Digitalisierung ist derzeit in aller Munde. Alle Bereiche des Lebens werden mit ihr vorangetrieben. Die Digitalisierung der Medizinbereiche scheint ein großes Ziel des Gesundheitsministeriums zu sein, werden doch diverse Wege wie verordnungsfähige Apps, elektronische Patienten‑/Patientinnenakte (ePA) mit der elektronischen Diabetesakte (eDA), Telematikinfrastruktur sowie Videosprechstunden im ambulanten Bereich unterstützt. Die Digitalisierung schreitet also weiter voran – aber in welchem Stadium dieses Prozesses befinden sich die diabetologische Schwerpunktpraxen und in welche Richtung entwickeln sie sich?

Noch vor 10 Jahren war Digitalisierung kein wirkliches Thema in der Diabetologie. Die CGM-Systeme (CGM: „continuous glucose monitoring“) waren nur rudimentär verbreitet, Insulinpumpentherapie war etabliert, jedoch eher die Ausnahme, und vereinzelten Sondersituationen des Diabetes und Patienten/Patientinnen mit Typ-1-Diabetes vorbehalten. Das digitale Auslesen von Blutzuckermessgeräten (BGMS) sowie anderen technischen Geräten wie Insulinpumpen oder CGM-Systemen war ebenfalls eher die Ausnahme. Softwarelösungen zum Auslesen der Messgeräte sowie zum digitalen Datenmanagement wurden überwiegend von technisch affinen, selbst Betroffenen entwickelt und eher zurückhaltend vermarktet. Die Produkthersteller/-herstellerinnen boten nur einfache Lösungen zum Auslesen ihrer Geräte an und stellten diese z. T. nur den Behandelnden zur Verfügung.

Praxen, die damals in diese Möglichkeiten investierten und Messgeräte standardisiert auslasen, waren eher die Exoten und mussten sich insbesondere bei Anträgen über ein digitales und nicht handschriftlich geführtes Tagebuch rechtfertigen. Dabei konnten die Vorteile des digitalen Datenmanagements mit Auslesen der Messgeräte in eine Software anstelle eines handgeschriebenen Tagebuchs in der PDM – ProValue-Studie nachgewiesen werden [1]. Auch der Gebrauch von CGM-Systemen konnte in der Praxis („real-world“) realisiert werden [2].

Bestandteile der Digitalisierung in Praxen

Die Meinung, was zur Digitalisierung in der Medizin gehört und welches Ausmaß diese annehmen kann und soll, ist sehr divergent. Als Minimaleinbindung der IT (Informationstechnologie) in der Praxis gilt die Nutzung eines Praxisverwaltungssystems (PVS) sowie elektronische Kalenderführung. Onlineterminvereinbarungen werden populärer und von den Patienten/Patientinnen häufiger eingefordert. Und das Auslesen und die Auswertung der Daten von BGMS, CGM-Systemen oder Insulinpumpen gelten in der Diabetologie mittlerweile fast schon als Standard.

Videosprechstunden nahmen während der Coronapandemie deutlich zu. Hierfür ist die Bereitstellung der Daten durch den Patienten/Patientin essenziell. Die Nutzung von digital erfassbaren Geräten scheint dabei zur vollständigen Datenanalyse wichtig zu sein.

Die Vorteile der Nutzung von Smartpens im Vergleich zu herkömmlichen Insulinpens wurden ebenfalls nachgewiesen. Der Einsatz der Smartpens ging mit einer erhöhten Zeit im Zielbereich (TIR [„time in range“]) und weniger verpassten Insulininjektionen einher [3].

Die Etablierung digitaler Kommunikationsmöglichkeiten ist Teil der Digitalisierung von Praxen

Die Kommunikation zwischen verschiedenen Behandelnden sowie mit den Patienten/Patientinnen stellt eine besondere Herausforderung dar. Hier treffen Bedeutung von Informationen, Geschwindigkeitswünsche (sog. Amazoneffekt) sowie Datenschutz aufeinander. Neben der Kommunikation über Anamnese, Medikation, Diagnosen und Therapieverläufe stehen für Patienten/Patientinnen Rezeptwünsche sowie telemedizinische Kommunikation bei akuten Fragen und Problemen im Vordergrund. Somit gehört die Umsetzung entsprechender Kommunikationswege heute zur Digitalisierung.

