel der internationalen Leitlinie gelisteten Handlungsempfehlungen im Hinblick auf die Erfassung und Behandlung einer relevanten peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) bei Patienten mit diabetischem Fußulkus in 10 Punkten kondensiert zusammengefasst dargestellt [16].
Merke.
Vor jeder Amputation sind zwingend die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer Revaskularisierung (interventionell und/oder offen gefäßchirurgisch) zu prüfen.
Ein Fallbeispiel zur Bedeutung der Relevanz einer ausreichenden Durchblutung im Zielgebiet der Läsion ist im Folgenden dargestellt Infobox 1; Abb. 2).
Infobox 1 Fallbeispiel 1 für die Bedeutung einer ausreichenden Durchblutung für eine adäquate Wundheilung
Ohne Verbesserung einer relevant eingeschränkten Durchblutung sind die bestgemeinten lokalen Therapieansätze und Maßnahmen nicht erfolgreich, wie das in Abb. 2 dargestellte Fallbeispiel eines 60-jährigen Mannes mit Diabetes mellitus Typ 1, Zustand nach Nierentransplantation bei terminaler, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz zeigt. Er wies ein Vibrationsempfinden beidseits von 4/8; Monofilament beidseits von 0/3 auf, die TipTherm-Untersuchung war beidseits pathologisch, die Fußpulse nicht sicher tastbar. Der ABI, jeweils A. dorsalis pedis/A. tibialis posterior, betrug rechts > 2/> 2; links 0,76/1,1; der tcpO2 (transkutaner Sauerstoffdruck) liegend/sitzend rechts 23/31 mm Hg, links 44/54 mm Hg. Es lagen ein monophasischer Fluss in der A. dorsalis pedis und A. tibialis posterior vor und, erwartungsgemäß, keine schmerzhaft eingeschränkte Gehstrecke, kein Ruheschmerz. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung mit einem Läsionsalter von ca. 3 Wochen (Abb. 2a), lehnte der Patient die empfohlene i.a. (intraarterielle) DSA (digitale Subtraktionsangiographie) in PTA-Bereitschaft (PTA: perkutane transluminale Angioplastie) ab. Der Lokalbefund noch am Tag der Erstvorstellung nach vorsichtigem, evaluierendem Débridement (kein Verhalt), mit dem Entschluss, bei grenzwertiger Durchblutung nicht scharf bis ins Gesunde zu schneiden, sondern stattdessen Fliegenlarven einzusetzen, ist in Abb. 2b dargestellt. Bei der Kontrolle 3 Wochen nach der Erstvorstellung war es leider nicht zu einer Verbesserung der Wundsituation gekommen – im Gegenteil: Die nicht ausreichende Durchblutungssituation wurde mit der neuen Nekrosebildung deutlich sichtbar (Abb. 2c). Das war Anlass, nochmals sehr behutsam, aber deutlich und ausführlich die Problematik der unzureichenden Durchblutungssituation mit dem Patienten zu besprechen. Dieser stimmte dann trotz aller Bedenken und Ängste der i.a. DSA in Interventionsbereitschaft zu. Die Verbesserung der Durchblutungssituation im Zielgebiet war am Tag + 2 nach Gefäßintervention mit PTA im Bereich der Unterschenkelarterien (A. tibialis posterior proximal und distal) klinisch eindrücklich sichtbar (Abb. 2d): Waren das Wundbett zuvor schwarz und ohne sichtbare Granulation und die Umgebung livide, zeigte sich jetzt ein granulierender Wundgrund mit nur wenig Belägen und hell rosiger Umgebung. Unter NPWT (Unterdruckwundtherapie [„negative pressure wound therapy“]) heilte die Wunde erfolgreich ab (Abb. 2e,f).
Fallbeispiel 1, a Fersennekrose rechts, Lokalbefund bei Erstvorstellung, Läsionsalter ca. 3 Wochen, b Lokalbefund nach vorsichtigem, nur evaluierendem Débridement noch am Tag der Erstvorstellung, c Befund 3 Wochen nach der Erstvorstellung mit neuer Nekrosebildung, d Tag + 2 nach Gefäßintervention mit perkutaner transluminaler Angioplastie im Bereich der Unterschenkelarterien, e Wundstatus nach 1. Zyklus NPWT (Unterdruckwundtherapie [„negative pressure wound therapy“]), f abgeschlossene Wundheilung, stabiler Befund, weitere Erläuterungen s. Text
B – Begleiterkrankungen
Patienten mit diabetischem Fußsyndrom haben in den meisten Fällen weitere, für die Wundheilung, v. a. aber die Prognose relevante Begleiterkrankungen. Diese gilt es zu erkennen und entsprechend auch therapeutisch zu adressieren. Gleichzeitig muss beachtet werden, dass eine Läsion am Fuß eines Patienten mit Diabetes mellitus nicht automatisch ein diabetisches Fußsyndrom ist. Es gilt also auch. differenzialdiagnostische Abklärungen zu erwägen und ggf. frühzeitig auf den Weg zu bringen.
Einige Beispiele seien nachfolgend aufgezählt (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
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Metabolische Störungen:
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Blutzuckerstoffwechsel
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Renale Störungen (Urämie, sekundärer Hyperparathyreoidismus, nephrotisches Syndrom)
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Hyperurikämie (chronische Inflammation, Gichtarthritis)
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Malnutrition (Malabsorption, Malassimilation mit z. B. Mangel an Albumin, Zink, Vitaminen usw.)
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Herabgesetzte Immunitätslage
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Angiologische Komorbiditäten jenseits der PAVK
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Chronisch-venöse Insuffizienz
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(Chronisches) Lymphödem
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Herzinsuffizienz
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Gerinnungsstörungen/Faktorenmangel
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Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
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Depression
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Demenzielle Entwicklungen/manifeste Demenz
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Vaskulitiden, rheumatoide Arthritis, Psoriasisarthritis
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Malignome (spinozelluläre Karzinome, Basalzellkarzinome, malignes Melanom)
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Unerwünschte Medikamentenwirkungen (z. B. Marcumarnekrose)
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Primär dermatologische Erkrankungsbilder (z. B. bullöses Pemphigoid, Mykosen, Zoonosen, Ekzeme)
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Motorische und koordinatorische Defizite (z. B. bei Zustand nach Apoplex, diabetischer Polyneuropathie oder chronisch inflammatorischer demyelinisierender Polyneuropathie [CIDP])
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Artefizielle Störungen, sekundärer Krankheitsgewinn
Merke.
Betrachten Sie den Patienten mit diabetischem Fußsyndrom stets als Ganzes und nehmen Sie ihn in der Komplexität seines Krankheitsgeschehens wahr. Adressieren Sie frühzeitig mögliche Begleiterkrankungen und differenzialdiagnostische Überlegungen.
