Der Status epilepticus (SE) stellt eine schwerwiegende akute Erkrankung dar, die eine frühzeitige und gezielte Therapie erfordert. Bei Patienten in höherem Lebensalter sind hierbei einige relevante Aspekte zu beachten, die sich einerseits aufgrund einer abweichenden Pharmakokinetik und -dynamik ergeben, andererseits aber auch aus Komorbiditäten, Polypharmazie und möglichen medizinischen Therapielimitationen bzw. Patientenpräferenzen resultieren. Ziel dieses Artikels ist es, diese Aspekte im Rahmen der SE-Versorgung älterer Menschen darzustellen und potenzielle Therapiestrategien aufzuzeigen.

Epilepsie und Status epilepticus im höheren Lebensalter

Bei älteren Patienten stellen Epilepsien nach Demenzen und Schlaganfällen die statistisch dritthäufigste neurologische Erkrankung dar, wobei die Definition der Erkrankung als solche sowie des SE und dessen Therapiestadien nicht von den allgemeingültigen Normen abweichen [23]. So wird auch im höheren Lebensalter ein Anfall mit einer Dauer von über 5 min oder eine Anfallsserie über 5 min ohne adäquates Wiedererlangen des Bewusstseins als SE bezeichnet [24]. Der Begriff „Altersepilepsie“ und analog der des SE im Alter wird häufig bei Patienten mit einer Erstmanifestation jenseits des 60. Lebensjahrs verwendet und weicht in seiner Definition somit von der aktuellen Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ab, die ab einem Alter von 65 Jahren von „alten“ (englisch „elderly“ oder „older adults“) Patienten spricht [9]. Insbesondere aufgrund starker interindividueller Unterschiede in Bezug auf Kognition sowie medizinische und biologische Aspekte erscheint eine reine Definition der Epilepsie bzw. des SE über das Alter gemessen an Lebensjahren jedoch wenig sinnvoll, weshalb wir im Verlauf den Begriff „höheres Lebensalter“ als umschreibendes Synonym verwenden möchten.

Mit einer mit dem Alter zunehmenden Inzidenz von bis zu 54 pro 100.000 Menschen jenseits des 60. Lebensjahrs stellt der SE eine häufige Erkrankung dar, die oftmals zu einer notfälligen Hospitalisierung führt und mit einer Mortalität von bis zu 50 % einhergeht [15, 29]. Im Gegensatz zu jungen Patienten mit SE, bei denen dies eine Rarität darstellt, entwickelt bis zu einem Viertel der SE-Patienten jenseits des 60. Lebensjahres einen nonkonvulsiven SE (NCSE), der mit einer Vigilanzminderung als Leitsymptom einhergeht [14]. Ätiologisch sind SE im höheren Lebensalter überwiegend auf strukturelle, neurodegenerative oder systemische Ursachen, wie z. B. Infekte oder Elektrolytverschiebungen, zurückzuführen [16]. Generell ist die Evidenz unterschiedlicher Therapien beim SE des höheren Lebensalters niedrig, da nicht auf größere prospektive, randomisierte oder Head-to-head-Studien zurückgegriffen werden kann. Prospektive, randomisierte Studienergebnisse zur Behandlung des SE im höheren Lebensalter, wie sie derzeit z. B. in der BMBF-geförderten ToSEE(Treatment of established Status epilepticus in the elderly)-Studie erhoben werden, stehen aktuell noch aus [19]. Ein rezentes systemisches Review konnte zeigen, dass das funktionelle Outcome des etablierten SE im gehobenen Alter bei einer strukturellen oder läsionalen Ursache im Vergleich zur metabolischen oder infektassoziierten Ätiologie relevant schlechter ist, die Mortalität hingegen deutlich erhöht. Während der stationären Behandlung kam es bei älteren Patienten vermehrt zu Komplikationen, wobei systemische Infektionen bis hin zu Sepsis mit einem schlechten Outcome einhergingen, ebenso das Auftreten eines Nierenversagens, einer respiratorischen Insuffizienz und von Elektrolytstörungen. Ebenso waren eine Dauer des SE von über 12 h sowie eine längere intensivmedizinische Behandlung mit einer deutlich erhöhten Mortalität verbunden [7, 25]. Auch für die Langzeitmortalität nach einem SE konnte das Alter als ein wichtiger prädiktiver Faktor neben der SE-Dauer und der Semiologie herausgearbeitet werden und findet als Variable des ACD-Scores auch bereits Anwendung in der klinischen Prognoseabschätzung [22].

Diese Befunde unterstreichen, dass eine rasche Behandlungseskalation gemäß der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) zur Therapie des SE im Erwachsenenalter mit rascher Intubationsnarkose insbesondere im Falle eines RSE und SRSE für Patienten in gehobenem Alter hohe Risiken birgt und somit andere, weniger invasive Behandlungsoptionen mit dem demografischen Wandel zunehmend an Bedeutung gewinnen [38]. Zudem ergeben sich bei Patienten im gehobenen Alter einerseits aufgrund einer abweichenden Pharmakokinetik und -dynamik, andererseits aber auch aufgrund von Komorbiditäten und Polypharmazie relevante Aspekte in Bezug auf die SE-Therapie. Ziel dieses Artikels ist es, diese Besonderheiten in der Versorgung älterer Menschen darzustellen, auf relevante Risiken hinzuweisen und potenzielle Therapiestrategien aufzuzeigen.

