Hintergrund

Die sog. SANTE-Studie („Stimulation of the Anterior Nucleus of the Thalamus for Epilepsy“) ist eine multizentrische, doppelblinde, randomisiert-kontrollierte Studie zur anterioren Thalamusstimulation (ANT-DBS) bei Epilepsie. Sie startete 2003 und hatte zum Ziel, die Sicherheit und Effektivität der ANT-DBS bei Erwachsenen mit pharmakoresistenter Epilepsie zu untersuchen. Ihre Ergebnisse waren Grundlage für die CE-Zertifizierung der ANT-DBS im Jahre 2010 und die FDA-Zulassung im Jahre 2018 [2]. Mittlerweile sind bereits die 10-Jahres-Follow-up-Daten der SANTE-Studie verfügbar [23, 24]. Parallel wurde 2012 ein europäisch fokussiertes ANT-DBS-Register („Medtronic Registry for Epilepsy“, MORE) gestartet, das Anwendungsdaten aus dem klinischen Alltag inklusive Daten zu Langzeiteffektivität und -sicherheit zusammentragen sollte und deren 2‑Jahres-Follow-up-Daten kürzlich publiziert wurden [21]. Beide Studien sollen im Folgenden in ihren methodischen Aspekten, sowie den Ergebnissen zu Sicherheit und Effektivität gegenübergestellt und im Hinblick auf ihre klinische Relevanz bewertet werden.

Patientenselektion

In die Zulassungs- (SANTE) als auch die Registerstudie (MORE) wurden ausschließlich Erwachsene mit pharmakoresistenter fokaler Epilepsie eingeschlossen. Während in der SANTE-Studie für eine Studienteilnahme eine Anfallsfrequenz von ≥ 6/Monat und maximal 10 am Tag, sowie vorausgehend ein erfolgloser Einsatz von ≥ 3 Anfallsmedikamenten gefordert wurde, so mussten in der Registerstudie entsprechend der Definition der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) für Pharmakoresistenz nur ≥ 2 Anfallsmedikamente erfolglos eingesetzt worden seien, die Anfallsfrequenz wurde nicht begrenzt. Zudem wurden in der SANTE-Studie alle Vagus-Nerv-Stimulator (VNS) im Zuge der ANT-DBS-Implantation explantiert und intelligenzgeminderte Patienten mit einem IQ < 70 oder progredienter Grunderkrankung von vornherein ausgeschlossen.

Eingeschlossen und implantiert wurden letztlich in die SANTE-Studie 110 und in die MORE-Studie 170 Patienten. Ihre klinischen und demographischen Charakteristika sind in vergleichender Darstellung in Tab. 1 zusammengefasst. Die Daten wurden den Publikationen einschließlich der zugehörigen Supplements entnommen und mittels χ2-Test oder Mann-Whitney-U-Test verglichen. Beide Studien umfassten Patienten ähnlichen Alters und ähnlicher Geschlechtsverteilung mit langjähriger Epilepsie, hoher Anfallsfrequenz, Polytherapie und häufig bereits stattgehabter epilepsiechirurgischer Operation oder Vagusnervstimulation. Hervorzuheben ist hierbei, dass in der SANTE-Studie jedoch signifikant mehr Patienten mit unifokalen Epilepsiesyndromen, temporalem Anfallsursprung und fokal zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen sowie eine geringere Anzahl an Patienten mit kognitiven Einschränkungen eingeschlossen wurden. Dies hat Einfluss auf die erzielte Anfallsfrequenzreduktionsrate und ist somit von Relevanz bei der Bewertung der Effektstärke beider Studien.

