Hintergrund

In den letzten 15 Jahren hat sich unser Verständnis durch technische Fortschritte im Bereich der Sequenzierung, Omics-Technologien und Bioinformatik für die Zusammensetzung und die Funktion des menschlichen Mikrobioms vervielfacht. Das menschliche Mikrobiom besteht aus 2–2,5 kg biologischer Masse und enthält mehr als 5000 Spezies – viele davon sind nicht kultivierbar und wurden erst kürzlich identifiziert. Aufgrund seiner genetischen Vielfalt und großen Stoffwechselkapazität wird es heute als eigenes Organ gesehen [25]. Es liegt nahe, dass hepatologische Erkrankungen im Sinne einer Darm-Leber-Achse mit dem Mikrobiom in Verbindung gebracht werden und Mikrobiommodulationen als interessanter therapeutischer Ansatz wissenschaftlich untersucht werden.

Leberzirrhose

Die Leberzirrhose, das Endstadium aller chronischen Lebererkrankungen, nimmt an Häufigkeit zu. Es erkranken jährlich 1 von 400 Personen daran und die Leberzirrhose ist mittlerweile in vielen Industrieländern unter den 10 häufigsten Todesursachen zu finden. Die stationären Behandlungen wegen Leberzirrhose und damit auch die Kosten haben sich in den USA in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Alkohol, das metabolische Syndrom oder chronische Virushepatitiden sind in 95 % der Fälle die Ursache für die Entwicklung einer Leberzirrhose.

Schon bevor moderne Sequenzierungstechniken die Mikrobiomforschung zu einem „hot topic“ in der Medizin machten, zeigten Daten aus den 1980er-Jahren, dass Alkoholkonsum zu einer bakteriellen Überwucherung des Dünndarms und zu einer Verminderung von Laktobazillen führt [4]. Die Ursachen dafür sind vielfältig und noch nicht gänzlich geklärt. Unter anderem stört Alkohol die Darmmotilität, die Magensäurensekretion und die Immunantwort (z. B. führt Alkohol zu einer verminderten Sekretion von antimikrobiellen Proteinen durch Enterozyten). Darüber hinaus führen Alkohol und sein Abbauprodukt Azetaldehyd zu einer erhöhten Darmpermeabilität. Dadurch gelangen vermehrt bakterielle Produkte in die Zirkulation, die dann bei Vorliegen einer Leberschädigung nicht mehr komplett von der Leber eliminiert werden können. Durch ein daraus resultierendes proinflammatorisches Milieu in der Leber wird die Inflammation weiter unterhalten, und es kommt zum Hepatozytentod [22].

Lebererkrankungen sind durch ein gestörtes Darm-Mikrobiom gekennzeichnet

Bei Leberzirrhose ist das Darmmikrobiom massiv in seiner Zusammensetzung gestört. Die erste Arbeit dazu aus China zeigt eine Verminderung der Diversität bei gleichzeitigem Anstieg der Gesamtbakterienzahl und ein Überwiegen von pathogenen Keimen. Auffällig ist insbesondere das Vorkommen typischer Mundkeime wie Veillonella und Streptococcus in vermehrter Anzahl im Darm, also eine „Oralisierung“ des Darmmikrobioms. Parallel dazu nimmt die Anzahl an Bakterien, denen positive Wirkungen auf den Menschen zugeschrieben werden, wie z. B. Faecalibacterium prausnitzii als Butyratproduzent ab. In dieser Arbeit wurde der Einfluss von Medikamenten jedoch nicht im Detail untersucht [26]. Mittlerweile wurden auch funktionelle Störungen des Mikrobioms bei Leberzirrhose beschrieben: Zahlreiche Stoffwechselwege von Bakterien sind betroffen, und es scheint einen Zusammenhang mit dem Schweregrad der Erkrankung zu geben [36].

