Die Tuberkulose gehört neben HIV/Aids und Malaria zu den 3 großen Killern der Menschheit und ist trotz rasanter Entwicklung der Erkrankungs- und Todeszahlen von HIV immer noch die bakterielle Infektionskrankheit mit den meisten Erkrankungs- und Todesfällen weltweit. Tuberkulose stellt nicht nur in Ländern der Dritten Welt zusammen mit der HIV-Infektion, sondern zunehmend auch in weiten Teilen Europas, v. a. in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, ein ernstes sozioökonomisches Problem dar.

Weltweit sind rund 20 Mio. Menschen an aktiver Lungentuberkulose erkrankt, und jährlich kommen etwa 9,4 Mio. Neuerkrankungen hinzu, Tendenz steigend. Jedes Jahr sterben etwa 1,7 Mio. Menschen an den Folgen der Tuberkulose, davon 380.000 nach einer Koinfektion mit M. tuberculosis und HIV [1]. Auch der Anstieg von multiresistenten Stämmen von M.  tuberculosis stellt ein zunehmendes Problem dar, außerdem nimmt die Zahl der Resistenzen pro klinischem Isolat dramatisch zu: Neben multiresistenten Stämmen („multidrug-resistant“, MDR, Resistenz gegen First-line-Drugs) werden zunehmend XDR-Stämme isoliert („extensively drug resistant strains“, Resistenzen gegen First- und einige Second-line-Drugs). Auch wurden in den letzten Jahren sogar noch resistentere Varianten gemeldet, die mit XX-DR („extremely drug resistant“) oder „TDR“ („totally drug resistant“) bezeichnet werden. Mit der Erweiterung der Europäischen Union am 01.05.2004 ist dieses Problem der Nachfolgestaaten der Sowjetunion ins Blickfeld der westlichen Nachbarstaaten geraten. Im Jahr 2005 erklärte die WHO die Tuberkulose in der WHO-Euro-Region zum regionalen Gesundheitsnotfall, da die Zahlen und Resistenzen stark ansteigen. Im Oktober 2007 tagte in Berlin ein Ministerforum der Gesundheitsminister aus den 53 Ländern der WHO-Euro-Region, die von Portugal bis ans östliche Ende Asiens reicht und auch Zentralasien einschließt. Ziel war eine Bewusstmachung des Tuberkuloseproblems in der Region. Die vom Ministerforum verabschiedete Berlin Declaration [2] fordert u. a. mehr Forschung zur Verbesserung der Diagnostik, Therapie und für neue Impfstoffe. Grundlage für alle Forschungsbemühungen ist das Verständnis der Interaktion zwischen Erreger und Wirtsimmunsystem, das im Folgenden skizziert werden soll. Im Jahr 2009 fand im Rahmen des World Health Summit in Berlin eine Folgekonferenz statt, auf der die Fortschritte in Tuberkulosekontrolle und -forschung in den letzten 2 Jahren evaluiert wurde.

Die WHO fördert alle Bemühungen um eine effektive Tuberkulosekontrolle weltweit. So konnten seit Einführung der WHO-Strategie zur Tuberkulosekontrolle 1995 weltweit 41 Mio. Menschen erfolgreich behandelt werden. Trotzdem steigt jedes Jahr die Zahl der Neuerkrankungen und wird bald die 10-Millionen-Marke erreichen. Eine konsequente Verbesserung der diagnostischen Standards in den Hochprävalenzländern, ein Ausbau von Public-Health-Maßnahmen und die Entwicklung neuer Medikamente können zu einer wirksamen Bekämpfung der Neuerkrankungsrate führen. Die WHO betrachtet aber auch die Entwicklung eines neuen Impfstoffes als die wirksamste Waffe im Kampf gegen die Tuberkulose. Dies wurde von ihrem Vertreter anlässlich der Konferenz „TB Vaccines – A Second Global Forum“ im September 2010 in Tallinn noch einmal betont.

Grundlagen für das Verständnis der Immunantwort gegen Tuberkulose

M. tuberculosis wird v. a. durch Tröpfchen von Mensch zu Mensch übertragen. In den meisten Fällen werden diese inhalierten Tröpfchen bereits in den Bronchien oder Alveolen eliminiert bzw. mechanisch durch Zilienbewegung aus dem Bronchialsystem zum Rachen hin entfernt. Die Wahrscheinlichkeit einer bleibenden Infektion hängt stark von Umweltfaktoren, Häufigkeit und Dauer der Exposition sowie Konzentration und Größe der erregerhaltigen Tröpfchen ab. Von allen Infizierten können 90% den Tuberkuloseausbruch durch die eigene Immunantwort verhindern, sodass sie klinisch inapparent bleiben und ein Leben lang von der Infektion nichts bemerken.

