Schwere Infektionen stellen im klinischen Alltag große Herausforderungen dar, da sie häufig zu Komplikationen führen und mit einer hohen Sterblichkeit einhergehen. Trotz der Schwere und Komplexität der Erkrankungen gelten die grundlegenden ABS-Prinzipien im Sinne einer rationalen Antiinfektivaverordnung hinsichtlich Substanz, Dosierung und Dauer der Therapie. Im Folgenden werden ABS-Aspekte bei schweren Infektionen am Beispiel der Sepsis, gramnegativen Blutstrominfektionen und COVID-19 näher beleuchtet.

Antibiotic Stewardship auf der Intensivstation am Beispiel der Sepsis und des septischen Schocks

Die Sepsis und der septische Schock zählen zu den häufigsten Behandlungsindikationen auf der Intensivstation. Die anspruchsvoll zu behandelnden Krankheitsbilder sind mit einer hohen Morbidität und Krankenhausletalität assoziiert [6].

Ein wichtiger und prognoserelevanter Therapiebaustein stellt die frühzeitige Gabe von Breitspektrumantibiotika dar. Auf den ersten Blick erscheint das Prinzip der ABS-Programme – nämlich eine rationale Antibiotikatherapie basierend auf einer klaren Indikation – nicht leicht in Einklang zu bringen mit dem häufig angeführten Sepsis-Motto: „Hit hard and early“. Es wird argumentiert, dass bei Patient*innen in der Sepsis bzw. im septischen Schock angesichts der noch höheren Letalität im Falle einer initial nicht adäquaten antibiotischen Therapie kein Spielraum besteht, Antibiotika einzusparen [23].

Auf der anderen Seite stellen Infektionen mit multiresistenten Erregern (MRE) ein relevantes Problem auf Intensivstationen dar [20]. Sie erfordern oft den Einsatz von multiplen Antiinfektiva (häufig Reservesubstanzen) über längere Zeiträume, was mit höheren Raten an schwereren Nebenwirkungen einhergeht. Die Situation kann zu einem Circulus vitiosus mit weiter steigendem Antibiotikaeinsatz, MRE-Infektionen und Nebenwirkungen führen (Abb. 1). ABS-Programme auf Intensivstationen haben gezeigt, dass sie wirkungsvoll die Verordnungen von Breitspektrumantibiotika und die Inzidenz von Besiedlungen und Infektionen mit MRE reduzieren können [28]. Angesichts der Zunahme mancher Infektionen mit MRE gilt es – gerade im intensivmedizinischen Bereich – mittels rationaler Antibiotikatherapie das akute Risiko für die einzelnen Patient*innen zu minimieren und gleichzeitig den Antibiotikaverbrauch insgesamt zu reduzieren und somit die Prognose von zukünftigen Patient*innen nicht zu gefährden.

Abb. 1
figure 1

Circulus vitiosus bei weiter steigendem Antibiotikaeinsatz mit zunehmenden Resistenzentwicklungen und MRE(multiresistente Erreger)-Infektionen

In der aktuellen Literatur gibt es Hinweise darauf, dass ein erheblicher Teil der Antibiotikagaben auf Intensivstationen entweder

  • unnötig sind (beispielsweise Antibiotikagaben bei nichtinfektiösen entzündlichen Erkrankungen, unnötig verlängerte Antibiotikagaben, nicht gerechtfertigte Gabe von Breitspektrumantibiotika oder Behandlung apathogener/nichtinvasiver Erreger der residenten oder Ersatzflora, z. B. bei Nachweis von Enterokokken, Koagulase-negativen Staphylokokken oder Candida spp. im Tracheal‑/Bronchialsekret) [11, 16],

  • unangemessen dosiert sind (nicht an die Physiologie der Patient*innen adaptierte Antibiotikadosierungen – beispielsweise in der hyperdynamen Phase der Sepsis, Dosierungen, die nicht an die im Antibiogramm ermittelte Empfindlichkeiten angepasst sind, beim Einsatz von extrakorporalen Organersatzverfahren wie Hämodialyse oder extrakorporaler Membranoxygenierung [ECMO] oder nicht an den Infektionsfokus angepasste Dosierungen wie beispielsweise bei ZNS[Zentralnervensystem]-Infektionen) [12]

  • oder nicht auf den pathogenen Erreger ausgerichtet sind [8].