Medikamente beeinflussen das Mikrobiom stark, wie z. B. Analysen der Lifelines-Kohorte zeigen. Fast 20 % der Variationen zwischen individuellen Genomen werden durch Medikamenteneinnahmen erklärt [14]. Protonenpumpenhemmer (PPI) sind einer der stärksten Modulatoren des Mikrobioms. Im bereits durch die Zirrhose vorgeschädigten Mikrobiom kommt es zu einer weiteren Reduktion der Diversität und zu einem Verlust der Kolonisationsresistenz – das bedeutet, dass pathogene Keime bessere Bedingungen vorfinden, um sich zu vermehren [9, 10, 14, 15]. Diese Dysbiose führt zu einer vermehrten intestinalen Inflammation und einer Darmbarrierestörung mit daraus resultierender Translokation von bakteriellen Produkten. Im Tiermodell wurde gezeigt, dass die Kombination von Alkohol mit Säuremangel zu einer Progression der Lebererkrankung führt [21]. Die Einnahme von PPI ist bei Zirrhose mit einem erhöhten Infektionsrisiko, vermehrtem Auftreten von Komplikationen und möglicherweise mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet [7, 20, 23, 24, 34].

Daher ist das Konzept der Modulation des Darmmikrobioms und/oder der Darmpermeabilität gerade bei Leberzirrhose attraktiv. Versuche, das Darmmikrobiom durch Antibiotika, Präbiotika, Probiotika oder Stuhltransplantation therapeutisch zu beeinflussen, wurden v. a. zur Therapie von Komplikationen der Leberzirrhose (hepatische Enzephalopathie, Infektionen) untersucht. Im Folgenden werden die klinischen Daten zur Mikrobiommodulation bei Komplikationen der Zirrhose zusammengefasst.

Mikrobiommodulation

Antibiotika

Antibiotika beeinflussen zwangsläufig das Darmmikrobiom, indem sie einen Teil des Darmmikrobioms abtöten und damit die Diversität drastisch reduzieren. Antibiotika werden in Tierexperimenten häufig eingesetzt, um die Pathophysiologie mikrobiomassoziierter Erkrankungen zu untersuchen. In der Hepatologie wird die Wirkung von Antibiotika auf das Darmmikrobiom und damit auf die Darm-Leber-Achse v. a. bei der Behandlung von Komplikationen der Zirrhose ausgenutzt. Die Diskussion des Antibiotikaeinsatzes zur Therapie von Infektionen bei Leberzirrhose würde den Rahmen dieser Übersichtsarbeit sprengen, es sei hierbei auf aktuelle Literatur verwiesen [8].

Zur Behandlung von nichtinfektiösen Komplikationen der Leberzirrhose werden Antibiotika v. a. bei der hepatischen Enzephalopathie eingesetzt. Rifaximin ist äquivalent oder besser als andere Antibiotika und nichtabsorbierbare Disaccharide in der Therapie der hepatischen Enzephalopathie und wird zunehmend auch zur Prophylaxe der spontanen bakteriellen Peritonitis und bei hepatorenalem Syndrom eingesetzt [1, 16]. Rifaximin führt weniger zu strukturellen Änderungen in der Mikrobiomzusammensetzung, sondern wirkt offenbar über funktionelle Mikrobiommodulation [31].

Präbiotika

Unter Präbiotika versteht man nichtverdaubare Lebensmittelbestandteile, die das Wachstum von Bakterienstämmen mit positiven Wirkungen für den Wirt gezielt anregen. Diese Eigenschaft haben z. B. Frukto- und Galaktooligosaccharide (FOS und GOS) sowie resistente Stärke.

Resistente Stärke fördert das Wachstum von Bifidobakterien, die wiederum über eine Aktivierung der T‑Helfer-Zellen die Immunabwehr stärken. Außerdem schützen Bifidobakterien durch Milchsäurebildung vor pathogenen Keimen und regen die Darmtätigkeit an. Durch FOS und GOS wird das Wachstum von F. prausnitzii gefördert, dabei handelt es sich um ein Bakterium, das kurzkettige Fettsäuren – v. a. Butyrat, bildet. Wegen der entzündungshemmenden Wirkung von F. prausnitzii auf den Darm beeinflusst das Bakterium daher entzündliche Darmerkrankungen, allergische Erkrankungen, aber auch Stoffwechselerkrankungen günstig und schützt möglicherweise vor Tumoren im Verdauungstrakt [3, 11].

Das Präbiotikum Lactulose ist die Erstlinientherapie der hepatischen Enzephalopathie

Die derzeit in den Leitlinien empfohlene Prophylaxe und spezifische Therapie der episodischen hepatischen Enzephalopathie ist die Verwendung eines Präbiotikums (Laktulose ist ein nichtresorbierbares Disaccharid). Die Gründe für die Verwendung nichtresorbierbarer Disaccharide sind: ein Ansäuern des Stuhls, dadurch Bildung von Ammonium (NH4), das nicht resorbiert werden kann; Beschleunigung der Darmpassage und Förderung der fäkalen Stickstoffelimination; möglicherweise die Förderung des Wachstums von Laktobazillen sowie die Förderung des Ammoniakstoffwechsels durch Bakterien. Laktulose ist relativ gut verträglich, wobei mögliche Nebenwirkungen wie Bauchkrämpfe, Blähungen und Durchfall für Patienten sehr störend sein können und die Compliance bei einer Dauertherapie einschränken [35].

