Die Indikation zur Migräneprophylaxe ist immer dann gegeben, „wenn das planerische Gestalten der Zukunft migränebedingt nicht mehr möglich ist.“ So hat es die Essener Kopfschmerzspezialistin und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) Dr. Astrid Gendolla in diesem Jahr beim Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt am Main formuliert. Wenn z. B. drei Attacken oder mehr pro Monat die Lebensqualität stark beeinträchtigen, wenn Attacken länger als 72 Stunden andauern, wenn die Symptomatik trotz adäquater Therapie nicht nachlässt oder wenn die Therapie nicht toleriert wird, dann ist die regelmäßige Prophylaxe mit nicht medikamentösen sowie mit medikamentösen Instrumenten angezeigt.

Studien zu neuen Antikörpern liefern ermutigende Ergebnisse

Als ermutigend haben Gendolla und viele ihrer Kollegen von der DGS und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) in diesem Zusammenhang die in Studien erzielten Wirkungen von Antikörpern gegen CGRP (Calcitonin Gene-related Peptide) oder den CGRP-Rezeptor bezeichnet. Seit Ende 2018 ist der Antikörper Erenumab in Deutschland verfügbar, inzwischen sind auch Galcanezumab und Fremanezumab in der Europäischen Union zugelassen.

Alle drei Antikörper müssen einmal monatlich subkutan injiziert werden, Fremanezumab kann zudem in höherer Dosierung vierteljährlich injiziert werden. In den Zulassungsstudien erschien deren Wirksamkeit im indirekten Vergleich mit bislang etablierten und zugelassenen Migräneprophylaktika als ähnlich gut.

„Im klinischen Alltag sieht man, dass etwa 60% der Patienten gut bis sehr gut auf den CGRP-Antikörper ansprechen, 20% sprechen mäßig und etwa 20% gar nicht an“, so Gendollas bisherige Erfahrung mit Erenumab.

Die Neurologin verweist auf ein groß angelegtes Register unter Federführung der Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG), mit dem die Langzeitwirksamkeit und die Verträglichkeit der neuen Therapien beurteilt werden wird. Bislang wird die Verträglichkeit von Experten unisono als gut beschrieben, zentrale Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. Das spricht dafür, dass die Antikörper nicht die intakte Blut-Hirn-Schranke überwinden können.

Voraussetzung für die Verordnung von CGRP-Antikörpern sind bei episodischer Migräne mindestens vier erfolglose Vortherapien, bei chronischer Migräne sogar fünf [1]. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat im Mai 2019 zwar einen „beträchtlichen Zusatznutzen“ für Erenumab bei Migränepatienten festgestellt, hat aber auch konkret die gescheiterten Vortherapien als Voraussetzung für die Verordnung aufgezählt: Metoprolol oder Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Valproinsäure sowie — nur bei chronischer Migräne — Botulinumtoxin A.

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Dauern die Attacken länger als drei Tage an, ist eine regelmäßige Prophylaxe indiziert.

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Den Patienten sollte nicht generell ein schneller Wirkeintritt versprochen werden, auch wenn dieser in Studien teils beobachtet worden ist. Bis der tatsächliche Nutzen beim einzelnen Patienten eingeschätzt werden kann, brauche es zwei bis drei Monate, sagt Gendolla. Hilft bis dahin die Therapie nicht, kann mit den neu zugelassenen CGRP-Antikörpern nun prinzipiell auf zwei weitere Alternativen zurückgegriffen werden.

Vierter Antikörper in Entwicklung

Mit Eptinezumab, das alle drei Monate intravenös injiziert werden muss, befindet sich ein vierter monoklonaler CGRP-Antikörper in der Entwicklung. Nach kürzlich publizierten Empfehlungen zum Umgang mit Erenumab soll die Anwendung mit Blick auf noch ausstehende Langzeitdaten sowie die Wirtschaftlichkeit derzeit begrenzt werden [2]. Nach Angaben von Gendolla, Koautorin des Papiers, kann bei gutem Ansprechen nach einem Jahr ein Auslassversuch erfolgen, um zu sehen, ob der einzelne Patient die Prophylaxe noch benötigt .

Nicht angewendet werden soll der CGRP-Antikörper bei manifesten oder vermuteten Durchblutungsstörungen, weil der Wegfall der vasodilatatorischen Reserve gefährlich sein könnte.