Herausforderungen der Diagnosestellung und Infektionsfokussuche bei der Sepsis

Um im klinischen Sepsismanagement prognoserelevante Verbesserungen zu erreichen, sind die initial adäquate Antibiotikatherapie, die rechtzeitige Applikation der Antibiotikatherapie und die Fokuskontrolle von entscheidender Bedeutung [4].

Dies unterstreicht die Notwendigkeit, zeitkritisch die Diagnose Sepsis zu stellen und den Infektionsfokus zu identifizieren. Allerdings ist die Diagnosefindung – nicht nur bei Intensivpatient*innen – anspruchsvoll. In der Akutphase vieler schwerwiegender Erkrankungen sind die Entzündungsparameter erhöht, und ein (Multi‑)Organversagen kann durch nichtinfektiöse Erkrankungen bedingt sein. In dem Kontext nehmen Anamnese, körperliche Untersuchung sowie eine angepasste Bildgebung einen wichtigen Stellenwert ein. Die SIRS(„systemic inflammatory response syndrome“)-Kriterien (Hypo- und Hyperthermie, Tachykardie, Tachypnoe, Leukopenie und Leukozytose) sind seit der Aktualisierung der Sepsis-Definition im Jahr 2017 – aufgrund von unzureichender Sensitivität und Spezifität [14] – nicht mehr Voraussetzung zur Diagnosesicherung. Dennoch stellen die Kriterien und andere Scores (z. B. der „National“ bzw. „Modified Early Warning Score“ [NEWS bzw. MEWS] und der „quick Sequential Organ Failure Assessment“ [qSOFA]) weiterhin wichtige Screeningparameter dar. Die Scores per se stellen keine ausreichende Grundlage für den sofortigen Beginn einer breiten empirischen antibiotischen Therapie dar. Vielmehr ist eine umgehende weiterführende Abklärung hinsichtlich des Vorliegens einer Infektionsdiagnose geboten. Eine rasche Fokuskontrolle (Drainage, operative Sanierung) ist bei 30–40 % der Patient*innen auf der Intensivstation relevant und nicht nur auf Patient*innen mit abdominellen Infektionen beschränkt, sondern auch beispielsweise für Patient*innen mit fremdkörperassoziierten Infektionen und postoperativen Wundinfektionen wichtig [5].

Mikrobiologische Diagnostik und antibiotische Therapie bei Sepsis und septischem Schock

Patient*innen mit Verdacht auf Vorliegen einer Sepsis und/oder eines septischen Schocks müssen zügig einer adäquaten mikrobiologischen Diagnostik zugeführt werden. Hierbei steht die Blutkulturdiagnostik im Vordergrund (2 bis 3 Blutkulturpaare). Darüber hinaus sind lokale Probegewinnungen von Sekreten und Geweben im Bereich des vermuteten Infektionsfokus von größter Bedeutung. Idealerweise erfolgt dies innerhalb der ersten Stunde nach Formulierung der Verdachtsdiagnose Sepsis und vor Beginn der empirischen Antibiotikatherapie. Insbesondere im Fall des septischen Schocks darf der Beginn der Therapie nicht verzögert sein, sodass sowohl mikrobiologische Diagnostik als auch die zeitgerechte Einleitung der Antibiotikatherapie wichtige Notfallmaßnahmen darstellen.

Oberstes Ziel ist der rechtzeitige Beginn einer adäquaten Antibiotikatherapie. Die 2021 aktualisierte Sepsis-Leitlinie favorisiert weiterhin eine antibiotische Monotherapie mit einem Breitspektrumantibiotikum, insofern keine Risikokonstellation für MRE vorliegt [9]. Angesichts der steigenden Resistenzraten darf diese Strategie jedoch auch bei Patient*innen mit septischen Schock und ohne Risiko für eine MRE-Infektion kritisch hinterfragt werden. Wünschenswert wären hier weitere belastbare Studiendaten z. B. zum Stellenwert von Fosfomycin oder einem Aminoglykosid als Kombinationstherapie.