Probiotika

Probiotika sind laut Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation) „lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge konsumiert, einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben“. Bei den Mikroorganismen handelt es sich meist um Bakterien (z. B. Laktobazillen, Bifidobakterien oder E.-coli-Stämme) oder Hefepilze (z. B. Saccharomyces). Die Wirkungsweisen von Probiotika sind vielfältig und noch nicht immer im Detail entschlüsselt. In Abb. 1 sind mögliche Wirkungsweisen im Überblick dargestellt. Die Anwendung von Probiotika bei Leberzirrhose hat bislang keine Sicherheitsbedenken ergeben [32].

Abb. 1
figure 1

Mögliche Wirkungsweisen von Probiotika, die bei Lebererkrankungen eine Rolle spielen können. (Aus [33], mit freundl. Genehmigung, © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York, alle Rechte vorbehalten. Dieser Inhalt ist nicht Teil der Open Access Lizenz). T T-Zelle, B B-Zelle, DC Dendritische Zelle

Schon seit den 1960er-Jahren wurden Probiotika als Therapie der hepatischen Enzephalopathie untersucht. In kleinen nichtkontrollierten Studien wurde bei einem Großteil der Patienten eine klinische Verbesserung nachgewiesen. Mehrere größere randomisierte kontrollierte Studien zeigten ebenfalls einen positiven Effekt von Probiotika, Präbiotika oder der Kombination aus beiden auf den Schweregrad der hepatischen Enzephalopathie, psychometrische Tests und Laborwerte. Ebenso konnte das Risiko für das Auftreten einer neuen Episode der hepatischen Enzephalopathie reduziert werden. Aus diesen Ergebnissen lässt sich ableiten, dass Probiotika wahrscheinlich in der Prophylaxe und Behandlung der hepatischen Enzephalopathie wirksam sind, allerdings ist aufgrund der unterschiedlichen Studiendesigns (manche verglichen gegen Placebo, manche gegen Laktulose) und unterschiedlicher verwendeter Produkte (manche sind auch nicht kommerziell erhältlich) sowie der fraglichen Überlegenheit gegenüber der Standardtherapie die therapeutische Relevanz dieser Therapieform noch nicht klar definiert. Daher gibt es aktuell auch noch keine Empfehlung einer Fachgesellschaft zur Verwendung von Probiotika, sondern es müssen weitere, qualitativ hochwertige Studien durchgeführt werden. Auch ein Cochrane-Review von Februar 2017 kommt zu dem Ergebnis, dass Probiotika zwar wahrscheinlich wirksam sind, aber noch mehr Daten notwendig sind [5, 12, 27].

Patienten mit Leberzirrhose weisen ein erhöhtes Infektionsrisiko auf

Ein weiteres klinisches Problem ist die Tatsache, dass Patienten mit Leberzirrhose ein erhöhtes Infektionsrisiko aufweisen. Die Leberzirrhose geht mit einer schwerwiegenden Störung des angeborenen Immunsystems einher und kann daher als die häufigste erworbene Immunschwächeerkrankung angesehen werden. Diese Funktionsstörung ist mit einer erhöhten Rate an Infektionen, vermehrtem Auftreten an Organversagen und erhöhter Mortalität vergesellschaftet. Bei Patienten mit Leberzirrhose erfolgen 50 % aller ungeplanten stationären Aufnahmen aufgrund von Infektionen, in weiteren 30–35 % der Fälle entwickelt sich während eines stationären Aufenthalts eine Infektion. Infektionen sind auch ein häufiger Trigger für die Dekompensation und die Entwicklung eines akut-auf-chronischen Leberversagens. Als Ursachen den Immundysfunktion werden eine Überstimulation mit bakteriellen Produkten (z. B. Endotoxine), dysfunktionales Albumin und andere Serumproteine, genetische Ursachen und möglicherweise auch Gallensäuren diskutiert [19]. Die Immundysfunktion ist nach einer Lebertransplantationen besonders ausgeprägt, da zusätzlich zur bestehenden Leberzirrhose noch die große Operation zu einer erhöhten Darmpermeabilität und vermehrter bakterieller Translokation führt, die auch nach einer Transplantation noch länger nachweisbar ist. Eine Metaanalyse von 4 kontrollierten Studien kam zu dem Ergebnis, dass eine perioperative Gabe von Probiotika das Infektionsrisiko nach Lebertransplantation senken kann. Auch dieser Ansatz wurde noch nicht in multizentrischen Studiensettings untersucht, und die probiotische Infektionsprophylaxe bei Lebertransplantation findet sich daher noch nicht in Empfehlungen von Fachgesellschaften [29].

