Die beiden häufigsten chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) sind Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Die meisten CED-Patienten besitzen eine genetische Veranlagung für ihre Erkrankung und sind Träger von mehreren genetischen Risikovarianten. Was seit dem Jahr 2001, in dem das für Morbus Crohn bedeutsamste Krankheitsgen NOD2 entdeckt wurde, in der genetischen Forschung passiert ist und welche klinische Bedeutung den neuen Erkenntnissen beigemessen werden kann, ist im Folgenden zusammengefasst. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf der prägnanten Zusammenfassung großer multizentrischer Studien in europäischstämmigen Patienten mit entsprechender statistischer Signifikanz.

Epidemiologie

Über eine Million US-Amerikaner und 2,5 Millionen Europäer leiden unter CED, mit steigender Inzidenz auch außerhalb des europäischen Kontinents (z. B. Asien und dem mittleren Osten) sowie Südamerika. Damit wird die Erkrankung zunehmend zu einem globalen Problem und einer immer größeren Last für das Gesundheitssystem [18]. Trotz intensiver Forschung gilt CED noch immer als eine idiopathische Erkrankung, was bedeutet, dass man zwar viele Risikofaktoren kennt, aber die Pathologie noch nicht vollständig erklären kann. Die CED sind multifaktorielle polygene Erkrankungen und lassen sich entsprechend nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen: Es handelt sich um eine Verbindung von genetischer Veranlagung, noch näher zu bestimmenden Risiko- und Umweltfaktoren (etwa Rauchen, Ernährungsgewohnheiten, Hygiene) und einer Störung der Barrierefunktion der Darmschleimhaut, sodass Darmbakterien sich auf der Darmwand ansiedeln und eine starke Immunreaktion auslösen können. Auch die Zusammensetzung des Darmmikrobioms (die Gesamtheit aller Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen und Archaeen im Darm) spielt eine wichtige Bedeutung bei der Krankheitsentstehung. Ein krankheitsauslösendes Pathogen konnte bis heute nicht eindeutig identifiziert werden, besonders das Mycobacterium avium subsp. paratuberculosis (MAP) wurde in der Vergangenheit (zu Unrecht) als Krankheitsauslöser verdächtigt [9].

Psychische Ursachen werden derzeit als Krankheitsauslöser ausgeschlossen, anerkannt ist aber, dass sich psychische Faktoren auf den Verlauf der Erkrankung auswirken können. Immer mehr aktuelle Studien zeigen auch eine Verbindung zwischen psychischen Faktoren und der Zusammensetzung des Darmmikrobioms („gut–brain axis“).

Epidemiologische Studien implizieren die Existenz genetischer Suszeptibilitätsfaktoren

Epidemiologische Studien haben eine familiäre Häufung von CED-Patienten gezeigt: 2–14 % der Patienten mit Morbus Crohn haben mindestens einen Verwandten, der ebenfalls an Morbus Crohn erkrankt ist [13]. Sie implizieren damit die Existenz genetischer Suszeptibilitätsfaktoren. Eine Metaanalyse von 6 Zwillingsstudien lieferte im Jahr 2011 Konkordanzraten für Morbus Crohn von 30,3 % für eineiige (d. h. nahezu 100 % genetisch identisch) und 3,6 % für zweieiige Zwillinge [10]. Zwar überschätzen Zwillingsstudien gegebenenfalls die Vererbbarkeit (Heritabilität) – eine ganz aktuelle Studie zeigt, dass „familiäre Umweltfaktoren“ dringend berücksichtig werden müssen [24] – jedoch fehlt vielen Zwillingsstudien auch ein mehrjähriges Follow-up, d. h. man unterschätzt die Zahl der neuerkrankten Zwillingspartner aufgrund der Momentaufnahme der einmal erhobenen Daten. Zusammenfassend lässt sich aber mit großer Sicherheit sagen, dass die CED-Pathogenese eine signifikante genetische Komponente hat, jedoch CED (abgesehen von den seltenen frühkindlichen Formen) keine Erbkrankheiten im klassischen Sinne sind.