Tab. 1 Gegenüberstellung der Patientencharakteristika der SANTE-Zulassungs- und MORE-Registerstudie

Neurochirurgischer Zugang und Elektrodenlokalisation bei ANT-DBS

Der anteriore Nukleus des Thalamus (ANT) ist aufgrund seiner geringen Größe sowie der Lokalisation mittelliniennah direkt unterhalb der Seitenventrikel stereotaktisch schwieriger zu erreichen als andere DBS-Zielpunkte [32]. Häufiger als bei anderen Zielgebieten kann es daher vorkommen, dass der ANT durch die implantierten Tiefenelektroden nicht erreicht wird. Gleichzeitig ist aber eine äußerst exakte Elektrodenplatzierung für die antikonvulsive Wirksamkeit der tiefen Hirnstimulation entscheidend. Seit der klinischen Einführung der ANT-DBS in Europa werden mit dem transventrikulären und dem extraventrikulären Zugang zwei unterschiedliche stereotaktische Zugangswege verwendet (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Transventrikulärer (a) und extraventrikulärer (b) Zugang zum anterioren Nukleus des Thalamus (ANT). (Bilder mit freundl. Genehmigung, ©Lennart Stieglitz [Neurochirurgie, Universitätsspital Zürich], alle Rechte vorbehalten)

In der SANTE-Studie [2] wurde gemäß einem einheitlichen Studienprotokoll ausschließlich mit einem transventrikulären Zugang implantiert, so dass der ANT in einer von kranial nach kaudal verlaufenden Trajektorie erreicht wird. In Abweichung von dieser Herangehensweise wurden bei den Patienten im MORE-Register beide Zugangswege (sowohl trans-, als auch extraventrikulär) verwendet [21]. Dieser Unterschied erscheint klinisch sehr relevant, da sowohl die Orientierung der Elektrode im Zielgebiet, wie auch der finale Stimulationspunkt entscheidend von der gewählten Implantationstrajektorie abhängen. In einer vergleichenden Analyse der MORE-Registerdaten zeigten Lehtimäki et al. [14], dass der ANT im transventrikulären Ansatz häufiger getroffen wird, als im extraventrikulären. Wang et al. befürworten daher eine neue (posterior extraventrikuläre) Trajektorie, um die Zielgenauigkeit bei einem extraventrikulären Ansatz zu verbessern [32]. Ferner scheint neuroanatomisch bei einem extraventrikulären Zugang der mamillothalamische Trakt (MMT) und nicht der superiore Anteil des ANT das primäre Zielgebiet darzustellen [25].

Prospektive Daten, welche das Therapieansprechen dieser beiden Ansätze vergleichen, sind nicht verfügbar. Es ergeben sich aus der bisherigen Literatur aber einige Hinweise darauf, dass in einem transventrikulären Ansatz gerade die Stimulation in den superioren (kranialen) Anteilen des ANT besonders antikonvulsiv wirksam ist. Dabei scheint der finale Stimulationsort der wesentliche Prädiktor für das Therapieansprechen zu sein: Während in der finnischen Kohorte die Stimulationsamplitude, die Pulsbreite oder die Frequenz kaum Einfluss auf die Anfallsfrequenz hatte, zeigte sich, dass insbesondere bei schlecht ansprechenden Patienten ein Umprogrammieren der Stimulation auf mehr kranial gelegene Kontakte eine deutliche Verbesserung bewirken kann [5]. Entscheidend hierbei ist, dass zur Optimierung der Stimulation individuelle MRT-Daten herangezogen werden, da atlasbasierte Daten in diesem Bereich schlecht mit der individuellen Anatomie überreinstimmen. Weitere Beobachtungsstudien mit transventrikulärem Ansatz unterstützen die Hypothese, dass in diesem Ansatz gerade die superior (kranial) gelegenen Kontakte für die aktive Stimulation am wirksamsten sind [4, 15]. Demgegenüber zeigen Studien mit extraventrikulärem Ansatz [12, 25], dass in diesem Ansatz die am tiefsten gelegenen Elektrodenkontakte nahe am MMT sehr effektiv sein können. Diese Befunde weisen also darauf hin, dass sich die optimalen Stimulationspunkte je nach Trajektorie unterscheiden. Komplizierend kommt hinzu, dass der superiore Anteil des MMT die neuroanatomische Hauptafferenz zum ANT darstellt und somit eine Stimulation dieser afferenten Fasern auch einen indirekten Effekt auf neuronale Aktivität im ANT haben könnte. Ein Unterschied in der Wirksamkeit zwischen „afferent-axonaler“ und „lokal-nukleärer“ Stimulation ist denkbar, wurde bislang in den Epilepsiekohorten aber nicht systematisch untersucht.

