Die aktualisierte Epilepsieleitlinie fordert uns zu einer systematischen Mitbehandlung von psychischen Beschwerden bei Menschen mit Anfallserkrankungen auf. In diesem praxisnahen Beitrag stellen wir vor, wie Organisation und Inhalte individueller psychotherapeutischer Interventionen im stationären epileptologischen Setting in Berlin und Bochum gestaltet werden. Intra- und interprofessioneller Austausch sowie Begleitevaluationen unterstützen die umfassende Umsetzung der Leitlinienempfehlungen.

Hintergrund

Epilepsie und andere Anfallserkrankungen sind komplexe chronische Erkrankungen, die mit diversen psychosozialen Belastungen einhergehen können, z. B. Einschränkungen in Familienplanung, Beruf, Autonomie oder Finanzen. Schon allein deshalb ist die Integration einer psychotherapeutischen Expertise in die interdisziplinäre stationäre epileptologische Arbeit sinnvoll. Darüber hinaus sind Menschen mit Epilepsie überdurchschnittlich oft von psychiatrischen Begleiterkrankungen betroffen [1]. Diese schränken die Lebensqualität ein [2] und gehen mit einem erhöhten Risiko einer Pharmakoresistenz und vorzeitigen Sterblichkeit einher [3, 4], z. B. durch Suizidalität, die auch unabhängig von einer Depression vorliegen kann [5]. Nichtsdestotrotz bleiben Angststörungen und Depressionen bei vielen Betroffenen unerkannt und unbehandelt [6].

Zudem begegnen uns in Epilepsiezentren oft Menschen mit dissoziativen Anfällen, der wichtigsten Differenzialdiagnose und häufigen Begleiterkrankung bei Epilepsie [7]. Die Langzeitprognose von PatientInnen mit ausschließlich dissoziativen Anfällen ist bisher schlecht [8]. Zudem gehen häufige Fehldiagnosen mit unnötigen Nebenwirkungen durch nicht indizierte medikamentöse Behandlungsversuche und hohen Krankheitskosten durch redundante Diagnostik einher.

Die Erkennung und Mitbehandlung psychiatrischer Erkrankungen bei Epilepsie tragen zu einer relevanten Verbesserung der Lebensqualität bei [9]. Deshalb empfiehlt die neue Leitlinie „Epileptischer Anfall und Epilepsien“ [10] die systematische Erhebung eines psychopathologischen Befunds oder den Einsatz von Screeninginstrumenten. Bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung sollte eine weitere diagnostische Abklärung erfolgen. Die Behandlung von depressiven und Angststörungen bei Epilepsie soll gemäß den hierfür vorhandenen S3-Leitlinien erfolgen [11, 12].

Zudem wurde gezeigt, dass eine aus Sicht der PatientInnen mit dissoziativen Anfällen zufriedenstellende Art der Diagnosevermittlung mit einer Reduktion von Beschwerden und direkten Krankheitskosten einhergeht [13, 14]. Deshalb soll die Diagnosevermittlung bei dissoziativen Anfällen direkt durch die behandelnden ÄrztInnen erfolgen, die auch die Diagnose gestellt haben. Dabei sollen weitere psychoedukative oder psychotherapeutische Optionen aufgezeigt werden.

Hier wird dargestellt, wie die psychotherapeutische Mitbeurteilung und -behandlung psychiatrischer Begleiterkrankungen bei Personen mit Epilepsie und/oder dissoziativen Anfällen in der Epileptologie in Bochum und Berlin praktisch umgesetzt wird.

Strukturen und Finanzierungsmöglichkeiten

Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI, www.dimdi.de) hat 2004 die „Komplexbehandlung bei schwerbehandelbarer Epilepsie“ (OPS 8‑972) definiert. Das Operationen- und Prozedurenschlüssel-System (OPS) wurde eingeführt, um den Behandlungsaufwand und damit die Refinanzierung der stationären Behandlung von bestimmten Patientengruppen im Rahmen der Diagnosis Related Groups (DRGs) zu gewährleisten. Während sich die Fächer „Neurologie“ und „Psychiatrie“ in den 1980er-Jahren zunehmend voneinander entfernten, spiegeln die Inhalte der OPS den Versuch wider, den interdisziplinären Comprehensive Care-Gedanken mit OPS-Ziffern im DRG-System abzubilden [15].