E – Entlastung
Da die meisten Patienten wegen ihres Verlustes schützender Warnmechanismen (LOPS) von sich aus keine wirksame Entlastung herbeiführen oder einhalten werden, gilt das Erzielen einer für die Wundheilung essenziellen Entlastung als sog. Herkulesaufgabe. Einem sonst gesunden Menschen ohne neuropathisches Defizit muss Niemand erklären, dass er auf einen verletzten Fuß nicht auftreten soll – er wird es schmerzreflektorisch automatisch vom ersten Augenblick der Verletzung an nicht tun! Dagegen ist es häufig mühsam, dem Patienten, dem dieser Schutzmechanismus verloren gegangen ist, klarzumachen, warum er den Fuß eben nicht belasten soll. Damit nicht genug: Allen Behandlern und Leistungserbringern muss zudem klar sein, dass sie bei ihren therapeutischen Interventionen oder der Versorgungen mit einem Hilfsmittel nie davon ausgehen dürfen, dass die Patienten bei Problemen mit der Versorgung adäquate Rückmeldung geben werden.
Aktuelle Entwicklungen und Bestrebungen beschäftigen sich damit, wie dieser LOPS durch digitale und smarte Techniken wie z. B. Sensoren für Druck, Scherkräfte und/oder Temperatur in Verbindung mit Hilfsmitteln behelfsweise ersetzt werden kann. Erste Studien hierzu sind bereits veröffentlicht oder laufen derzeit und lassen in den nächsten Jahren dringend benötigte neue Möglichkeiten und Ideen in der Entlastungstherapie erwarten [17,18,19,20].
Eine besondere Herausforderung stellt das Krankheitsbild der Charcot-Neuroosteoarthropathie (CNO) dar, die eine wirksame ruhigstellende Therapie meist für mehrere Monate erfordert.
Grundsätzlich stehen verschiedene Optionen der Entlastung zur Verfügung. Nachfolgend sind die unterschiedlichen Möglichkeiten in Anlehnung an die Empfehlungen zur Entlastung aus der internationalen IWGDF-Leitlinie zusammengestellt [21].
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Nichtoperative Maßnahmen zur Entlastung (Reihenfolge in abnehmender Effektivität der Entlastung und zunehmendem Grad der Mobilität)
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Bett
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Rollstuhl
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Vollkontaktgips („total contact cast“ [TCC]), nicht abnehmbar ± Unterarmgehstützen
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Konfektionierte Orthese, nicht abnehmbar ± Unterarmgehstützen
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Vollkontaktgips (TCC), abnehmbar ± Unterarmgehstützen
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Konfektionierte Orthese, abnehmbar ± Unterarmgehstützen
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Verbands- oder Therapieschuhe mit individualisierter Entlastung (z. B. Filzen) ± Unterarmgehstützen
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Operative Maßnahmen zur Entlastung (sog. innere Entlastung; immer dann zu erwägen, wenn eine nichtoperative Entlastungsbehandlung fehlschlägt oder nicht durchführbar ist oder absehbar nicht zu dem gewünschten Therapieziel führen wird)
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Durchtrennung von Beuge- und/oder Strecksehnen bei apikalen oder dorsalseitigen bzw. kombinierten Läsionen bei Hammer- und Krallenzehen
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Innere knöcherne Resektionen oder Umstellungen (vorzugsweise minimal-invasiv)
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Abtragung von Pseudoexostosen (vorzugsweise minimal-invasiv)
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Stellungskorrigierende Operationen an Mittel- oder Rückfuß bei CNO und nicht alltagstauglicher konservativer Versorgbarkeit
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Der Einsatz eines sog. „Vorfußentlastungsschuhs“ ist bei Menschen mit Neuropathie nicht sinnvoll, da diese wegen der eingeschränkten Schmerzempfindung dieses Hilfsmittel nicht korrekt nutzen können. Bei normaler Gangabwicklung wird der betroffene Fuß hinter den nicht betroffenen gesetzt. Dadurch kommt es beim zu entlastenden Fuß zu einer Überlastungssituation (Abb. 3)!
Vorfußentlastungsschuh bei Neuropathie: vollkommen normales Gangverhalten mit unerwünschten Spitzenbelastungen im Wundbereich. ([56], © Gerald Engels, alle Rechte vorbehalten)
Auf Einzelheiten der aufgelisteten Methoden zur Entlastung kann im Rahmen dieses Übersichtsbeitrags nicht näher eingegangen werden. Einige konkrete Beispiele und wichtige Aspekte zeigen die Abb. 4, 5 und 6 mit den zugehörigen Falldarstellungen.
Infobox 2 Fallbeispiel 2 für rezidivierende plantare Läsionen
Die 78-jährige Patientin mit Diabetes mellitus Typ 2 und einer Diabetesdauer von 28 Jahren, ohne relevante periphere arterielle Verschlusskrankheit, litt seit mehreren Jahren trotz Versorgung mit Schutzschuhen und diabetesadaptierten Bettungen an rezidivierenden plantaren Läsionen im Bereich der Metatarsalköpfe (MTK) 2 und 3 links (Abb. 4a,b). Die alleinstehende Frau war in ihrer eigener Wohnung und am Rollator für ihren Alltag mobil. Es erfolgte eine minimal-invasive Umstellung der MTK 2 und 3 (distale minimal-invasive Metatarsalosteotomie [DMMO]) in Leitungsanästhesie (Abb. 4c–i), wodurch sich deren Stellung deutlich veränderte (Abb. 4b im Vergleich zu Abb. 4e, ). Diese Umstellung kann auch als dorsal offene Keilosteotomie in einem offenen operativen Vorgehen vorgenommen werden. Das Fremdmaterial in den Röntgenbildern (Abb. 4f,g) dokumentiert einen früheren Eingriff zur Korrektur eines Hallux valgus durch Chevron- und Akin-Osteotomie sowie eine PIP-Gelenkarthrodese (PIP: proximales Interphalangealgelenk) D2 (D: Digitus) durch ein Implantat.
Infobox 3 Fallbeispiel 3 für Wundsituation im Bereich des linken Außenknöchels mit Einbruch ins Sprunggelenk sowie für Amputation rechts aufgrund gravierendem Weichteilschaden
Der 82-jährige Patient mit einer Wundsituation im Bereich des linken Außenknöchels mit Einbruch in das obere und untere Sprunggelenk stellte sich zu Einholung einer Zweitmeinung vor. Er litt seit 11 Jahren an einem Diabetes mellitus Typ 2, der HbA1c-Wert (HbA1c: glykiertes Hämoglobin) betrug 6 %, zudem lagen eine inkomplette Paraplegie, ein Steißbeindekubitalulkus Grad 2, eine suprapubische Blasenableitung sowie ein endständiger Anus praeter vor. Die Wund war bei ausgeprägter fixierter Inversionsfehlstellung am ehesten lagerungsbedingt (Abb. 5a–c). Bei 2‑Gefäß-Versorgung über die A. tibialis posterior und die A. tibialis anterior wurden bei komplett aufgehobenem Schmerzempfinden ohne zusätzliche Anästhesie eine distale Fibula- und eine Talusresektion über die bestehende Läsion durchgeführt. Es erfolgte ein kompletter Wundverschluss unter Einlage von 2 großkalibrigen Redon-Saugdrainagen transkutan in fortlaufender Nahttechnik (Abb. 5d). Primär wurde ein stabilisierender Verband angelegt, gefolgt von einer postoperativen Retention der Stellung im FlexCast-Verband über einen Zeitraum von 12 Wochen (Abb. 5e,f). Am 7. postoperativen Tag (Abb. 5g,h) wurde der Patient in die vorstellende Klinik zurückverlegt.