Oberstes Ziel ist der rechtzeitige Beginn einer adäquaten Antibiotikatherapie

Die aktualisierte Sepsis-Leitlinie schlägt ein differenziertes Vorgehen zum Beginn der Antibiotikatherapie bei Patient*innen mit Sepsis, aber ohne Schock vor. Tatsächlich liegen nur prognoseverbessernde Daten zum Therapiebeginn innerhalb von 1 h für Patient*innen im septischen Schock vor. Deswegen wird nun – aus ABS-Sicht erfreulich – betont, dass bei unsicherer Diagnose und bei fehlendem Schock der Zeitraum bis zur Einleitung der Antibiotikatherapie auf 3 h ausgedehnt werden kann. In der Zeit gilt es, die oben genannte Differenzialdiagnostik zu komplettieren, um eine Antibiotikatherapie auf belastbareren Befunden zu initiieren oder alternativ zu verwerfen bzw. nach 48–72 h auf der Grundlage der dann vorliegenden Befunde eine Therapiereevaluation durchführen zu können.

Infobox ABS(Antibiotic Stewardship)-Maßnahmen für den rationalen Antibiotikaeinsatz in der Sepsis bzw. im septischen Schock

  • Erstellung von Standard Operating Procedures (SOP) sowohl für die Sepsis per se als auch für die wichtigsten Infektionsdiagnosen bei der Sepsis (Pneumonie, abdominelle Infektionen, Knochen- und Gelenkinfektionen etc.)

  • Auswahl von geeigneten empirischen Antibiotikaregimen, angepasst an die lokale Resistenzlage und mit Berücksichtigung von besonderer Risikokonstellation für MRE (multiresistente Erreger)

  • Applikation der Antibiotika gemäß Prinzipien der Pharmakodynamik und -kinetik nicht als Kurzinfusionen, sondern als prolongierte Gabe (bei kontinuierlicher Therapie begleitet von einem therapeutischen „drug monitoring“ [TDM])

  • Tägliche Reevaluation der Diagnose und der Optionen zur Kontrolle des Infektionsfokus

  • Reevaluation (insbesondere 48–72 h nach Therapiestart) der mikrobiologischen Befunde und einer möglichen Therapieanpassung

  • Tägliche Reevaluation der Antibiotikadosierung an die sich verändernde Hämodynamik sowie Leber- und Nierenfunktion

  • Tägliche Reevaluation der notwendigen Therapiedauer

  • Möglichst konkrete Empfehlungen für spezifische Konstellationen in der SOP beispielsweise

    • gegen eine frühzeitige Eskalation der empirischen Therapie (z. B. auf ein Carbapenem) bei zwar ansteigenden Entzündungswerten, aber klinischer Stabilität/Besserung

    • in welchen Konstellationen MRE in der empirischen Therapie miterfasst sein sollen (z. B. kritisch kranke Patient*innen mit bekannter MRE-Besiedlung oder Zustand nach MRE-Infektion, extensive antiinfektive Vorbehandlungen in den letzten 3 Monaten)

    • Ausweitung der Diagnostik bei Immunsuppression (z. B. Pilze wie Aspergillus spp., PJP[Pneumocystis jirovecii]-, CMV[Zytomegalievirus]- oder HSV[Herpes-simplex-Virus]-Infektionen), jedoch keine routinemäßige Erweiterung der empirischen Therapie

Gramnegative Blutstrominfektionen

Gramnegative Enterobakterien/Enterobacterales wie Escherichia coli, Klebsiella spp. und Enterobacter spp. stellen die häufigsten Erreger von Blutstrominfektionen (BSI) dar. In den letzten Jahren sind neue Studien zur Therapiedauer und Möglichkeit einer oralen Sequenztherapie erschienen. Sowohl in nichtinterventionellen Beobachtungsstudien als auch in 3 randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien waren die Behandlungsergebnisse einer 7‑tägigen denen einer 14-tägigen Therapie vergleichbar. Untersucht wurde dies bei gramnegativer BSI mit adäquater Fokuskontrolle und Abwesenheit tiefsitzender Manifestationen wie Endokarditis, osteoartikuläre oder Fremdkörperinfektionen [7, 21, 31]. Darüber hinaus weist eine multizentrische Beobachtungsstudie, in der für unterschiedliche Erkrankungsschwere mittels Propensity Score Matching adjustiert wurde, darauf hin, dass bei unkomplizierter gramnegativer BSI – gutes Therapieansprechen und Fokussanierung vorausgesetzt – eine Oralisierung der Antibiotikatherapie möglich ist [26]. Die Patient*innen, die mittels oraler Sequenztherapie behandelt wurden, erhielten zuvor im Median 3 Tage intravenöse Therapie. Fluorchinolone, Cotrimoxazol oder Amoxicillin-Clavulansäure waren die am häufigsten eingesetzten oralen Sequenztherapien. Bei einer unkomplizierten gramnegativen Blutstrominfektion ist – nach adäquater Fokussanierung und bei gutem klinischem Verlauf – somit eine Therapiedauer von 7 Tagen ausreichend. Eine Oralisierung kann ab Tag 4 erwogen werden.

Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen

Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen stellen nicht zuletzt wegen des Schweregrads der Infektionen bei oftmals multimorbiden Patient*innen eine therapeutische Herausforderung dar. Die eingeschränkte Auswahl an therapeutischen Substanzen und eine im Vergleich zu anderen Pathogenen häufiger zu beobachtende Resistenzentwicklung unter der Therapie sind zusätzlich problematisch. Mehrere Studien der letzten Jahre haben sich mit der Frage beschäftigt, ob eine Kombinationstherapie bei Blutstrominfektionen zu besseren Behandlungsergebnissen führt. Eine bisher vorliegende Metaanalyse konnte diesen Ansatz nicht stützen [27]. In einer neuen retrospektiven internationalen Multicenterstudie wurde bei 1119 Patient*innen untersucht, ob eine Kombinationstherapie, bestehend aus einem β‑Laktam-Antibiotikum mit einem Fluorchinolon oder einem Aminoglykosid, mit einem besseren Outcome im Vergleich zu einer β‑Laktam-Monotherapie assoziiert war [2]. Die Sterblichkeit an Tag 30 unterschied sich mit 17,1 % (Monotherapie) vs. 16,3 % (Kombinationstherapie) nicht signifikant. Auch bei den sekundären Endpunkten klinisches oder mikrobiologisches Versagen oder Rezidivbakteriämie zeigten sich keine Unterschiede.

Ein regelhafter empirischer Einsatz einer Kombinationstherapie erscheint – außer bei kritisch kranken Patient*innen (septischer Schock) oder anzunehmender bzw. vorbekannter Multiresistenz von kolonisierenden oder invasiven Pseudomonas-aeruginosa-Isolaten – bei Verdacht auf Vorliegen einer Blutstrominfektion nach den bisher vorliegenden Daten nicht erforderlich und im Sinne von ABS nicht sinnvoll.

Auch im Kontext der Pseudomonas-aeruginosa-Blutstrominfektion stellt sich die Frage der optimalen Therapiedauer. In einer retrospektiven Beobachtungsstudie aus Korea wurden Therapieergebnisse einer kurzen Behandlung (7 bis 11 Tage, im Median 9 Tage) mit einer längeren Behandlung (12 bis 21 Tage, im Median 15 Tage) verglichen [3]. Es fand sich kein signifikanter Unterschied in den Behandlungsergebnissen. Eine neu aufgetretene Carbapenem-Resistenz war in der Gruppe der kürzer therapierten Patient*innen seltener (17 % vs. 31 %). Prospektive, kontrollierte Studien sind wünschenswert, um auf robusterer Evidenz Entscheidungen zur Therapiedauer bei Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen treffen zu können.

Gibt es Cephalosporin- oder Carbapenem-sparende Alternativsubstanzen?

Eine spanische, randomisierte, kontrollierte Multicenterstudie untersuchte, ob bei Patient*innen mit bakteriämischer Escherichia-coli-Harnwegsinfektion der Cephalosporin- und Carbapenem-Verbrauch reduziert werden können. Es wurde geprüft, ob eine Therapie mit Fosfomycin (4-mal 4 g/Tag) anstatt eines 3.-Generations-Cephalosporins (Ceftriaxon 1 g/Tag) oder – bei Cephalosporin-Resistenz – Carbapenem (Meropenem 3‑mal 1 g/Tag) eingesetzt werden kann [25]. Patient*innen mit komplizierenden Faktoren wie septischem Schock, Prostatitis, Zustand nach Nierentransplantation und verzögerter Drainage bzw. Abflusswiederherstellung bei Obstruktion wurden ausgeschlossen.

