Die Digitalisierung sowie neue Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnen die Möglichkeit, die Prädiktion und Prävention der Volkskrankheit Diabetes in einer vollkommen neuen Dimension zu erforschen.

  • Warum erkranken manche Menschen an Diabetes, andere nicht?

  • Welche Rolle spielen dabei Gene, Ernährung, Bewegung, andere Erkrankungen und Umweltfaktoren?

  • Lässt sich schon in jungen Jahren das Diabetesrisiko bestimmen, und kann man u. U. entsprechend vorbeugen?

Big Data, Digitalisierung und künstliche Intelligenz sollen helfen, diese Fragen zum Wohle des Patienten zu beantworten.

Digitalisierung und künstliche Intelligenz („artificial intelligence“, AI) werden heute bereits in vielen Bereichen erfolgreich eingesetzt. Auch in der medizinischen Wissenschaft und klinischen Versorgung werden die Weichen dafür gestellt. Schon jetzt gibt es Systeme, die Krankheitsbilder analysieren und Diagnosen stellen. Forscher der „Mount Sinai School of Medicine“ stellten im Januar 2018 ein Forschungsergebnis vor, welches durch Anwendung künstlicher Intelligenz erhalten worden war. So kann durch Einsatz der intelligenten Software aus einem psychologischen Gespräch mit Jugendlichen mit einer Wahrscheinlichkeit von 82 % erkannt werden, ob diese innerhalb der nächsten 2 Jahre an einer Psychose erkranken werden [1].

Einen Durchbruch auf dem Gebiet der Dermatologie gab es kürzlich: Die Klassifikation von Hautkrebs konnte durch den Einsatz künstlicher neuronaler Netze signifikant verbessert werden [2].

Laut den Analysten von „Price Waterhouse Coopers“ (PwC) soll die künstliche Intelligenz in den nächsten Jahren Millionen Menschen zu besseren Therapien verhelfen und gleichzeitig dazu beitragen, die Gesundheitskosten signifikant zu senken. In der Medizin liegt ein sehr hohes Potenzial insbesondere in den beiden Bereichen bildgebende Diagnostik und Früherkennung von Krankheiten/Pandemien [3].

Diabetes – eine Volkskrankheit

Für die Volkskrankheit Diabetes bietet die Digitalisierung vollkommen neue Möglichkeiten für eine bessere Prädiktion und Prävention. Dies ist dringend notwendig, denn die Zahl der Menschen mit Diabetes nimmt rapide zu. Weltweit vervierfachte sich diese seit 1980. Allein in Deutschland leiden knapp 7 Mio. Menschen daran, und jedes Jahr erkranken bis zu 500.000 neu an dieser Stoffwechselerkrankung. In Universitätskliniken liegt sogar bei 1/4 aller Patienten ein manifester Diabetes vor [4].

Die Kosten für Therapie und Arbeitsausfälle durch Diabetes in Deutschland betragen >16 Mrd. €/Jahr

Das Leiden sowie der Verlust an Lebensqualität der Betroffenen sind besonders in späteren Phasen der Erkrankung groß. Auch belastet die Stoffwechselerkrankung zunehmend das deutsche Gesundheitssystem: Die Kosten für Therapie und Arbeitsausfälle belaufen sich auf mehr als 16 Mrd. € im Jahr [5].

Diabetes ist eine komplexe Erkrankung, die durch ein vielschichtiges Zusammenspiel von Genen, Lebensstil und Umweltfaktoren entsteht. Wissenschaftler des DZD (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung) zeigten, dass es nicht „den“ Typ-2-Diabetes gibt, sondern unterschiedliche Subtypen sowohl des Prä- als auch des manifesten Diabetes, die auf Lebensstiländerungen und Therapie sehr individuell ansprechen [6]. Auch laut einer kürzlich in „The Lancet Diabetes & Endocrinology“ publizierten Arbeit existieren beimTyp-2-Diabetes weit komplexere Subtypen als bisher angenommen [7]. So lassen sich aus den großen schwedischen Kohorten 5 verschiedene Diabetesunterformen errechnen, die auch mit unterschiedlichen Outcomes korrelieren. Patienten von 3 dieser Subtypen sind mit Blick auf diabetische Folgeschäden als Hochrisikopersonen einzustufen. Bei den beiden weiteren Subtypen dagegen sind die Krankheitsverläufe weniger schwer. Auch eine DZD-Arbeitsgruppe identifizierte Subtypen mit einem sehr hohen Risiko für Organkomplikationen. Die hiervon Betroffenen haben eine ausgeprägte Insulinresistenz, eine niedrige Insulinsekretion und weisen auch eine Fettlebererkrankung auf – und das schon Jahre, bevor es mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einer manifesten Diabeteserkrankung kommt [8].