Die „Komplexbehandlung bei schwerbehandelbarer Epilepsie“ OPS 8‑972 umfasst verschiedene personalisierte Therapieziele wie medikamentöse Umstellung oder Absetzen von Medikamenten, Lebenstraining oder Compliancetraining, Patientenschulung, Therapiekontrolle, Psychotherapie, Anfallsselbstkontrolle und Biofeedbacktraining. Neben der Diagnose einer Epilepsie und mindestens 7 Behandlungstagen umfassen die geforderten Mindestmerkmale:

  • wöchentliche Teambesprechung mit wochenbezogener Dokumentation bisheriger Behandlungsziele, des Behandlungsverlaufs und weiterer Behandlungsziele,

  • Vorhandensein und Einsatz von mindestens drei Therapiebereichen: Ergotherapie, Physiotherapie, Neuropsychologie, Psychotherapie, Sozialarbeit, bei Kindern Heil- und Sozialpädagogik in patientenbezogenen ausgewählten Kombinationen und unterschiedlichem Zeitaufwand.

Es existieren zwei weitere OPS zur Erfassung krankenhausspezifischer Leistungen bei Epilepsie, die einen multidisziplinären, insbesondere psychosozialen Blick auf die Betroffenen erfordern: Die „Syndromdiagnose bei komplizierten Epilepsien“ (OPS 1-213) mit den Mindestmerkmalen einer mindestens 14-tätigen Diagnostik sowie des standardisierten multidisziplinären Assessments in mindestens 3 Problemfeldern (Medikamentensynopse mit Nebenwirkungsprofilen und Resistenzprüfung, berufliche und soziale Defizite durch die Epilepsie, neuropsychologische Funktionsstörungen, psychiatrisch relevante Persönlichkeits- und Verhaltensstörung inklusive epilepsiebezogener psychiatrischer Erkrankungen). Die „nicht-invasive präoperative Video-EEG-Intensivdiagnostik bei Epilepsie“ OPS 1-210 umfasst neben dem Video-EEG(Elektroenzephalogramm)-Intensivmonitoring explizit die psychosoziale Betreuung der PatientInnen während des diagnostischen Prozesses. Mit dieser OPS 1-210 kann seit 2012 auch die Diagnose „dissoziative Anfälle“ abgerechnet werden.

Im Jahr 1989 wurden erst im Epilepsiezentrum Bethel/Klinik Mara, später auch in weiteren Kliniken nicht DRG-finanzierte Psychotherapiestationen gegründet, um den komplexen Bedürfnissen neuropsychiatrisch Betroffener gerecht zu werden. Wir sehen jedoch auch im Rahmen unserer DRGs kreative Möglichkeiten, um unserer Aufgabe gerecht zu werden, psychotherapeutisch relevante Diagnosen zu stellen, diese adäquat zu vermitteln und ggf. zur Psychotherapie zu motivieren.

Inzwischen wird auch in der allgemeinen Neurologie wieder eine integrative Sicht- und Arbeitsweise favorisiert [16]. So wird die Integration einer „psychischen Exploration von Anfang an“ [17] in die Diagnostik empfohlen. Wir schätzen diese ergebnisoffene Haltung, die dissoziative Anfälle von Anfang an als mögliche Differenzialdiagnose in Betracht zieht und nicht erst als Ausschlussdiagnose ans Ende der apparativen Untersuchungen stellt und kommuniziert.