Der Mann wurde 14 Monate später erneut zur Zweitmeinung bei nun gravierendem Weichteilschaden des rechten Fußes im Bereich der Fußsohle vorgestellt (Abb. 6b,c). In der MR-Angiographie (MR: Magnetresonanz) stellte sich ein kompletter Querschnittverschluss der rechten unteren Extremität dar, der Befund konnte auch duplexsonographisch nachvollzogen werden. Der linke Fuß dagegen war nach der Intervention 14 Monate zuvor bis auf oberflächliche Läsionen verletzungsfrei, die Stellung nach Talusresektion war in der Pseudarthrose unverändert geblieben (Abb. 6a). Im Rahmen der etablierten externen Zweitmeinung wurde für die rechte Seite aufgrund der Gesamtsituation die Indikation zur Oberschenkelamputation gestellt und der Patient am 2. postoperativen Tag (Abb. 6d) in die vorstellende Klinik rückverlegt. Diese Kasuistik belegt eindrücklich die statistischen Phänomene. Hätte man zu Behandlungsbeginn auch für die linke Extremität die Amputation angestrebt, wäre nun, 14 Monate später, auch die 2. Extremität amputiert worden.
Fallbeispiel 3, a–c wahrscheinlich lagerungsbedingte Wundsituation im Bereich des linken Außenknöchels mit Einbruch in das obere und untere Sprunggelenk bei ausgeprägter fixierter Inversionsfehlstellung, d kompletter Wundverschluss nach 2‑Gefäß-Versorgung transkutan in fortlaufender Nahttechnik, e,f nach primär stabilisierendem Verband postoperative Retention der Stellung im FlexCast-Verband über 12 Wochen, g,h klinischer Befund am 7. postoperativen Tag, weitere Erläuterungen s. Text
Wichtig ist, dass ein Fußbehandlungsteam in folgendem wichtigem Behandlungssektor Kompetenz besitzt: Was ist wann wie effektiv einzusetzen? Das gilt auch im Hinblick auf eine ebenso effektive wie effiziente Kosten-Nutzen-Relation für Patient, Behandler und Gesundheitssystem.
Merke.
Meist werden alltagstaugliche Kompromisse gefunden werden müssen. Ziel muss die bestmögliche Entlastung bei geringstmöglicher Immobilisierung sein (Stichwort geschütztes Gehen). Dabei sollten v. a. Versorgungsabbrüche vermieden werden.
Ein Beispiel für die operative (innere) Entlastung als wichtiges, nachhaltiges Therapieprinzip zeigen die Abb. 4a–i. Gerade diese stellungskorrigierenden operativen Eingriffe an Zehen und Mittelfußköpfen können in aller Regel in lokoregionalen Anästhesieverfahren und häufig auch minimal-invasiv durchgeführt werden. Sie beinhalten für den Patienten meist keine höhergradigen operativen Risiken. Es gilt, frühzeitig an solche operative Maßnahmen zu denken – sowohl für die erfolgreiche Akuttherapie als auch für eine nachhaltige Prävention. Voraussetzung ist ein interdisziplinäres Behandlungsteam mit einem in diesen fußchirurgischen Verfahren beim DFS versierten chirurgischen Partner. Wie differenziert dabei die interprofessionellen Herausforderungen sein können und wie anfällig solche teils hochkomplexen Verläufe für Versorgungsabbrüche sind, zeigen Abb. 5a–h und Abb. 6a–d.
Ein wesentlicher Bestandteil der Entlastungstherapie sind zudem das konsequente und regelmäßige Abtragen von Hyperkeratosen sowie die Behandlung (drohend) einwachsender Fußnägel. Hierdurch wird echte Druckentlastung erzielt. Damit sind Ziel und Aufgabe der podologischen Therapie beschrieben, die eine der tragenden Säulen in der Prävention von Fußulzera bei Menschen mit (diabetischer) Neuropathie darstellt (s. Abschnitt Prävention). Die direkte Wundbehandlung ist nicht Bestandteil der podologischen Therapie – sehr wohl bedarf es aber einer guten Abstimmung zwischen Podologe und Wundbehandler, damit während der oft über Monate hinweg stattfindenden Wundbehandlung nicht die präventive Pflege der übrigen Fußsohlenhaut und Fußnägel vernachlässigt wird.
S – Stadiengerechte Wundbehandlung
Angesichts unzähliger Präsentationen erfolgreicher Wundbehandlungen und der großen und wachsenden Zahl von Herstellern und Anbietern von Wundauflagen und Materialien zur lokalen Wundbehandlung entsteht vielfach schnell das Missverständnis, dass alle Wunden zur Heilung gebracht werden könnten, würde man nur das richtige Produkt auswählen. Weil ein aktives DFU aber mehr ist als nur eine Wunde am Fuß eines Menschen mit Diabetes, stellt die Auswahl eines geeigneten Produkts zur Wundbehandlung nur einen Faktor in einem ganzen Potpourri (Spektrum) notwendiger Behandlungsmaßnahmen dar. Deshalb ist die stadiengerechte lokale Wundbehandlung in diesem Beitrag eingebettet in die Beschreibung zusätzlich erforderlicher Maßnahmen.
Das vorangestellt, gelten prinzipiell auch für die lokale Versorgung des diabetischen Fußulkus die Prinzipien einer stadiengerechten feuchten Wundbehandlung [22]. Eine wichtige Ausnahme stellen trockene, infektfreie mumifizierte Nekrosen bei Patienten dar, die noch nicht oder nicht mehr hinreichend revaskularisiert werden können (Stichwort „Palliativkonzept“).
Wundbeurteilung und Dokumentation
Bevor die Entscheidung zu treffen ist, wie die lokale Versorgung ausgeführt werden soll, müssen stets eine zuverlässige und standardisierte Erfassung, Beurteilung und Dokumentation des Zustandes der Wunde und der Umgebung erfolgen. Wichtige, zu klärende Fragen sind u. a.:
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Ist die Wunde infiziert?
-
In welcher vorrangigen Heilungsphase befindet sich die Wunde (Exsudations‑, Granulations- und/oder Epithelisierungsphase)?
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Wie ist der Zustand der Wundumgebung (Rötung, Schwellung, Unverträglichkeitsreaktionen, Hyperkeratosen, Mazeration)?
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Bestehen Wundtaschen, Fistelgänge, Wundhöhlen?
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Wie ist der Exsudationsgrad der Wunde (im Hinblick auf Menge, Farbe, Geruch)?
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Besteht ein Wundschmerz (standardisierte Erfassung mittels visueller oder numerischer Analogskala)?
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Cave: Ein fehlender Wundschmerz bei LOPS muss angemessen bewertet werden.
Stellen Sie bei Versorgungen im Rahmen eines multiprofessionellen Behandlungsteams sicher, dass der abgenommene Verband nicht weggeworfen wird, bevor ihn der für die Versorgung verantwortliche Entscheidungsträger gesehen und im Hinblick auf die weitere Versorgung bewertet hat!