Nun gilt es, noch mehr solcher Untergruppen zu identifizieren und herauszufinden, welche davon jeweils welche Eigenschaften aufweisen und wie Patienten mit dem betreffenden Subtyp behandelt werden müssten (Abb. 1). Je kleiner und ausdifferenzierter diese Untergruppen werden, desto individueller und Erfolg versprechender werden die Prädiktion, Prävention oder Therapie ausfallen. Besonders für die Prävention ist es essenziell, frühe Prädiktoren zu finden, die bereits lange vor dem Ausbruch der Erkrankung ein sicheres Signal der Veränderungen im Körper widerspiegeln [9]. Das Auffinden solcher Prädiktoren sowie die damit verbundene Identifizierung von Untergruppen des Diabetes sind ein wesentlicher Schritt in Richtung personalisierte Medizin, die im Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten des DZD steht.

Abb. 1
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Auftreten unterschiedlicher Subtypen (grau, dunkelblau, blassblau) des Prädiabetes und Diabetes mit individuell verschiedenem Ansprechen auf Lebensstiländerungen und Therapie (erste Gruppen bereits identifiziert). (Quelle: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V. [DZD])

Prädiktion heute und morgen

Hinsichtlich der Prädiktion können Erwachsene mit Hilfe des DIfE – Deutscher Diabetes-Risiko-Test® (DRT; Bezugsquelle: DZD oder online: diabetesrisikotest.de) ihr persönliches Risiko ermitteln, innerhalb der nächsten 5 Jahre an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken. Dem sehr aussagekräftigen und validierten Test liegen Daten großer epidemiologischer Studien zugrunde [10]. Damit er rechtzeitig durchgeführt wird, ist es wichtig, Menschen ohne Diabetes und besonders gefährdete Personen zu erreichen. Allerdings zeigte die jüngst vom Robert Koch-Institut (RKI) in Deutschland veröffentlichte Studie „Krankheitswissen und Informationsbedarfe – Diabetes mellitus“, dass ein deutlicher Bedarf für eine zielgruppenspezifische Information und Kommunikation zum Thema Diabetes besteht und sich konkrete Wissenslücken u. a. zur Entstehung von Diabetes und Risikofaktoren in der Allgemeinbevölkerung identifizieren lassen [11]. Somit stellt sich die Frage, wie man die Digitalisierung, die zurzeit in allen Lebensbereichen unserer Gesellschaft Einzug hält, für ein besseres Bewusstsein („awareness“) sowie eine bessere Prädiktion und Prävention nutzen kann.

Durch den Aufbau eines DDPC (digitales Diabetespräventionszentrum) soll unter Einbeziehung großer Bevölkerungsgruppen, Gesundheits- und Forschungsdaten aus unterschiedlichsten Quellen und innovativen Informationstechnologien die Chance genutzt werden, Subtypen des Diabetes in der Bevölkerung frühzeitig zu erkennen und eine zielgerichtete personalisierte Prädiktion und Prävention zu ermöglichen. Nur so können der Ausbruch der Stoffwechselerkrankung bzw. die Entstehung von Folgeerkrankungen eingedämmt oder verhindert werden, was letztendlich auch zu einer Kostensenkung im Gesundheitswesen führen wird. Dafür setzen sich das DZD und das Helmholtz Zentrum München ein. Patienten, die Daten zur Verfügung stellen, profitieren direkt. Sie erhalten diese mit einem besonderen Mehrwert zurück – einer speziell auf jeden Einzelnen zugeschnittenen personalisierten Prävention.

Nutzung von Big Data

Einbezug bisher verborgener Daten

Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom und der BTA (Bayrische TelemedAllianz) nutzen rund 45 % der deutschen Smartphonebesitzer Gesundheits-Apps, um ihre Körper- und Fitnessdaten aufzuzeichnen. Gewünscht ist auch die Möglichkeit, die eigene Patientenakte digitalisieren zu können. So gaben 32 % der Befragten an, bereits medizinische Untersuchungsergebnisse auf CD erhalten zu haben, und weitere 43 % würden die Befunde künftig gerne in digitaler Form zur Verfügung gestellt bekommen [12].