Welche Implikationen haben diese Befunde nun für die Interpretation der MORE-Registerdaten?

Bei den Implantationen in der MORE-Kohorte wurden mit dem extra- und transventrikulären Ansatz zwei unterschiedliche Zugangswege verwendet und mit dem kranialen ANT und dem MMT möglicherweise zwei unterschiedliche Zielpunkte stimuliert. Diese Variabilität in den Zugangswegen und die daraus resultierenden Differenzen in den aktiven Stimulationspunkten kann sicherlich die höhere Variabilität des Therapieansprechens in der aktuell publizierten MORE-Kohorte erklären. Wenn auch die bisherigen Studien eher dafürsprechen, dass ein transventrikulärer Ansatz mit kranialer Stimulation des ANT im Langzeitverlauf von Vorteil sein könnte, zeigen die MORE-Daten auch, dass in einem extraventrikulären Ansatz ein gutes Therapieansprechen erreicht werden kann. Mit Blick auf die hohe Variabilität des Therapieansprechens im MORE-Register ist es sogar denkbar, dass gewisse Subgruppen eher von einem transventrikulären Ansatz mit ANT-Stimulation, andere Subkohorten eher von einem extraventrikulären Ansatz mit Stimulation des MMT profitieren. Diesbezügliche Subanalysen aus dem Register stehen allerdings noch aus.

Ebenfalls zur Variabilität der Resultate beitragen könnten schließlich auch die unterschiedlichen Ansätze in der Operationsplanung (direktes vs. indirektes Targeting) sowie der nur sporadisch verwendete Einsatz intraoperativer Mikroelektrodenableitungen. Frühere Studien [16, 17] haben gezeigt, dass die direkte Zielpunktplanung, basierend auf individuellen MRT-Bildern, eine bessere Elektrodenlage und somit Therapieansprechen gewährleistet, als eine indirekte Zielpunktplanung basierend auf Atlasdaten [17]. Da die genaue Elektrodenlage somit von herausragender Bedeutung ist, ist sicherlich auch zur erwägen, intraoperativ die Elektrodenlage durch Mikroelektrodenableitungen zu verifizieren.

Zusammenfassend erscheint es im Studienvergleich wahrscheinlich, dass v. a. die Variabilität der Zugangswege und damit auch die Lokalisation der aktiven Stimulation einen relevanten Anteil am schlechteren Therapieansprechen der MORE-Kohorte im Langzeitverlauf hat. Weitere Folgeanalysen aus dem MORE-Register zur Identifikation des optimalen Stimulationszielpunktes oder hinsichtlich Sicherheit und Effektivität des operativen Zugangs wären für die Interpretation der Resultate von hoher klinischer Relevanz.

Stimulationsparameter

Die Stimulationsparameter wurden in der SANTE-Studie innerhalb des ersten Jahres durch das Studienprotokoll vorgegeben. So wurde die Stimulation erst einen Monat nach der Implantation aktiviert und die Patienten hiernach in eine Placebo- (0 V) und eine Verumgruppe (5 V) aufgeteilt. In beiden Gruppen lag die Stimulationsfrequenz bei 145 Hz, die Impulsbreite bei 90 µs und der zyklische Modus wurde mit 1 min ON-Zeit und 5 min OFF-Zeit aktiviert. Erst ab dem 4. Monat nach Implantation erhielten alle Patienten eine Verumstimulation, wobei erst nach dem ersten Jahr eine freie Wahl der Stimulationsparameter gestattet war [2]. Im Gegensatz hierzu wurden in der Beobachtungsstudie (MORE) keinerlei Vorgaben zum Beginn der Stimulation und der Wahl der Stimulationsparameter gemacht [21].