Sorgen Sie dafür, dass diese Erfassung und Bewertung regelmäßig und standardisiert erfolgen und auch entsprechend dokumentiert werden, idealerweise inklusive repräsentativer Fotos von Wunde und Wundumgebung. Achten Sie beim Fotografieren darauf, dass Sie wichtige Informationen für die Verlaufsbeurteilung erfassen und diese nicht etwa durch Linealetiketten oder ähnliches verdecken. Speziell beim diabetischen Fußulkus sind ggf. auch Aufnahmen in Funktionsstellung, also in Belastung, zu erwägen, um Plantarisierungseffekte und belastungsinduzierte Fehlstellungen zu dokumentieren.
Für die standardisierte Erfassung stehen verschiedene Hilfsmittel und Tools zu Verfügung: z. B. der Fußdokumentationsbogen der AG (Arbeitsgemeinschaft) Diabetischer Fuß in der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) oder softwarebasierte Dokumentationssysteme wie beispielsweise DFS-Register®, Emil® oder DPV®, welche die wesentlichen Daten erfassen, wie sie z. B. auch für die Ergebnisevaluation im Rahmen der Zertifizierung für durch die AG Diabetischer Fuß akkreditierte Fußbehandlungseinrichtungen Voraussetzung sind [23].
Klassifizierung eines diabetischen Fußulkus (DFU)
Die in Deutschland gebräuchlichste Einteilung für das DFU ist die Wagner-Klassifizierung (sie beschreibt die Tiefenausdehnung und somit die beteiligten Gewebeschichten), ergänzt um die University-of-Texas (UT)-Klassifizierung (sie gibt das klinische Bild hinsichtlich des Vorliegens einer Durchblutungsstörung und/oder einer Infektion wieder). In Würdigung der Erstautoren wird diese kombinierte Einteilung als Wagner-Armstrong-Klassifizierung bezeichnet (Abb. 7, modifiziert nach Armstrong et al. [24] und Wagner et al. [25]).
Zur genaueren Befundbeschreibung wird international zunehmend die PEDIS-Klassifizierung der IWGDF bedeutsam [26]. Sie beschreibt die Parameter:
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P: „perfusion“ (Durchblutung),
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E: „extent/size“ (Wundgröße),
-
D: „depth/tissue loss“ (Tiefenausdehnung/Gewebedefekt),
-
I: „infection“ (Infektion) und
-
S: „sensation“ (schützende Empfindung).
Das Kriterium „I“ (Infektion) aus PEDIS wird zudem in anderen Scores bei DFU verwendet, so z. B. in der WIfI-Klassifizierung (WIfI: „wound, ischemia, and foot infection“). Hier werden Wundausdehnung, Ischämiegrad und Schwere der Fußinfektion beurteilt. Die WIfI-Klassifizierung kann für eine individuelle Nutzen-Risiko-Abschätzung herangezogen werden [27], wozu der von der Society of Vascular Surgery (SVS) zur Verfügung gestellte Onlinekalkulator genutzt werden kann [28].
In den Leitlinien der IWGDF wird die Verwendung der SINBAD-Klassifizierung (SINBAD: „site, ischemia, neuropathy, bacterial infection, and depth“) favorisiert und empfohlen, weil sie prognostische Relevanz besitzt und für die Vorhersage der Wahrscheinlichkeit von Wundheilung und Amputation in mehreren Ländern mit guter Reliabilität validiert ist [29,30,31]. Auf Basis dieser Erkenntnisse wird eine mögliche künftige Erweiterung der Wagner-Armstrong-Klassifizierung um Elemente aus diesen hier kurz erwähnten Klassifizierungen derzeit seitens der AG Diabetischer Fuß DDG geprüft.
Wundreinigung und -débridement
Am Anfang jeder Wundbehandlung steht ein gründliches Débridement – in erster Linie scharf mit Skalpell, Kürette oder scharfem Löffel, in besonderen Situationen auch biochirurgisch mittels Einsatz von Fliegenlarven (gut geeignet z. B. bei nekrotischen oder stark belegten Fersenwunden; Hinweis: in Deutschland derzeit Abgabe nur im stationären Behandlungsbereich über Krankenhausapotheken möglich).
Es muss zwischen Wundantiseptika und -spüllösungen unterschieden werden. Erstere sollten nur bei infizierten bzw. kolonisierten Wunden (s. Abschnitt Infektion) verwendet werden. Zudem ist deren fortgesetzter Einsatz spätestens nach etwa 14 Tagen kritisch zu überprüfen. Als Mittel der ersten Wahl für den Einsatz bei chronischen Wunden (und auch bei DFU) gelten Natriumhypochlorit/hypochlorige Säure (NaOCl/HOCl) oder Polihexanid. Mittel der zweiten Wahl sind Octenidin/Phenoxyethanol, die nur angewendet werden sollen, wenn ein sicherer Abfluss gewährleistet ist.
Cave.
Wundantiseptika dürfen nicht mittels Spritze in die Tiefe von Fisteln, Wundhöhlen oder in Gelenke eingebracht werden, wenn kein sicherer Abfluss gewährleistet ist!
In besonderen Fällen kann, zumindest kurzzeitig, PVP-Jod (0,5 % [PVP: Polyvinylpyrrolidon]) zur Anwendung kommen.
Für alle nicht infizierten und nicht kolonisierten Wunden sollten zur Wundreinigung nur körperwarme Kochsalz- oder Elektrolytlösungen (z. B. Ringer-Lösung) zum Einsatz kommen. Wasser aus der Wasserleitung sollte nur in speziellen Fällen und dann ausschließlich unter Verwendung eines 0,2-µg-Mikrofilters eingesetzt werden (es darf nur steriles Wasser verwendet werden).
Als entbehrlich gilt Silbersulfadiazin und obsolet sind Farbstoffe, quecksilberorganische Verbindungen sowie Wasserstoffperoxid. Die lokale Anwendung von Silberionen oder Essigsäure wird nicht generell empfohlen, kann aber bei gezieltem und kontrolliertem Einsatz erwogen werden [32].
Auswahl von Produkten und Maßnahmen zur lokalen Wundbehandlung
Für die Auswahl geeigneter Wundauflagen sind stets das vorherrschende Wundheilungsstadium, die Menge und Beschaffenheit des Exsudats und das Vorhandensein einer Wundinfektion oder einer Kolonisation bzw. eines Biofilms maßgebend.
Neben der Wahl des Produktes ist die Festlegung des Intervalls für den jeweils nächsten Verbandswechsel eine entscheidende Variable. Dabei orientiert sich die Liegedauer eines Verbands in der Regel an dessen Kapazität, das Exsudat zu binden. Bei infizierten Wunden sollen Verbandswechsel in der Regel täglich erfolgen und keine okklusiven oder semiokklusiven Verbandsmaterialien verwendet werden. Zudem wären diese bei den in diesem infizierten Stadium kurzen Verbandsintervallen in der Regel nicht wirtschaftlich.
Prinzipielle Anhaltspunkte für eine am jeweiligen Wundstadium orientierte Auswahl von Wundauflagen sind in Abb. 8 (modifiziert nach Eckhard [33]) wiedergegeben.
Anhaltspunkte für eine stadiengerechte Auswahl von Wundauflagen, NPWT Unterdruckwundtherapie („negative pressure wound therapy“), PU Polyurethan. (Mod. nach [33])
Eine Bewertung einzelner Wundprodukte würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Stattdessen sind in Tab. 6 einige konkrete Handlungsempfehlungen für spezielle Wundzustände zusammengestellt, welche auch besondere Herausforderungen bei der Versorgung von Wunden an den Füßen beinhalten.
