Die Prognose von Epilepsien im Erwachsenenalter ist variabel und von verschiedenen Faktoren abhängig. In einer großen epidemiologischen Studie betrug die Wahrscheinlichkeit, eine 2‑jährige Remission zu erreichen, nach 20 Jahren 67 %. Die Chance auf eine andauernde Remission betrug 60 % [1].

Die Chance auf langfristige Anfallsfreiheit mit und ohne dauerhaften Einsatz anfallssupprimierender Medikamente (ASM) erhöht sich, wenn die Epilepsiedauer vor der Remission kurz war, nur ein oder zumindest wenige ASM vor dem Absetzen eingesetzt wurden, eine niedrige Anfallsfrequenz vor dem Absetzen bestand, keine fokalen Anfälle auftraten und keine epilepsietypischen Potenziale im EEG abgeleitet werden [2].

Besonders günstig ist die Prognose bei idiopathisch generalisierten Epilepsien (zumindest unter fortgesetzter ASM-Therapie) [3], da ab dem 70. Lebensjahr mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten länger als 5 Jahre anfallsfrei sind [3, 4].

Andererseits wissen wir, dass die Prognose struktureller fokaler Epilepsien im Hinblick auf Anfallsfreiheit, von epilepsiechirurgischen Eingriffen einmal abgesehen, deutlich schlechter ist und je nach Ätiologie ggf. nur 3–11 % betragen kann [5].

Ein weiterer negativer Prädiktor ist die Zahl bereits eingesetzter ASM. Auch wenn nach internationaler Definition eine Epilepsie bereits als pharmakoresistent gilt, wenn 2 sachgerecht eingesetzte ASM nicht zu einer befriedigenden Anfallssituation führen [6], kann doch noch mit akzeptabler Wahrscheinlichkeit zumindest manchen Studien zufolge mit einem dritten bis fünften ASM dauerhafte Anfallsfreiheit erreicht werden; ab dem sechsten ASM bestehen praktisch keine realistischen Chancen auf Anfallsfreiheit mehr [7, 8]. Und doch: In einer früheren Publikation beschrieben wir einen Patienten, bei dem erst mit dem 14. ASM dauerhafte Anfallsfreiheit erzielt wurde [7]. Ob dies dann tatsächlich diesem ASM (Lacosamid) zu verdanken war oder eher einem ungewöhnlichen Spontanverlauf entsprach, ist die Frage, die immer gestellt werden sollte, wenn sich solch gleichermaßen Erfreuliches wie Unerwartetes ereignet.

Die nachfolgend vorgestellten Fälle sollen dies verdeutlichen und zum Nachdenken über das Phänomen ungewöhnlicher Spontanverläufe anregen.

Kasuistiken

Fall 1

Bei der 1949 geborenen Patientin begann die Epilepsie im Alter von 10 Jahren mit tageszeitlich diffus auftretenden atonischen, tonischen, bilateral tonisch-klonischen und fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung und Automatismen. Trotz intensiver Behandlungsversuche kam es wiederholt zu Status epileptici. Zur Klärung der Operabilität erfolgte 1976 eine letztlich erfolglose invasive präoperative Diagnostik in Zürich. Neben der Epilepsie besteht eine leichte kognitive Beeinträchtigung. Fortgesetzte häufige Anfälle führten zu multiplen Verletzungen einschließlich Frakturen und zwangen letztlich zum dauerhaften Tragen eines Schutzhelms und der optionalen Nutzung eines Rollstuhls. Bis 2008, als noch einmal eine umfangreiche stationäre Diagnostik und Behandlung erfolgte (Tab. 1), umfasste die medikamentöse Synopse Phenytoin, Primidon, Brom, Carbamazepin, Sultiam, Phenobarbital, Valproat, Lamotrigin, Zonisamid und Levetiracetam.

Tab. 1 Zusammengefasste Daten der 3 Fälle

Im stationären Verlauf traten Anfälle täglich auf, obwohl nach einer Kombination aus Lamotrigin und Lacosamid zusätzlich Versuche mit Rufinamid und Stiripentol erfolgten. Die Epilepsie verlief weiterhin pharmakoresistent. Weder die Kombination aus Valproat, Lamotrigin und Rufinamid im Jahr 2014 noch die aus Valproat, Lamotrigin und Levetiracetam 1 Jahr später (bei gesichert guter Adhärenz) zeitigten Erfolge.

Zwei Jahre später berichtete dann die Patientin unter unveränderter Medikation und konstanten Blutspiegeln über eine deutliche Besserung mit nur noch seltenen myoklonischen Anfällen. Seit 2017 ist sie gesichert anfallsfrei bei jetzt durchgehend vollständig normalen EEG-Befunden nach zuvor 58 Jahre andauerndem pharmakoresistentem Verlauf. Die Helmempfehlung besteht schon lange nicht mehr.