Von allen Infizierten können 90% den Tuberkuloseausbruch durch die eigene Immunantwort verhindern

Die lungenständigen Alveolarmakrophagen stellen die erste Verteidigungslinie gegen M.  tuberculosis dar. Sie phagozytieren die eingedrungenen Mykobakterien, können sie aber intrazellulär nicht abtöten. Weitere mononukleäre Phagozyten und dendritische Zellen (DC), die chemotaktisch an den Ort der Infektion gerufen werden, sind auch nicht in der Lage, die Erreger vollständig zu eliminieren. Die Phagozytose durch diese professionellen (= effektiveren) antigenpräsentierenden Zellen (APC) wird über verschiedene Oberflächenrezeptoren vermittelt, wobei der Eintrittsweg entscheidend für die spätere intrazelluläre Abtötung der Mykobakterien werden kann. Die Blockierung in der Reifung mykobakterienhaltiger Phagosomen in einem frühen Stadium stellt einen wesentlichen Überlebensmechanismus von M. tuberculosis dar. Wenn eine intrazelluläre Abtötung schon nicht gelingt, muss sich das Immunsystem mit der nächstbesten Strategie begnügen. Dann soll erreicht werden, dass die infizierten Makrophagen die intrazellulären Mykobakterien an einer weiteren Ausbreitung im Wirtsorganismus hindern. Sie präsentieren mykobakterielle Antigene an spezifische T-Zellen und leiten so eine adaptive Immunantwort ein. Durch die Rekrutierung verschiedener spezialisierter Abwehrzellen wird eine fein abgestimmte Immunantwort orchestriert, die ihr morphologisches Korrelat im tuberkulösen Granulom hat.

Lokale Immunantwort im tuberkulösen Granulom

Makrophagen, Epitheloidzellen, vielkernige Langhans-Riesenzellen und Lymphozyten bilden zusammen das tuberkulöse Granulom, indem sie konzentrische Zellinfiltrate um einen zentralen Nekroseherd bilden [3]. Diese Struktur und besonders die zelluläre Infiltration haben die Aufgabe, M.  tuberculosis am Ort der Primärinfektion zu isolieren und eine Ausbreitung im Wirtsorganismus zu verhindern. Deshalb ist auch die Immunantwort gegen M. tuberculosis auf diesen Ort der Eindämmung konzentriert, und die Verhinderung eines Krankheitsausbruchs hängt maßgeblich vom Erfolg der lokalen Immunantwort im Tuberkulosegranulom ab.

Die Entwicklung des Granuloms wird durch das Zusammenspiel von Chemokinen und Zytokinen organisiert, die von lokalen Gewebezellen oder infiltrierten Leukozyten sezerniert werden. Dabei übernehmen Granulozyten und später Makrophagen die primäre Phagozytose. Es ist unklar, ob diese erste Verteidigungslinie des angeborenen Immunsystems später das nekrotische Material im Granulomzentrum bildet [4]. Im weiteren Verlauf werden beide Zelltypen von den Lymphozyten als dominierende Zellpopulation abgelöst. Ein koordiniertes Zusammenspiel der Zellen ist für die Aufrechterhaltung des produktiven Granuloms und damit für eine langfristige Eindämmung der Mykobakterien auf den Ort der Primärinfektion wichtig. Sie wird gewährleistet durch die Ausbildung von follikelähnlichen aktiven Zentren rund um die granulomatöse Läsion, deren Struktur deutlich an die Architektur eines sekundären lymphatischen Organes erinnert [5]. Durch permanente Aktivierung gewährleistet die Immunantwort ein dynamisches Gleichgewicht zwischen dem Erreger und dem Wirtsimmunsystem [6]. Die Eindämmung muss äußerst effektiv zu sein, wenn man bedenkt, dass 90% aller Infektionen mit M.  tuberculosis nicht in eine aktive Tuberkulose münden [7]. Solange das Immunsystem uneingeschränkt arbeiten kann, bleibt diese komplizierte Eindämmung des Erregers am Ort seiner (Primär-)Infektion erfolgreich.