Ergänzende Empfehlungen anhand der IWGDF-Leitlinie zur Intervention und Verbesserung der Wundheilung bei chronischen Fußläsionen bei Menschen mit Diabetes sind nachfolgend stichwortartig zusammengefasst (ergänzt und modifiziert nach Rayman et al. [34] bzw. Chen et al. [35]):
Ergänzende Empfehlungen (ergänzt und modifiziert nach [34, 35]).
-
Es sollten keine Fußbäder erfolgen.
-
Erwägen Sie Unterdruckwundtherapie (NPWT [„negative pressure wound therapy“]) für verbesserte Wundheilung und Wundbettkonditionierung für frische Wunden nach Operationen. In klinischen Studien wurde eine Überlegenheit der NPWT gegenüber der Standardtherapie im Hinblick auf Effektivität, Wundheilung und Amputationsrate festgestellt, und zwar ohne eine höhere Rate an unerwünschten Wirkungen [36].
-
Wenn trotz optimaler Versorgung nach 4–6 Wochen keine adäquate Wundheilung in Gang kommt und keine Infektion vorliegt, dann sollten Sie den Einsatz erwägen von:
-
a)
Saccharoseoctasulfatimprägnierten Wundauflagen
Unter Berücksichtigung des auf neuroischämische Fälle ohne schwere Ischämie und ohne Infektion beschränkten Kollektivs kam es im Vergleich zu Auflagen ohne NOSF (Nanooligosaccharidfaktor) innerhalb von 20 Wochen zu einer verbesserten Abheilungsrate (48 % vs. 30 %; [37]).
-
b)
Einsatz einer mehrschichtigen Matrix aus Leukozyten, Thrombozyten und Fibrin, gewonnen aus autologem Material (18 ml Eigenblut)
Studiendaten aus Metaanalysen bei Wunden bis zu einer moderaten Ischämie lassen einen signifikanten Vorteil annehmen [38].
Gegenwärtig ist das Produkt auf dem deutschen Markt außerhalb von Studien noch nicht frei verfügbar.
-
c)
Allografts aus Plazentamembran (bis moderate Ischämie; in Deutschland bisher nicht auf dem Markt)
-
d)
Erwägung des Einsatzes von topischem Sauerstoff bzw. hyperbarer Sauerstoffoxygenierung, wenn alle anderen Maßnahmen konsequent ausgeschöpft sind
-
a)
-
Die lokale Anwendung von Kaltplasma gewann in jüngster Zeit zunehmend an Evidenz. Der Einsatz kann nach Auffassung der Autoren nach derzeitigem Kenntnisstand zumindest erwogen werden. In einer erst kürzlich publizierten randomisierten Studie mit 62 diabetischen Fußulzera bei 43 Patienten konnte zwar die theoretisch zu erwartende Keimreduktion insbesondere in kolonisierten (Biofilm) und infizierten Wunden mit dem gewählten Studiendesign nicht bestätigt werden, allerdings heilten die mit Kaltplasma behandelten Wunden signifikant schneller ab [39]. In einer weiteren, ebenfalls randomisierten Studie an 44 Patienten mit diabetischer Fußläsion führte die 3‑mal wöchentliche Anwendung von Kaltplasma sowohl zu einer signifikant besseren und schnelleren Wundheilung als auch zu einer signifikanten Keimreduktion [40]. In der aktuellen IGWDF-Leitlinie von 2023 wird der standardisierte Einsatz von Kaltplasma und anderen Gasen wie Ozon, Stickstoffoxid oder Kohlendioxid nicht empfohlen.
-
Bisher ohne Empfehlung für die Routineanwendung sind Produkte wie z. B.:
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Kollagene, Alginate,
-
Wachstumsfaktoren,
-
biotechnologisch hergestelltes Gewebe („bio-engineered tissue“), wie z. B. azelluläre oder autologe Hautersatzprodukte oder anderer Zelltherapien (außer der o. g. autologen Patches aus Leukozyten, Thrombozyten und Fibrin),
-
Silber oder andere antimikrobielle Wirkstoffe (ob in Wundauflagen oder als topische Applikationen).
-
-
Prüfen Sie regelhaft die Option eines sekundären Wundverschlusses. Das gelingt umso besser, wenn das Ziel der weiteren Versorgung bereits von Beginn an im Auge behalten wird. Hier kann eine Unterdrucktherapie nach chirurgischer Wundbehandlung zur Konditionierung des Wundbetts für eine nachfolgende Deckung (wie z. B. Vollhaut, Reverdin-Inseln, Spalthaut, epidermale „microdomes“) ebenso zum Einsatz kommen wie Lappenplastiken und/oder Wundverkleinerungen mittels „vessel loops“.
Neuere Entwicklungen und Ausblick
Im Hinblick auf eine bessere Balance zwischen Wirksamkeit, Toxizität und dem Risiko für Resistenzentwicklungen wird neben der Umsetzung eines ABS (Antibiotikasteuerung [„antibiotic stewardship“]) eine therapeutische Arzneimittelüberwachung (TDM [„therapeutic drug monitoring“]) gefordert. Hier könnte perspektivisch die Visualisierung der Keimbelastung in einer chronischen Wunde durch verschiedene Bildgebungsverfahren, z. B. mittels „point of care autofluorescence“ [41] hilfreich sein. Mit dem Ziel einer möglichst individualisierten Wundbehandlung laufen eine Reihe von Untersuchungen zur molekularen Wunddiagnostik (Stichwort: flüssige Biopsie des Wundverlaufs, [42, 43]). Erste Daten lassen auf einen erfolgreichen Einsatz von Lungensurfactant in der Wundheilung hoffen [44].
Besondere Herausforderungen bei Verbandstechniken beim diabetischen Fußsyndrom – Eine Auswahl an „do’s and don’ts“
Merke.
Wichtig im Rahmen der lokalen Wundversorgung ist es, das Risiko möglicher (neuer) Schädigungen durch den Verband bzw. durch Verbandstechniken zu kennen und diese somit stets aktiv zu vermeiden.
Mögliche Folgen einer inadäquaten Verbandstechnik, insbesondere bei Patienten mit LOPS und/oder einer relevanten PAVK, sind exemplarisch in Abb. 9 dargestellt.
Exemplarische Darstellung einiger besonderer Aspekte und Tipps für die Versorgung von Wunden bei Patienten mit diabetischen Fußsyndrom, a, b Nekrosen bzw. Ulzera durch Verband über exponierter Strecksehne (Extensor hallucis longus) und interdigital (Pfeile) bei Einlage von um die plantare Basis der Zehen gewickelten Vlieskompressen, c, d Abschnürungen durch Kompressionswickelung bei sicher herausfordernder Ausgangssituation: proximal mit bereits deutlichen, oberflächlichen Hautnekrosen (c), distal mit Lymphstau der Zehen (d), e, f Zeichen einer schädigenden Druck- und/oder Scherkraftbelastung über streckseitigen Sehnen durch Kompressionsstrümpfe (e) bzw. Kompressionsstrümpfe und Lasche der Maßschuhe (e)
Beispiele für empfohlene Verbandstechniken beim DFS sind in Abb. 10 dargestellt.
