Funktionsstörungen des Gastrointestinaltraktes treten besonders in den Industrieländern zunehmend auf. Aufgrund der Vielschichtigkeit der klinischen Symptomatik (Abb. 1) und des nicht eindeutigen Zusammenhanges zwischen der subjektiv empfundenen Symptomintensität und dem objektivierbaren Schweregrad der Funktionsstörung ist eine zuverlässige diagnostische Zuordnung nur anhand der Symptomatik kaum möglich [1].

Abb. 1
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Stärke des Stimulus (z. B. Säureexposition der Speiseröhre, Kontraktionsstärke)

Funktionsstörungen des Verdauungstrakts sind trotz wichtiger Weiterentwicklungen bei der bildgebenden Diagnostik, der pathophysiologischen Charakterisierung von gastrointestinalen Erkrankungen – einschließlich molekularer, genetischer und regenerativer Mechanismen und objektiven Untersuchungsverfahren – bisher nur schwer zugänglich gewesen. Daher stellen funktionelle Darmerkrankungen aufgrund diagnostischer Schwierigkeiten, ihrer Häufigkeit und ihres oft chronischen Verlaufs eine zunehmende therapeutische Herausforderung für den Gastroenterologen dar. Insbesondere in den letzten Jahren konnten jedoch eine Vielzahl neuer diagnostischer Verfahren zur Charakterisierung von funktionellen Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes sowie neue Therapien etabliert werden.

Diese Ausgabe von „Der Gastroenterologe“ fokussiert auf einige zentrale, klinisch relevante Funktionserkrankungen und soll individuelle Strategien, neue Therapieansätze und neue Technologien, die zum Teil noch am Anfang ihres möglichen Potenzials stehen, zum Teil aber schon breiten Einzug in die klinische Praxis gehalten haben, darstellen.

So gelingt es mit der kombinierten ösophagealen Mehrkanal-Impedanzmessung und der neuen Technik der hochauflösenden Manometrie, zielgerichtet und präzise die Ursachen und die Beschwerdesymptomatik der ösophagealen Dysphagie zu beschreiben. Während die Diagnostik der Refluxerkrankung in der Vergangenheit vor allem auf die Endoskopie konzentriert war und die Behandlung auf die Abheilung der Mukosaläsionen zielte, ist mittlerweile die Kontrolle der Refluxsymptome in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Hier kann insbesondere die Zusammenschau von klinischen und funktionsdiagnostischen Befunden zu einer wirkungsvollen Therapie saurer und nichtsaurer Refluxepisoden beitragen.

Ätiologische Vielschichtigkeit sollte in individuellen Therapiestrategien integriert werden

Bei der funktionellen Dyspepsie, deren Behandlung und Diagnostik weiterhin schwierig bleibt, gehen neue Hypothesen zur Pathophysiologie dieser Erkrankung von Motilitätstörungen und einer gestörten viszeralen Hypersensitivität aus. Hier können neue diagnostische Methoden, wie zum Beispiel die funktionelle Magnetresonanztomographie, diese Pathomechanismen erstmals direkt darstellen. Die Ätiologie der Beschwerden von Patienten mit Reizdarmsyndrom, insbesondere mit Blähungen, beruht nach neueren Erkenntnissen ebenso auf einer viszeralen Hypersensitivität, auf einer assoziierten gestörten intestinalen Gasdynamik und auf muskulären Störungen der Bauch- und Zwerchfellmuskulatur. Auch hier sollte die Vielschichtigkeit der Symptomursachen in individuellen Therapiestrategien integriert werden. Funktionelle Störungen des unteren Gastrointestinaltraktes können mit neuen diagnostischen Methoden näher charakterisiert werden. So kann bei Patienten mit Obstipationsbeschwerden eine Obstipation mit verlängerter Kolontransitzeit von Defäkationsstörungen oder vom Reizdarmsyndrom abgegrenzt werden. Hierauf können gezielte medikamentöse, physiotherapeutische oder chirurgische Maßnahmen eingeleitet werden. Ebenso können Patienten mit Stuhlinkontinenz mittels eines individuellen Therapieschemas mittlerweile umfangreiche therapeutische Maßnahmen angeboten werden.

Alle Beiträge der Autoren dieses Schwerpunktheftes belegen die Komplexität im Zusammenspiel von Symptomatik und begleitender funktioneller Störung und zeigen, wie durch eine praxisgerechte Diagnostik das therapeutische Management dieser zunehmend im klinischen Fokus stehenden Patientengruppe individualisiert optimiert werden kann. Der große wissenschaftliche Fortschritt der letzten Jahre zum Verständnis der Physiologie und Pathophysiologie gastrointestinaler Motilitätsstörungen und deren assoziierter Symptomatik wird im November 2008 im Rahmen des „2nd Joint International Meeting for Neurogastroenterology and Motility“ in Luzern in der Schweiz nochmals zusammenfassend präsentiert.

M. Fried, Zürich