FormalPara Originalpublikation

Wilmanski T, Kornilov SA, Diener C et al (2022) Heterogeneity in statin responses explained by variation in the human gut microbiome. Med (NY) 3(6):388–405. https://doi.org/10.1016/j.medj.2022.04.007.

FormalPara Hintergrund.

Die statinabhängige Hemmung der 3‑Hydroxy-3-Methylglutarat(HMG)-CoA-Reduktase, das geschwindigkeitsbestimmende Enzym der De-novo-Cholesterinbiosynthese – begrenzt die Menge von Cholesterin im intrahepatischen Pool. Hierdurch kommt es zu einer vermehrten Expression von Low Denisty Lipoprotein(LDL)-Rezeptoren in der Leber und darüber zur Entfernung von LDL-Cholesterol aus dem Kreislauf. Somit stellt die dosis- und präparatabhängige LDL-Senkung über die Statine eine tragende Säule für die Reduktion des kardiovaskulären (KV) Risikos und Todes dar. Bei einer Subgruppe von Patienten führen Statine jedoch zu Nebenwirkungen wie Myopathie, Glukoseintoleranz oder neu aufgetretenem Typ-2-Diabetes (T2D). Auch besteht eine gewisse individuelle Variabilität im Ansprechen, gemessen an der LDL-Senkung [7]. Diese Beobachtung ist von besonderer Bedeutung, denn das Ausmaß, in dem Statine das LDL-Cholesterin senken, ist direkt proportional zu ihrer kardioprotektiven Wirkung [7]. Trotz beträchtlicher Fortschritte bei der Identifizierung pharmakologischer und genetischer Faktoren, die zu dieser Heterogenität beitragen, bleiben personalisierte Ansätze in der Statintherapie begrenzt.

Zunehmende Evidenz zeigt eine Verbindung zwischen Darmmikrobiom und kardiometabolischen Erkrankungen [5]. Auch besteht eine gegenseitige Wechselwirkung zwischen Darmmikrobiom und Medikamenten [6]. Das Darmmikrobiom kann bspw. die Bioverfügbarkeit oder Wirksamkeit von Statinen beeinflussen und somit zur interindividuellen Variabilität der LDL-Reduktion beitragen [6]. Darüber hinaus könnte die biochemische Modifikation von Statinen durch Darmbakterien zu unerwünschten Wirkungen des Medikaments beitragen [4, 8].

FormalPara Methoden.

In dieser Arbeit untersuchten die Autoren die potenzielle Rolle des Darmmikrobioms bei der Modifikation des Ansprechens auf Statine in 2 unabhängigen Kohorten (Entdeckungskohorte n = 1848, Validierungskohorte n = 991). Die Zusammensetzung des Mikrobioms wurde mittels 16S-rRNA-Amplikon und Schrottschuss(„shotgun“)-metagenomischer Sequenzierung ermittelt. Es wurden Assoziationen zwischen Mikrobiom und Markern zielgerichteter („on-target response“: primär risikoadjustierter LDL-Zielspiegel) sowie unerwünschter Wirkungen von Statinen (Insulinresistenz und gestörter Glukosetoleranz) untersucht. Diese Assoziationen wurden auf Kovariablen aus dem Metabolom, klinischer Chemie, Genomik und Anthropometrie/Demografie korrigiert. Die Entdeckungskohorte entstammt der nordamerikanischen Interventionsstudie Arivale, die die Implementierung und Wirksamkeit unterschiedlicher kardioprotektiver Lebensstilmaßnahmen untersuchte. Metabolomik und klinische Chemie waren für 244 Probanden verfügbar, von denen 97 genau Auskunft über Statinpräparat und -dosierung geben konnten. Die europäische Validierungskohorte MetaCardis umfasste 1241 Studienteilnehmer, die ein breites Spektrum an kardiometabolischen und -vaskulären Erkrankungsprofilen boten. Analysiert wurden Daten von 109 statinbehandelten und 415 statinfreien Probanden sowie Kontrollprobanden, die nach Alter, Geschlecht und KV-Profil entsprechend selektiert wurden.

FormalPara Ergebnisse.

Wilmanski et al. zeigten, dass die Plasmaspiegel von HMG, das hydrolysierte Substrat der HMG-Reduktase, bei Statinanwendern signifikant höher als bei Nichtanwendern waren (nach Korrektur auf Alter, Geschlecht und BMI). Zudem waren HMG-Spiegel nur bei Statinanwendern negativ korreliert mit LDL-Cholesterol, als Hinweis dafür, dass HMG-Spiegel sowohl die Statinanwendung als auch ihre Wirksamkeit und Intensität widerspiegeln (nach Einbeziehen der präparatspezifischen Potenz). Nach Korrektur auf Präparatdosierung, -potenz und Effekte bekannter genetischer Varianten (in APOE und APOC1), die die LDL-senkende Statinwirkung modifizieren, zeigte sich eine Assoziation zwischen HMG-Spiegel und interindividueller Variabilität der Mikrobiomzusammensetzung: Die Statintherapie war überraschenderweise mit einer niedrigen Mikrobiomdiversität verbunden. Tatsächlich war sogar die Mikrobiomdiversität mit einer niedrigen „odds ratio“ für das Erreichen des klinisch vordefinierten Ziel-LDLs verbunden (nach Adjustieren auf Geschlecht, Alter, BMI und T2D). Zudem war ein an Bacteroides reiches Mikrobiom mit erhöhten HMG-Spiegeln assoziiert, als Hinweis für eine gesteigerte Ansprechbarkeit auf Statine. Zusätzlich zeigte die (statistische) Interaktion zwischen Mikrobiomzusammensetzung und Statintherapie eine signifikante Assoziation mit Insulinresistenz (HOMA-IR), Nüchternblutzucker, Insulin und HbA1c, unabhängig von der Statinintensität. Diese Ergebnisse konnten neben der nordamerikanischen Kohorte in der europäischen Kohorte MetaCardis validiert werden. Zusammengefasst liefern diese Ergebnisse Beweise dafür, dass die Zusammensetzung des Darmmikrobioms sowohl die „on-target“ als auch die „off-target effects“ der Statine weiter modulieren kann.