Umsetzung und Rahmenbedingungen in Berlin und Bochum

Es wird gezeigt, wie diese umfassende Haltung und diagnostisch-therapeutische Vorgehensweise in Berlin und Bochum umgesetzt wird. Es handelt sich hierbei um Beispiele, mit denen wir inspirieren und Austausch anregen möchten, keineswegs um repräsentative Standards. Diese Eckdaten sollen bei der Einordnung der Ressourcennutzung helfen: In Berlin wird das Vorgehen auf der Station für Erwachsene, auf der Diagnostik oder Komplextherapie erfolgt, beschrieben. Von den 500 stationär behandelten PatientInnen haben ca. 15 % zusätzliche oder ausschließlich dissoziative Anfälle; dieser Prozentsatz entspricht in etwa der publizierten Häufigkeit des Auftretens dissoziativer Anfälle in Epilepsiezentren (18 %), wobei hier das Verhältnis zwischen zusätzlichen und ausschließlichen dissoziativen Anfällen mit ca. 1:4 angegeben wird [8]. In Berlin werden etwa mit der Hälfte dieser PatientInnen psychologische Einzelgespräche und/oder eine neuropsychologische Diagnostik durchgeführt. Hierfür stehen 1,25 psychologische/neuropsychologische Vollzeitkräfte (VK) zur Verfügung.

Für die psychotherapeutische Mitbehandlung in der Ruhr-Epileptologie in Bochum (ebenfalls ca. 500 stationäre PatientInnen mit Anfallserkrankungen) steht eine ärztliche Psychotherapeutin und Fachärztin für Neurologie zur Verfügung, aktuell mit einem Stellenanteil von nur 0,3 VK. Durch den im Vergleich deutlich geringeren psychotherapeutischen Stellenanteil erhält in Bochum nicht jeder Patient mit einem eigentlich eindeutigen Bedarf einen Gesprächskontakt.

Sowohl das Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg am Standort Berlin (gGmbH) als auch die Ruhr-Epileptologie Bochum (Universitätsklinikum mit der Rechtsform einer GmbH) rechnen nach DRG ab.

Indikationsstellung und Anmeldeverfahren

Die Anmeldung in Berlin erfolgt im Krankenhausinformationssystem und informell bei der psychologischen Leitung durch Stations- oder OberärztInnen. Zudem gibt es interdisziplinären Austausch bei morgendlichen Übergaben durch das Pflegepersonal, täglichen Morgenrunden mit TherapeutInnen, der wöchentlichen Teambesprechung und einem Jour fixe, in dem PatientInnen mit Bedarf an psychologischen Interventionen besprochen werden. Auch nehmen PsychologInnen häufig an ärztlichen Visiten teil, bei denen PatientInnen direkt übergeben werden. Die Indikation zum Einzelgespräch wird in Berlin bei vorhandener psychischer Belastung gestellt, unabhängig von der differenzialdiagnostischen Einordnung der Anfallsereignisse. Das psychologische Team in Berlin trifft sich zudem wöchentlich zur Intervision und Fortbildung. Bei im Vergleich deutlich kleineren psychotherapeutischen Personalressourcen wurde in Bochum ergänzend zur informellen Anmeldung von PatientInnen sowie der Teilnahme an der oberärztlich-stationsärztlich durchgeführten Kurvenvisite (zweimal wöchentlich) ein Screening bei EpilepsiepatientInnen etabliert. Hierfür werden das Neurological Disorders Depression Inventory for Epilepsy (NDDI-E) [18, 19] und das brief Epilepsy Anxiety Survey Instrument (brEASI) [20, 21] genutzt. An ein positives Screening schließt eine weiterführende standardisierte Diagnostik an (Mini-DIPS [Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen]) [22] (s. Abb. S1 im Supplement S1). So werden regelmäßig zuvor unerkannte depressive und/oder Angststörungen diagnostiziert (s. Supplement S1). PatientInnen mit dissoziativen Anfällen wird in Bochum im Anschluss an die Diagnosestellung ein psychotherapeutisches Gespräch angeboten. Sollten PatientInnen mit identifiziertem Gesprächsbedarf entlassen werden, bevor ein Gespräch stattfinden konnte, werden sie gebeten, per E‑Mail einen Telefontermin zu vereinbaren.