Beispielhafte Empfehlungen für Verbände an Füßen bei Menschen mit diabetischem Fußsyndrom, a, b gute Möglichkeit für einen Zehenkuppenverband, längs fixiert, nicht zirkulär geklebt, c nicht zu empfehlende interdigitale Einlage einer Mullkompresse durch die Interdigitalfächer und über die Beugefalte gezogen, d hierfür empfohlene Alternative: lockere Einlage einer Vlieskompresse jeweils separat für jedes Interdigitalfach, e, f alternative Möglichkeiten zur Fixierung eines Schlauchverbandes: statt Drehen mit Bildung einer Knotung („Knoten verboten“), Einschlagen (e) oder (f) Umklappen der Enden, g–j Vorgehen bei zweilagigem Kompressionsverband (KV): (g) Polsterung, (h) erste Lage des KV (Watte) über die erste Lage des Schlauchverbandes (für die abschließende 2. Lage doppelt so lange abgemessen), (i) zweite Lage des KV und (j) Abschluss mit Überziehen der 2. Lage des Schlauchverbandes und Fixierung proximal (nicht komplett zirkulär, hier nicht zu erkennen)
A – Amputation (Grenzzone)
Mit Absicht steht die Amputation erst an dieser Stelle. Denn wenn alle zuvor genannten Behandlungsmaßnahmen konsequent umgesetzt wurden, handelt es sich in den meisten Fällen glücklicherweise nur noch um die Amputation von Zehen, innere knöcherne Resektionen oder Operationen mit zumindest Teilerhalt des Fußes. So konnte die Zahl an Majoramputationen durch den hier skizzierten koordinierten multidisziplinären Behandlungsansatz wirksam reduziert werden (von > 10 auf jetzt < 3 %).
Ist eine Amputation erforderlich, sollte sie in der Regel als Grenzzonenamputation mit dem Ziel einer anschließenden Schuhversorgung und durch in der Behandlung des DFS erfahrene Chirurgen erfolgen. Ob sie im Rahmen einer ein- oder mehrzeitigen Prozedur gestaltet wird, muss anhand der individuellen Therapieziele und Umstände für jeden Einzelfall entschieden werden.
Merke.
Jeder Patient hat das Recht auf eine Zweitmeinung vor Amputationen bei DFS.
Im Sinne einer Amputationsbremse schrieben die Mitglieder der AG Diabetischer Fuß in der sog. Oppenheimer Erklärung von 1993 und deren Update in 2017 fest, dass vor einer Amputation in jedem Fall die Notwendigkeit einer Revaskularisierung in Betracht zu ziehen ist und die Empfehlung zur Amputation im interdisziplinären Team getroffen werden soll [45].
Als großer Erfolg dieser jahrelangen Bemühungen ist zu werten, dass die Zweitmeinung vor Amputation bei DFS mit Aufnahme in die Zweitmeinungsrichtlinie seit Mai 2021 nun vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist. Seither ist dieses aktive Angebot im Rahmen der präoperativen Aufklärung verpflichtend. Patienten und Angehörige können auf die Plattform www.gesunheitsinformation.de hingewiesen werden. Hier stellt das Institut für Qualitätssicherung und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine im Auftrag des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erarbeitete Entscheidungshilfe zu Amputationen bei DFS für Patienten und Angehörige zu Verfügung. Für die Suche nach kompetenten Zweitmeinungsgebern wird darin auf die Experten in den durch die AG Diabetischer Fuß DDG zertifizierten Fußbehandlungseinrichtungen verwiesen. Auf deren Homepage ist dafür eine Suchfunktion www.ag-fuss-ddg.de eingerichtet. Weitere Möglichkeiten bietet die offizielle Seite der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen Arztsuche Zweitmeinung unter https://www.116117.de/de/zweitmeinung.php.
P – Physiotherapie
Patienten mit aktivem diabetischem Fußsyndrom sind in einer schwierigen Lage: Wegen einer aktiven Fußläsion oder einem aktiven Charcot-Fuß ermahnen wir sie zur bestmöglichen Entlastung des Fußes, schlimmstenfalls sogar beider Füße. Gleichzeitig bekommen sie als Menschen mit Diabetes seit Jahren zu hören, dass sie sich bewegen und einen aktiven Lebensstil führen sollen, erst recht, wenn sie übergewichtig oder gar krankhaft adipös sind.
Unzweifelhaft ist, dass eine zur Entlastung des Fußes verordnete Bettruhe oder Rollstuhlpflicht im Gesamtkontext der Diabeteserkrankung kontraproduktiv ist. Dieser Gesichtspunkt ist in den bisherigen Behandlungsansätzen unterrepräsentiert. Es gibt leider keine validen Daten aus Untersuchungen an Patienten mit DFS, wie sich Bettruhe, die Verwendung von Gehstützen oder Rollstühlen auf die Heilungsrate auswirken und welche unerwünschten Komplikationen sie mit sich bringen. Auch finden sich nur wenige Untersuchungen zum Effekt von Physiotherapie auf die Wundheilung [46, 47], auch nicht zur Primär- oder Sekundärprävention.
Daher scheint es an der Zeit, diesbezüglich einen Paradigmenwechsel einzuleiten: eine wirksame Entlastung der Wundregion ist zwar gewünscht, aber bei bestmöglich erhaltener Mobilität. Ist das nicht möglich, bedarf es bereits mit Beginn der Entlastungsmaßnahmen einer gezielten und regelmäßigen physiotherapeutischen Intervention, um muskulären Disbalancen, Muskelatrophien, Verkürzungen von Muskeln und Sehnen bis hin zu Kontrakturen sowie Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen vorzubeugen. Es ist u. E. sogar zu erwarten, dass ein gezieltes Training (z. B. Kraft‑, Faszien‑, Koordinationstraining, Übungen zu einer verbesserten Körperwahrnehmung, Gangschulung usw.) sowohl zu einer beschleunigten Abheilung eines aktiven Ulkus als auch zur Prävention eines Ulkusrezidivs beitragen kann. Allerdings fehlen noch die Studien, welche diese Annahme belegen. Bei Patienten mit Diabetes ohne ein aktives DFS konnten Interventionen mit gezielten Fußübungen einen Benefit zeigen [48].
Unzweifelhaft gehören Physiotherapeuten, vielleicht auch Ergotherapeuten, zum festen Bestandteil eines Fußbehandlungsteams.
P – Psychosoziale Unterstützung
Die komplexen Erfordernisse einer multimodalen Therapie bei den oftmals chronischen Fußulzera bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom stellen in psychosozialer Hinsicht eine besondere Herausforderung dar: Das gilt insbesondere für den Patienten, aber auch für sein soziales Umfeld (in Familie, Beruf und Freizeitgestaltung) und nicht zuletzt auch für die in die Behandlung involvierten Leistungserbringer.