Millionen von Daten liegen im Verborgenen

Auch bei den Krankenkassen liegen zahlreiche Daten vor, beispielsweise aus Disease-Management-Programmen (DMP). Das bedeutet: Ärzte, Krankenhäuser, Krankenkassen, Patienten, Gesundheitsinteressierte, das gesamte Gesundheitssystem sowie Forschungseinrichtungen verfügen insgesamt gesehen über einen riesigen Datenschatz: Millionen von Patientenakten, die jede für sich die Krankheitsgeschichte eines Menschen dokumentiert.

Neu ist jetzt, dass es mit den modernen Informationstechnologien möglich wäre, diese Daten zu vernetzen, Querverbindungen und Gemeinsamkeiten zu identifizieren und damit Erkenntnisse zu liefern, die bislang verborgen blieben, aber nun zum Wohle des Menschen eingesetzt werden könnten (Abb. 2).

Abb. 2
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Möglicher Gewinn neuer Erkenntnisse durch Verknüpfung unterschiedlicher Datenquellen und moderner Techniken der Informationsverarbeitung, KI künstliche Intelligenz. (Quelle: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V. [DZD])

Prävention durch Kombination von Big Data und bestehender Expertise

Als öffentlich geförderte Forschungsinstitutionen wollen das DZD und das Helmholtz Zentrum München mit dem DDPC die Bevölkerung in den Mittelpunkt der Aktivitäten setzen, um

  • bei Personen, die ein Diabetesrisiko tragen, den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern, und

  • bei den bereits erkrankten Personen die Entwicklung der Spätfolgen zu stoppen.

Durch die Vernetzung von Big Data, der wissenschaftlichen Exzellenz in der Diabetesforschung und Datenverarbeitung sowie der klinischen Anbindung hat das DDPC beste Voraussetzungen, neue Wege zu beschreiten, um mittelfristig personalisierte Präventions- und Therapiemöglichkeiten anzubieten. Neue Strukturen, neue Techniken, neue Algorithmen und Analyseverfahren sollen entwickelt und angewendet werden, um aus den Datenmengen verwertbares Wissen und belastbare Erkenntnisse zu ziehen.

Verknüpfung von Daten unterschiedlichster Quellen

Im DZD liegen bereits Daten aus unterschiedlichsten Quellen vor – wie aus klinischen Studien, Kohorten, präklinischen Modellen, Technologien des Bereichs „next generation -omics“ und Biobanken. Nun kommen noch Daten zu epigenetischen Veränderungen des genetischen Codes hinzu.

Durch Omics-Ansätze gelang es bereits, verschiedene Protein- und Metabolitenbiomarker zu identifizieren, mittels derer die Diagnose von Prädiabetes zukünftig vereinfacht werden könnte [13, 14].

Menschen, die dem DDPC Daten zur Verfügung stellen, würden durch individuelle Betreuung profitieren

Im Moment wird die Graphdatenbank DZD CONNECT aufgebaut, um einen einfachen Zugriff auf die Daten zu ermöglichen (Abb. 3). Ziel ist es, die vorhandenen Daten unterschiedlichster Quellen zugänglich, wiederverwertbar und übergreifend nutzbar zu machen. Um die Entstehung von Typ-2-Diabetes noch besser verstehen, weitere interessante Muster erkennen und Subgruppen definieren zu können, ist es wichtig, wesentlich größere Datenmengen auch von gesunden Personen aus der Bevölkerung einzubeziehen.

Abb. 3
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DZD CONNECT: Verknüpfung von Daten unterschiedlichster Quellen aus der Prädiabetes Lebensstil-Interventions-Studie (PLIS) in einer Graphdatenbank. (Quelle: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V. [DZD])

Viele Menschen erfassen bereits heute eigene Gesundheitsdaten, etwa über Trackingarmbänder, Wearables oder Fitness-Apps. Bislang greifen v. a. große internationale IT- (Informationstechnologie) und Pharmafirmen auf die vielfältig erhobenen Gesundheitsdaten von Apps und Wearables zu. Damit die Forschung aber auch in Zukunft gleichberechtigt mit der Industrie agieren und als starker Partner kooperieren kann, benötigt sie ebenfalls einen Zugang zu diesen Daten. Das Besondere am DDPC wäre, dass die Menschen, die ihm ihre Daten zur Verfügung stellen, auch einen konkreten Mehrwert haben. Sie würden eine individuelle Diabetestherapie bzw. -prävention erhalten, wissenschaftlich fundiert und frei von kommerziellen Interessenslagen.