Latenz

Ein wichtiger Aspekt der Immunantwort gegen M. tuberculosis ist die Suche nach Korrelaten des Schutzes. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, also etwa 2 Milliarden Menschen, ist mit M. tuberculosis infiziert. Neunzig Prozent davon bleiben latent infiziert, ohne jemals eine aktive Tuberkulose zu entwickeln. Unter Latenz werden bei Tuberkulose die Abwesenheit klinischer Symptome und von radiologisch nachweisbaren Lungenläsionen bei gleichzeitig vorliegender Infektion mit M.  tuberculosis verstanden, die über den Tuberkulintest bzw. Interferon-γ-basierte Tests nachgewiesen wird (s. unten). Der Erreger persistiert in Anwesenheit eines funktionierenden Immunsystems und überlebt intrazellulär in professionellen APC und granulomatösen Läsionen (s. oben). Die vollständige Entschlüsselung des Genoms von M. tuberculosis durch Cole et al. [8] im Jahr 1998 hat die Grundlagen für diese Untersuchungen geliefert.

Persistenz, endogene Reaktivierung und exogene Reinfektion

Wie in den vorherigen Abschnitten beschrieben, ist die Immunantwort in den allermeisten Fällen durchaus in der Lage, die Erreger in Schach zu halten, d. h. den Ausbruch einer aktiven Tuberkulose erfolgreich zu verhindern. M. tuberculosis reagiert auf diese effiziente Immunantwort mit einer Veränderung seines Aktivitätszustands. Die Stoffwechselaktivität und die Replikationsrate werden stark gedrosselt: Der Erreger befindet sich im Zustand der Dormanz. Klinisch wird die Infektion mit M. tuberculosis als inapparent bezeichnet, d. h., es finden sich keine diagnostischen Zeichen einer Erkrankung. Diese ist auf den primären Affekt in der Lunge reduziert, enthält aber lebende Mykobakterien: Der Wirt befindet sich im Zustand der Latenz. Vom immunologischen Standpunkt aus wird dieses Phänomen eines bakteriellen Überlebens in Gegenwart einer aktiven Immunantwort als Persistenz des Erregers bezeichnet (Definitionen in [9]).

Seit der Sequenzierung des Genoms von M. tuberculosis [8] ist es möglich, genetische Faktoren zu untersuchen, die für den Zustand der Persistenz der Mykobakterien essenziell sind. Dies bietet die Möglichkeit, Angriffspunkte für neue antituberkulotische Medikamente zu entwickeln, die nun nicht mehr nur nach ihrer Effektivität selektioniert werden, stoffwechselaktive Mykobakterien entweder abzutöten (tuberkulozid) oder im Wachstum zu hemmen (tuberkulostatisch), sondern gegen Genprodukte oder Mechanismen gerichtet sind, die für die mykobakterielle Persistenz entscheidend sind.

Eine vom klinischen und immunologischen Standpunkt zentrale Frage ist, welche Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass M.  tuberculosis aus der Dormanz in einen aktiven Zustand übergeht (endogene Reaktivierung), oder generell, welche Faktoren für das Ausbrechen einer aktiven Tuberkulose verantwortlich sind. Retrospektive Studien besonders aus der Zeit in Europa nach dem 2. Weltkrieg zeigten, dass (Postprimär-)Tuberkulosen die primäre Ursache einer endogenen Reaktivierung persistierender Mykobakterien sind [10].

Die Postprimärtuberkulose scheint sowohl durch endogene Reaktivierung als auch durch exogene Reinfektion hervorgerufen zu werden. Die exogene Reinfektion bei bestehender persistierender mykobakterieller Infektion beweist, dass die Aktivierung des Immunsystems selbst durch eine natürliche Infektion keinen ausreichenden Schutz vor dem Ausbruch der Erkrankung bietet. Also muss ein möglicher neuer Impfstoff das Immunsystem besser aktivieren als die natürliche Infektion mit dem Erreger selbst, um den Ausbruch der Erkrankung sicher zu verhindern.

Ob ein Infizierter im Laufe seines Lebens eine aktive Tuberkulose entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab, die sein Immunsystem negativ beeinflussen können: Alter, Unterernährung, HIV-Infektion, immunsuppressive Medikamente und andere Infektionen oder Erkrankungen. Darüber hinaus gibt es genetische Ursachen für eine Empfänglichkeit für oder eine Resistenz gegen Tuberkulose. Es ist zurzeit noch nicht bekannt, welchen relativen Anteil exogene und genetische Faktoren bei der Erkrankung an aktiver Tuberkulose haben und ob das Risiko zu erkranken eher genetisch determiniert oder stochastisch abläuft. Ein von der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) gefördertes und unter Federführung des Max-Planck-Institutes für Infektionsbiologie in Berlin und der Universität Leiden laufendes Grand-Challenge-Projekt hat deshalb das Ziel, Korrelate der Empfänglichkeit und der Protektion bei Tuberkulose zu definieren und Biomarker zu bestimmen, die es dann ermöglichen sollen, geeignete Strategien für neue Impfstoffe zu entwickeln und neue Impfstoffkandidaten in kurzen Zeiträumen auf ihre Effektivität hin zu überprüfen [11, 12].