Entdeckung von NOD2

Im Jahr 1996 lieferte eine Kopplungsanalyse den ersten Hinweis auf ein CED-Krankheitsgen auf Chromosom 16 [15]. Im Jahr 2001 wurden dann 3 Risikovarianten für Morbus Crohn in NOD2 auf Chromosom 16 identifiziert (R702W, G908R und L1007 fs; [16]). Das Odds-Ratio für die Varianten wurde mit 2–4 für heterozygote Träger und 20–40 für homozygote Träger beschrieben. Mindestens eine dieser Varianten liegt bei 30–40 % der Patienten mit Morbus Crohn vor, verglichen mit 6–7 % bei gesunden Europäern [22]. In den Jahren 1996–2004 wurden insgesamt 11 Kopplungsanalysen für Morbus Crohn publiziert (Review in [22], Metaanalyse: [31]). Zusammenfassend waren die Ergebnisse der Kopplungsanalysen eher enttäuschend, nur wenige robuste Signale wurden neben NOD2 identifiziert.

NOD2 ist das am besten validierte Krankheitsgen für Morbus Crohn

Schon im Jahr 1996 zeigten Risch et al. [27], dass 18.000 betroffene Geschwisterpaare in einer Kopplungsanalyse benötigt würden, um Odds-Ratios größer als 1,5 für Varianten mit einer Allelfrequenz von 50 % zu identifizieren. Es gilt: Je höher die Allelfrequenz und je größer das Odds-Ratio, d. h. die Effektstärke, desto größer ist die statistische Power, eine Risikovariante zu identifizieren. Nach wie vor ist NOD2 das am besten untersuchte und am besten validierte Krankheitsgen für Morbus Crohn: Für die Ätiologie der Colitis ulcerosa sind NOD2-Risikovarianten sehr wahrscheinlich nicht relevant.

Genomweite Assoziationsstudien

Umfangreiche „genetische Landkarten“, die über eine Million „single nucleotide polymorphisms“ (Einzelnukleotidpolymorphismen, SNPs) im menschlichen Genom katalogisierten, und die Etablierung der Chiptechnologie in der Biomedizin machten schließlich genomweite Assoziationsstudien (GWAS) mit kommerziellen SNP-Arrays und über 500.000 zu testenden SNPs pro Probe möglich. Typischerweise werden dabei in einem GWAS-Ansatz DNA-Proben von mindestens 2000 nicht verwandten Patienten und 3000 Kontrollpersonen untersuch. Einige der wichtigsten Studien und Befunde sind in Tab. 1 zusammengefasst. Die nunmehr 10 Jahre andauernde sogenannte „GWAS-Ära“ lässt sich als äußerst erfolgreiches Kapitel der CED-Genetikforschung zusammenfassen. War bis zum Jahr 2001 noch kein Krankheitsgen für die CED bekannt, wurden mittlerweile dank GWAS über 200 Krankheitsloci beschrieben. Die Beschreibung der assoziierten Stoffwechselwege hat das Krankheitsverständnis der CED enorm verbessert. Abb. 1 zeigt exemplarisch, dass die Identifikation eines einzelnen Krankheitsgens – und im konkreten Fall eines neuen Stoffwechselwegs – eine regelrechte „Forschungslawine“ lostreten kann.

Tab. 1 Wichtige genomweite Assoziationsstudien (GWAS) und deren Ergebnissea
Abb. 1
figure 1

Genidentifikationen führen zu zahlreichen weiterführenden Forschungsarbeiten zum entsprechenden Kandidatengen, dessen Protein und Stoffwechselweg. Die Y‑Achse zeigt die Anzahl der in PubMed gelisteten Artikel für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED; oder Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa) und die entsprechenden bekannten Kandidatengene. Vor der Identifikation von ATG16L1 als Risikogen für Morbus Crohn wurde z. B. der Stoffwechselweg Autophagie im Kontext der CED noch nicht untersucht, danach ist ein nahezu exponentieller Anstieg zu erkennen (grüne Linie). GWAS genomweite Assoziationsstudie

Gezielte Studien, z. B. zur Autophagie im Mausmodell, wurden erst nach Identifikation des Kandidatengens ATG16L1 möglich und lieferten zusätzliche mechanistische Hinweise zur Relevanz dieses Stoffwechselwegs.