Digitale Medien wie Apps können Personen zu für sie geeigneten Lebensstilmaßnahmen motivieren. Im DZD werden bereits erste Apps, insbesondere für Hochrisikogruppen, entwickelt und in Multicenterstudien getestet.

Möglichkeiten zur Strukturierung des DDPC

Das DDPC ist als nationale Initiative mit verschiedenen Standorten in Deutschland angedacht. Dabei bringt das Helmholtz Zentrum München die mathematische und informationstechnische Expertise ein, die klinische Expertise kommt u. a. vom DZD.

Diabetes-Data-Institute setzen sich aus Einheiten in den Bereichen Datenspeicherung, Datenplausibilität und Qualitätskontrolle, Algorithmenentwicklung sowie Data-Mining (unter Anwendung künstlicher Intelligenz) zusammen. Hier werden Daten aus unterschiedlichen Quellen wie klinischen Studien, Grundlagenforschung, Gesundheitsdaten der Probanden und Ähnlichem gesammelt, aufbereitet, kontrolliert und analysiert. In den riesigen Datenmengen liegt ein großes Potenzial, das bislang kaum geborgen wird. Mittels Algorithmen werden die Informationen herausgefiltert, die benötigt werden, um personalisierte Therapien und Präventionsansätze ableiten zu können.

Experten in „computational biology“ aus München wiesen in einem Pilotprojekt unter Anwendung künstlicher Intelligenz bereits nach, dass sich hiermit Retinopathien besser klassifizieren lassen. Diese Forschungsstrategie wird nun weiterverfolgt, um entsprechende Erkenntnisse in Form neuerer, besserer Therapien und individuell maßgeschneiderter Vorsorgekonzepte umzusetzen [15].

Die Diabetes-Data-Institute werden von klinischen Zentren („clinical hubs“) flankiert, welche auf bestehenden Aktivitäten und Kooperationen des DZD und weiteren Institutionen aufbauen. „Proof of principle studies“ werden mit den Partnerinstitutionen des DZD durchgeführt (Abb. 4).

Abb. 4
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Geplante Struktur des DDPC (digitales Diabetespräventionszentrum), DZD Deutsches Zentrum für Diabetesforschung. (Quelle: DZD/HMGU)

Teilhabe der Bevölkerung am medizinischen Fortschritt

Die Rolle der Bevölkerung wird sich im Rahmen der Digitalisierung maßgeblich ändern. Patientengruppen möchten bei der Testung neuer Systeme kooperieren. Von Patientenvertretern wird beklagt, dass man am medizinischen Fortschritt in Deutschland nicht vollumfänglich teilnehmen könne, da die Datenschutzbestimmungen Forschung und Innovation behindern [16]. Gemeinsam mit der Politik, den Fachgesellschaften und den Patientenverbänden müssen wir einen Weg finden, der den Zugang zu Daten auf sicherem und geschütztem Wege garantiert, aber andererseits den medizinischen Fortschritt in einer digitalisierten Welt nicht verhindert. Der von der DDG (Deutsche Diabetesgesellschaft) entwickelte „code of conduct digital health“ bietet hierzu eine gute Grundlage [17]. Noch ist das DDPC eine Zukunftsvision. Es gilt, die Politik davon überzeugen, in ein solches Zentrum zu investieren. Angesichts von Gesundheitskosten im Diabetesbereich von mehr als 16 Mrd. € jährlich wäre das sicher eine gute Investition.

Fazit für die Praxis

  • Digitalisierung, Big Data und AI ermöglichen es, die Prädiktion und Prävention des Diabetes in einer vollkommen neuen Dimension zu erforschen.

  • Gemeinsam mit Politik, Fachgesellschaften und Patientenverbänden müssen wir einen Weg finden, der den Zugang zu Daten auf sicherem und geschütztem Weg garantiert, aber andererseits den medizinischen Fortschritt in einer digitalisierten Welt nicht verhindert.

  • Besonders für die Prävention ist es essenziell, frühe Prädiktoren zu finden, die bereits lange vor dem Ausbruch der Erkrankung ein sicheres Signal der Veränderung im Körper widerspiegeln.

  • Durch Etablierung eines DDPC könnten Subtypen des Diabetes in der Bevölkerung frühzeitig erkannt und eine zielgerichtete personalisierte Prädiktion und Prävention ermöglicht werden.

  • Personen, die Daten zur Verfügung stellen, sollen direkt profitieren und erhalten ihre Daten mit einem besonderen Mehrwert zurück – einer speziell auf sie zugeschnittenen personalisierten Prävention.