Effektive Immunantwort und ihre Bedeutung für die Impfstoffentwicklung

Die Effektivität des zurzeit eingesetzten Impfstoffs, M.  bovis BCG (Bacille Calmette Guérin), wird kontrovers diskutiert. Sie reicht von 80% in Großbritannien bis 0% in Indien. Sicher ist, dass eine BCG-Impfung im frühen Kindesalter die gefürchteten schlimmen Verläufe einer tuberkulösen Meningitis und Miliartuberkulose verhindern kann [13, 14].

Die BCG-Impfung bietet keinen ausreichenden Schutz vor Lungentuberkulose beim erwachsenen Patienten.

Darüber hinaus hat die BCG-Impfung nicht zu einem Rückgang der weltweiten Inzidenz und Prävalenz der Tuberkulose beigetragen, obwohl sie mit mehr als 3 Milliarden Applikationen und über 90 Jahren Anwendung die am weitesten verbreitete Impfung überhaupt ist. Die alarmierenden Zahlen der WHO (s. oben, [1]), die Entwicklung von MDR-Tuberkulose v. a. in Ländern der ehemaligen Sowjetunion, in China und Indien und besonders die dramatischen Zahlen der Tuberkulose- und HIV-Koinfektionen in Afrika machen die Entwicklung besserer Impfstoffe gegen Tuberkulose dringlicher denn je (s. oben, [15, 16]).

An einen neuen Impfstoff wird die Forderung nach einer besseren Immunität als nach natürlicher Infektion gestellt, die die Erkrankung sicher verhindert, auch bei natürlicher Prädisposition für Tuberkulose (Postexpositionsprophylaxe, Abb. 1). Darüber hinaus ist zu fordern, dass er besser wirksam ist als der vorhandene BCG-Impfstoff. Aufgrund der beschriebenen Infektionsstrategien und der Immunantwort ist eine infektionspräventive (also die Infektion selbst verhindernde) Vakzine schwer vorstellbar. Im Folgenden sollen Strategien zur Impfstoffentwicklung vorgestellt werden, die die oben skizzierten neueren immunologischen Erkenntnisse zur Infektion mit M. tuberculosis berücksichtigen.

Abb. 1
figure 1

Mögliche Impfschemata (rote Linie ungeimpft, blaue Linie geimpft (nach [15], mit freundl. Genehmigung von Nature Publishing Group). a, b Eine Präexpositionsvakzine sollte Antigene enthalten, die von M. tuberculosis bereits in der Frühphase der Infektion sezerniert werden, z. B. Ag85. Während der Latenzphase wäre eine solche Vakzine allerdings wirkungslos, da dann ein anderes Antigenrepertoire vorhanden ist. c Eine Postexpositionsvakzine sollte Antigene enthalten, die von persistierenden (dormanten) M. tuberculosis produziert werden und so vor einer Reaktivierung schützen (z. B. HspX). d Eine Kombination aus frühen Antigenen in einer Präexpositionsvakzine und Dormanzantigenen in einer Postexpositionsvakzine könnten sowohl vor Kindertuberkulose als auch vor einer Reaktivierung im Erwachsenenalter schützen

Übersicht über Impfstrategien gegen Tuberkulose

Impfstoffkandidaten für eine primäre Impfung – Verbesserungen zum BCG-Impfstoff

Ein möglicher neuer Lebendimpfstoff müsste besser schützen als BCG und gleichzeitig mindestens ebenso sicher sein. Dazu kommen 2 Vorgehensweisen infrage:

  • die Abschwächung von M. tuberculosis durch gezieltes Ausschalten von Virulenzfaktoren und

  • die Verbesserung des vorhandenen BCG-Impfstoffs.