Die durchschnittliche durch GWAS identifizierte CED-Risikovariante ist in der Normalbevölkerung häufig (mediane Allelfrequenz etwa 30 %) und besitzt ein niedriges Odds-Ratio (mediane Effektstärke von 1,1). Trotz der großen statistischen Signifikanz der Varianten bedeuten die hohen Allelfrequenzen und niedrigen Effektstärken einen geringen prädiktiven Wert („area under receiver operator curve“, AUC, von 0,60 bei Unterscheidung Morbus Crohn vs. Colitis ulcersosa; [5]). Und die Erfahrung belegt, was die Statistiker prognostiziert haben: Je mehr Fälle und Kontrollen (idealerweise zwei bis dreimal soviele Kontrollen wie Patienten) in eine GWAS eingeschlossen werden, desto größer ist die statistische Power und desto mehr signifikante Loci können genomweit identifiziert werden [32]. Die genomweite Signifikanz, ein p-Wert der kleiner als 5 × 10−8 ist, gilt in der Genetik heutzutage als etabliertes Signifikanzniveau.

Im Jahr 2016 wurde die größte internationale genetische Assoziationsstudie für CED-Subphänotypen veröffentlicht [5]. Genetische Daten und Patientendaten aus 49 Zentren und 16 Ländern (Europa, Nordamerika und Australasien) wurden bezüglich Genotyp-Phänotyp-Assoziationen untersucht. Insgesamt wurden 16.902 Patienten mit Morbus Crohn und 12.597 Patienten mit Colitis ulcerosa in die Analysen eingeschlossen. Es konnten keine signifikanten genetischen Assoziationen mit dem Krankheitsverlauf oder Komplikationen gefunden werden. Eine starke Assoziation mit einem frühen Ersterkrankungsalter zeigten 3 Loci: 3p21 (MST1), NOD2 und HLA. NOD2 zeigte außerdem eine starke Assoziation mit „ilealem Befall“ (aber nicht mit Befall des Dickdarms und höherem Schweregrad/Komplikationen wie vorher angenommen). Die wichtigste klinische Erkenntnis aus den genetischen Analysen der Studie war, dass die CED nicht mehr binär in Morbus Crohn und Colitis ulcerosa unterteilt werden sollten, sondern ein kontinuierliches Spektrum von Erkrankungen mit Colitis ulcerosa und ilealem Morbus Crohn an den entgegengesetzten Polen darstellen.

Morbus Crohn mit Dickdarmbefall ist dabei der Colitis ulcerosa auf molekularer Ebene ähnlicher, wie ileokolischer Morbus Crohn dem ilealen Morbus Crohn näher ist. Im Hinblick auf Therapien und klinische Studien ist dieses Ergebnis äußerst interessant, die exakten klinischen Implikationen werden sich aber erst aus weiterführenden Studien ergeben. Mit Sicht durch die Forscherbrille sollte ein besonderes Augenmerk nun auf die verschiedenen Darmabschnitte bei CED-Patienten gelegt und deren Unterschiede in Physiologie, Mikrobiom und molekularen Profilen hochaufgelöst analysiert werden. Patienten mit Morbus Crohn sollten zukünftig also in 3 Gruppen aufgeteilt („ileal“ vs. „colonic“ vs. „ileocolonic“) und Daten innerhalb dieser Gruppen analysiert werden.

Bedeutung der HLA-/MHC-Region

Der Haupthistokompatibilitätskomplex (engl. MHC) auf Chromosom 6p21 (25–34 Megabasen, d. h. etwa 9 Millionen Basen groß) ist beim Menschen auch als HLA-Region bekannt (HLA: humanes Leukozytenantigen). Die HLA-Region spielt bei fast allen chronisch-entzündlichen Erkrankungen die wichtigste Rolle, hier liegen meist die signifikantesten Risikovarianten mit den größten Effektstärken. Bei den CED sind vor allem die klassischen HLA-Gene am stärksten assoziiert, wobei die Assoziation für die Colitis ulcerosa deutlich stärker ist als für den Morbus Crohn (hier Klasse I stärker assoziiert als bei Colitis ulcerosa). Für beide Erkrankungen ist das Klasse-II-Gen DRB1 der am stärksten assoziierte Genort [12]. Allerdings ist die Assoziation am HLA-Lokus nach wie vor äußerst komplex und lässt sich aufgrund der großen Dichte an genetischen Varianten/Kandidatengenen und der starken Kopplung (große Chromosomenabschnitte werden während der Meiose zwischen väterlichen und mütterlichen Chromosomen nicht „gemischt“) genetisch nur schwer auflösen.

