In diesem Heft haben wir 4 besonders interessante Themengebiete ausgewählt, die beim Diabetes Update 2012 in Mainz vorgetragen und diskutiert worden sind. Erneut hat sich die Veranstaltung für die Teilnehmer als äußerst attraktiv erwiesen, zumal hier ganz speziell auf Neuerungen und deren Auswirkungen auf die diagnostischen und therapeutischen Prozeduren in der Praxis eingegangen wurde. An dieser Stelle wird auf die Beiträge der Herren Prof. Andreas Hamann (Bad Nauheim) zur Adipositas, Prof. Dan Ziegler (Düsseldorf) zum Thema diabetische Neuropathie, Dr. Thorsten Siegmund (München) zum Thema Typ-1-Diabetes und Prof. Lutz Heinemann (Neuss) zum Thema Diabetestechnologie in diesem Heft verwiesen. Darüber hinaus wird im Folgenden jeweils mindestens ein „Highlight“ aus den anderen Vorträgen herausgegriffen. Hierbei ist klar, dass eine solche Heraushebung einzelner neuer Erkenntnisse subjektiv ist und aus der eigenen Einschätzung des Autors über die Bedeutung der entsprechenden Publikationen erfolgt. Besonders wertvoll sind die jeweiligen Kommentare der Experten, die hier auch sinngemäß wiedergegeben werden sollen.

Herr PD Dr. Wolfgang Rathmann (Düsseldorf) referierte neue Studien zu den Themen Definition und Klassifikation, diagnostische Kriterien, Screeningmaßnahmen und Epidemiologie des Diabetes mellitus. Die „Beziehung zwischen Diabetes und Mortalitätsrisiko“ wurde in einer Metaanalyse von 97 internationalen epidemiologischen Kohortenstudien mit insgesamt 820.000 Teilnehmern untersucht [1]. Das mittlere Alter der Probanden lag bei 55 Jahren. Zu Beginn hatten 40.116 Teilnehmer (6%) einen bekannten Diabetes. In der „Follow-up“-Erhebung (Median: 13,6 Jahre) traten 123.205 Todesfälle auf.

Personen mit Diabetes haben im Vergleich zu Nichtdiabetikern eine 1,8-fach erhöhte Gesamtmortalität.

Daneben wiesen sie ein 2,3-fach erhöhtes kardiovaskuläres Risiko und eine 1,3-fach erhöhte Krebsmortalität auf. Bei einem 50-jährigen männlichen Diabetespatienten ist nach diesen Daten gegenüber einem gleichaltrigen Nichtdiabetiker die Lebenserwartung um 5,8 Jahre und bei einem 60-jährigen Diabetiker um 4,5 Jahre reduziert. Für Frauen mit Diabetes lagen die entsprechenden Schätzungen bei 6,4 Jahren (Alter 50 Jahre) bzw. bei 5,4 Jahren (Alter 60 Jahre). Diese bisher größte Metaanalyse liefert wertvolle aktuelle Schätzungen zur Reduktion der Lebenserwartung bei Diabetes.

Herr Prof. Stefan Martin (Düsseldorf) referierte neue Studien zu den Themen Pathophysiologie, Prävention des Diabetes und Lebensstilfaktoren. In einer systematischen Übersicht und Metaanalyse wurde der „Nutzen von strukturierten körperlichen Trainingsprogrammen für die Senkung des HbA1c-Werts bei Personen mit Typ-2-Diabetes“ untersucht. Dabei wurden 47 randomisierte klinische Studien mit insgesamt 8538 Patienten analysiert und die Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgruppen berechnet [2]. In den 23 Studien mit einem strukturierten Bewegungsprogramm fiel der HbA1c-Wert im Vergleich zu den Kontrollgruppen um durchschnittlich 0,67% ab. Strukturiertes aerobes Training führte zu einem HbA1c-Abfall von durchschnittlich 0,73%; bei Resistenztraining waren es 0,57%. Strukturiertes körperliches Bewegungstraining von mehr als 150 min/Woche führte zu einer HbA1c-Senkung von 0,89%. In den 24 Interventionsstudien mit generellen Empfehlungen zur körperlichen Aktivität konnte der HbA1c-Wert im Vergleich zur Kontrollgruppe um 0,43% gesenkt werden. In diesen Studien war ein HbA1c-Abfall aber nur dann nachweisbar, wenn die Empfehlung zur körperlichen Aktivität auch mit Sitzungen zur Ernährungsberatung verbunden wurde. Diese Analyse zeigt sehr deutlich, dass der einfache Rat, sich mehr zu bewegen, nicht hilfreich ist, sondern dass strukturierte Programme zum körperlichen Training erforderlich sind, um therapeutisch wirksame Effekte zu erzielen.