Bezüglich des primären Endpunkts fand die Arbeit eine Unterlegenheit von Fosfomycin (klinische und mikrobiologische Heilung an Tag 5 bis 7 nach Therapieende 69 % im Fosfomycin-Arm vs. 78 % im Vergleichsarm). Der Unterschied war in erster Linie auf die höhere Rate an Therapieabbrüchen (6/70 Patient*innen bei Fosfomycin vs. 0/73 Patient*innen im Vergleichsarm) aufgrund von Nebenwirkungen zurückzuführen. Bei 4 der 6 Patient*innen im Alter von > 80 Jahren wurde die Therapie aufgrund einer dekompensierten Herzinsuffizienz abgebrochen. Interessanterweise war Fosfomycin in der Subgruppe mit Cephalosporin-resistenten Escherichia coli dem im Vergleichsarm eingesetzten Meropenem nicht unterlegen (klinisches Versagen 14,3 % vs. 19,7 %). Insgesamt 38 Patient*innen wurden auf eine rektale Kolonisierung mit multiresistenten Erregern nach Therapieende untersucht. Hier fand sich bei 0/21 Patient*innen im Fosfomycin-Arm und 4/17 Patient*innen im Vergleichsarm (2 ESBL[Extended-Spectrum-Betalaktamasen]- und 2 Oxa-48-positive Isolate) eine Kolonisierung.

Bereits zuvor zeigte eine US-amerikanische Studie bei Patient*innen mit komplizierter Harnwegsinfektion oder Pyelonephritis eine Nichtunterlegenheit von Fosfomycin (3-mal 6 g/Tag) im Vergleich zu Piperacillin/Tazobactam (3-mal 4,5 g/Tag)[15]. Auslösende Erreger in der Studie waren Escherichia coli und Klebsiella spp.

Somit stellt Fosfomycin bei kardial nicht vorerkrankten Patient*innen bei Pyelonephritis oder unkomplizierter Urosepsis durch Escherichia coli möglicherweise eine Carbapenem-sparende Therapiealternative dar. Weitere bestätigende Studien sowie Untersuchungen zum Einsatz bei Klebsiella spp. und anderen Enterobacterales sind erforderlich.

Antibiotic Stewardship im Kontext von COVID-19 – bakterielle Koinfektionen und empirische antibiotische Therapie

Bakterielle Koinfektionen sind bei COVID-19 im Vergleich zum Auftreten bei anderen Virusinfektionen wie Influenza selten. Die Prävalenz bakterieller Koinfektionen wurde in einer großen amerikanischen Kohortenstudie mit 3,5 % angegeben [29]. Koinfektionen wurden hier definiert als ein positiver mikrobiologischer Befund in den ersten 3 Tagen nach Hospitalisierung. Im selben Kollektiv wurde bei fast der Hälfte der COVID-19-Patient*innen eine empirische antibiotische Therapie begonnen. Auch in einer Metaanalyse von 24 Studien konnten diese Trends bestätigt werden: Hier zeigte sich sogar, dass fast 72 % aller COVID-19-Patient*innen eine antibiotische Therapie erhielten, und die Rate an bakteriellen Koinfektionen war mit 3,5 % ebenfalls niedrig [19]. Einschränkend ist zu konstatieren, dass die Datenerhebungen aus der Frühphase der Pandemie stammen. Insbesondere zu Beginn der Pandemie war eine empirische antibiotische Therapie bei hospitalisierten COVID-19-Patient*innen üblich. Dennoch unterstreichen die epidemiologischen Daten eindrucksvoll die Notwendigkeit für einen umsichtigen und gut begründeten Einsatz von Antibiotika bei COVID-19.

Die deutsche S3-Leitlinie zur stationären Therapie von COVID-19-Patient*innen betont aufgrund der Seltenheit von bakteriellen Koinfektionen, dass keine prophylaktische antibiotische Therapie erfolgen sollte [17]. Bei begründetem klinischem Verdacht auf eine Koinfektion im Sinne einer bakteriell bedingten ambulant erworbenen Pneumonie sollten die Diagnostik und Therapie entsprechend den Pneumonie-Leitlinien durchgeführt werden. Mittel der Wahl sollten somit bei ambulant erworbenen pulmonalen Koinfektionen Aminopenicilline (z. B. Amoxicillin) sein. Bei entsprechenden Risikofaktoren/Komorbiditäten oder aber zunehmender Krankheitsschwere sollte ein Aminopenicillin in Kombination mit einem Betalaktamaseinhibitor (z. B. Ampicillin/Sulbactam) eingesetzt werden. Die leitliniengerechte Therapiedauer von 5 bis 7 Tagen sollte eingehalten werden.