Vergleicht man die Stimulationseinstellungen zum Zeitpunkt der 2‑Jahres-Visite, unterscheiden sich die gewählten Parameter in der MORE- und SANTE-Studie nur geringfügig (Tab. 2). In beiden Studien wurde in den meisten Patienten eine Hochfrequenzstimulation (Median 145 Hz) mit einer medianen Impulsbreite von 90 µs und zyklischem Stimulationsmodus gewählt. Unterschiede lassen sich primär in der Stimulationsamplitude erkennen, die in der SANTE-Studie mit 7,35 V deutlich über den 5 V der MORE-Studie lag. Der Unterschied ist möglicherweise auf die klinische Erfahrung in der MORE-Beobachtungsstudie zurückzuführen, dass bei guter Platzierung der Stimulationselektroden bereits mit geringeren Amplituden und somit kleineren Stimulationsvolumina gute klinische Effekte erzielt werden können, bei gleichzeitig geringerem Risiko für Nebenwirkungen und Schonung der Batterielaufzeit [8]. Es bleibt jedoch letztlich offen, weshalb die mittlere Stimulationsintensität in der SANTE-Studie stärker gesteigert worden war als im MORE-Register und ob dies zu der geringeren Anfallsreduktion im MORE-Register beigetragen hat. Darüber hinaus bestand in der MORE-Studie eine größere Variabilität in der gewählten Impulsbreite und der Frequenz. Ein Vergleich der Effektstärke verschiedener Stimulationseinstellungen ist in beiden Studien nicht erfolgt.

Tab. 2 Verwendete Stimulationsparameter zum Zeitpunkt der 2‑Jahres-Visite

Effektivität der ANT-Stimulation

Frühe Untersuchungen an kleinen Patientengruppen erbrachten uneinheitliche Ergebnisse zur Wirksamkeit der ANT-DBS. In einer wesentlichen Untersuchung an 5 bzw. 6 Patienten zeigten Hodaie et al. und Andrade et al. eine unmittelbare Wirkung nach Elektrodenimplantation (von den Autoren als „Mikrothalamotomie“ bezeichnet) [1, 3], während sich im Verlauf der Stimulation über Monate und Jahre hinweg kein Unterschied in Perioden der Stimulation vs. Nicht-Stimulation fand; erhebliche Besserungen fanden auch in Perioden ohne Stimulation statt. Es wird diskutiert, ob Carry-over-Effekte zu diesem negativen Ergebnis beitrugen; wichtig erscheint jedenfalls bei Langzeit-Outcome-Analysen neuromodulatorischer Verfahren über Jahre hinweg die Betrachtung auch von Kontrollgruppen.

Andere offene Behandlungsserien zeigten positive Effekte auf Anfallsschwere und Anfallsfrequenz [10, 13]. Eine Studie von Osorio et al. (2005) zeigte bei 4 Patienten einen möglichen Akuteffekt einer Closed-loop-Stimulation der anterioren Thalamuskerne mit einer mittleren Anfallsreduktion von 40,8 % in dieser kleinen Patientengruppe [18]. Dieser Effekt war jedoch geringer als bei einer anschließenden Untersuchung einer Open-loop-Stimulation [20].

In der SANTE-Studie fand sich in der Stimulationsgruppe von 55/110 Patienten nach 3 Monaten eine mediane Anfallsreduktion von 40,5 % vs. 14,5 % in der implantierten, jedoch nicht stimulierten Kontrollgruppe; dies war im letzten analysierten Monat statistisch signifikant, nicht jedoch im Gesamtzeitraum der Analyse. Nach einem Jahr lag die mediane Anfallsreduktion bei 41 % bei 99 Patienten, nach 2 Jahren bei 56 % bei 81 die Behandlung fortführenden Patienten. Nach einem und nach 2 Jahren fanden sich auch signifikante Verbesserungen der Lebensqualität (QOLIE-31, [2]), die über einen Zeitraum von 7 Jahren konstant blieben [23].