HLA-DRB1*01:03 ist das am stärksten assoziierte HLA-Allel für Colitis ulcerosa

Das am stärksten assoziierte HLA-Allel für Colitis ulcerosa ist HLA-DRB1*01:03 (Odds-Ratio = 3,59; p = 3 × 10−19), das Klasse-II-Antigen-präsentierende Zellen (dendritische Zellen, Makrophagen, B‑Zellen) und damit CD4-positive T‑Zellen pathophysiologisch impliziert. Große funktionelle genomische Studien, die Genexpressions- und Epigenetikdaten von verschiedenen Zelltypen mit genetischen Informationen integriert analysierten, haben parallel CD4-positive Zellen (v. a. TH0) als wichtigsten Zelltyp bei der Colitis ulcerosa identifiziert [8]. Eine offene Frage ist, ob ein exogenes Antigen bei der Colitis ulcerosa eine zentrale Rolle spielt oder welches das genaue körpereigene Antigen ist.

Krankheitsübergreifende Studien

Wie im Ausblick nachfolgendgeschildert gibt es eine signifikante genetische Schnittmenge zwischen den CED und der klassischen Infektionserkrankung Lepra. Über die Hälfte der bekannten CED-Risikoloci überlappen mit bekannten Risikoloci für andere chronisch-entzündliche Erkrankungen [17]. Ob es letztlich auch die gleichen Gene oder vielleicht sogar die gleichen Varianten mit gleichen Effektrichtungen sind, lässt sich nur durch aufwändige Feinkartierungsstudien und systematische krankheitsübergreifende Analysen herausfinden. Ellinghaus et al. (siehe Tab. 1) haben solch eine systematische Analyse im Jahr 2016 veröffentlicht. Durch die kombinierte Analyse von 5 verschiedenen Erkrankungen, inklusive Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, konnten Ellinghaus et al. zeigen, dass in der Tat eine große genetische Ähnlichkeit zwischen den genannten 5 Erkrankungen besteht. Allerdings sind die Beziehungen komplexer als zuvor angenommen und teilweise unterscheiden sich die Effektrichtungen und -stärken der einzelnen Varianten stark. Oft sind es auch verschiedene Varianten am gleichen Locus, die bei der anderen Erkrankung assoziiert sind.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass genetische Pleiotropie – und nicht die klinische Heterogenität der Erkrankungen (z. B. exzessive Komorbidität) – die primäre Erklärung für die molekulare Ähnlichkeit verschiedener Erkrankungen ist. Genetische Pleiotropie bedeutet, dass ein einzelnes Gen (oder eine einzelne Variante) mehrere phänotypische Merkmale ausprägen kann. Eine Analyse sämtlicher elektronischer Patientenakten in Dänemark aus den letzten Jahren bestätigte, dass die 5 untersuchten Erkrankungen hochsignifikant miteinander assoziiert sind und häufig im gleichen Patienten auftreten (p < 1,21 × 10−9 für 10 der 12 möglichen Krankheitskombinationen). Für weitere Informationen zum Thema werden die Übersichtsartikel von Lees et al. [20] beziehungsweise Parkes et al. [26] empfohlen.

Genetische Studien in anderen Ethnien

Abb. 2 veranschaulicht, dass der überwiegende Teil an CED-Studien aus Europa oder Nordamerika kommt. Jährlich werden nur wenige CED-Studien zu ethnischen Minderheiten in Nordamerika (Asiaten, Mexikaner, Afroamerikaner) oder aus den entsprechenden Heimatländern publiziert. Erfreulich ist generell insgesamt der große Anstieg an CED-Fachartikeln pro Jahr seit 2003 und die immer stärker werdende CED-Forschung in Asien (linearer Anstieg seit 2005). Dieser Anstieg lässt sich wahrscheinlich auch durch die steigende CED-Inzidenz und -Prävalenz in Asien und die damit verbundene Bedeutung für das Gesundheitssystem und das öffentliche Leben erklären. Eine der größten genetischen Studien zu CED für Ostasien (Japan, Korea, Hong-Kong-Chinesen), Indien und den Iran (siehe Tab. 1, [21]) zeigte, dass die Effektstärken und -richtungen für die bekannten CED-Risikoloci nahezu identisch mit den Daten von europäischstämmigen Patienten sind. Nur wenige Loci zeigten signifikante Unterschiede in den Ostasiaten (NOD2 → in Ostasien nicht relevant, HLA → signifikante Unterschiede bei den assoziierten Allelen/Genen, TNFSF15 → in Ostasiaten deutlich relevanter). Unterschiede in Umwelteinflüssen, Ernährungsverhalten, genetischer Abstammung (und in entsprechend anderer evolutionärer Historie) und menschlicher Physiologie erklären wahrscheinlich die wenigen, aber signifikanten Unterschiede zwischen Ostasiaten und europäischstämmigen Patienten.