Hinsichtlich des Screenings ist zu berücksichtigen, dass ein großer Anteil von PatientInnen durch kognitive Leistungseinschränkungen oder Sprachbarriere „durch das Raster fällt“ (s. Supplement S1). Zudem besteht die Möglichkeit falsch negativer Screenings. Daher ist ein Routinescreening nur ergänzend zum primär handlungsleitenden klinischen Eindruck sinnvoll.

Psychotherapeutische Interventionen in der stationären Epileptologie

Strukturell und inhaltlich sind Einzelgespräche im stationären Kontext v. a. durch den begrenzten zeitlichen Umfang klar von ambulanter Therapie abzugrenzen. In Berlin und Bochum schätzen wir einen eklektischen „schulenübergreifenden“ Ansatz. Wir sind davon überzeugt, dass erst der flexible Einsatz unterschiedlicher Methoden die Berücksichtigung der vielfältigen Bedürfnisse aller bei uns behandelter Betroffener ermöglicht. Somit wird der Heterogenität der Patientenpopulation mit individualisierten Einzelgesprächen anstelle eines One-size-fits-all-„Gießkannenprinzips“ begegnet [23]. In Berlin werden darüber hinaus Gruppentherapien angeboten.

Formal sind Einzelgespräche im stationären Kontext auf 50 min/Woche begrenzt. Da viele PatientInnen in Bochum nur einen Gesprächskontakt erhalten (es sei denn, sie werden im Rahmen einer Komplexbehandlung über mehrere Wochen behandelt), dauern die Gespräche wegen des Übergangs der Diagnosevermittlung in eine psychoedukative/ressourcenorientierte Intervention oft länger. Dabei liegt sowohl in Berlin als auch in Bochum der Fokus auf der psychotherapeutischen Arbeit; für umfassende psychiatrische Diagnostik wird auf den ambulanten Kontext verwiesen.

Im Erstgespräch werden die Rahmenbedingungen bekräftigt, z. B. Schweigepflicht und Freiwilligkeit. Zudem steht der Beziehungsaufbau im Mittelpunkt. Dies kann aufgrund schwieriger Lernerfahrungen (z. B. Stigmatisierung oder Mobbing) herausfordernd sein. In Berlin werden daher zusätzlich Gruppentherapien, Morgenrunden und die Teilnahme von PsychologInnen an ärztlichen Visiten genutzt, um die therapeutische Beziehung zu stärken.

Neben einer Exploration der Belastungen wird ein mindestens vergleichbarer Zeitauswand auf die Erhebung vorhandener Ressourcen gelegt, um an vorhandene Bewältigungsstrategien anzuknüpfen. Daraus ergeben sich Ziele für die stationäre Behandlung und darüber hinaus, die nicht immer direkt mit der Anfallserkrankung zusammenhängen, aber oft zumindest teils davon beeinflusst sind.

Besonders bei Betroffenen, bei denen eine Erstdiagnose gestellt wurde, stehen oft Akzeptanz, Krankheitsbewältigung und die Einordnung realistischer Therapieziele im Vordergrund. Dies gilt für Epilepsie und dissoziative Anfälle gleichermaßen, aber auch für komorbide psychiatrische Störungen wie depressive und Angststörungen. Neben der Vertiefung von krankheitsbezogenem Wissen im Einzelgespräch und/oder durch Infobroschüren finden hierzu in Berlin oft auch Netzwerkgespräche mit Bezugspersonen statt, um auf systemischer Ebene Krankheitsakzeptanz und -verständnis zu stärken. In Bochum findet die Einbeziehung von Bezugspersonen aufgrund der reduzierteren psychotherapeutischen Ressourcen leider eher selten statt.