Im Idealfall wird eine Praxis volldigitalisiert mit Praxishomepage, Onlineterminbuchung, Bewertungsportalen, Videosprechstunde, Umsetzung der ePA, Papierlosigkeit der Praxis, digitaler Kommunikation zu Mitbehandelnden und Patienten/Patientinnen sowie digitaler Praxisorganisation [4, 5].

Datenflut und Informationsfluss

Im Rahmen der Erhebung digitaler Daten steigt die zu verarbeitende Datenmenge. So generieren CGM-Systeme je nach Modell 96–288 Daten/Tag, dazu kommen ggf. noch zusätzlich eingetragene Informationen (injizierte Insulinmenge, Nahrungsmengen, Bewegung usw.). Bei der üblichen Blutzuckerselbstmessung liegt die vergleichbare Datenhäufigkeit bei 4–6 Messungen/Tag.

Es besteht also die Notwendigkeit, mithilfe (einfach zu bedienender) Software die Daten schnell und leicht interpretieren zu können. In Fall von CGM-Daten geschieht das z. B. durch die strukturierte Analyse eines AGP („ambulatory glucose profile“; [6]). Ähnlich sollte mit anderen Datensammlungen und deren Interpretation umgegangen werden. Hierzu gibt es zwar Ansätze (Interpretation von Basalraten bei Insulinpumpen), jedoch fehlt derzeit eine herstellerübergreifende, anerkannte Lösung.

Interoperabilität

Werden Daten verschiedener Geräte gesammelt, ist es notwendig, alle Informationen in einer Software zu verarbeiten. Hierfür ist die Interoperabilität notwendig, also die Möglichkeit, verschiedene Systeme in eines zusammenzufassen. Es besteht Hoffnung, dass im Rahmen der ePA bzw. eDA diese Interoperabilität geschaffen und verbessert wird.

Stand der Digitalisierung in Praxen 2020

Beim sog. PraxisBarometer gaben 76 % der Praxen an, die Patienten‑/Patientinnendokumentation vollständig oder nahezu vollständig digital durchzuführen [7]. Das heißt jedoch im Umkehrschluss, dass dies in 24 % der Praxen noch nicht der Fall war. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass es sich um eine Befragung aller vertragsärztlichen Bereiche handelte und dass Diabetes eine Datenmanagementerkrankung ist. Daher ist die Bereitschaft der DSP (Diabetesschwerpunktpraxis) zur Umsetzung digitaler Möglichkeiten sicherlich größer.

Die Wichtigkeit verschiedener IT-Themen in der Diabetologie wurde im D.U.T.-Report (D.U.T.: Digitalisierungs- und Technologiereport Diabetes) erfragt (Abb. 1). Hierbei war festzustellen, dass Software zur Analyse von Glukosedaten die höchste Bedeutung für die Behandelnden besitzt. In diesem Kontext überrascht es nicht, das 93 % der Praxen mindestens eine Software zum Auslesen und zur systematischen Analyse und Auswertung der Glukosewerte nutzen [8]. Genauso interessant ist die Tatsache, dass Videosprechstunden und Telemedizin Rang 7, Onlineschulungen Rang 8 erreichten und damit deutlich hinter der Wichtigkeit von Closed-Loop-Systemen standen. Diese Erhebung wurde vor der Coronapandemie durchgeführt, der Vergleich zur nächsten Befragung bleibt diesbezüglich abzuwarten.

Abb. 1
figure 1

Antworten auf die Frage: „Welches der folgenden Themen ist Ihrer Meinung nach am wichtigsten für die Diabetologie?“. (Nach [8])

Videosprechstunde und Telemedizin – Routine oder Spielerei?