Je weiter fortgeschritten eine Lebererkrankung ist, desto wahrscheinlicher sind Komplikationen und desto höher ist die Mortalität. Eine Verbesserung der Leberfunktion bei fortgeschrittener Leberzirrhose ist medikamentös bisher nicht zu erreichen – die Lebertransplantation bleibt die einzige Alternative, mit der aber aufgrund des Mangels an geeigneten Spenderorganen nicht alle Patienten versorgt werden können. Unterschiedliche Probiotika zeigten in Pilotstudien eine Besserung der Leberwerte, Endotoxinspiegel und des Child-Pugh-Scores als Summenscore der Leberfunktion. Eine aktuelle Metaanalyse zeigte, dass insbesondere Synbiotika (Kombination aus Pro- und Präbiotika), wenn sie für mehr als 8 Wochen verwendet werden, die Leberwerte (AST, ALT, GGT) verbessern können [18]. Da diese Metaanalyse auch Studien an Lebergesunden und Patienten mit chronischen Lebererkrankungen ohne Zirrhose umfasst, lässt sie keine Schlussfolgerung über den Effekt von Probiotika auf die Leberfunktion bei Leberzirrhose zu. Eine randomisierte, placebokontrollierte Studie aus der Arbeitsgruppe der Autoren des vorliegenden Beitrags ergab, dass ein Multispeziesprobiotikum die Leberfunktion, die angeborene Immunabwehr und die Lebensqualität verbessert [13].

Stuhltransplantation

Die Stuhltransplantation als Möglichkeit zur Modulation des Darmmikrobioms bei hepatischer Enzephalopathie wird gerade im Rahmen von mehreren klinischen Studien untersucht. Eine erste randomisierte kontrollierte Studie zeigte eine Verbesserung der kognitiven Funktion und der Dysbiose. Die Wertigkeit dieser Therapieform, die Auswahl des Spenderstuhls sowie das genaue Protokoll müssen aber noch in weiteren Untersuchungen geklärt werden [2].

Ausblick

Für Probiotika gibt es vielversprechende Daten und einzelne Metaanalysen (Tab. 1), allerdings noch keine Empfehlung in den Leitlinien. Der Einsatz von Probiotika zur Verbesserung der Leberfunktion sowie das Vermeiden von Medikamentennebenwirkungen auf das Mikrobiom sind vielversprechende Therapieziele, die noch genauer untersucht werden müssen. Ebenso muss die Stuhltransplantation in ihrer therapeutischen Wertigkeit und Sicherheit noch untersucht werden. Es besteht daher der Bedarf an großen qualitativ hochwertigen Studien, um das therapeutische Potenzial und die möglichen Nebenwirkungen der Mikrobiommodulation bei Leberzirrhose zu untersuchen.

Tab. 1 Metaanalysen zur Wirkung von Probiotika zur Therapie oder Prophylaxe von Komplikationen der Leberzirrhose

Fazit für die Praxis

  • Die Bedeutung der Darm-Leber-Achse und damit des Darmmikrobioms in der Pathogenese von Lebererkrankungen und deren Komplikationen ist unumstritten.

  • Durch die technischen Fortschritte in der Analyse des Mikrobioms können heute funktionelle Zusammenhänge besser entschlüsselt werden.

  • Die Mikrobiommodulation ist eine vielversprechende und sichere Strategie zur Beeinflussung der Darm-Leber-Achse.

  • Die besten Daten gibt es zur Therapie von Komplikationen der Leberzirrhose, wie der hepatischen Enzephalopathie oder Infektionen.

  • Das Präbiotikum Laktulose ist die leitlinienkonforme Therapie und Prophylaxe der episodischen hepatischen Enzephalopathie.