Sowohl bei Epilepsie als auch bei dissoziativen Anfällen können anfallsbezogene psychische Beschwerden mit einem hohen Leidensdruck und Vermeidungsverhalten einhergehen. Aus deren Exploration kann gemeinsam ein individuelles Modell entwickelt werden, das Anfallsfrühzeichen, Belastungen unmittelbar nach einem Anfall sowie erfahrungsbasierte Hypothesen zu Auslösern umfasst. Dies stellt eine strukturierte Grundlage zur gemeinsamen Erforschung von Veränderungsoptionen und den derzeit einzigen bekannten potenziell kurativen Behandlungsansatz bei dissoziativen Anfällen dar. Bei Epilepsie kann er mitunter ergänzend zur medikamentösen/epilepsiechirurgischen Behandlung zur Förderung der anfallsbezogenen Selbstwirksamkeit verfolgt werden. Erfahrungsgemäß profitieren PatientInnen mit Anfallserkrankung im stationären Setting oft von psychotherapeutischen Einzelgesprächen, die den Ausdruck schwieriger Gefühle erleichtern. Hier arbeiten wir beispielsweise mit gestalterisch ansprechenden Gefühlskarten, um den Ausdruck von Gefühlen zu erleichtern [24]; zudem werden allgemeine Grundlagen zur Gefühlsregulation vermittelt [25].

Besonders die Förderung autonomiestiftender Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit ist in Anbetracht von anfallsbedingten Einschränkungen und Kontrollverlustgefühlen bedeutsam. Die Begleitevaluation in Bochum hat gezeigt, dass diese positiven Therapieerfahrungen mit einer relevanten Verbesserung depressiver und Angstsymptome sowie der Lebensqualität und – bei dissoziativen Anfällen – einer Reduktion der Anfallsfrequenz einhergehen (s. Supplement S1). Zudem wird es als zielführend erlebt, gemeinsam mit Betroffenen einen personalisierten poststationären Behandlungsplan zu erstellen.

Kognitive Einschränkungen werden von vielen PatientInnen mit Epilepsie an oberster Stelle alltagsrelevanter Belastungen benannt. In Berlin werden daher zusätzlich zur neuropsychologischen Diagnostik auch neuropsychologische Interventionen wie individuelle Beratung und Gruppentherapie angeboten. In einigen Epilepsiezentren, so auch in Berlin, gibt es eine spezialisierte Station für Menschen mit Epilepsie und Behinderungen, eine Klientel, die oft psychisch belastet ist. Die Etablierung eines angemessenen psychologischen Angebots mit Einzel- und Gruppentherapie ist zwar ressourcenaufwendig, aber notwendig für ein vollständiges Behandlungskonzept.

Wie geht es nach dem stationären Aufenthalt weiter?

In Berlin und in Bochum werden PatientInnen nach individuellem Bedarf Informations- und Selbsthilfematerialien zu Anfallserkrankungen und psychischer Komorbidität (z. B. zu Anlaufstellen der Deutschen Epilepsievereinigung, den Arbeitsheften Selbst-Handeln bei Anfällen [26]) oder psychoedukative Materialien zu dissoziativen Störungen, Angst, Depressionen o. Ä. zur Verfügung gestellt.

Mit PatientInnen mit weiterem psychiatrischem/psychotherapeutischem Behandlungsbedarf wird gemeinsam eine entsprechende stationäre, tagesklinische oder ambulante Weiterbehandlung geplant. (Sub)akute stationäre Weiterbehandlungen (z. B. bei akuter Suizidalität) sind mit einer direkten Kommunikation zwischen Epilepsiezentrum und dem aufnehmenden Krankenhaus verbunden. Demgegenüber bedarf eine tagesklinische oder ambulante Weiterbehandlung eines größeren organisatorischen Aufwands der PatientInnen. Durch die Thematisierung der Ressource „Autonomie“ in Einzelgesprächen wird dazu notwendiges selbstständiges und selbstfürsorgliches Vorgehen unterstützt.