Bei COVID-19 sollte keine prophylaktische antibiotische Therapie erfolgen

Auch die webbasierten Empfehlungen der Infectious Diseases Society of America (IDSA) zum Thema ABS und Ko- bzw. Sekundärinfektionen bei COVID-19 sehen keine ausreichende Evidenzgrundlage für den routinemäßigen Einsatz einer empirischen Antibiotikatherapie bei bestätigter COVID-19-Infektion [32]. Eine entsprechende Therapie sollte nur bei begründetem klinischem Verdacht begonnen werden. Hinweisend hierauf kann neben einer lobären Konsolidierung in der Bildgebung eine relevante Leukozytose oder auch ein wiederbeginnendes Fieber nach anfänglicher Entfieberung sein. Differenzialdiagnostisch zu beachten ist eine mögliche Leukozytose nach immunmodulatorischer Therapie mit Dexamethason.

Sekundärinfektionen bei kritisch oder langzeiterkrankten COVID-19-Patient*innen

Sekundäre bakterielle Infektionen (vorwiegend als Infektion > 48 h nach Hospitalisierung definiert) sind im Gegensatz zu Koinfektionen häufiger, insbesondere bei kritisch-kranken COVID-19-Patient*innen. In einer Metaanalyse von 118 Studien wurden Sekundärinfektionen bei 24 % der COVID-19-Patient*innen beschrieben [22]. Signifikant erhöht sind nosokomiale Infektionen bei invasiv beatmeten Patient*innen und bei Schwerstkranken, die einer extrakorporalen Organersatztherapie bedürfen (z. B. ECMO oder Hämodialyse).

In einer großen prospektiven Kohortenstudie, die fast 50.000 Patient*innen aus 260 Krankenhäusern Großbritanniens umfasste, konnten als häufigste Pathogene für sekundäre bakterielle respiratorische Infektionen Staphylococcus aureus und Enterobacterales identifiziert werden [24]. Bei den nosokomialen Blutstrominfektionen dominerten Escherichia coli und Staphylococcus aureus.

Gramnegative Erreger und Staphylococcus aureus sollten daher bei Verdacht auf Vorliegen schwerwiegender Sekundärinfektionen v. a. bei kritisch kranken COVID-19-Intensivpatient*innen in der empirischen Therapie berücksichtigt werden. Bei Verdacht auf eine nosokomiale pulmonale Sekundärinfektion ist eine Aminopenicillin/Betalaktamase-Inhibitor-Kombination (z. B. Ampicillin/Sulbactam) in der Frühphase der Hospitalisierung und bei fehlenden Risikofaktoren für multiresistente Erreger zu präferieren. Bei entsprechenden Risikokonstellationen sind Pseudomonas-wirksame Substanzen wie Acylaminopenicilline/Betalaktamase-Inhibitor (z. B. Piperacillin/Tazobactam) erforderlich.

Neben bakteriellen Erregern muss bei kritisch kranken COVID-19-Patient*innen – insbesondere bei zusätzlichem „acute respiratory distress syndrome“ (ARDS) auch eine Aspergillose differenzialdiagnostisch berücksichtigt werden. Prävalenzangaben in der Literatur streuen breit (0–33 %) nicht zuletzt aufgrund der unterschiedlich angelegten diagnostischen Kriterien und vielfältigen Patient*innenkollektive in den Studien [30]. Eindeutig belegt ist, dass die Mortalität bei COVID-19-Patient*innen mit einer sekundären Aspergillose deutlich erhöht ist. Da eine Aspergillose in der Regel erst nach einem längeren Verlauf bei invasiv beatmeten Patient*innen auftritt, ist eine frühe empirische Therapie nicht erforderlich. Ein adäquates Sampling von respiratorischem Material mit entsprechender Aspergillus-Kultur sowie die Bestimmung des Aspergillus-Antigens und ggf. eine Thorax-CT (Computertomographie) liefern wertvolle Hinweise und sollten vor Therapiestart vorliegen.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf ABS(Antibiotic Stewardship)-Programme

Die gängigen ABS-Instrumente entfalten auch in der COVID-19-Pandemie – die entsprechenden Ressourcen vorausgesetzt – ihre Wirkung. In einer israelischen Beobachtungsstudie wurde ein bereits bestehendes ABS-Programm für die ausgewiesenen COVID-19-Stationen angepasst und intensiviert [13]. In einem 1‑ bis 2‑wöchigen Rhythmus wurden die lokalen Behandlungsrichtlinien für COVID-19 durch ein interdisziplinäres Team aktualisiert. Zudem bekamen die COVID-19-Patient*innen versorgenden Stationen bei Eröffnung eine Einweisung in die hausinternen Leitlinien. Unterhalten wurden die Maßnahmen durch tägliche ABS-Visiten durch eine/n Infektiolog*in. Der Antibiotikaverbrauch konnte insbesondere auf den COVID-19-Stationen signifikant reduziert werden.

