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Anamnese
Im März 2019 stellte sich ein 29-jähriger, männlicher Patient mit Migrationshintergrund in der Notaufnahme vor. Anamnestisch gab der Patient blutige Diarrhöen an. Diese traten 3‑ bis 4‑mal pro Tag seit 3 Monaten auf. Zusätzlich berichtete er von starken Bauchschmerzen (8/10 auf der visuellen Analogskala), Fieber, Schüttelfrost, Appetit‑, Kraftlosigkeit und einen Gewichtsverlust von 5 kg in den letzten 3 Monaten.
Aufgrund einer seit November 2018 bestehenden Oligoarthritis wurde der Patient mit Leflunomid behandelt. Weitere Vorerkrankungen waren nicht bekannt, insbesondere keine gastroenterologischen Vorerkrankungen. Es gab keine weitere Dauermedikation.
Klinischer Befund
In der Notaufnahme präsentierte sich ein kachektischer Patient in reduziertem Allgemeinzustand mit einer Tachykardie bei regelhaftem Blutdruck, subfebrilen Temperaturen bis 38,2 °C, einer regelhaften Sauerstoffsättigung und diffusen Bauchschmerzen mit Punktum maximum im rechten Unterbauch. In der digital-rektalen Untersuchung zeigte sich eine Hämatochezie.
Laborbefunde und technische Diagnostik
Bei Aufnahme wurden folgende Laborbefunde erhoben: C‑reaktives Protein (CRP) 8,18 mg/dl; Leukozyten 2,38/nl; Neutrophile 1,16/nl; Lymphozyten 0,69/nl; Hämoglobin (Hb) 12,7 g/dl; International Normalized Ratio (INR) 1,3; Laktatdehydrogenase (LDH) 262 U/l, Lipase 408 U/l.
Die Sonographie des Abdomens und eine Ösophagogastroduodenoskopie waren ohne wegweisenden Befund. In der Computertomographie (CT) des Abdomens fand sich eine Wandverdickung des terminalen Ileums und des Zökums. (Abb. 1a) In der CT des Thorax zeigten sich bronchiektatische Weitungen im ventralen Unterlappen, Mittellappen und im Lingulasegment ohne Hinweis auf Kavernen (Abb. 1b). In der Koloskopie vom 11.03.2020 ergab sich das Bild einer Pankolitis mit Ulzerationen bis in das terminale Ileum, ausgeprägt im Bereich der Ileozökalklappe (Abb. 2). Histologisch wurden eine unregelmäßige Kryptenarchitektur, Rundzellvermehrung der Lamina propria, lymphoide Aggregate sowie Kryptitiden und Kryptenabszesse nachgewiesen.
Weiteres Prozedere
Die Therapie mit Leflunomid wurde nach Ausschluss einer anderen Genese als Ursache einer serösen Pankreatitis gewertet und beendet. Nachdem eine breite infektiologische Diagnostik auf darmpathogene Keime (Salmonellen, Shigellen, Yersinien, Campylobacter, Clostridium difficile, Amöben), Herpesviren und ein QuantiFERON-Test (Qiagen, Hilden, Deutschland) kein positives Ergebnis zeigten, wurde eine Therapie mit Prednisolon (100 mg intravenös) begonnen und im Verlauf oralisiert und ausgeschlichen. Im April wurde eine Therapie mit Infliximab (5 mg/kgKG und später mit 7 mg/kgKG) begonnen. Hierunter besserte sich das klinische Beschwerdebild. Der Patient hatte keine relevanten abdominellen Beschwerden oder blutige Diarrhöen mehr. Alle auffälligen Laborparameter normalisierten sich ebenfalls.
Etwa ein Jahr später stellte sich der Patient in der Hochschulambulanz mit rekurrierenden Bauchschmerzen vor. Diese waren im Verlauf progredient. Erneut entwickelte er Fieberschübe und wässrige Diarrhöen bis zu 5‑mal pro Tag ohne Blutbeimengung. In der CT des Abdomens zeigten sich ein ausgedehnt wandverdicktes terminales Ileum mit einer Stenose, multiple, zunehmend vergrößerte mesenteriale und retroperitoneale Lymphknoten, Aszites im kleinen Becken sowie entlang der parakolischen Rinne rechts und neu – eine Hepatosplenomegalie (Abb. 3). Am 30.06.2020 wurde bei einer Koloskopie eine nichtpassierbare Stenose mit kontaktvulnerablem, tumorös verändertem Gewebe bei etwa 60 cm im Bereich des rechten Colon transversum angetroffen. Die entzündlichen Veränderungen zeigten einen auffallend destruierenden Charakter mit starker Nekrosebildung (Abb. 4). Im histologischen Befund wurde das eingesendete Gewebe als schwer floride ulzeröse und angedeutet granulomatöse Entzündung beschrieben.
Wie lautet Ihre Diagnose?
Im histologischen Präparat erbrachte ein Test mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) den Nachweis von Mycobacterium-tuberculosis-Komplex-DNA. In der CT des Thorax zeigten sich jetzt Veränderungen, die mit einer miliaren Aussaat vereinbar waren und damit dem Bild einer Tuberkulose entsprachen. Es lagen jedoch keine Kavernen vor. Zur weiteren Diagnostik wurde eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) durchgeführt. Sowohl Initiale PCR-Untersuchungen aus Sputum als auch die PCR aus der BAL zeigten sich negativ für Tuberkulose. Die PCR aus dem Stuhl ergab jedoch einen positiven Befund. Erst im Verlauf konnte eine positive Sputum-PCR gewonnen werden. In der Kultur des Kolonbiopsats wurde Mycobacterium bovis – typischer Vertreter der Darmtuberkulose – angezüchtet.