Abb. 2
figure 2

Studien über chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) in nichteuropäischstämmigen Ethnizitäten sind nach wie vor unterrepräsentiert. Klar zu erkennen ist ein steiler Anstieg der CED-Veröffentlichungen seit dem Jahr 2003, vor allem für europäischstämmige Patienten (orange Linie). Seit etwa 2005 ist ein steiler Anstieg für Untersuchungen in asiatischen Kohorten (graue Linie) zu verzeichnen. Die linke Y‑Achse zeigt die Anzahl der CED-Publikationen pro Jahr für die genannte Ethnie, die rechte Y‑Achse zeigt die Anzahl der gesamten CED-Publikationen in PubMed pro Jahr (Balkendiagramm im Hintergrund)

Frühkindliche Formen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen

Die meisten CED-Patienten haben eine komplexe polygene Form der Erkrankung, d. h. mehrere genetische Risikovarianten im Zusammenspiel mit pathophysiologisch deutlich relevanteren (unbekannten) Umweltfaktoren führen zur Erkrankung (siehe Abb. 3). In den letzten Jahren – und seit dem ersten Artikel von Glocker et al. zum Thema im The New England Journal of Medicine im Jahr 2009 – sind zunehmend Berichte über Patienten mit monogenen beziehungsweise oligogenen Erkrankungsformen der CED erschienen. Hierbei handelt es sich überwiegend um frühkindliche äußerst schwere Formen der Erkrankung mit Erstmanifestation in den ersten 8 Jahren, jedoch auch in einzelne Fälle bis zum 16. Lebensjahre. Bahnbrechende Entwicklungen in der Sequenziertechnologie – ein menschliches Genom kann heute innerhalb kürzester Zeit in einem Labor vollständig entschlüsselt werden – ebneten den Weg für die einfachere Aufklärung von monogenen Mendel-Erkrankungen. Die genetischen Defekte dieser CED-ähnlichen monogenen Erkrankungen beeinträchtigen meist die intestinale Barrierefunktion oder sind ursächlich für einen Immundefekt (d. h. gestörte Granulozyten- und Phagozytenaktivität, hyper- und autoinflammatorische Störungen oder gestörte B‑ sowie T‑Lymphozyten-Funktionen). Einen detaillierten und aktuellen Überblick liefert der Übersichtsartikel von Uhlig et al. [30]. Die Identifikation einzelner Gene und Mutationen hat das Verständnis der Pathogenese von CED enorm verbessert und erlaubt in einigen Fällen auch die exakte Klärung der Krankheitsursachen. Seit dem 1.7.2016 ist eine Genpaneldiagnostik mit Next Generation Sequencing (NGS) auch gemäß einheitlichem Bewertungsmaßstab (EBM) abrechenbar (Infobox 1) und sollte bei Verdacht auf eine frühkindliche schwere CED-ähnliche Erkrankung entsprechend (über ein Institut für Humangenetik und Speziallabore) beauftragt werden. Die Identifikation eines entsprechenden Immundefekts kann neue therapeutische Optionen in therapierefraktären Patienten eröffnen. Entscheidend ist das Ersterkrankungsalter; ältere Patienten mit frühem Ersterkrankungsalter können natürlich bei entsprechendem Verdacht auch einem diagnostischen NGS-Test unterzogen werden.

Abb. 3
figure 3

Das Spektrum der bekannten genetischen Risikovarianten chronisch-entzündlicher Erkrankungen (CED) reicht von seltenen bis häufigen Varianten (in Bezug auf deren Frequenz in der Normalbevölkerung) und von niedrig penetranten Varianten (polygene Form der CED, d. h. hohe Komplexität oder „disease modifier“ bei frühkindlichen Formen) zu hochpenetranten Mutationen. Im oberen Achsensystem sind verschiedene „Variantenklassen“ und die Methoden, die für deren Detektion üblicherweise genutzt werden, skizziert. Das untere Panel listet exemplarische bekannte Krankheitsgene. GWAS genomweite Assoziationsstudie, NGS Next Generation Sequencing