Eine mehrmals wöchentliche Wundbehandlung, verbunden mit Maßnahmen zur Entlastung des Wundgebiets oder des gesamten Fußes bis hin zu Immobilisationen im Rollstuhl oder stationäre Behandlungen stellen besondere Belastungssituationen dar. Nicht nur, dass die therapeutischen Maßnahmen eine emotionale, zeitliche und meist auch logistische Herausforderung bedeuten – nicht selten zieht eine mehrere Wochen bis Monate andauernde Fußbehandlung berufliche und finanzielle Folgen nach sich. In diesen für den Patienten und auch sein unmittelbares Umfeld belastenden Situationen und Phasen ist das Angebot einer kompetenten psychosozialen Unterstützung von immenser Bedeutung und hat zudem direkte Auswirkungen auf den objektiven Behandlungserfolg und das subjektive Wohlbefinden des Patienten [49].
Angststörungen und Depressionen sind mit 37,7 % bzw. 39,6 % eine häufige Komorbidität bei Patienten mit diabetischem Fußsyndrom [50]. Daher sollten diese Aspekte regelhaft und am besten standardisiert erfasst werden. Zu einem multidisziplinären und multiprofessionellen Fußbehandlungsteam gehören somit zwingend auch Psychologinnen und Psychologen bzw. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (idealerweise mit der Zusatzqualifikation der DDG) sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter.
P – Prävention
Nach dem Ulkus ist vor dem Ulkus. Das DFS ist nicht heilbar. Das bestmöglich erreichbare Ziel ist die Remission – die Überführung aus dem aktiven Stadium in ein stabiles Stadium ohne akute Ulzerationen und ohne entzündliche und destruierende Aktivität (bei der Charcot-Arthropathie). Hochlenert et al. [51] beschrieben daher 4 Phasen des Gleichgewichts zwischen schützenden und belastenden Einflüssen:
-
0: gesund,
-
I: Prä-DFS (Risikofuß),
-
II: inaktives DFS (Zustand nach Ulkus, inaktiver Charcot-Fuß),
-
III: aktives DFS (aktuelles Ulkus, aktuelle Dekompensation, aktiver Charcot-Fuß) und
-
IV: fehlender Fuß (nach Majoramputation).
Merke.
Nach dem Ulkus ist vor dem Ulkus. Es handelt sich beim DFS um eine lebenslange Erkrankung mit Wechsel zwischen Akut- und Remissionsphase.
Daher kommt der Etablierung schützender, präventiver Maßnahmen und deren lebenslanger Umsetzung und Beibehaltung eine für den Einzelnen und unsere gesamte Solidargemeinschaft unglaublich wichtige Bedeutung zu.
Diesem wichtigen Thema wird bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das gilt sowohl für die Prävention eines Erstulkus als auch für die rechtzeitige Adressierung von Maßnahmen, welche ein Rezidivereignis rechtzeitig zu vermeiden helfen.
Anlässlich ihrer Jahrestagung 2018 in Eisenach hatte der neue Arbeitsausschuss Prävention des Erstulkus innerhalb der AG Diabetischer Fuß in der DDG seine konstituierende Sitzung. Sein Ziel sind die Entwicklung wirksamer präventiver Ansätze sowie die Generierung wissenschaftlicher Evidenz für präventive Maßnahmen und deren Etablierung in der Versorgungslandschaft für Menschen mit Hochrisikofüßen [52]. Unabhängig davon sollten bereits bestehende Instrumente und Vorgaben des Gesetzgebers zur Vorbeugung konsequent eingesetzt bzw. deren Umsetzung beharrlich eingefordert werden: Mit den regelmäßigen Fußuntersuchungen im Rahmen des DMP (Disease-Management-Programm) für Menschen mit Diabetes mellitus steht ein prinzipiell gutes Instrument zu Verfügung.
Zitat aus dem AOK-Curaplan (AOK: Allgemeine Ortskrankenkasse) [53]:
„Die Anforderungen sehen eine regelmäßige Kontrolle der Füße einschließlich des Schuhwerks vor. Die Untersuchungsfrequenz soll nach folgenden Kriterien festgelegt werden:
Keine sensible Neuropathie: mindestens jährlich
Sensible Neuropathie: mindestens halbjährlich
Sensible Neuropathie und Zeichen einer peripheren Verschlusskrankheit (pAVK) und/oder Fußdeformitäten, Hyperkeratosen, Z. n. Ulkus oder nach Amputation: alle 3 Monate oder häufiger
Es hat sich gezeigt, dass durch eine regelmäßige systematische Kontrolle der Füße Amputationen vermieden werden können.
In der Behandlungsdokumentation Diabetes mellitus Typ 2 werden folgende Parameter erhoben:
• Pulsstatus: unauffällig/auffällig/nicht untersucht
• Sensibilitätsprüfung: unauffällig/auffällig/nicht untersucht
• weiteres Risiko für Ulkus: Fußdeformität/Hyperkeratose mit Einblutung/Z. n. Ulcus/Z. n. Amputation/ja/nein/nicht untersucht
• Ulkus: oberflächlich/tief/nein/nicht untersucht
• (Wund)Infektion: ja/nein/nicht untersucht“.
Hiermit verfügen wir in Deutschland – abgesehen von der Freiwilligkeit der Teilnahme an einem DMP – im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherungen über ein potenziell sehr effektives Instrument zur wirksamen Vorbeugung sowohl eines Erstulkus als auch einer Reaktivierung oder eines Rezidivs. Allerdings muss dieses Instrument auch konsequent eingesetzt werden und diejenigen, welche diese Fußuntersuchungen durchführen, müssen bestmöglich geschult sein, um auffällige Fußbefunde auch als solche zu erkennen, zu beschreiben und die richtigen Schlüsse aus den erhobenen Befunden zu ziehen. Hier scheint es noch erhebliches Potenzial zur Optimierung zu geben. Die Autoren schlagen vor, Schulungskurse „Risikofüße richtig erkennen“ speziell für Praxispersonal zu etablieren. Gleichzeitig sollten Kostenträger und Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass die Vorgaben auch befolgt werden. Ein Bonus-Malus-System könnte hier vielleicht für eine bessere Durchdringung sorgen.
Merke.
Weshalb auch immer eine Patientin/ein Patient mit Diabetes und Risikofüßen bei LOPS in Ihrer Praxis oder Klinik vorstellig wird: Werfen Sie wenigstens einmal einen Blick auf Füße und Schuhe, fassen Sie die Füße idealerweise auch an und inspizieren Sie auch die Interdigitalräume und tragen Sie so bestmöglich dazu bei, Druckschäden jedweder Art zu vermeiden (Bettbretter, Geräte, Verbände usw., s. Infobox 4; Abb. 11).