Langzeit-Follow-up-Analysen belegen eine weiterbestehende, teils zunehmende Effektivität, sowohl gemessen an der medianen Anfallsfrequenz (69 % Reduktion nach 5 Jahren, 75 % Reduktion nach 7 Jahren) als auch der Responder-Rate (41 % nach 1 Jahr, 56 % nach 2 Jahren, 69 % nach 5 Jahren, 75 % nach 7 Jahren, [23]). Dabei war weder eine frühere Vagusnervstimulation oder epilepsiechirurgische Operation noch eine Änderung der Medikation im Verlauf der Behandlung relevanter Parameter für die Entwicklung der Anfallsfrequenz. Auch monozentrische Langzeitverlaufsuntersuchungen bestätigen einen stabilen Behandlungseffekt [11].

Als Ausdruck der Effektivität der ANT-DBS war in der SANTE-Studie die Zahl anfallsbedingter Verletzungen in der Stimulationsgruppe signifikant geringer (7,4 % vs. 25,1 %) als in der Kontrollgruppe [2]; die SUDEP-Rate war im Langzeitverlauf mit 2,0/1000 Patientenjahren bezogen auf die Charakteristika der Patientengruppe gering [23].

In der MORE-Registerstudie zeigte sich nach 2 Jahren der Stimulation eine mediane Anfallsreduktion um 33,1 % und eine Responder-Rate von 32,3 % [21]; diese Ergebnisse sind somit deutlich schlechter als in der US-Studie. Jedoch bestätigte sich eine graduelle positive Entwicklung der Anfallsfrequenz im Verlauf der Behandlung, mit zunehmender Anfallsreduktion auf 55,1 % nach 5 Jahren und einer Responder-Rate von 53,2 %, wie auch bei anderen Neurostimulationsverfahren beschrieben [27]. Hierbei ist stets eine mögliche Anreicherung der Responder im Langzeitverlauf und ein bevorzugtes Ausscheiden von Patienten mit geringer Wirksamkeit der Behandlung zu berücksichtigen.

In der Studie fand sich ein tendenziell besseres Behandlungsergebnis nach 2 Jahren bei Patienten mit normaler Kognition im Vergleich zu Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung (mediane Anfallsreduktion: 36,1 % vs. 26,0 %). Die Anfallsreduktion bei temporalem, frontalem und sonstigem Anfallsursprung war nicht signifikant unterschiedlich (32,6 %/34,7 %/24,8 %). Zentren mit hoher Erfahrung mit Implantationen hatten ein besseres Behandlungsergebnis.

Sicherheitsaspekte

Bei der Beurteilung von Sicherheitsaspekten neuromodulatorischer Verfahren sind zu berücksichtigen die Implantation sowie mögliche unerwünschte Nebenwirkungen, die sich infolge der Stimulation entwickeln. Letztere sind in der Regel abhängig von Stimulationsparametern und reversibel bei einer Inaktivierung der Stimulation. Bei Implantation von Tiefenelektroden zur thalamischen Stimulation besteht grundsätzlich das Risiko einer Gefäßverletzung mit intrazerebraler Blutung, perioperativer Infektionen sowie möglicher unerwünschter Effekte einer Mikrothalamothomie.

In der SANTE-Studie wurden bei 12,7 % der Patienten Infektionen berichtet, 7,3 % im Bereich der Stimulatortasche, 5,5 % der tunnelierten Elektrode und 1,8 % in der Region des Bohrlochs. Es kam zu einer Meningitis, jedoch zu keiner intrazerebralen Infektion [2]. Eine intrazerebrale Blutung trat bei 5/110 Patienten auf und war bei allen klinisch inapparent. Monozentrische Daten legen nahe, dass die Komplikationsrate an erfahrenen Zentren geringer ist als in den multizentrischen Studiendaten (z. B. [9, 11]). Selten können auch Parästhesien und Schmerzen im Elektrodenbereich auftreten [11, 24]. Zu potenziell unerwünschten Effekten der Implantation im ANT selbst gibt es keine publizierten Daten. Angesichts der Einbindung des ANT in das limbische System sowie in den für die Gedächtnisprozesse wichtigen Papez-Kreis sind potenziell unterwünsche Effekte auf Emotionalität und deklaratives Gedächtnis möglich.