Fall 2

Bei dem 1980 geborenen Patienten bestand die Epilepsie gesichert seit dem 17. Lebensjahr. Aufgrund der schon initial bestehenden Pharmakoresistenz, der klinischen Symptomatik vorwiegend schlafgebundener häufiger und ausnehmend heftiger hyperkinetischer Anfälle, der unauffälligen Familienanamnese und frühen epilepsiespezifischen Vorgeschichte und von Normalbefunden hinsichtlich des neurologischen Untersuchungsbefundes, des EEG und des MRT wurde frühzeitig der Verdacht auf psychogene Anfälle geäußert, zumal die Persönlichkeitsstruktur des Patienten psychiatrisch auffällig war. Nach vergeblichen psychiatrischen Behandlungen trieb die Mutter des Patienten die Differenzialdiagnose voran und zeigte dem behandelnden Neurologen ein Anfallsvideo, der dann sofort die richtige Diagnose epileptischer hyperkinetischer Anfälle stellte.

Er begann eine erste Monotherapie mit Carbamazepin, unter der es weiterhin zu 7 bis 10 Anfällen pro Nacht kam. Weitere erfolglose Therapien umfassten Kombinationen aus Carbamazepin und Valproat und später dann – nun bereits während mehrerer stationärer Aufenthalte im Epilepsiezentrum Kork bis 2012 – Valproat und Oxcarbazepin, aufgrund der zahlreichen Anfälle vorübergehend sogar zusätzlich Diazepam und nachfolgend Oxcarbazepin und Phenobarbital, Oxcarbazepin und Lamotrigin (mit einer diskreten Anfallsreduktion nun auf 3 hyperkinetische Anfälle pro Nacht), schließlich Levetiracetam und Lamotrigin sowie Levetiracetam und Zonisamid. Wir dokumentierten im Video-EEG zahlreiche eindeutig epileptische hyperkinetische Anfälle. Das EEG zeigte eine intermittierende Grundaktivitätsverlangsamung ohne eindeutige epilepsietypische Potenziale. MRT und Molekulargenetik ergaben keine Zusatzinformationen.

Bei Entlassung nach mehrwöchigem und frustran verlaufenem Aufenthalt initiierten wir eine rasche zusätzliche Eindosierung von Phenytoin. Die Entlassmedikation bestand aus Tagesdosen von 3000 mg Levetiracetam, 600 mg Zonisamid und 300 mg Phenytoin.

Bei ambulanter Wiedervorstellung im Dezember 2012 unter exakt dieser Medikation überraschte er mit der durch seine Mutter bestätigten Aussage, komplett anfallsfrei zu sein. Die nun offensichtliche paranoid-halluzinatorische Psychose ließ sich neuroleptisch mit Risperidon im weiteren Verlauf gut beherrschen. Bei weiteren zunächst halbjährlichen und dann jährlichen Ambulanzterminen bestand unverändert Anfallsfreiheit. Der Patient hinterfragte zunehmend die Notwendigkeit der Dreifachmedikation. Schließlich kamen wir überein, Levetiracetam langsam zu reduzieren und abzusetzen, da ich die Anfallsfreiheit auf die Ergänzung um Phenytoin zurückführte.

Bei Wiedervorstellung im Juni 2017 überraschte er mich dann mit der Mitteilung, dass er alle anfallssupprimierenden Medikamente reduziert und abgesetzt habe. Seit ca. 2 bis 3 Monaten nehme er keine Medikamente mehr ein und sei weiterhin anfallsfrei. Tatsächlich ließen sich Levetiracetam, Zonisamid und Phenytoin im Serum nicht mehr nachweisen. Anfallsfreiheit besteht bis heute nach zuvor 15 Jahre langem pharmakoresistenten Verlauf.

Fall 3

Nach bis auf eine Meningitis im ersten Lebensjahr unauffälliger Vorgeschichte und Familienanamnese begann bei dem 1977 geborenen Patienten die Epilepsie im 27. Lebensjahr. Von nun an kam es zu bewusst erlebten fokalen kognitiven Anfällen, die optional häufigen nicht bewusst erlebten fokalen Anfällen vorausgingen. Fokal zu bilateral tonisch-klonische Anfälle ereigneten sich ebenfalls. Pharmakoresistenz wurde unter anderem für Carbamazepin, Oxcarbazepin, Levetiracetam, Topiramat, Gabapentin, Lamotrigin, Lacosamid und Eslicarbazepinacetat belegt.