Herr Prof. Michael Stumvoll (Leipzig) referierte neue Studien zum Typ-2-Diabetes. Unter anderem wurden neue Daten zu β-Zell-Dysfunktion, Insulinresistenz, Lipodystrophie, oralen Antidiabetika, Inkretinmimetika, Insulintherapie und zur bariatrischen Chirurgie vorgestellt. Faszinierend sind die ersten Studien zur „Fäkaltransplantation bei Adipositas und Typ-2-Diabetes“. Bei antibiotikarefraktären Darminfektionen mit Clostridium difficile ist die Fäkaltransplantation ein etabliertes Therapieverfahren zur Eradikation des Keims. Es gibt nun aber Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Mikroflora des Darms und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Reizdarmsyndrom und Allergien.

Fäkaltransplantation verbessert Insulinsensitivität und hepatische Insulinresistenz

In einem lesenswerten Review wurde die mögliche Beziehung zwischen Darmflora, Adipositas und Typ-2-Diabetes erläutert [3]. Erste Daten dieser holländischen Arbeitsgruppe waren bereits bei der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) 2010 als Abstract vorgestellt worden [4]. Probanden mit einem metabolischen Syndrom erhielten nach einer Darm-Lavage zur Entfernung der nativen Darmflora über eine Duodenalsonde entweder eine Stuhlprobe von einem gesunden Spender oder ihren eigenen Stuhl. Nach 6 Wochen zeigten sich in der Gruppe, die den Stuhl des gesunden Spenders bekommen hatte, Verbesserungen der Insulinsensitivität und der hepatischen Insulinresistenz. Dazu passend fielen die Triglyzeridkonzentrationen zunächst ebenfalls signifikant ab, erreichten nach 12 Wochen aber wieder den Ausgangswert. Zu diesem Thema wird man sicherlich bald noch Weiteres hören.

Herr Dr. Helmut Kleinwechter (Kiel) referierte über neue Daten zum Thema Diabetes und Schwangerschaft. Zunächst konnte er das Inkrafttreten des im Wesentlichen von ihm und dem DDG-Ausschuss Schwangerschaft initiierten Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bekanntgeben, nach dem für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKVen) ab dem 03.03.2012 ein „generelles Screening auf Gestationsdiabetes“ zwischen der 24. und 27.(+6.) Schwangerschaftswoche übernommen wird, und zwar mit einem zweistufigen Verfahren: Bestimmung der Plasmaglukosekonzentration 1 h nach oraler Gabe von 50 g Glukose und bei einer Blutglukosekonzentration ≥135 mg/dl (≥7,5 mmol/l) und <200 mg/dl (<11,1 mmol/l) die zeitnahe Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests (oGTT) mit 75 g Glukoselösung.

Unter anderem wurde ein systematischer Review mit einer Metaanalyse zum Direktvergleich „Insulin Lispro vs. Humaninsulin in der Schwangerschaft“ vorgestellt [5]. Dabei ergaben sich keine Belege für einen Vorteil von Lispro. Vielmehr gab es in der Lispro-Gruppe signifikant mehr „Large-for-gestational-age(LGA)-Geburten. Dagegen ist die Gabe von Insulin Aspart und Insulin Detemir in der Schwangerschaft unbedenklich.