Die Videosprechstunde birgt sehr viele Möglichkeiten und kann eine sehr sinnvolle Ergänzung zur regulären Sprechstunde sein. Neben dem am Telefon realisierten verbalen Kontakt ist bei der Videosprechstunde zusätzlich auch der nichtverbale Kommunikationsanteil vorhanden. Dabei kann mit den technischen Möglichkeiten mittlerweile nahezu eine Sprechstunde imitiert werden. Im Rahmen der Videosprechstunde können Werte, Verläufe, Fragen und Unklarheiten besprochen, Glukosewerte anhand der geteilten Daten zusammen betrachtet und sogar Therapiepläne sicher übergeben werden. Vorteilhaft ist dabei, dass beide Beteiligten in ihrem Aufenthaltsort flexibel sind. Auch in Sondersituationen, in denen die Beteiligten nicht in die Praxis kommen können (Pandemie, Krankheit, Verletzung, Zeitmangel, lange Wege), ist die Behandlung möglich. Nachteilig scheinen die Sorge vor der technischen Umsetzung sowie die in einigen Punkten unklare Vergütungssituation zu sein [9].

Die Videosprechstunde wird zur Routine werden

Die Bedeutung der Videosprechstunde wird jedoch weiter zunehmen, und somit wird sie zur Routine werden. In einer Umfrage der Stiftung Gesundheit aus dem Jahr 2017 sprachen sich knapp 58 % der Befragten strikt gegen die Sprechstunde am Bildschirm aus. Danach habe COVID-19 („coronavirus disease 2019“) wie „eine Initialzündung für die Nutzung von Videosprechstunden“ gewirkt [10].

Coronapandemie – Schlussfolgerungen für die Digitalisierung

Die wichtigsten Botschaften durch die Coronapandemie mit dem Lockdown sind sicherlich, dass wesentlich mehr an Digitalisierung, Homeoffice und virtuellen Meetings möglich ist als bisher angenommen, deren Vorteile wurde bisher unterschätzt, und es wird eine flächendeckend schnellere und stabilere Datenverbindung benötigt. Durch die Bereitschaft, mehr online vom Homeoffice aus zu arbeiten – was jetzt auch per Gesetz als Recht verankert werden soll – wurden neue Möglichkeiten ersichtlich. Medizinische Fachangestellte (MFA) können das Telefon auch vom Homeoffice aus bedienen, Termine vergeben, Rezeptwünsche entgegennehmen oder auch Verwaltungstätigkeiten erledigen. Diabetesberater/Diabetesberaterinnen können – analog zur ärztlichen Videosprechstunde – viele Termine per Telefon oder als Videosprechstunde mit Patienten/Patientinnen erledigen.

Ausgesprochen kontrovers wird derzeit die Onlineschulung von Patienten/Patientinnen diskutiert.

Ausblick auf die Zukunft

Veränderungen sind immer von verschiedenen Faktoren beeinflusst:

  • Verbesserung der Behandlungsqualität,

  • Verbesserung der Effektivität,

  • Verringerung der Kosten oder

  • Druck für Veränderungen von außen, insbesondere durch die Erwartungen der Patienten/Patientinnen.

Alle diese Punkte treffen insbesondere für den ambulanten medizinischen Bereich zu, somit auch für die DSP. Dabei ist nicht zu erwarten, dass sich die derzeit vorhandene Divergenz der Digitalisierung verringern wird, eher wird sie sich vergrößern. Es wird jedoch im gesamten ambulanten Bereich einen enormen Fortschritt hinsichtlich der IT und Digitalisierung geben. Anzeichen dafür sind verschiedene Projekte, die derzeit bereits initiiert werden, wie die ePA und eDA oder Projekte aus der KBV-Zukunftspraxis (KBV: Kassenärztliche Bundesvereinigung; [11]). Hier gibt es gute Ansätze zur Verbesserung der Qualität und Effizienz wie z. B.