In der Resistenztestung zeigte sich das Bakterium sensibel für die Standardtherapie der Tuberkulose. Aufgrund einer ausgeprägten Resorptionsstörung und schwerem Krankheitsverlauf wurde eine intravenöse Therapie mit Rifampicin (600 mg), Isoniazid (300 mg) plus Vitamin B6 (100 mg), Pyrazinamid (2000 mg), Ethambutol (1200 mg) und Amikacin (1000 mg) initiiert. Hierunter trat im weiteren Verlauf eine Besserung der klinischen Symptomatik ein und die Medikation konnte schrittweise reduziert werden. Nach einem Jahr konnte die Therapie vollständig beendet werden. Ein operativer Eingriff war im gesamten Behandlungszeitraum nicht notwendig. Der Patient wies einen zunehmend gebesserten Allgemeinzustand auf und konnte sich schließlich wieder sportlich betätigen.
Diagnose: Darmtuberkulose
Kritisch zu hinterfragen bleibt der Befund der ersten Koloskopie. Sowohl makroskopisch als auch histologisch wurden die Veränderungen als typisch für eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED) gewertet und in der Folge eine immunsuppressive Therapie begonnen. Eine PCR-Untersuchung auf Mycobacterium-tuberculosis-Komplex-DNA aus der ersten Koloskopie liegt nicht vor. Offen bleibt in der Folge, ob der Patient bereits zu diesem Zeitpunkt eine Darmtuberkulose zeigte, die als CED verwechselt wurde oder ob eine latente Tuberkulose erst unter der immunsuppressiven Therapie aufflammte. Interessant ist allerdings in beiden Fällen das lange positive klinische und laborchemische Ansprechen über ein Jahr trotz einer immunsuppressiven Therapie.
Einordnung in die aktuelle Literatur
Die Darmtuberkulose stellt 3,5 % der extrapulmonalen Manifestation der Tuberkulose dar. Im Regelfall wird sie bei fehlenden Risikofaktoren für multiresistente Erreger mit einer 4fach-Kombination (Rifampicin 10 mg/kgKG, Isoniazid 5 mg/kgKG, Pyrazinamid 25 mg/kgKG, Ethambutol 15 mg/kgKG) in der Initialphase über 2 Monate und einer 2fach-Kombination (Rifampicin 10 mg/kgKG, Isoniazid 5 mg/kgKG) in der Kontinuitätsphase über 4 Monate behandelt [3].
Die wichtigste Differenzialdiagnose zur Darmtuberkulose stellen die CED dar. Da sowohl der Morbus Crohn als auch die Tuberkulose vornehmlich rechtsseitig im Bereich des terminalen Ileums, Zökums und Colon ascendens ihre Prädilektionsstellen aufweisen, können hier Verwechslungen der Krankheitsbilder auftreten. Vor Beginn einer CED-Therapie sollte daher insbesondere bei Patienten mit einem Risikoprofil eine Tuberkulose konsequent ausgeschlossen werden. Vor allem die zunehmende globale Migrationsbewegung könnte zu einer Zunahme der Darmtuberkulose auch in Deutschland führen und ihrer Unterscheidung zur CED im klinischen Alltag eine besondere Brisanz verschaffen [1]. Die Tab. 1 zeigt eine modifizierte Gegenüberstellung mit den unterschiedlichen Charakteristika von CED- und Tuberkulosebefunden in der Koloskopie [2].
Fazit für die Praxis
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Die Darmtuberkulose ist eine extrapulmonale Manifestation der Tuberkulose mit Prädilektionsstellen im Bereich des terminalen Ileums, Zökums und Colon ascendens.
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Ihre Therapie erfolgt bei fehlenden Risikofaktoren für multiresistente Erreger während der ersten 2 Monate mit einer 4fach-Kombination aus Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol. Anschließend wird in der Kontinuitätsphase über 4 Monate eine 2fach-Kombination (Rifampicin und Isoniazid) verabreicht.
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Die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) stellen die wichtigste Differenzialdiagnose zur Darmtuberkulose dar.
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Aufgrund der zunehmenden globalen Migrationsbewegung ist es möglich, dass in Deutschland vermehrt Fälle von Darmtuberkulose auftreten werden. Im klinischen Alltag sollte daher bei typischen Beschwerden einer CED differenzialdiagnostisch auch das Vorliegen einer Darmtuberkulose in Betracht gezogen werden.
Literatur
Kedia S, Das P, Madhusudhan KS et al (2019) Differentiating Crohn’s disease from intestinal tuberculosis. World J Gastroenterol 25(4):418–432
Lee YJ, Yang S‑K, Byeon J‑S et al (2006) Analysis of colonoscopic findings in the differential diagnosis between intestinal tuberculosis and Crohn’s disease. Endoscopy 38(6):592–597
Schaberg T, Bauer T, Brinkmann F et al (2017) S2k-Leitlinie: Tuberkulose im Erwachsenenalter. Pneumologie 71(6):325–397
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Michael, F.A., Blumenstein, I., Friedrich-Rust, M. et al. 29-jähriger Patient mit blutigen Diarrhöen. Gastroenterologe 17, 42–46 (2022). https://doi.org/10.1007/s11377-021-00587-3
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