Zusammenfassung und Kommentar

Insgesamt legten Wilmanski et al. überzeugende Daten für HMG als Marker für „on-target“ Statinwirkung und zum anderen für eine bidirektionale Interaktion zwischen Darmmikrobiom und Statintherapie vor. Letztere könnte teilweise die individuelle Heterogenität sowohl im Ansprechen auf Statine als auch in der Entwicklung von Nebenwirkungen erklären.

Nichtsdestotrotz kommen hier die typischen Limitationen einer Beobachtungs‑/Querschnitts- und Fall-Kontrolle-Studie in einer weißen Population zutage. Dazu gehören die fehlende Generalisierbarkeit auf andere Ethnien und die fehlende Möglichkeit, relevante Endpunkte nach Initiierung einer Statintherapie zu beurteilen. Auch die Empfehlung der Autoren, HMG zu messen, um den sog. Effekt der Statine zu erfassen, stellt uns vor die Frage, ob HMG enger mit dem modifizierten KV-Risiko zusammenhängt als das etablierte LDL-Cholesterol. Bisher ist wenig über die Akkumulation von HMG bei Statintherapie und angeknüpfte Stoffwechselwege bekannt. Es liegt somit noch viel Arbeit vor uns, bevor HMG als Marker für den „on-target“ Statineffekt fungieren kann.

Eine hohe Mikrobiomdiversität ist typischerweise mit einem gesunderen KV-Phänotyp verbunden, während eingeschränkte Diversität, häufig in Kombination mit einer Bacteroides-Signatur, als Indikator für einen koinzidenten kardiometabolischen Phänotyp und westliche/urbanisierte Ernährung, reich an Fett, tierischen Eiweißen und einfachen Zuckern, gilt [2]. Die Statintherapie war in der Studie überraschenderweise mit einer niedrigen Mikrobiomdiversität verbunden (in Kontrast zu früheren Ergebnissen und bekannten pleiotropen Effekten der Statine [10]). Obwohl die Mikrobiomdiversität bei Statinanwendern niedriger war als bei Nichtanwendern, bestand keine Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen Statinintensität und Mikrobiomdiversität, sodass eine umgekehrte Kausalität nicht auszuschließen ist (niedrige Diversität bei kränkeren Patienten). Darüber hinaus zeigten Probanden mit einem Bacteroides-2‑Enterotyp (besonders mit Inflammation verbunden, [9]) die am stärksten derangierten Glukoseparameter unter Statintherapie. Dies weist entweder darauf hin, dass dieser Enterotyp tatsächlich zu einem kränkeren Phänotyp passt oder/und dass die Mikrobiomzusammensetzung die individuelle Suszeptibilität für potenzielle Nebenwirkungen erfasst. Man könnte auch diskutieren, dass ein diverses Mikrobiom potenzielle Spezies beherbergen könnte, die in der Lage sind, Statine zu metabolisieren und deren Wirksamkeit zu senken. Hier würde jedoch das Dickdarmmikrobiom evtl. eine untergeordnete Rolle spielen und man müsste zudem die transkribierte Maschinerie des funktionalen Mikrobioms erfassen, um dies ausreichend belegen zu können. Auch kann die weitere Metabolisierung der Statine zu ihren erhöhten Nebenwirkungen beitragen. Hier fehlen jedoch Kandidatenmetaboliten, die den erhöhten „off-target effect“ vermitteln.

Nun stellt sich die Frage, wie schlimm eine Glukosetoleranzstörung und Hyperglykämie bei Patienten mit Statintherapie sind. Klar ist, dass Hyperglykämie allein das KV-Risiko nicht sicher erhöht [3]. Die Veränderung im Lipoproteinprofil in der Folge einer Insulinresistenz ist der treibende Faktor für die erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität bei T2D [3], sodass die Interaktion zwischen T2D und Hyperlipidämie einer noch intensiveren Therapie bedarf. Dementsprechend stellt die Senkung des LDL-Cholesterols weiterhin den wichtigsten Grundstein zur Reduktion des KV-Risikos dar [1]. Bemessen an der KV-Morbidität und -Mortalität übersteigt der Nutzen der Statine den Schaden einer etwaig herbeigeführten Glukosetoleranzstörung.

Die Auswahl des Statins hängt vom Ziel-LDL-Spiegel oder der erzielten Senkung ab. Eine bescheidende interindividuelle Variabilität im Ansprechen auf Statine scheint nicht von der Compliance und dem Lebensstil der Patienten, sondern von der Genetik und von der zusätzlichen Dimension des Mikrobioms abzuhängen. Diese gilt als potenziell veränderbare Stellschraube auf dem Weg einer personalisierten kardiometabolischen Medizin.

Insgesamt stellt diese „proof-of-concept study“ einen ersten wichtigen Schritt Richtung personalisierter Medizin dar, welcher eine Longitudinalstudie begründen würde, um diese Ergebnisse endgültig zu belegen. Dies muss an standardisierte metagenomische Sequenzierungs- und Analyseprotokolle gekoppelt sein, um später leitliniengerechte Empfehlungen geben zu können.