Herr Prof. Roland Schmieder (Erlangen) referierte neue Studien zum Thema Hypertonie und Diabetes. Sehr interessant sind die neuen Studien zum „Zielblutdruck beim Diabetes“ und zur J-Kurve. In der prospektiv angelegten randomisierten und placebokontrollierten Studie „Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes“ (ACCORD) wurde bei Patienten mit Typ-2-Diabetes eine Blutdruckeinstellung auf einen Zielwert <120 mmHg (de facto 119/67 mmHg) gegenüber einer weniger intensiven Einstellung mit Zielwert <140 mmHg (de facto 134/73 mmHg) verglichen. Es zeigte sich, dass sowohl die Gesamtsterblichkeit als auch die kardiovaskuläre Mortalität in beiden Gruppen gleich war. Die intensivere Blutdrucksenkung war aber mit mehreren schweren Nebenwirkungen verbunden (Hypotension, Bradykardie, Hyperkaliämie, Nierenfunktionsverschlechterung, [6]). Diese Daten wurden nun in Post-hoc-Analysen von 2 Studien bestätigt: Bei diabetischen Patienten der „Ongoing Telmisartan alone and in combination with Ramipril Global Endpoint Trial“ (ONTARGET, [7]) war sowohl ein systolischer Blutdruck >143 mmHg als auch ein Wert <130 mmHg (im Mittel 126 mmHg) mit einer höheren Inzidenz von kardiovaskulären Komplikationen und Mortalität verbunden. In der „Veterans Affairs Diabetes Trial“ (VADT, [8]) kam es bei einer Kombination von systolischem Blutdruck ≥140 mmHg und diastolischem Blutdruck <70 mmHg zu einer Verdopplung des Risikos gegenüber der Kontrollgruppe. Die neue Empfehlung für den Zielblutdruck bei Diabetespatienten ist also 130–139/80–85 mmHg.

Herr Prof. Maximilian Spraul (Rheine) referierte neue Studien zum diabetischen Fußsyndrom (DFS). Hervorzuheben sind die neuen Studiendaten zur „Wirksamkeit der hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) bei chronischen Fußulzera“. In einer monozentrischen randomisierten, placebokontrollierten Studie aus 2010 [9] wurden 94 Patienten mit diabetischen Fußulzera der Wagner-Stadien 2, 3 und 4 nach üblichem Standard behandelt und erhielten zusätzlich 85-minütige Therapieblöcke in der Druckkammer entweder mit 100%igem Sauerstoff oder Raumluft (Placebo). Dabei zeigte sich, dass Fußulzera nach einer Beobachtungszeit von 1 Jahr in der HBO-Gruppe in 25 von 48 Patienten (52%) und in der Placebogruppe nur in 12 von 42 Patienten (29%) abgeheilt waren. Ein positiver Effekt ist also anzunehmen. In einer neuen speziellen Auswertung dieser Studie zeigte sich nun, dass mit der HBO bei keinem der Patienten mit kritischer Ischämie eine Abheilung erreicht wurde [10]. Die HBO-Therapie scheint also nur bei gut durchbluteten Ulzera zu wirken.

Herr PD Dr. Michael Lehrke (Aachen) referierte neue Studien zum Thema Diabetes und Herz. Hier ist eine Studie zum positiven „Effekt der medikamentösen Therapie bei Patienten mit Diabetes und stabiler koronarer Herzkrankheit (KHK)“ besonders herauszuheben. Bereits in der 2009 publizierten Studie „Bypass Angioplasty Revascularization Investigation 2 Diabetes“ (BARI 2D) wurde der fehlende Vorteil einer koronaren Revaskularisation im Vergleich zur optimalen medikamentösen Therapie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes gezeigt. In einer neuen Untersuchung desselben Kollektivs von 2364 Patienten mit nachgewiesener myokardialer Ischämie wurde je die Hälfte einer interventionellen oder operativen Revaskularisation zugeführt, und die andere Hälfte erhielt lediglich die optimale medikamentöse Therapie. Nach einer Beobachtungsdauer von 3 Jahren war es durch die Revaskularisation im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer signifikanten Reduktion der vorbestehenden, stabilen Angina-pectoris-Symptome und zu weniger Neumanifestationen einer Angina-pectoris-Symptomatik gekommen. Außerdem waren auch seltener Revaskularisationsmaßnahmen erforderlich. Bei stabiler Angina pectoris bringt also eine Koronarrevaskularisation keinen Vorteil gegenüber der optimalen medikamentösen Therapie. In Bezug auf die Angina-pectoris-Symptomatik ist die Revaskularisation jedoch klar überlegen [11]. Bei schwerer KHK scheint die aortokoronare Bypassoperation der perkutanen Intervention überlegen zu sein.