Infobox 4 Fallbeispiel zur Prävention eines Ulkusrezidivs
Aufgrund des Konsilbefundes bei einer über 80-jährigen Patientin nach Oberschenkelamputation rechts in aktuell reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand bei Pneumonie als Hauptdiagnose wurde ein DFS-Konsil zur Beratung und ggf. Mitbehandlung wegen eines chronischen Ulkus in protrahierter Wundheilung bei Zustand nach Amputation D1 links als Nebendiagnose angefordert. Die Inspektion ergab aber nicht nur das Bild des chronischen DFU, sondern eine neue Läsion an D2 akral im Sinne einer Nekrose. Aus Abb. 11b ist ersichtlich, warum die Läsion genau dort lokalisiert war: Nach Amputation des D1 befindet sich D2 in exponierter Stellung und ist somit hochrisikogefährdet, wobei gleich 2 mögliche Ursachen für die druckbedingte Schädigung erkennbar sind: zum einen die Lage unmittelbar am Bettbrett, zum anderen die Art des Verbands mit Drehung des Schlauchverbands direkt über dem vorstehenden D2 (Stichwort „Knoten verboten“, empfohlene Alternativen s. Abb. 10). Erfolgreiche Prävention bedeutet, solche Sollbruchstellen frühzeitig zu erkennen und im Therapiekonzept entsprechend zu berücksichtigen
Für weitere konkrete Empfehlungen zur Prävention eines aktivierten DFS sei auf das entsprechende Kapitel Prävention der aktuellen internationalen Leitlinie verwiesen. Darin wird empfohlen, dass die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen von Patienten mit bereits stattgehabtem aktivem Fußulkus in spezialisierten Fußbehandlungseinrichtungen erfolgen sollen [54].
P – Podologische Therapie
Im Rahmen der präventiven Maßnahmen spielt die podologische Therapie eine maßgebliche Rolle. Das DMP Diabetes mellitus Typ 2 fordert auch: Patienten mit Neuro- oder Angiopathie, bei denen ein verletzungsfreies und effektives Abtragen der Hornhaut und/oder eine solche Nagelpflege nicht anderweitig sichergestellt werden kann, soll eine podologische Behandlung verordnet werden.
Seit Etablierung der Podologie als staatlich anerkanntem Ausbildungsberuf und Integration der podologischen Therapie in die Behandlung von Menschen mit Hochrisikofüßen oder bereits etabliertem diabetischem Fußsyndrom kristallisierte sich die Profession der Podologen als wichtiger Partner im multiprofessionellen Fußbehandlungsteam heraus. Mit der Vorstellung der Risikopatienten alle 4–6 Wochen bei der Podologin/dem Podologen ist eine regelmäßige und relativ engmaschige Fremdkontrolle der Füße und meist auch des Schuhwerks gegeben. In gutem etabliertem Setting führt das zu frühzeitiger Überweisung an eine spezialisierte Fußbehandlungseinrichtung, weil die Podologin mit ihrer Kompetenz und Erfahrung auffällige, präulzeröse Fußbefunde frühzeitiger erfasst.
Die AG Diabetischer Fuß in der DDG trägt der Bedeutung der Podologie dadurch Rechnung, dass ein Podologe obligatorischer Bestandteil des multiprofessionellen Fußbehandlungsteams sein muss.
In diesem Zusammenhang ist kaum verständlich, warum die Kostenträger diesen so wichtigen Partner in der Prävention schwerer Fußkomplikationen beim DFS so stiefmütterlich behandeln. Vielerorts geben die Podologen gegenwärtig ihre Zulassungen zurück und behandeln gegen Rechnung an den Patienten, weil die Voraussetzungen für die Zuteilung einer Praxiserlaubnis immer schwerer erfüllt werden können, und vermutlich auch, weil die Mehrheit der Podologen keine Haus- oder Heimbesuche durchführen will. So geriet die Berufspraxis der Podologinnen leider vielfach in Schieflage. Es ist höchste Zeit, dass Kostenträger und Gesetzgeber hier aktiv nachsteuern, damit diese wichtige Säule in der Behandlung und Prävention von Menschen mit diabetischem Fußsyndrom auch künftig funktionierender Teil dessen Behandlungskonzepts ist.
In diesem Zusammenhang sind die jüngsten Entscheidungen des G‑BA sehr erfreulich: Zum einen ist die podologische Komplextherapie nun auch für Patienten nach dem Muster 13 verordnungsfähig, die Hochrisikofüße aufgrund neuropathischer Defizite im Rahmen einer Polyneuropathie aufweisen, deren Ursache nicht der Diabetes mellitus ist. Zum anderen ist die podologische Behandlung mit Nagelkorrekturspangen (Orthonyxiespangentherapie) mit G‑BA-Beschluss vom Februar 2022 bei Unguis incarnatus nun eine verordnungsfähige podologische Leistung, und zuletzt wurden auch die Vergütungen für podologische Leistungen angehoben – zumindest Schritte in die richtige Richtung.
Abschließend ein zusammenfassendes übersetztes Zitat aus der internationalen Leitlinie:
Merke.
Alle Menschen mit Diabetes und einem aktiven diabetischen Fußulkus oder einem aktiven Charcot-Fuß sollten ohne Verzögerung an ein multidisziplinäres Fußteam/Fußzentrum verwiesen werden [55].
Infobox 5 Links zu hilfreichen Praxistools und weiterführenden Informationen
-
https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/behandlung/leitlinien
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https://www.116117.de/de/zweitmeinung.php (Arztsuche Zweitmeinung der kassenärztlichen Bundesvereinigung)
Fazit für die Praxis
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Die erfolgreiche Diagnostik und Therapie von Menschen mit einem diabetischen Fußsyndrom (DFS) bedingt einen frühzeitigen interdisziplinären, interprofessionellen und multimodalen Behandlungsansatz.
-
Die lokale Wundversorgung spielt bei DFS eine wichtige Rolle, ist aber letztlich nur ein Baustein im gesamten Behandlungskonzept.
-
Eine hilfreiche Checkliste beim DFS bietet IRBESA-PP (Infektionsmanagement, Revaskularisierung, Begleiterkrankungen, Entlastung, stadiengerechte Wundbehandlung, [Grenzzonen-]Amputation, Physiotherapie und psychosoziale Unterstützung, Prävention inklusive Podologie), gleichzeitig stellt IRBESA-PP die Bedeutung zertifizierter, ärztlich geführter Fußbehandlungseinrichtungen als koordinierende Plattformen heraus, wie sie die Arbeitsgemeinschaft Fuß in der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft) deutschlandweit akkreditiert.
Literatur
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Khan T, Armstrong DG (2018) Ulcer-free, hospital-free and activity-rich days: three key metrics for the diabetic foot in remission. J Wound Care 27(Sup 4):S3–S4. https://doi.org/10.12968/jowc.2018.27.Sup4.S3
Eckhard M, Engels G (2023) Das diabetische Fußsyndrom besser verstehen, behandeln und vermeiden. Diabetol Stoffwechs 18(02):116–139. https://doi.org/10.1055/a-1780-4200
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Interessenkonflikt
M. Eckhard gibt an, für klinische Versorgungsstudien Equipment und Verbrauchsmaterial der Firma Reapplix zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Darüber hinaus geben M. Eckhard und G. Engels an, dass keine weiteren Interessenkonflikte bestehen.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Additional information
Diese aktualisierte, neu bearbeitete und um konkrete Fallbeispiele erweiterte Fassung des Beitrags erschien ursprünglich in der Zeitschrift Info Diabetologie 2019, 13: 26–37 https://doi.org/10.1007/s15034-019-1609-0.
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Eckhard, M., Engels, G. (Wund‑)Management beim diabetischen Fußsyndrom (DFS). Diabetologie 19, 907–930 (2023). https://doi.org/10.1007/s11428-023-01104-6
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11428-023-01104-6
Schlüsselwörter
- Polyneuropathien
- Diabetisches Fußulkus (DFU)
- Interdisziplinäres Versorgungsteam
- Wundheilung
- Chirurgische Amputation