  • Aaron.ai, ein KI-basierter (KI: künstliche Intelligenz) Telefonassistent, der Anrufe der Praxis entgegennimmt, wenn die MFA überlastet sind [11],

  • IDANA, eine Software für Ärzte/Ärztinnen in Kombination mit einer App für Patienten/Patientinnen, mit welcher Routineprozesse digital unterstützt werden, insbesondere die Anamnese, oder

  • RED Medical: ein webbasiertes Cloud-PVS bzw. Informationssystem für Ärzte/Ärztinnen [11].

Ab 1. Januar 2022 soll das strukturierte Speichern von Befunden, Arztberichten und Röntgenbildern sowie Mutterpass, dem gelben U‑Heft für Kinder und dem Zahn-Bonusheft in der ePA möglich sein [12].

Dieses Zitat zeigt, wie die ePA auf den Weg gebracht werden soll, wobei Details selbst im Oktober 2020 nur Insidern vorbehalten waren. Durch die ePA und damit auch die eDA wird es jedoch zu einer grundlegenden Änderung kommen: Bisher wurden die Daten von jedem Behandelnden erhoben, bei diesem gespeichert und bei Bedarf mit anderen Behandelnden (nach Freigabe durch den Patienten/Patientin) oder mit dem Patienten/Patientin im Rahmen eines Befundberichts geteilt. In Zukunft werden sämtliche Daten in einer ePA gespeichert werden, die die Patienten/Patientinnen ein Leben lang begleiten wird. Diese werden diese Daten den Behandelnden komplett oder in Auszügen freigeben. Datensicherungen in der Praxis werden eine Kopie der freigegebenen Daten darstellen, die insbesondere zur Therapieplanung und bei rechtlichen Auseinandersetzungen notwendig sein wird. Erste solche elektronischen Akten für Patienten/Patientinnen werden aktuell beginnend eingesetzt und von einigen Krankenkassen unterstützt, jedoch müssen sie durch Patienten/Patientinnen mit Daten gefüllt werden [13].

Perspektive – Digitalisierung einer diabetologischen Schwerpunktpraxis 2030

  • Bis 2030 werden sich die ePA und damit auch die eDA – an der derzeit mit Hochdruck gearbeitet wird – etabliert haben, die meisten der anfangs aufgetretenen Problematiken (sog. Kinderkrankheiten) wurden ausgebessert.

  • Durch die ePA werden Standards der Interoperabilität gesetzt, die verankert sein müssen. So können die unterschiedlichen Systeme miteinander kommunizieren und entsprechend genutzt werden. Der gleichzeitige Gebrauch mehrerer Systeme, z. B. zur Dateninterpretation, wird dadurch hinfällig.

  • Die elektronische Versichertenkarte wird der Zugang zu den Daten der ePA sein, die vom Patienten/Patientin dem Behandelnden gegenüber freigeschaltet werden.

  • Somit sind wesentliche anamnestische und diagnostische Daten umgehend vorhanden. Da diese Daten ins PVS integriert werden, muss eine Kennzeichnung erfolgen, von wem und wann diese Untersuchung oder Diagnosestellung erfolgte. So sind Labordaten anderer Behandelnden entsprechend zugänglich, doppelte Bestimmungen innerhalb kürzester Zeit entfallen.

  • Therapiefehler durch fehlende Kommunikation wie z. B. das Verordnen untereinander kontraindizierter Medikamente werden durch die Aufnahme aller Verordnungen in den Medikamentenpool und entsprechender Warnungen reduziert.

  • Neue Erhebungen/Fragebögen können dem zu Behandelnden vorab digital zur Verfügung gestellt werden und werden nicht (nur) als PDF-Datei (PDF: „portable document format“), sondern interaktiv in der ePA hinterlegt. So bleiben die Daten dynamisch, anstatt statisch unterzugehen.

  • Da Diabetes eine Datenmanagementerkrankung ist, werden die Stoffwechseldaten abgespeichert, dabei wird der HbA1c (Glykohämoglobin Typ A1c) eine geringere Rolle spielen als bisher, abgelöst von den eigentlichen Glukosewerten der Betroffenen und der TIR („time in range“, Zeit im Zielbereich). Diese Parameter sind weniger fehleranfällig als der HbA1c und unmittelbarer, keine Surrogatparameter.

