Nach neuesten Forschungsergebnissen, die auf der Basis von Analysen des Genoms beruhen, ist das Mycobacterium tuberculosis (Mtb) weitaus älter als bislang angenommen. Schon vor etwa 70.000 Jahren dürfte es den Menschen auf seiner Migration aus Afrika begleitet haben [1]. Aus der Sicht des Bakteriums ist dies eine sehr erfolgreiche Reise geworden: Schätzungsweise ein Drittel der Weltbevölkerung ist mit dem Erreger infiziert und die Tuberkulose (TB) gehört global nach wie vor zu den häufigsten Infektionskrankheiten.

Mitte der 1970er Jahre gab es die Hoffnung und bei einigen den Glauben, dass die TB so gut wie besiegt sei. Dies hat sich leider als großer Irrtum herausgestellt. Als Folge der AIDS-Epidemie mit der Koinfektion von HIV und TB sowie durch die Entwicklung von Resistenzen gegen die wichtigsten antituberkulösen Medikamente ist eine als dramatisch zu bezeichnende Situation entstanden. Bereits 1993 musste die WHO die TB-Situation zu einem globalen Notfall („global emergency“) erklären, 2011 entwickelte die WHO einen speziellen Notfallplan gegen die TB-Krise in Europa.

Das Genom von Mtb wurde 1998 entziffert und seit Anfang dieses Jahrhunderts – also seit etwas mehr als 10 Jahren – gibt es deutlich vermehrt Anstrengungen der Wissenschaft, unterstützt vorwiegend durch die 2001 gegründete „Stop TB Partnership“, zu Fortschritten in der Diagnostik, Therapie und Impfung der TB zu gelangen. Diese Fortschritte – aber auch die Defizite in der Bekämpfung der TB – zu beschreiben, ist das Ziel dieses Schwerpunkthefts.

Im ersten Beitrag zur Epidemiologie der TB geben Barbara Hauer und Koautoren vom Robert-Koch-Institut (RKI) einen umfassenden Überblick über die Situation in der Welt, in Europa und in Deutschland. Die WHO schätzt, dass 2011 8,7 Mio. Menschen neu an TB erkrankten, darunter 1,1 Mio. (13%) mit einer HIV-Koinfektion. Die neuesten Zahlen für 2012 sind mit 8,6 bzw. 1,1 Mio. nahezu gleich [2]. Angestiegen ist dagegen die Zahl der geschätzten Fälle mit einer MDR-TB: Von 2011 mit 310.000 auf 450.00 Fälle im Jahr 2012, davon 9,6% mit einer XDR-TB. Die höchsten Raten finden sich nicht weit von Deutschland in den Staaten der früheren Sowjetunion. Innerhalb Europas gibt es ein deutliches Ost-West-Gefälle. Deutschland hat inzwischen weltweit eine der niedrigsten Inzidenzen: 2011 mit 5,3/100.000 (4318 Neuerkrankungen mit einem steigenden Ausländeranteil). 2012 zeigte sich nur eine geringe Abnahme mit 5,2/100.000 bzw. 4227 Fällen [3]. Die Prävalenz der TB/HIV-Koinfektion wird auf 4,5% geschätzt, der Anteil an MDR-TB beträgt nur 2,0%; bei Fällen aus der früheren Sowjetunion liegt er dagegen bei 11,5%. Die Autoren machen besonders auf das global vernachlässigte Problem der TB bei Kindern aufmerksam, auch in Deutschland ist hier ein steigender Trend zu beobachten. Abschließend weisen sie auf die Gefahren hin, die mit dem Rückgang der TB in Deutschland entstehen. Sie fordern den Erhalt ausreichender Kapazitäten im öffentlichen Gesundheitsdienst, da die Erkrankungen immer komplexer verlaufen. Auch ihre Forderung nach einer besseren Erfassung des HIV-Status sowie nach einer systematischen Einführung der molekularen Typisierung der Erreger ist sehr zu unterstützen.