Ausblick

Moderne genetische Analysen sind äußerst exakt, quantitativ (Allelzahlen können sehr präzise gemessen werden) und liefern extrem hochaufgelöste Daten des menschlichen Genoms. Die Identifikation von über 200 Krankheitsvarianten für die CED und die Aufklärung diverser frühkindlicher Formen der CED haben das Verständnis dieser Erkrankung enorm verbessert. Über 1444 Kandidatengene liegen in 163 der 200 CED-assoziierten genomischen Regionen. Von diesen konnten Jostins et al. [17] 300 Gene als wahrscheinlich krankheitsrelevant mithilfe bioinformatischer Verfahren priorisieren. Abgesehen von NOD2, ATG16L1, IL23R, IL10 und anderen wenigen Ausnahmen ist bis jetzt also unklar, welches die eigentlichen Risikogene in den assoziierten genomischen Regionen und letztlich welche genomischen Varianten relevant sind: Sind es häufige oder seltene kausative Varianten? Welche Art von Varianten, d. h. SNPs, „single nucleotide variants“ (SNVs), Insertionen/Deletionen oder Kopienzahlvariationen, liegen vor?

Weiterführende Untersuchungen bis hin zu Studien im Tiermodell sind nötig, um die genaue Rolle der Kandidatengene zu untersuchen. Systematische Sequenzierexperimente in mehreren 10.000 Patienten sind außerdem nötwendig, um auch die selteneren genetischen Varianten (Allelfrequenz <5 % und v. a. <1 % in der Normalbevölkerung) auf Assoziation mit CED zu testen. Alle genetischen Befunde für die polygene Form der CED erklären bisher nur etwa 13,6 % der phänotypischen Varianz für Morbus Crohn und 7,5 % für Colitis ulcerosa [17]. Einen großen Anteil hat dabei die MHC-Region. Erklärt für Morbus Crohn der MHC-Index-SNP (dies ist der am stärksten assoziierte SNP in der Region) rs9264942 noch 0,3 % der Varianz, sind es für alle HLA-Allele zusammen 3,1 %. Für Colitis ulcerosa ergeben sich 2,3 % der Varianz durch den Index-SNP rs6927022 und 6,2 % durch alle HLA-Allele [12]. Diese Zahlen zeigen, dass abgesehen vom Rauchen, das ein etablierter Risikofaktor für Morbus Crohn ist, vor allem bislang noch nicht identifizierte Umweltfaktoren einen großen Anteil an der CED-Ätiologie haben müssen.

Bislang nicht identifizierte Umweltfaktoren müssen einen großen Anteil an der CED-Ätiologie haben

Die bisher identifizierten genetischen Risikofaktoren können natürlich Hinweise auf entsprechende Umweltfaktoren liefern, wie z. B. NOD2 das angeborene Immunsystem im Darmepithel (und die Rolle der Bakterien im Darm) auf das Tableau gebracht hat.

Noch größere Anstrengungen werden nötig sein, um nichtgenetische vererbbare molekulare Faktoren zu untersuchen. Jüngste Analysen konnten z. B. zeigen, dass eine chronische Darmentzündung im Mausmodell [29] auch Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen hat (F1- und F2-Generation) und Störungen der Genexpression im Darmepithel hervorruft. Epigenetische Veränderungen der Keimbahn-DNA, z. B. DNA-Methylierung, sind demnach als nichtgenetische Erbfaktoren zu berücksichtigen.

Nach Einschätzung der Autoren liegt das größte Potenzial, zumindest für die Colitis ulcerosa, in der Erforschung der HLA-Region auf Chromosom 6p21 und in gezielten immunogenetischen Analysen. Die HLA-Assoziation der Colitis ulcerosa kann mit der HLA-Assoziation bei Zöliakie verglichen werden (MHC-Klasse-II-Signal, hochsignifikante Assoziation; [19]). Bei der Zöliakie kennt man das Antigen „Gluten“ als wesentlichen krankeitsverursachenden Umweltfaktor. Es könnte sich also lohnen, ein entsprechendes Antigen bei der Colitis ulcerosa zu suchen.