  • Die CGM-Systeme haben sich zum eigentlichen Standard entwickelt, die Blutzuckermessung ist inzwischen eher die Ausnahme. Somit tritt die TIR in den Vordergrund.

  • Ein Hochladen der Daten wird zu einem großen Teil wegfallen. Die Daten von Insulinpumpen, Smartpens, CGM-Systemen und BGMS werden automatisch in der Cloud vorliegen, es erfolgt lediglich die Freigabe durch den Patienten/Patientin für den jeweiligen Behandelnden.

  • Um den glukozentrischen Blick ganzheitlich zu erweitern, werden Daten von Blutdruckmessgeräten, Waagen, Smartwatches, Fitness-Apps usw. dem Patienten/Patientin zugeordnet und ebenfalls in der ePA zu sehen sein – vorausgesetzt, der Patient/Patientin wünscht dies und gibt die Daten frei.

  • So können Daten umfassender zur verbesserten Beratung und Fehlererkennung genutzt werden. Dies wird nicht nur durch die Behandelnden, sondern insbesondere durch eine hinterlegte KI erfolgen. Der Behandelnde erhält die aktive Warnung, dass Frau X aus dem Seniorenheim Y in den letzten Tagen niedrige Glukosewerte am Nachmittag hatte und eine Anpassung der mittäglichen Insulindosis zu erwägen ist.

  • Die Rezepte werden selbstverständlich – wie auch Überweisungen, Einweisungen, Hilfs- und Heilmittelverordnungen – nicht mehr ausgedruckt, sondern online verschickt. Dies könnte im Rahmen einer Patienten‑/Patientinnen-App erfolgen oder innerhalb der Daten auf der elektronischen Gesundheitskarte.

  • Telemedizin und die Videosprechstunde werden ein etablierter Anteil der Behandlung sein – dann erweitert um die virtuelle Diabetesberatung (vDB). So wird es möglich, dass Patienten/Patientinnen sich ihren Behandelnden losgelöst von örtlichen Gegebenheiten aussuchen. Fehlzeiten bei der Arbeit und Zeit im öffentlichen Verkehr werden auf diese Weise reduziert.

  • Auch die Kommunikation unter den Behandelnden – sei es als Austausch innerhalb der gleichen Fachbereiche oder konsiliarisch mit unterschiedlichen Fachbereichen – wird sich durch einen digitalen Austausch verbessern. Grund hierfür kann die ePA sein, wodurch Befunde und Diagnosen bekannter und austauschbarer sind. Dazu kommen die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten mittels Videokonsil oder KIM-Systemen (KIM: Kommunikation im Medizinwesen). Hierdurch können effektiv ohne Zeitverluste durch Anfahrten usw. mit Kobehandelnden Informationen ausgetauscht und die Behandlungspfade individuell den jeweiligen individuellen Bedürfnissen angepasst werden.

Vor- und Nachteile der Digitalisierung

Nach obigem Ausblick stellt sich die Frage, ob damit alles besser wird. Sie lässt sich mit nein beantworten, denn auch mit zunehmender Digitalisierung und IT-Nutzung werden nicht alle Bedürfnisse und alle Ansprüchen befriedigt werden. Es wird immer wieder Probleme sowohl bei der Behandlung als auch mit der Technik geben. Das Einholen einer 2. Meinung wird durch die Digitalisierung und deren Möglichkeiten eher einen Aufschwung erfahren. Durch den Auftrag an einen neuen Behandelnden und die Freigabe der Dateneinsicht kann diese recht einfach und schnell erstellt werden. Hier könnte es Zweitmeinungspraxen geben, analog zu aktuellen Gutachtenpraxen. Der Patient/Patientin wird sich nicht so lange eine Zweit‑, Dritt- usw. -meinung einholen, bis er seine Wunschantwort hört, er erwartet eher eine außenstehende Kontrolle der Interpretation seiner Daten.

