Ungefähr 15% aller Patienten mit Vorhofflimmern haben einen CHA2DS2-VASc-Score von 1 und befinden sich damit in einem Graubereich, was die Empfehlung zur oralen Antikoagulation (OAK) betrifft. „Eine OAK sollte erwogen werden“, heißt es in der Leitlinie — sofern der eine Score-Punkt nicht durch den Risikofaktor weibliches Geschlecht zustande kommt. Die Abwägung zwischen Nutzen und Blutungsgefahr muss bei diesen Patienten mit intermediärem Risiko für Schlaganfall und andere thromboembolische Komplikationen allerdings besonders sorgfältig geführt werden. Orientieren kann man sich dabei an der Stellungnahme von zwei Arbeitsgruppen der europäischen Kardiologengesellschaft ESC [1].

Keine OAK bei HAS-BLED ≥2

Generell besteht ein Konsens, dass das Risiko für eine thromboembolische Komplikation mindestens 1% pro Jahr betragen muss, damit eine OAK gerechtfertigt ist. Ob die Ereignisrate bei Vorhofflimmernpatienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 1 diese Grenze überschreitet, gilt laut den ESC-Experten um Patrick Sulzgruber von der Universität Wien inzwischen als fraglich. In Studien wurden für thromboembolische Ereignisse Jahresraten zwischen 0,6 und 1,3% ermittelt. Dieses Risiko muss individuell gegen das Blutungsrisiko abgewogen werden.

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Eine gut eingestellte Hypertonie ist nicht als Risikofaktor im Zusammenhang mit der Abschätzung des Nettonutzens einer oralen Antikoagula-tion anzusehen.

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Goldstandard für Letzteres ist der HAS-BLED-Score. Bei einem Score-Wert von 2 liegt die jährliche Rate an schweren Blutungen bei 1,9–3,2%. „Bei Patienten mit intermediärem thromboembolischem Risiko und einem HAS-BLED-Score≥ 2 sollte eine OAK daher nicht in Erwägung gezogen werden“, heißt es in der Stellungnahme. Beträgt der HAS-BLED-Score 1 Punkt, was einem jährlichen Blutungsrisiko von 0,59–1,51% entspricht, sollen weitere Faktoren zur Abschätzung des Nettoeffektes einer OAK herangezogen werden.

In diesem Zusammenhang weisen die ESC-Experten darauf hin, dass weibliches Geschlecht, für das im CHA2DS2-VASc-Score 1 Punkt vergeben wird, „nicht per se ein Risikofaktor ist, sondern für die Risikoabschätzung nur dann zählt, wenn ein weiterer Risikofaktor vorhanden ist“. Insgesamt seien von den Risikofaktoren im CHA2DS2-VASc-Score ein Alter über 65 und ein Typ-2-Diabetes besonders bedeutsam. Eine gut eingestellte Hypertonie sei dagegen nicht als Risiko anzusehen.

Als zusätzliche Risikofaktoren zur Abschätzung des Nettonutzens einer OAK eignen sich der Stellungnahme zufolge etwa Rauchen, Alkoholkonsum, Adipositas oder Demenz. Mit einem erhöhten Thromboembolierisiko verknüpft sind außerdem eine Proteinurie und eine verminderte Nierenfunktion, erhöhte kardiale Biomarker (NT-pro-BNP, Troponin T und I) und ein vergrößerter linker Vorhof. Für den Nutzen einer OAK scheint anders als bei höherem Schlaganfallrisiko auch der Vorhofflimmerntyp von Relevanz zu sein: Ein permanentes Auftreten ist offenbar gefährlicher als ein paroxysmales. „Wichtig ist außerdem, die Patientenpräferenz zu berücksichtigen“, so die Experten. Generell raten sie, bei einem CHA2DS2-VASc-Score von 1 der Vermeidung eines therapiebedingten Schadens Vorrang zu geben vor der Vermeidung eines Schlaganfalls.

NOAK vor VKA, kein ASS

Falls die Entscheidung zugunsten einer OAK ausfällt, sollen — wie generell bei nicht valvulärem Vorhofflimmern — NOAK den Vitamin-K-Antagonisten vorgezogen werden. Nach Subgruppenanalysen aus Phase-III-Studien „scheinen NOAK in dieser Patientengruppe mit intermediärem Schlaganfallrisiko einen therapeutischen Vorteil gegenüber VKA zu haben“. Ein Vorteil ist das geringere Risiko für intrazerebrale Blutungen.

Keine Evidenz gibt es dagegen für die Prävention mit ASS. „ASS sollte bei Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 1 und ohne KHK nicht zur Schlaganfallvorbeugung in Betracht gezogen werden“, heißt es. Eine zeitlich begrenzte duale Plättchenhemmung wird lediglich bei Patienten mit ACS und/oder Koronarintervention als Option angesehen.