Präoperative nichtinvasive Diagnostik ergab im MRT lediglich eine symmetrische Erweiterung der inneren Liquorräume, im EEG epilepsietypische Potenziale bitemporal unabhängig mit Rechtsüberwiegen und iktal 6 rechts und 4 links eingeleitete Anfälle. Das PET zeigte einen diskreten rechts temoropolaren und mesiobasalen Hypometabolismus.

Es erfolgte eine invasive präoperative Diagnostik mit Grid- und Streifenelektroden, die wegen bilateraler subduraler Blutungen abgebrochen werden musste. Ferner wurde eine Ventrikulostomie bei Hydrozephalus ohne jegliche Befundänderung durchgeführt. Schließlich erfolgte die Implantation eines Vagusnervstimulators ohne Effekt.

Im Laufe der Jahre entwickelten sich zusätzlich neurokognitive mnestische Störungen, ein Fatigue-Syndrom und eine mittelschwere Depression. Eine Schwerbehinderung mit den Merkzeichen G, B und H wurde zuerkannt. Auch die Kombination von Zonisamid mit Phenytoin und später mit Valproat erbrachte ebenso wie eine Zonisamid-Monotherapie keine Besserung. Wir ergänzten Zonisamid (400 mg Tagesdosis) um Brivaracetam (100 mg pro Tag), erneut ohne Effekt. Unter unveränderter Dosis kam es dann spontan zu einer Reduktion der Anfälle, die schließlich seit 2020 vollständig ausblieben. Zuvor war die Epilepsie für 16 Jahre pharmakoresistent verlaufen. Der Patient hat das inzwischen eingesetzte Venlafaxin absetzen können, fährt wieder Auto und hat einen Minijob. Sein EEG ist bis auf eine Amplitudenasymmetrie rechts > links normal, die Medikation inzwischen auf eine Monotherapie mit 200 mg Zonisamid pro Tag vereinfacht.

Die Tab. 1 fasst die wesentlichen Befunde dieser 3 Fälle im Detail zusammen.

Diskussion

Ich stelle diese 3 Fälle nicht vor, weil ich auch in ähnlich gelagerten Fällen behaupten würde, dass auch nach langjährig frustranem Epilepsieverlauf Spontanremissionen erwartbar wären. Ganz im Gegenteil: Sie sind auch in unserer Praxis Raritäten. Dennoch kommen sie vor und in allen 3 Fällen sicherlich ganz überwiegend dank eines Spontanverlaufes und nicht aufgrund irgendwelcher rationaler Therapiemodifikationen.

Grundsätzlich hatten alle 3 Betroffenen eine nahezu aussichtslose Prognose hinsichtlich Anfallsfreiheit, betrachtet man die Literatur zu nichtläsionellen fokalen Epilepsien multiregionaler, temporaler oder frontaler Genese, zumal wenn – wie in unseren Fällen – über viele Jahre jeweils mehr als 10 ASM eingesetzt wurden [1, 2, 5, 7,8,9,10]. Folgerichtig wurde ja auch in allen 3 Fällen eine präoperative Diagnostik durchgeführt. In 2 Fällen wurde der Prozess der Anfallsfreiheit auch von einer Normalisierung der zuvor deutlich pathologischen EEG-Befunde begleitet. Im dritten Fall hatten sich entsprechend einer häufigen Konstellation bei Epilepsien vermutlich frontaler Epileptogenese nie eindeutige epilepsietypische oder anfallstypische Muster im EEG nachweisen lassen. Ein Langzeiteffekt der über Jahre unverändert belassenen Medikation vor Eintritt der Anfallsfreiheit ist sicher höchst unwahrscheinlich. Eine mangelnde Adhärenz ließ sich ausschließen. Zahlreiche Anfälle traten ja auch während mehrwöchiger stationärer Aufenthalte im Epilepsiezentrum Kork unter regelmäßigen Blutspiegelkontrollen auf.

Letzten Endes möchte ich darauf hinweisen, dass wir stets mit Bedacht Änderungen im Epilepsieverlauf auf unsere therapeutischen Maßnahmen zurückführen und die Rolle des Spontanverlaufes auch bei Epilepsien im Erwachsenenalter nicht unterschätzen sollten.

Fazit für die Praxis

In seltenen Fällen können Epilepsien auch im Erwachsenenalter trotz eines jahrzehntelangen pharmakotherapieresistenten Verlaufs spontan sistieren. Spontanverläufe sollten als Möglichkeit stets bedacht werden. Veränderungen im Epilepsieverlauf sind somit keineswegs gesichert stets auf therapeutische Interventionen zurückzuführen.