Diese Möglichkeiten sehen natürlich nicht nur Ärzte/Ärztinnen. Es stellt sich die Frage, inwieweit Krankenkassen/Versicherungen selbst in diese Hoheit eingreifen wollen und dürfen. Onlinediabetescoaching, virtuelle Diabetesberatung, virtuelle Schulungsoptionen sind solche Möglichkeiten. Dabei bleibt offen, wer darüber entscheidet, wer die Patienten/Patientinnen wie betreut.

Eines der großen Probleme wird die Sicherheit der Daten sein. Ist diese Frage in vielen Ländern eher gering beachtet, wird sie doch in Deutschland völlig zu Recht hervorgehoben. Die Aufgaben von Datenschützern/Datenschützerinnen haben in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen. So wurde die Grundlage dafür geschaffen, bei zunehmender Digitalisierung den Datenschutz anzupassen. Es könnte die Spezialisierung eines IT-Datenschützenden für Medizindaten geschaffen und dieser ein sehr wichtiger Bestandteil der Praxisorganisation werden.

Spezialisierte IT-Datenschützende für Medizindaten könnten erforderlich werden

Die rechtliche Unsicherheit und Sorge vor Missbrauch der Daten von Patienten/Patientinnen wurden auch im D.U.T.-Report vorrangig als Nachteil der Digitalisierung genannt (Abb. 2).

Weiterhin werden auch „rechtliche Unsicherheiten“ (50,3 %), die „Gefahr des Missbrauchs von Patientendaten“ (38,4 %), die „Fehleranfälligkeit digitaler Anwendungen“ (33,5 %) und die „Überforderung durch die Technik“ (32,9 %) als relevante Nachteile der Digitalisierung betrachtet [8].

Abb. 2
figure 2

Antworten auf die Frage: „Was sind Ihrer Meinung nach die Nachteile der Digitalisierung und Technologisierung in der Diabetologie?“. (Aus [8])

Die eben zitierte Überforderung durch die Technik ist ebenso nicht zu unterschätzen und wird ein großer Hinderungsgrund oder zumindest eine Geschwindigkeitsbremse für die weitere Digitalisierung in Praxen sein. Die Anwendungen müssen also noch anwenderfreundlicher werden. Auch die Stabilität der Systeme muss besser werden, gehören zumindest heute Systemabstürze zum täglichen Geschäft dazu und legen – proportional zur Digitalisierung – in zunehmendem Maße eine ganze Praxis zeitweise lahm.

Ob diese Visionen wirklich zutreffen werden, ist natürlich nicht mit Sicherheit zu sagen. Es gibt allerdings genügend Anzeichen dafür, dass die Entwicklung bis 2030 in diese Richtung gehen wird und davon einiges auch so genutzt werden wird.

Der Patient von morgen wird immer noch einen Arzt brauchen. Aber er wird keinen Arzt mehr ernst nehmen, der nur noch über Karteikarten arbeitet. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Augsburger Allgemeine, Focus, 15.05.2019 [4].

Trotz aller Begeisterung für die Digitalisierung freue ich mich, auch in 2030 mit meinen Patienten/Patientinnen und Kollegen/Kolleginnen zumindest teilweise persönlich zu reden und ggf. beim Imbiss eine Wurst mit ihnen zu essen – das kann KI noch nicht.

Wie Bob Dylan schrieb:

The times, they are a‑changing!

Fazit für die Praxis

  • Digitalisierung ist nicht aufzuhalten – weder in der diabetologischen Praxis noch im alltäglichen Leben.

  • Das Ausmaß der in Praxen umgesetzten Digitalisierung variiert deutlich, dies wird auch in Zukunft der Fall sein. Jedoch werden die Praxen auf einem fortgeschrittenen Niveau arbeiten.

  • Zukunftsweisende Projekte gibt es derzeit zur Digitalisierung. Andere Punkte wie DiGA (digitale Gesundheitsanwendungen) und die ePA (elektronische Patienten‑/Patientinnenakte) sind bereits beschlossen.

  • Keine Angst vor der Digitalisierung – die Vorteile überwiegen die vermeintlichen Hürden!