Während ersteres Vorgehen mit erheblichen Risiken belastet ist, lässt letzteres verschiedene Strategien zu. Es reicht bei der Abschwächung von M.  tuberculosis nicht aus, nur die Virulenz von M. tuberculosis in Knock-out-Mutanten zu reduzieren. Weitere genetische Modifikationen sind erforderlich, die die lokale Immunpathologie reduzieren und gleichzeitig die Immunantwort verstärken. Darüber hinaus sind die Wechselwirkungen der ausgeschalteten Gene mit weiteren Pathogenitätsfaktoren unbekannt, sodass das Risiko insgesamt zu groß ist. Zurzeit arbeiten 2 Labore an der Entwicklung eines attenuierten M.-tuberculosis-Impfstammes (Rijswijk, Niederlande; Boston, USA).

Die Verbesserung des BCG-Impfstoffs verfolgt 2 Strategien. Im ersten Fall wird versucht, BCG mit M.-tuberculosis-spezifischen Antigenen zu bestücken, die dem Impfstoff fehlen oder von ihm ungenügend exprimiert werden. BCG besitzt im Vergleich zu M. tuberculosis etwa 130 Gene weniger, die in den „Regions of Difference“ (RD-Regionen) enthalten sind und nicht nur Virulenzfaktoren kodieren, sondern auch möglicherweise immundominante Antigene. Ein Beispiel ist der Antigenkomplex Ag85 (s. oben), der zwar in BCG exprimiert wird, jedoch in wesentlich geringeren Mengen als in M. tuberculosis. Ein rekombinanter BCG-Impfstoff, der nachgewiesenermaßen einen besseren Schutz im Tiermodell bietet als Wildtyp-BCG, ist ein rBCG, das Ag85B überexprimiert und so eine verstärkte CD4-Antwort hervorruft. Dieser Impfstoff wurde bereits erfolgreich an gesunden Menschen getestet [17].

Die zweite Strategie der Veränderungen am BCG-Impfstoff hat eine verbesserte Antigenpräsentation zum Ziel. BCG aktiviert vornehmlich CD4+-T-Zellen, daher würde eine Präsentation von mykobakteriellen Antigenen über den MHC-Klasse-I-Weg und nachfolgende Aktivierung spezifischer CD8+-T-Zellen die Immunantwort entscheidend verbessern. Experimente in Tiermodellen haben ergeben, dass rekombinantes BCG, das Listeriolysin (aus Listeria monocytogenes) exprimiert (rBCG-Hly), besser vor Infektion mit M. tuberculosis schützt als Wildtyp-BCG [18]. Der wahrscheinliche Mechanismus der verbesserten Antigenpräsentation liegt im Crosspriming (d. h. der Präsentation des Materials von einer neuen antigenpräsentierenden Zelle, die es von der untergegangenen übernommen hat und auf verschiedenen Molekülen präsentiert) von mykobakteriellen Antigenen nach Apoptose der Wirtszelle. Ein anderer rBCG-Impfstamm exprimiert ein mutiertes Perfringolysin. In Tiermodellen hat sich dieser rBCG-Stamm als sicherer erwiesen als Wildtyp-BCG. Im Affenmodell liegen zu diesem rBCG bereits vielversprechende Daten vor [19]. Eine Übersicht über die aktuellen, sich in der klinischen Testung befindlichen Lebendimpfstoffkandidaten gibt Tab. 1. Aktuelle Informationen können auf der Homepage der Stop TB Partnership abgerufen werden [20].

Tab. 1 Impfstoffkandidaten in klinischen Studien im Jahr 2009 [20]

Impfstoffkandidaten für das Boosting nach primärer Impfung

Diese Impfstoffkandidaten werden entweder als Antigen + Adjuvans, als DNA-Vakzine oder mithilfe rekombinanter Trägersysteme eingesetzt (sog. Spaltvakzine, „subunit vaccines“). Die meisten dieser Kandidaten basieren auf dem Einsatz früh sezernierter mykobakterieller Proteinantigene, z. B. ESAT-6 („early secretory antigenic target“, 6 kDa, das nur bei M. tuberculosis vorkommt, s. oben) oder Ag85 (Antigen-85-Komplex, das ein gemeinsames Antigen von M. bovis BCG und M. tuberculosis darstellt). Diese Vakzinekandidaten könnten sich als Präexpositionsvakzine eignen. Bei latenten Tuberkuloseinfektionen eignen sich als Postexpositionsvakzine eher Antigene, die während der Dormanz von M.  tuberculosis exprimiert werden, z. B. ein Hitzeschockprotein. Neben Proteinantigenen können auch mykobakterielle Lipide oder Glykolipide in neue Impfstoffe integriert werden. Die mykobakteriellen Lipidantigene sind schon seit Langem als Adjuvans bekannt. Bei einem neuen Tuberkuloseimpfstoff könnten sie sowohl als Adjuvans als auch als Antigene wirken.