Einzelne Patienten hatten sowohl in der SANTE-Studie (9/81, 11 %) und in der MORE-Registerstudie (16 %) unter Stimulationsbehandlung eine Zunahme der Anfallsfrequenz, die teils reversibel war bei Reduktion der Stimulationsintensität [2]. Im Zeitraum der ersten beiden Jahre der SANTE-Studie wurden von 20/110 Patienten 23 neue Anfallstypen berichtet (14 bewusst, 3 nicht bewusst erlebte fokale Anfälle, 6 fokal zu bilateral tonisch-klonische Anfälle). Bei 5/110 Patienten trat ein Status epilepticus auf.

Im Rahmen der Stimulation berichteten 8/55 Patienten der SANTE-Stimulationsgruppe (14,5 %) depressive Symptome, auch bei positivem Effekt auf die Stimulation, vs. 1/55 der Sham-Stimulationsgruppe (1,8 %). Dies entspricht Daten des MORE-Registers mit 13 % beklagten depressiven Stimmungslagen [21]. Bei einer Analyse des Langzeit-Outcomes der SANTE-Studie [24] berichteten insgesamt 37 % der Patienten von einer Depressivität, 13/110 stimulierten Patienten (11,8 %) von Suizidgedanken, 77 % hiervon mir einer Vorgeschichte einer Depression; es kam zu einem Suizid, der als nicht Device-bezogen eingestuft wurde. Auch reversible Angst-Symptome und eine Psychose wurden im Zusammenhang mit der ANT-DBS berichtet [6].

In der SANTE-Studie berichteten 7/55 Patienten der Stimulationsgruppe von Gedächtnisproblemen vs. 1/55 in der Sham-Stimulationsgruppe [2]. Dies entspricht Daten der MORE-Studie mit 15 % subjektiv berichteten Gedächtnisproblemen [21]. Im Langzeitverlauf wurden Gedächtnisprobleme von 27 % der Patienten berichtet, bei 9 % wurden Gedächtnisverschlechterungen im Vergleich zur Baseline-Untersuchung nachgewiesen [24]. Allerdings war die Korrelation zwischen subjektiv angegebenen Gedächtnisproblemen und objektivierbaren Defiziten in einer Analyse gering [29].

Im MORE-Register traten bei 23 % der Patienten als schwer eingestufte Nebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Stimulator auf; zwei Explantationen wurden aufgrund einer Device-Infektion durchgeführt. Bei 6,1 % der Patienten wurde in 2 Jahren ein Kabel ersetzt.

Von den 13 % der Patienten mit Entwicklung einer Depression im MORE-Register kam es zu einer Explantation wegen Suizidgedanken. Unerwünschte psychische Nebenwirkungen umfassten Angst und Reizbarkeit bei je 5 % der Patienten.

Im Zusammenhang Implantation und Stimulation traten im MORE-Register bei 23 % der Patienten unerwünschte Effekte auf.

Negative Auswirkungen der ANT-DBS in Form einer Schlaffragmentation, mit einer 3‑fach erhöhten Häufigkeit von Arousals während Stimulationsphasen von Voges et al. beobachtet [30], wurden weder in der SANTE-Studie noch im MORE-Register angeführt.

Insgesamt liegt die Inzidenz relevanter Nebenwirkungen basierend auf den publizierten Daten höher als bei Verfahren der Fokusstimulation (s. Beitrag von A. Schulze-Bonhage in dieser Ausgabe, https://doi.org/10.1007/s10309-023-00548-6); Kenntnis charakteristischer Auswirkungen auf Psyche, Schlaf und deklaratives Gedächtnis sind relevant für die Vermeidung von Patienten mit hohem individuellem Risiko (etwa unter Berücksichtigung der individuellen psychiatrischen Vorgeschichte) sowie für eine unmittelbare Anpassung der Stimulationsintensität im Falle ihres Auftretens [28].