In Deutschland steigen die TB-Fälle bei Kindern

Passend dazu, schildern im Anschluss daran Stefan Niemann vom Forschungsinstitut Borstel und Roland Diel von der Universität Kiel (beide gehören übrigens zu dem Autorenteam des eingangs zitierten Artikels [1]) die beachtlichen Fortschritte, die auf dem Gebiet der molekularen TB-Epidemiologie erzielt worden sind. Das Verständnis der lokalen Übertragungsdynamik wie auch der globalen Ausbreitung bestimmter Varianten des Mtb-Komplexes (MTBK) ist für die Entwicklung optimierter TB-Kontrollstrategien von entscheidender Bedeutung. Die Autoren legen dar, dass die Genotypisierung klinischer MTBK-Isolate („genetischer Fingerabdruck“) hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten kann, zumal sie sich inzwischen als Standardmethode für epidemiologische Studien und für Untersuchungen der Populationsstruktur etabliert hat. Klassische Anwendungen umfassen die Untersuchung von Laborkontaminationen sowie die Ermittlung von Infektionsketten mit frischen Übertragungen und Ausbrüchen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Analyse der Übertragbarkeit und Ausbreitung komplex-resistenter MTBK-Stämme. Neuere Ansätze, die auf einer Genomanalyse mittels „Next Generations Sequencing“ (NGS) basieren, könnten in Zukunft die bisherigen „klassischen“ diagnostischen und Genotypisierungsverfahren ersetzen.

Im nächsten Beitrag beschreiben Doris Hillemann, Elvira Richter und Sabine Rüsch-Gerdes vom Nationalen Referenzzentrum für Mykobakterien im Forschungszentrum Borstel deutliche Fortschritte in der bakteriologischen und molekularbiologischen Diagnostik im Hinblick auf die Entwicklung von „Point-of-care“-Tests, die ohne ein Zentrallabor auskommen können. Während sich die Sensitivität der TB-Detektion mittels Lipoarabinomannan (LAM) aus Urinproben immerhin in der Subgruppe der HIV-Infizierten mit einer CD4-Zellzahl von <50/µl als ausreichend erwiesen hat, ermöglicht die Real-Time-PCR mit dem GeneXpert die Detektion von Mtb mit gleichzeitiger Bestimmung der Rifampicin-Resistenz aus Direktmaterial. Insbesondere bei mikroskopisch positiven Proben ist die Sensitivität und Spezifität sehr hoch, so dass die WHO diesen Test mittlerweile als initialen diagnostischen Test bei Verdacht auf MDR-TB oder HIV-assoziierter TB, aber auch bei anderen Indikationen empfiehlt [4].

Zu viele Infizierte müssen präventiv behandelt werden, um eine TB zu verhindern

Leider haben sich die anfänglichen Erwartungen an die bislang verfügbaren Interferon Gamma Release Assays (IGRAs), über die Diagnostik der latenten TB-Infektion (LTBI) hinaus auch in nennenswertem Maße diejenigen Infizierten vorhersagen zu können, die wenig später an TB erkranken, nicht bestätigt, so dass noch immer zu viele Infizierte präventiv behandelt werden müssen, um eine TB zu verhindern [5].

Die angesichts der zunehmenden Resistenzen dringend benötigten Fortschritte in der Entwicklung neuer Medikamente und adjuvanter Therapien sowie die heutige Rolle der Chirurgie bei der pulmonalen TB fassen Ralf Otto-Knapp und Lena Bös vom DZK und Tom Schaberg vom Zentrum für Pneumologie in Rotenburg übersichtlich zusammen. Dabei weisen sie auf die schlechten Behandlungsergebnisse bei MXDR-TB und auf die Schwierigkeiten hin, die u. a. dadurch für das Erreichen der von der WHO gesetzten Ziele in der TB-Kontrolle entstehen. In den letzten Jahren gibt es auf dem Gebiet der Antibiotika einige vielversprechende Neuentwicklungen, wie die von Bedaquilin, Delamanid und PA-824, aber auch Wiederentdeckungen alt bekannter Medikamente wie Linezolid, Isoniazid und Clofazimin, die ggf. bei komplex resistenten Tuberkulosen eingesetzt werden können. Auch neue adjuvante Therapieansätze wie mit Verapamil und Vitamin C werden in dem Beitrag vorgestellt. Außerdem wird der aktuelle Stellenwert chirurgischer Maßnahmen, besonders als zusätzliche Maßnahme in der Therapie schwierig zu behandelnder Lungentuberkulosen, kritisch analysiert. Abschließend gehen die Autoren kurz auf neue Entwicklungen in der Behandlung der LTBI mit Rifapentin ein.

