FormalPara Originalpublikationen

Guy RK, DiPaola RS, Romanelli F, Dutch RE, Guy RK et al (2020) Rapid repurposing of drugs for COVID-19. Science. 368 (6493):829–830. https://doi.org/10.1126/science.abb9332

Manus JM (2020) Recommandations EMA sur l’usage compassionnel du remdesivir. Rev Francoph Lab. (523):19. https://doi.org/10.1016/S1773-035X(20)30191-X

FormalPara Hintergrund.

SARS-CoV‑2 bzw. COVID-19 bestimmen seit Monaten das wissenschaftliche Geschehen und die internationale Publikationstätigkeit. Es besteht weitgehend Übereinkunft, dass die Pandemie dann erst überwunden werden kann, wenn entweder eine gut wirksame Impfung oder aber gut wirksame Medikamente verfügbar sind. Während weltweit zahlreiche Arbeitsgruppen an der Entwicklung von Impfstoffen arbeiten, erscheint die Aussicht auf ein gut wirksames „neues“ Virostatikum weniger aussichtsreich. Aus diesem Grund werden auch bereits vorhandene Substanzen auf ihre Wirkung gegen SARS-CoV‑2 diskutiert und untersucht. Eine relativ kurze rezente Arbeit in Science hat nun derartige infrage kommende Medikamente und deren Wirkmechanismus anschaulich dargestellt.

FormalPara Das Virus und seine Angriffspunkte.

SARS-CoV‑2 ist ein RNA-Virus, dessen Replikation in Wirtszellen erfolgt. Zur Vermehrung muss das Virus an eine Zelle andocken und durch Endozytose in die Zelle eingeschleust werden. In der Wirtszelle erfolgt durch „uncoating“ eine Auftrennung in (einsträngige) RNA und Hüllprotein. Die RNA codiert einerseits für die Herstellung weiterer Proteine (Transkription), andererseits wird diese durch Replikation „kopiert“. Schließlich werden RNA und neu synthetisiertes Hüllprotein zu neuen Viren fusioniert. Diese werden durch Exozytose aus der Zelle ausgeschleust und können in weiterer Folge weitere Wirtszellen befallen. Grundsätzlich könnte die Virusvermehrung auf jeder dieser Stufen unterbrochen werden – allerdings existieren nicht für alle Schritte „Kandidatenmedikamente“. So erscheint z. B. der Einsatz von aus der HIV-Behandlung bekannten Proteaseinhibitoren (Lopinavir und Ritonavir) zur Blockierung der viralen Hüllproteinsynthese nicht zielführend.

FormalPara „Targets“ von Medikamenten.
  1. 1.

    Rezeptoren an der Oberfläche der Wirtszelle

Ein für das Andocken des Virus bedeutender Rezeptor ist ACE2. Das Andocken soll nun dadurch verhindert werden, dass ein rekombinantes humanes ACE2-Analogon diese Bindung verhindert. Das hierfür eingesetzte Präparat ist rhACE2 bzw. APN01.

Ein weiterer Oberflächenrezeptor für die Virusbindung ist TMPRSS2, dieser kann mit den Substanzen Camostat und Nafamostat inhibiert werden. Im Mausmodell zeigten sich diese Substanzen wirksam; Studien an Menschen laufen derzeit u. a. in Deutschland und den Niederlanden.

  1. 2.

    Endozytose und „Uncoating“

Dieser Schritt kann durch die Malariamittel Chloroquin und Hydroxychloroquin sowie das Antibiotikum Azithromycin gehemmt werden.

Die Substanzen wurden insbesondere in der Frühphase der Pandemie vielfach angewandt. Allerdings konnte für diese Substanzen bisher kein wesentlicher Behandlungsvorteil nachgewiesen werden, außerdem wurden beträchtliche Nebenwirkungen (u. a. Herzrhythmusstörungen) beobachtet. Großteils wird daher mittlerweile auf den Einsatz dieser Substanzen verzichtet.

  1. 3.

    RNA-Replikation

Für diesen Schritt ist das durch Translation entstehende Protein RdRp erforderlich, dieses kann durch Remdesivir und Favipiravir inhibiert werden. Remdesivir wurde ursprünglich zur Behandlung von Ebola und „Marburg disease“ eingesetzt, hat sich dabei aber nur als mäßig effektiv erwiesen. Im Tiermodell wurde für Remdesivir eine Wirksamkeit gegen SARS-CoV‑1 und MERS-CoV gezeigt. Anwendungen bei SARS-CoV‑2 deuten nun bei schweren Erkrankungen auf eine Abkürzung und Abschwächung des Krankheitsverlaufes, weshalb für das Medikament zuletzt nach der „Food and Drug Administration“ (FDA) auch von der „European Medicines Agency“ (EMA) die Empfehlung für eine bedingte Zulassung (für Patienten über 12 Jahren mit zusätzlichem Sauerstoffbedarf) ausgesprochen wurde.

FormalPara Diskussion.

Die in der zitierten Arbeit beschriebenen Wirkmechanismen und (Nicht‑)Wirksamkeiten sollten grundsätzlich auch für die Kinderpneumologie gelten, allerdings fehlen für diese Altersgrupppe noch relevante Studien. Dies auch deshalb, weil Kinder sehr viel seltener schwere SARS-CoV-2-bedingte pneumologische Erkrankungen zeigen und die Fallzahlen somit insgesamt gering sind. Und während bei Erwachsenen präexistente Erkrankungen wie Asthma bronchiale oder Zystische Fibrose als Risikofaktoren angesehen werden, scheinen diese bei Kindern den Krankheitsverlauf nicht signifikant zu aggravieren [1]. Die bestmögliche Behandlung der Grunderkrankung bleibt daher im Vordergrund, und überzogene Hygienemaßnahmen sind ebensowenig angebracht wie übertriebene „Coronaangst“. Wenn sich im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion doch eine schwere pneumologische COVID-19-Erkrankung und Intensivpflichtigkeit ergibt, kommen die für Erwachsene angewandten Medikamente gleichermaßen in Betracht. Als Virostatikum steht somit ebenfalls Remdesivir an erster Stelle. Auch die übrige Therapie ist mit jener bei Erwachsenen weitgehend vergleichbar: zusätzlicher Sauerstoff, Atemunterstützung bzw. Beatmung, antiinflammatorische Therapie v. a. mit Steroid/Prednisolon, ev. Antikoagulation mit niedermolekularem Heparin (NMH). Bei der schweren Kawasaki-ähnlichen Sonderverlaufsform PIMS („pediatric inflammatory multisystem syndrome“) kommen zusätzliche Medikamente (insbesondere Zytokininhibitoren) in Betracht. Die derzeit steigende COVID-19-Fallzahl auch im Kindes- und Jugendalter wird voraussichtlich zusätzliche Erkenntnisse liefern, welche Medikamente welchen Anteil an einer erfolgreichen Behandlung haben, und ob letztlich zusätzliche Medikamente/Maßnahmen in Betracht kommen.

FormalPara Fazit.

Die Autoren des oben zitierten Artikels fassen zusammen, dass als Medikamente zur Behandlung von COVID-19 v. a. Hydroxychloroquin, Azithromycin, Camostat, Nafamostat, Remdesivir und Favipiravir in Betracht kommen. Sie betonen aber auch, dass keines dieser Medikamente eine wirklich zufriedenstellende Behandlungsoption darstellt. Sie fordern weitere sorgfältig geplante prospektiv randomisierte Studien, betonen aber auch den sich aus der aktuellen Situation ergebenden Zeitdruck:

It is necessary for all involved to work faster and more efficiently.