Schnittstelle zu ambulanter Psychotherapie

PatientInnen mit Epilepsie oder dissoziativen Anfällen haben im Vergleich zu psychisch erkrankten Menschen ohne Anfallserkrankung oft noch größere Probleme, einen ambulanten Psychotherapieplatz zu finden. So können aufseiten der TherapeutInnen, die oft in der Ausbildung nicht spezifisch auf den Umgang mit neurologischen oder dissoziativen Erkrankungen vorbereitet werden, Ängste und Befürchtungen bestehen (siehe Tabelle 1 in Supplement S2).

Auch aufseiten der PatientInnen existieren Ängste, Sorgen oder negative Erfahrungen mit psychotherapeutischen Angeboten, die Barrieren für die Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie darstellen können (siehe Tabelle 2 in Supplement 2).

Folgende Aspekte haben sich als entängstigend und motivierend bewährt:

  • Besprechung der Rahmenbedingungen einer ambulanten Psychotherapie: Therapieschulen/-methoden, Sitzungsanzahl (Kurz‑/Langzeittherapie), Finanzierung durch die Krankenkasse,

  • Betonung des Stellenwerts der eigenen Entscheidung für oder gegen eine Therapie sowie der Wahlmöglichkeit einer Therapieschule/-methode (Ressource Autonomie),

  • Darstellung der generischen Wirkmechanismen von Psychotherapie nach Grawe [27], v. a. des Stellenwerts der therapeutischen Beziehung und der Möglichkeit, diese therapeutische Passung im Rahmen der Probatorik zu überprüfen,

  • proaktiver Umgang mit etwaigen Vorbehalten, Befürchtungen, Sorgen (s. Tabelle S2 in Supplement S2) und antizipierten Schwierigkeiten bei Kontaktaufnahme, hier evtl. Rollenspiele als Exposition,

  • Ressourcen für den Suchprozess (s. Supplement S2) werden zur Verfügung gestellt.

Die Begleitevaluation in Bochum hat gezeigt, dass PatientInnen durch dieses Vorgehen dazu motiviert werden, sich um zukünftige psychotherapeutische/psychiatrische Anschlussbehandlungen zu bemühen (s. Supplement S1).

Diskussion

Die in Berlin und Bochum etablierten Maßnahmen zeigen, wie die aktuelle Epilepsieleitlinie beispielhaft umgesetzt werden kann.

Dass viele PatientInnen mit Epilepsie von unbehandelten psychischen Erkrankungen betroffen sind, verdeutlicht die Bedeutung von psychologischen Interventionen im Rahmen der stationären Epilepsiebehandlung [7]. Dies scheint in Anbetracht der vielen nicht diagnostizierten Angststörungen insbesondere für die diagnostische Einordnung von Angstsymptomen und Sorgen bei EpilepsiepatientInnen zu gelten, die natürlich auch außerhalb einer Angststörung auftreten und Anlass für vernünftiges Schutzverhalten geben können.

In der Bochumer Begleitevaluation zeigten sich PatientInnen im Hinblick auf gemeinsam entwickelte Behandlungsempfehlungen adhärent. Viele PatientInnen befanden sich monatelang auf der Warteliste für eine ambulante Psychotherapie. Dies unterstreicht die Relevanz eines bewussten Umgangs mit Barrieren für die Aufnahme einer Psychotherapie [28].

Fazit für die Praxis

  • Die neue Epilepsieleitlinie fordert zu einer systematischen diagnostischen Einschätzung und Mitbehandlung von psychischen Beschwerden unserer AnfallspatientInnen auf.

  • Das ist oft erst dann realistisch umsetzbar, wenn wir an unserem jeweiligen Wirkort interdisziplinäre Behandlungspfade etablieren.

  • Wenn das gelingt, profitieren erfahrungsgemäß nicht nur PatientInnen, sondern auch der eigene berufliche Alltag wird bereichert, gewinnt an Tiefe, Menschlichkeit und Freude.

  • Psychotherapeutische Maßnahmen gehen mit einer positiven Entwicklung von Beschwerden und der Lebensqualität von AnfallspatientInnen einher.