Synopsis

Die ANT-DBS-Behandlung von Epilepsien ist als wirksam nachgewiesen, sowohl durch die SANTE-Studie als auch die Daten des MORE-Registers. Überraschend ist eine geringere Wirksamkeit in der offenen Stimulationsbehandlung, bei der eher mit einem zusätzlichen Placeboeffekt zu rechnen gewesen wäre. Verschiedene Faktoren können hierzu beigetragen haben, insbesondere andere Patientencharakteristika und die niedrigerer Rate an erfolgreichen ANT-Implantationen bei Anwendung der extraventrikulären Implantationsmethode [14].

Eine mediane Anfallsreduktion nach zwei Jahren von 32 % und 33 % Responder im MORE-Register zeigt zwar eine Wirksamkeit der Behandlung, jedoch keine besseren Ergebnisse als Studien zur weniger invasiven Vagusnervstimulation und eher einen geringeren Behandlungseffekt als Studien zur in den USA zugelassenen responsiven Fokusstimulation. Einen direkten Vergleich lassen die unterschiedlichen Patientenkohorten jedoch nicht zu; weiterhin wären Head-to-head-Vergleichsstudien wünschenswert für künftige Therapieentscheidungen. Im Gegensatz zur SANTE-Studie zeigte sich im MORE-Register keine Überlegenheit von Partizipanten mit temporalem Anfallsursprung gegenüber einem frontalen Anfallsbeginn; eine Einbeziehung auch frontaler Epilepsien in Behandlungen mittels ANT-DBS erscheint somit berechtigt.

Das tendenziell schlechtere Behandlungsergebnis bei mental retardierten Patienten spiegelt die Erfahrung aus anderen Therapiestudien wider und begründet sich a. e. durch die damit einhergehenden therapieschwierigeren Epilepsien. Zudem ist das Ergebnis angesichts der kleinen Patientenzahlen und den geringen beobachteten Unterschieden nur mit Vorsicht zu bewerten, dennoch kann es eine weitere relevante Information für die Beratung und Auswahl geeigneter Patienten darstellen. Ferner kann eine Reduktion der Anfallsschwere, die in den Studien insuffizient abgebildet wird, dennoch zu einer relevanten Verbesserung der Lebensqualität der Familien beitragen. Aufgrund der aktuellen Datenlage kann somit keine Evidenz abgeleitet werden, in dieser Patientengruppe a priori auf eine ANT-DBS zu verzichten.

Berücksichtigt man weitere Literatur, so wurden bislang folgende prädiktive Faktoren für eine gute Wirksamkeit einer ANT-DBS beschrieben:

  • temporaler Anfallsursprung (möglicherweise zu relativieren; [2]),

  • Elektrodenposition anterior innerhalb des ANT oder in der ANT-MMT-Junction [12, 15],

  • gute exekutive Hirnfunktionen [7],

  • hochamplitudige evozierte Potenziale in den Hippocampi bei thalamischer Stimulation [31],

  • Anfallsursprung in Strukturen des Papez-Kreises [19, 22],

  • Fehlen einer relevanten kognitiven Beeinträchtigung [21].

Die im MORE-Register berichteten Nebenwirkungen der Behandlung sind weitgehend identisch zu den bereits in der SANTE-Studie berichteten Beeinträchtigungen v. a. von Gedächtnisleistungen und der Stimmung, die sich v. a. bei Patienten mit entsprechenden Vorerkrankungen manifestierten. Dies ist wichtig zur Auswahl, Beratung und v. a. auch für klinische Kontrolluntersuchungen einer gewählten Behandlung mittels ANT-DBS.

Fazit für die Praxis

  • Die ANT-DBS hat sich auch im Klinikalltag als effektive und sichere Behandlungsoption für Patienten mit pharmakoresistener Epilepsie etabliert.

  • Die beobachteten Unterschiede im Therapieansprechen können zukünftig zu einer Optimierung der Kandidatenauswahl und des Therapiemanagements beitragen.

  • Es bleibt abzuwarten, ob die ANT-DBS trotz der etwas ungünstigeren Registerdaten zukünftig einen höheren Stellenwert gewinnen kann.