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Groteske Vorführungen: Die Darstellung von Masse und Individuum in den Revolutionsgrotesken von Arthur Schnitzler (Der grüne Kakadu) und Rudolf von Delius (Robespierre)

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Abstract

This paper connects the category of the grotesque to the political and aesthetic complications of representations of post-monarchical power. In order to achieve the interplay of this figurative development, two grotesque plays on the French Revolution will be examined: Arthur Schnitzler’s Der grüne Kakadu (1899) and Rudolf von Delius’ Robespierre (1906). The analysis will show how Schnitzler and Delius deconstruct the theatrical procedures that underpin socio-political structures challenged by the French Revolution. What this amounts to is the grotesque staging of revolutionary beginning (Schnitzler) or end (Delius) and revealing the repressed origins and foundations witnessed at the advent of political modernity. Both authors hint at the impossibility of suppressing the instinctive, Dionysian dimension (mostly associated with the masses) in favour of rational, Apollonian individuality. Doing so, Schnitzler as Delius engage with dominant contemporary views on political representation, authoritarianism and mass psychology.

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Notes

  1. Seit Georg Büchner ist dieser automatisch-mechanische, antihumanistische Aspekt revolutionärer Handlung ein Topos bei der literarischen Darstellung der Französischen Revolution. John B. Lyon identifiziert dieses grundlegende Thema in Büchners Revolutionsdrama Danton’s Tod (1835) und in seinem Lustspiel Leonce und Lena (1836) mit einem Hinweis auf das entsprechende groteske Motiv des Puppenspiels und des Theaters:

    Through Valerio and Danton, Büchner implies that humans wish to be autonomous, whole selves but that their identity is inextricably intertwined with the social order in which they live. […] [N]ot only can robots pass as members of human society, but members of human society can also pass as robots. The social self is a construct, determined by external forces. (Lyon 2006, 190–191)

    Die Revolution gilt aus diesem Blickwinkel als ein karnevalesker Augenblick mit wesentlich grotesken Zügen, während die revolutionären Subjekte nach jenen neuen Stützpunkten und gesellschaftlichen Skripts suchen, die aber durch eine übertriebene Nachfolge das Subjekt zum bloßen Automaten erniedrigen, die Grenze zwischen Menschlichkeit und Dinglichkeit verwischen und deshalb genauso wie die „maskenlose“Situation grotesk wirken können. Das Volk wird bei Büchner in seinen karnevalesken Zügen dargestellt:

    Daß die historischen Robespierristen, stärker noch als diejenigen Büchners, in der Volksmeute das Bacchanal wiedererkannten, ist kein Zufall. Nicht erst Nietzsche hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Heiterkeit der griechischen Polis ihre bedenkliche Kehrseite hat in den orgiastischen Festen des Dionysos, die ihrerseits in der karnevalistischen Tradition Europas fortzuleben schienen […], und die bürgerlichen Kulturtheoretiker haben die hier sich äußernde Lust eher noch heftiger und nachdrücklicher bekämpft als die Tyrannei und die Ausschweifungen der Herrschenden. Als mythisches Urbild der karnevalistischen Relikte gelten auch ihnen bereits die Bacchanalien, die nun auch zusammen mit dem Karneval den konsternierten Beobachtern der Revolutionsjahre ein Muster lieferten, nach dem sich die revolutionären Aufstände darstellen und erklären ließen. (Dedner 2013, 19)

    Cf. Kayser (1960, 70–74) und Knapp (2000).

  2. Kayser streitet Schnitzler die Kategorisierung seines Einakters als Groteske ab und hätte dies—falls er sie in seine Studie aufgenommen hätte—bestimmt auch für diejenige des Delius gemacht. Siehe Kayser (1960, 97): „Mit unserem Begriff des Grotesken hat das kaum etwas gemein. Schnitzler hat sich mit dem Tag des Bastillesturms und dem Raum einer gespielten Verbrecherskneipe einen Ausschnitt gewählt, in dem Schein und Wirklichkeit so verwirren, daß dauernd Täuschungen entstehen. Aber es sind eben Täuschungen. Wir genießen als Zuschauer den Irrtum, und sei es unser eigener, weil er sich schließlich als Irrtum vor der Realität erweist. Die Verläßlichkeit unserer Weltorientierung wird aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt.“

  3. Siehe in diesem Kontext Le Rider (1990, 141–142; 1994, 33–49). In Immanuel Kants Streit der Fakultäten wird die distanziert-begeisterte Zuschauerreaktion auf die blutige Schreckensherrschaft als ein Zeichen von Fortschritt hochstilisiert. In Schnitzlers Stück gibt es diesen Fortschrittsglauben keineswegs. (Cf. Mennemeier 1993, 263).

  4. Carl Schorske liest Der Grüne Kakadu als „satirical playlet in which the instinctual life of the characters becomes central to their fate in the French Revolution. […] He merely used the Revolution as a vehicle for irony about contemporary Austrian society in its current crisis.” (Schorske 1981, 11–12) Cf. Zimmermann (1989, 7–23).

  5. Schnitzler (1962, 520): „Seit einigen Wochen soll dieses Lokal der Schauplatz wüster Orgien sein.“

  6. Der gleichen Verwirrung fallen Zuschauer und Leser zum Opfer, da mit Henris Mord auf den Herzog auch die Bühnenhinweise über den Spielcharakter des Vorgangs keinen Auskunft mehr geben. (Hédrich 2000, 129–141)

  7. Das Thema der Massenmanipulation findet man auch in Schnitzlers anderen Werken und Aphorismen, die sich mit der Französischen Revolution auseinandersetzen. (Nehring 1992, 75–79).

  8. Schnitzler ist in dieser Hinsicht pessimistischer als Bakhtin, der dem Karneval eine regenerierende Qualität zuschrieb. (Bakhtin 1984, 7).

  9. Schnitzlers handschriftliche Textentwürfe und vorläufige Namenverzeichnisse schwanken anfänglich noch zwischen Gresset und Grasset. Siehe Mappe 88, Blätter 10–15 im Schnitzler-Nachlass. (Müller and Neumann 1969, 46).

  10. Hirschstein ist – sofern mir bekannt – der einzige, der 1912 in einem Übersichtswerk über die Rezeption der Französischen Revolution in der deutschen dramatischen und epischen Literatur Rudolf von Delius‘ Robespierre einer (quellenanalytischen) Lektüre unterwirft. Allerdings spricht Hirschstein ungerechterweise von einer „parodistischen Antwort“ auf Schnitzlers Groteske, während eigentlich vielmehr von einer Kontinuität die Rede ist. (Hirschstein 1912, 289).

  11. Der ‚historische’ Henriot war Anführer der Kommune und der Truppen, die Robespierre nach Ächtung und Verhaftung durch den Konvent unterstützen wollten. Delius streicht die Geschehnisse demonstrativ aus seiner Inszenierung.

  12. Delius bezieht sich hier möglicherweise auf die bekannte Traum-Szene in Georg Büchners Danton’s Tod.

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Rys, M. Groteske Vorführungen: Die Darstellung von Masse und Individuum in den Revolutionsgrotesken von Arthur Schnitzler (Der grüne Kakadu) und Rudolf von Delius (Robespierre). Neophilologus 100, 611–629 (2016). https://doi.org/10.1007/s11061-016-9494-4

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