Im letzten Beitrag gibt Stefan H.E. Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin einen Überblick über den aktuellen Stand in der Entwicklung neuer Impfstoffe, die speziell im letzten Jahrzehnt eingesetzt hat. Seit der Entwicklung von BCG vor rund 100 Jahren – einem Präexpositionsimpfstoff, mit dem eine TB-Erkrankung, insbesondere schwere Formen bei Kindern, für beschränkte Zeit verhindert werden kann – gibt es aus der Fülle der Vakzine-Programme noch keinen neuen Impfstoff, der alle klinischen Studien erfolgreich durchlaufen hat; viele befinden sich aber in der fortgeschrittenen klinischen Prüfung. Diese Impfstoffe zielen auf die Prävention der aktiven TB ab. Die Mehrheit ist dabei für den Einsatz vor TB-Exposition gedacht, in jüngerer Zeit sind aber auch Vertreter für einen Zeitpunkt nach der Exposition oder zur Mehrphasenapplikation hinzugekommen. Auch einige therapeutische Impfstoffe befinden sich in der klinischen Testung. Es ist somit zu hoffen, dass mit qualitativ verbesserten Impfstoffen die Prävention oder Beseitigung der Mtb-Infektion und damit die Gefahr der TB-Reaktivierung möglich wird. Der Autor stellt fest, dass sich die ehrgeizigen Ziele eines umfassenden TB-Impfschutzes nur unter enger Zusammenarbeit von Bioinformatikern, Wissenschaftlern im Labor und klinischen Forschern erreichen lassen.

Die WHO schätzt, dass etwa 20 Mrd. US-$ in den nächsten 10 Jahren oder 2 Mrd. US-$ jährlich an Forschungsmitteln für neue Interventionsmöglichkeiten auf den Gebieten der Diagnostik, Therapie und Impfung sowie der Managementforschung („operational research“) notwendig wären, um das Ziel einer Elimination der TB zu erreichen. Gegenwärtig stehen dafür jährlich aber nur etwa 500–650 Mio. US-$ zur Verfügung.

Es gibt Berechnungen, wonach allein in Russland für die Behandlung von MDR-TB jährlich 375 Mio. US-$ notwendig sind [6]. Die direkten und indirekten Krankheitskosten, die jährlich für die TB innerhalb der EU anfallen, werden für 2012 auf über eine halbe Milliarde Euro geschätzt (536.890 Mio. Euro). Hinzu kommen noch die Kosten für den Produktivitätsverlust (DALYs) in Höhe von mehr als 5,3 Mrd. Euro, also fast 6 Mrd. Euro insgesamt [7]. Dies sind enorme Kosten, die eine verstärkte Investition in die TB-Forschung und damit in Richtung Elimination der TB mehr als rechtfertigen.

Derartige Anstrengungen sind elementarer Bestandteil einer neuen 6-Punkte-Strategie der WHO, die neben einer DOTS-basierten Behandlung die bestmögliche Diagnostik und Therapie von „vulnerablen“ Patientengruppen, insbesondere von Patienten mit resistenten TB-Formen und HIV-Koinfizierten, fordert [8]. Der Entwicklung von Techniken zur Detektion und von neuen Medikamenten zur Behandlung der TB wird neben der Impfstoffentwicklung künftig eine entscheidende Bedeutung zukommen, um die weitere Reise des Tuberkuloseerregers zu stoppen.

Wir bedanken uns bei allen Autoren für Ihre wertvollen Beiträge.

Prof. Dr. Robert Loddenkemper und Prof. Dr. Roland Diel