Proteine in der „modernen“ Ernährung sowie des Darmmikrobioms erscheinen hier als plausible Testkandidaten. Das Zusammenspiel zwischen Ernährungsfaktoren, Darmmikrobiom und Wirt (hier: Gesamtheit der genetischen Varianten eines Menschen) ist Gegenstand zahlreicher laufender Untersuchungen und wird in den nächsten Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit viele neue Erkenntnisse zur CED-Ätiologie liefern. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache interessant, dass Varianten am NOD2-Genort, allerdings andere als die CED-Risikovarianten, die Hauptrisikovarianten für Lepra, eine klassische Infektionserkrankung (Mycobacterium leprae), sind. Dieses konnte im Jahr 2010 in einer chinesischen GWAS für Lepra gezeigt werden [35]. Die Liste der Risikoloci für Lepra und CED überschneidet sich nahezu perfekt. Neben NOD2 wurden die bekannten CED-Loci C13orf31, RIPK2, TNFSF15 und die HLA-Region als Risikofaktoren für Lepra identifiziert. Damit ist die Mykobakterieninfektionshypothese für die CED wieder aktueller denn je. Wahrscheinlich ist jedoch, dass nicht nur Mykobakterien, sondern auch andere Bakterien des Mikrobioms eine entscheidende Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen. Zusammenfassend könnte die Pathogenese der CED wie folgt verlaufen: Eine beeinträchtigte Darmbarriere (gestörtes Mikrobiom mit geringerer Artenvielfalt und mehr „schlechten“ als „guten“ Bakterien, Stress, Antibiotika, für die Mukosa toxische Ernährungsbestandteile) erleichtert Bakterien eine Ansiedelung auf dem Darmepithel. Die Barriere ist aufgrund genetischer Suszeptibilität durchlässiger (z. B. Störung der „tight junctions“) und das angeborene Immunsystem geschwächt (z. B. NOD2-Defekt, Autophagiedefekt). Somit kann der Darminhalt leichter mit Zellen des adaptiven Immunsystems (z. B. mit dendritischen Zellen) in Berührung kommen. Genetische Suszeptibilität (die meisten der CED-relevanten Risikogene sind in Immunzellen exprimiert), mangelndes „immunologisches Training“ im frühen Kindesalter (Hygienehypothese) und die große „Dosis“ an Bakterien und sonstigem Darminhalt hinter der Barriere führen zu einer übersteigerten Immunantwort. Diese Immunreaktion kann in genetisch suszeptiblen Personen auch nur langsam wieder herunterreguliert werden (z. B. Defekt im antiinflammatorischen Interleukin-10-Stoffwechselweg). Wahrscheinlich ist auch, dass das entsprechende Antigen „chronisch“ vorhanden ist, d. h. Bestandteil des dysregulierten Mikrobioms des Patienten ist. Zwar ist es durchaus zu begrüßen, dass mittlerweile eine kleine Auswahl an Biologikatherapien zur Behandlung der CED zur Verfügung steht. Jedoch sollte das in keiner Weise die Suche nach den eigentlichen Krankheitsursachen verlangsamen, zumal die Genetik der Lösung des Rätsels schon ein Stück weit entgegengekommen ist.

Infobox 1 Weiterführende internetbasierte Informationen

Fazit für die Praxis

  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen umfassen ein Spektrum von Entzündungsformen, in dem der Morbus Crohn mit reinem Dünndarmbefall und die Colitis ulcerosa die beiden Extreme eines fließenden Übergangs darstellen. Morbus Crohn mit reinem Befall des Dickdarms sollte als distinkte 3. Entität zwischen den beiden Extremen betrachtet werden.

  • Die häufigen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren für die CED wurden für europäischstämmige Patienten zwischenzeitlich sämtlich identifiziert, Patienten mit anderem ethnischen Hintergrund unterscheiden sich nur gering in ihrem genetischen Risikoprofil.

  • Die Aufklärung der ursächlichen genetischen Prinzipien inklusive der damit verbundenen primären pathophysiologischen Ereignisse hat die Entwicklung neuer Therapieverfahren beeinflusst.

  • Die genetische Ätiologie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ist überraschend polygen. Zudem sind viele der Krankheitsgene auch für chronische Erkrankungen relevant, die vordergründig nicht mit dem Darm assoziiert sind.

  • Patienten mit einem CED-Ersterkrankungsalter <16 Jahre sollten eine genetische Diagnostik (seit 1.7.2016 abrechenbar) durchlaufen. Es gilt: Je jünger der Patient bei Ersterkrankung, desto wahrscheinlicher ist das Vorliegen einer monogenen Form (nur eine kausative Mutation) der CED.