Die vielversprechendsten und sich mittlerweile in der klinischen Testung befindlichen Impfstoffkandidaten basieren entweder auf einem Virusvektor oder auf rekombinanten Proteinantigenen von M. tuberculosis (Tab. 1). Ein in das Adenovirus 35 eingebrachter Vektor exprimiert Ag85 und zeigt einen guten Schutz in Tiermodellen, v. a. nach vorheriger Gabe eines Lebendimpfstoffes (s. oben, [17]). Ein weiterer Impfstoffkandidat, MVA85A, wurde bereits in klinischen Studien getestet und wies darin eine polyklonale CD4-Aktivierung sowie gute Daten zur Sicherheit auf. Dieser Impfstamm befindet sich zurzeit in Phase IIb und wird an BCG-immunisierten Kindern getestet. Es konnte sowohl im Tiermodell als auch in den klinischen Studien gezeigt werden, dass die virusvektorbasierten Impfstoffe CD4- und CD8-positive T-Zell-Antworten hervorrufen. Drei rekombinante Proteinantigene befinden sich zurzeit in der klinischen Testung (Tab. 1). Ihr Einsatz als Boosting-Vakzine wird wie für die anderen Totimpfstoffkandidaten auch in Erwägung gezogen (s. unten).

Eine Übersicht über die aktuellen, sich in der klinischen Testung befindlichen Spaltvakzinekandidaten gibt Tab. 1. Aktuelle Informationen können auf der Homepage der Stop TB Partnership abgerufen werden [20].

Aufgrund der Aktivierung einer Immunantwort nur gegen eines oder wenige Antigene werden für die weitere klinische Testung der Spaltvakzinekandidaten sog. Prime-Boost-Schemata favorisiert. Bei einem Tuberkuloseimpfstoff besteht die initiierende („prime“-)Komponente aus dem konventionellen BCG-Impfstoff, gefolgt von dem jeweiligen neuen Impfstoffkandidaten im Sinne eines heterologen Prime-Boost-Schemas (Abb. 1). BCG kann nämlich zugunsten eines neuen, nicht auf BCG beruhenden Impfschemas nicht ohne Weiteres aufgegeben werden, da sein schützender Effekt gegen schwere Verläufe der Tuberkulose im Kleinkindalter belegt ist [13, 14]. Sehr wohl aber könnte als Prime-Anteil ein verbessertes rBCG zum Einsatz kommen. Eine neue Impfstrategie könnte in einem heterologen Prime-Boost-Schema bestehen: Priming mit einem Lebendimpfstoff, Boost mit einer Spaltvakzine.

Ausblick und Empfehlung

Trotz der Fortschritte in der klinischen Testung der Impfstoffkandidaten in den letzten Jahren wird es noch lange dauern, bis ein neuer Impfstoff (oder besser eine Impfstoffkombination, s. oben) weltweit verfügbar sein wird.

Die WHO betrachtet die Entwicklung eines schützenden Impfstoffes nach wie vor als bestes Mittel zur Tuberkulosebekämpfung. Solange dieser aber noch nicht vorliegt, sollten die verfügbaren Instrumente der Tuberkulosekontrolle effektiv angewendet werden. Dazu gehören v. a. eine konsequente mikrobiologische Diagnostik, Public-Health-Maßnahmen zur Prävention und die Entwicklung neuer Medikamente.

Fazit

  • Die Entwicklung eines effektiven Impfstoffes gegen M. tuberculosis ist angesichts der weltweit alarmierenden Zunahme der (oftmals multiresistenten) Tuberkulose und der HIV-Tuberkulose-Koinfektionen in den letzten Jahren in verschiedenen WHO-Weltregionen dringlicher denn je.

  • Die Entwicklung einer Postexpositionsvakzine zusätzlich zur Präexpositionsvakzine (BCG) ist anzustreben.

  • Als eine die Vorteile beider Impfstrategien (Post- und Präexposition) vereinende Möglichkeit ist ein heterologes Prime-Boost-Schema zu erwägen, das ein Priming mit einem rekombinanten BCG-Impfstoffkandidaten und einen Boost mit einer Spaltvakzine umfasst und damit eine spezifische, lang anhaltende Immunantwort hervorruft.