Herr Prof. Thomas Lindner (Leipzig) referierte neue Studien zum Thema diabetische Nephropathie (DN). Unter anderem wurde die „Einteilung der diabetischen Nephropathie nach der neuen Klassifikation der Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO)“ vorgestellt [12]. Letztere schließt neben der Abschätzung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) mit einer neuen Formel auch den Grad der Albuminurie mit ein. Die früher verwendete Formel „modification of diet in renal disease“ (MDRD) wurde bei Patienten mit einer GFR <60 ml/min/1,73 m2KOF erstellt und validiert.

In der neuen KDIGO-Klassifikation wird die CKD-EPI-Formel verwendet

In der neuen Klassifikation wird die CKD-EPI-Formel verwendet, die auch bei einer GFR>60 ml/min/1,73 m2KOF geeignet ist. In der neuen KDIGO-Klassifikation wird eine Matrix aus geschätzter GFR und dem Grad der Albuminurie gebildet (Abb. 1). Jedes Stadium ist – ähnlich wie bei der Einteilung des Hypertonus – mit Empfehlungen für weitere Diagnostik und für Therapiemaßnahmen verknüpft.

Abb. 1
figure 1

Diagnostik und Einteilung der diabetischen Nephropathie. (Adaptiert nach [12])

Herr Prof. Ulrich Egle (Gengenbach) gab ein aktuelles Übersichtsreferat zum Thema „Psychosomatik und die Beziehungen zum Diabetes“. Er ging dabei u. a. auf die Vulnerabilität für körperliche und psychische Erkrankungen infolge einer Störung des Stressverarbeitungssystems und die Epidemiologie psychischer Traumatisierungen in der Kindheit ein, wobei neurobiologische und entwicklungspsychologische Auswirkungen hervorgehoben wurden. Ferner erläuterte er Daten, die Risikoverhalten als kontraproduktiven Kompensationsversuch aufzeigen. Schließlich ging er im Detail auf das Thema Diabetes mellitus und andere körperliche sowie psychische Erkrankungen als Langzeitfolge ein.

Herr Prof. Frank Er bguth (Nürnberg) referierte neue Studien zu den Themen Diabetes und Schlaganfall, die Folgen der Hypoglykämie für das Gehirn, Diabetes und Kognition bzw. Demenz sowie Diabetes und extrapyramidale Erkrankungen. Besonders zu erwähnen sind die neuen Daten zum „Nutzen der Glykämiekontrolle bei der ‚Post-stroke“-Hyperglykämie (PSH)“. Es wurde ein Protokoll zur Erlangung der Euglykämie innerhalb der ersten 48 h der Schlaganfallbehandlung vorgestellt und auf seine grundsätzliche Tauglichkeit überprüft [13]. Bei einer Blutglukosekonzentration >6 mmol/l wurde nach vorgegebenem Standard Insulin verabreicht und der Glukosespiegel stündlich kontrolliert. Präprandiale Zielwerte betrugen 4,0–6,0 mmol/l. Bei den Probanden wurde in 91% der Fälle eine Normoglykämie innerhalb von 8 h erreicht. Die Gesamtrate an Hypoglykämien betrug 4,5% und die von Hypokaliämien 18,5%. In einer Cochrane-Analyse aus selektierten Studien wurde die Datenlage zum Thema Glykämiekontrolle mit Insulin beim akuten Schlaganfall systematisch aufgearbeitet [14]. Danach ergibt diese Therapie weder Vor- noch Nachteile bezüglich der Outcome-Kriterien „Tod oder Pflegebedürftigkeit“ und „bleibendes neurologisches Defizit“. Die Rate an Hypoglykämien ist aber in der Insulingruppe 25-mal höher als bei den Kontrollen. Die Subgruppenanalyse ergibt ebenfalls keine Unterschiede zwischen Diabetikern und Nichtdiabetikern. Während die standardmäßig durchgeführte Senkung hoher Blutglukosespiegel bei der PSH unbestritten ist, bleibt dabei der Nutzen einer normnahen Blutzuckereinstellung für die Prognose dieser Patienten noch unklar.

W.A. Scherbaum, Düsseldorf