Allerdings wurden während der Pandemie auch viele bestehende ABS-Programme negativ beeinflusst. Insbesondere ABS-Visiten, Fortbildungs- und Qualitätsmaßnahmen konnten teilweise nicht in dem gewohnten Maße umgesetzt werden [1]. Jedoch eröffnet die Pandemie auch neue ABS-Perspektiven für die Zukunft. So ist die Akzeptanz von videobasierten Fortbildungsformaten erheblich gestiegen. Bei einer aktuell durchgeführten Studie des Universitätsklinikums Freiburg, die ABS-Maßnahmen an nichtuniversitären Krankenhäusern implementiert und deren Auswirkungen untersucht (ID Roll Out-Studie), ist beispielsweise eine webbasierte Fallkonferenz ein wichtiges Element geworden.

Procalcitonin als Antibiotic Stewardship-Tool bei COVID-19

Die Bestimmung des Entzündungsmarkers Procalcitonin (PCT) wird als ein ABS-Instrument zur Identifizierung von Antibiotika-pflichtigen Infektionen in unterschiedlichen klinischen Szenarien genutzt bzw. in Studien untersucht. Auch bei COVID-19-Patient*innen kann ein niedriger PCT-Wert nützlich sein, um Antibiotika abzusetzen oder gar nicht zu beginnen. Ein erhöhter PCT-Wert sollte jedoch nicht das alleinige Kriterium für den Beginn einer antibiotischen Therapie in diesem Patient*innenkollektiv sein, da sich erhöhte PCT-Werte auch ohne bakterielle Ko- oder Sekundärinfektion zeigen können. In einer amerikanischen Studie war dies bei 20 % (PCT-Cut-off ≥ 0,5 ng/ml) bzw. 37 % (PCT-Cut-off ≥ 0,25 ng/ml) der Patient*innen mit COVID-19 ohne Hinweise auf eine bakterielle Infektion der Fall [10].

Von klinischer Relevanz ist die Kenntnis einer möglichen veränderten Kinetik von Entzündungsparametern nach immunmodulatorischer Therapie. Die Kombinationstherapie von Dexamethason und Tocilizumab kann zu falsch negativen Befunden von C‑reaktivem Protein (CRP) und PCT bei vorliegender bakterieller Sekundärinfektion führen [18]. Ebenso wurde ein Rebound-Effekt der Entzündungsparameter nach Beendigung der Dexamethason-Therapie beschrieben, was zu falsch positiven Ergebnissen führen kann. Der PCT-Wert sollte daher bei COVID-19-Patient*innen immer im klinischen Kontext und nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage für oder gegen eine antibiotische Therapie herangezogen werden.

Fazit für die Praxis

  • Der rechtzeitige Beginn einer adäquaten Antibiotikatherapie hat bei der Sepsis und insbesondere beim septischen Schock weiterhin oberste Priorität. Bei unsicherer Diagnose und fehlendem Schock kann aber der Zeitraum bis zur Einleitung der Antibiotikatherapie auf 3 h ausgedehnt werden. In dieser Zeit sollte eine adäquate mikrobiologische Diagnostik angestrebt und ein Infektionsfokus identifiziert und kontrolliert werden.

  • Bei unkomplizierter gramnegativer Blutstrominfektion ist – nach adäquater Fokussanierung und bei gutem Therapieansprechen – eine Therapiedauer von 7 Tagen ausreichend. Eine Oralisierung kann ab Tag 4 erwogen werden.

  • Bakterielle Koinfektionen bei COVID-19 sind selten. Eine prophylaktische antibiotische Therapie ist daher nicht gerechtfertigt. Bei begründetem klinischem Verdacht auf eine pulmonale bakterielle Koinfektion sollte nach entsprechender Diagnostik die Therapie analog den Pneumonie-Leitlinien erfolgen und eine Therapiedauer von 5 bis 7 Tagen nicht überschritten werden.