Besondere Aspekte in der Therapie des Status epilepticus im höheren Lebensalter

Pharmakodynamik/-Kinetik

Das Altern als solches geht mit einer Vielzahl von physiologischen Veränderungen des körpereigenen Stoffwechsels einher, welche sich im Rahmen einer antikonvulsiven Therapie insbesondere aufgrund einer geänderten Pharmakodynamik und -kinetik bemerkbar machen können. Generell kommt es im Alter zu einer relativen Abnahme der Körperflüssigkeiten mit hieraus resultierendem kleinerem Verteilungsvolumen für hydrophile Substanzen sowie zu einer relativen Zunahme des Körperfettgewebes mit konsekutiv erhöhtem Verteilungsvolumen, verzögerter Bioverfügbarkeit und verlängerter Halbwertszeit für lipophile Stoffe. Während Veränderungen in der Rezeptordichte und -sensitivität zu einem verzögerten bzw. geringeren Ansprechen einerseits, aber auch zu deutlichen Nebenwirkungen andererseits führen können, sind in der Therapie des SE v. a. die pharmakokinetischen Aspekte von hoher Relevanz. Hier können z. B. Veränderungen der Adsorption, Verteilung, des Metabolismus oder der Elimination zu inadäquat niedrigen, aber auch zu toxisch hohen Plasmakonzentrationen führen. Da sowohl die renale als auch die hepatische Elimination von Xenobiotika im Alter abnimmt, ist es daher zwingend notwendig, vor deren Beginn sowie während der Statustherapie die Nieren- und Leberfunktion zu monitoren und Dosierungen ggf. hieran anzupassen [5].

Komorbiditäten

Auch vorhandene Komorbiditäten schränken bei Patienten mit SE in höherem Alter oftmals die verfügbaren Therapieoptionen bei der Behandlung nach Leitlinie deutlich ein. Bei Patienten mit bekannter Leberzirrhose oder schwerer Leberschädigung ist eine Therapie mit Valproat formal aufgrund der Gefahr einer Hyperamonämie kontraindiziert [17]. Bei Einnahme von Carbapenemen, insbesondere von Meropenem oder Ertapenem, in geringerem Ausmaß, aber auch bei Imipenem oder Doripenem, in der rezenten Vorgeschichte ist zudem eine Therapie mit Valproat aufgrund unterschiedlicher pharmakodynamischer und pharmakokinetischer Mechanismen, die zu einem niedrigen, in der Regel subtherapeutischen Serumspiegel führen, nicht Erfolg versprechend [18]. Für schwer kardial vorerkrankte Patienten stellt eine Behandlung mit Phenytoin und Phenobarbital aufgrund deren bradykardisierenden und blutdrucksenkenden Eigenschaften ein hohes Risiko dar, Lacosamid ist bei Patienten mit schweren Herzerkrankungen und v. a. mit höhergradigem atrioventrikulärem Blockbild aufgrund der Gefahr eines AV-Blocks °III kontraindiziert [35]. Levetiracetam wird zwar rein renal ausgeschieden und unterliegt keinem relevanten hepatischem Metabolismus, muss bei Niereninsuffizienz jedoch in seiner Dosis reduziert werden und kann delirfördernd sein [10].

Therapielimitierungen

Über die letzten Jahrzehnte hat im Rahmen der gemeinsamen Therapiefindung („shared decision making“) und der Initiativen hin zum informierten und mündigen Patienten die Beschäftigung der Erkrankten mit ihren Erkrankungen bzw. ihrem gesundheitlichen Zustand spürbar zugenommen. Auch die Anzahl der Patienten, die sich Gedanken über ihre weitere Therapie sowie deren Grenzen machen und diese im Rahmen einer Patientenverfügung oder über Vorsorgebevollmächtige festhalten, ist zuletzt deutlich angestiegen, was regelhaft auch Auswirkungen auf die Therapie des SE im höheren Lebensalter hat. Erfreulicherweise stehen mittlerweile auch Patienten, die keine intensivmedizinische oder invasive Therapie mehr wünschen, verschiedene orale oder parenterale Therapieoptionen zur Verfügung. Nichtsdestotrotz ist insbesondere beim RSE und SRSE die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit invasiver Therapieverfahren ein zentraler Aspekt bei der Festlegung des therapeutischen Konzeptes [38].

Praktische Konsequenzen für die Therapie im Alltag

Entsprechend der aktuellen Leitlinie zur Therapie des SE im Erwachsenenalter der Deutschen Gesellschaft für Neurologie sollte sich auch die Behandlung im höheren Lebensalter an dem mittlerweile etablierten Stufenkonzept orientieren. Dieses Konzept unterscheidet je nach Ansprechen auf eine medikamentöse Therapie einen frühen SE, einen etablierten SE, einen refraktären SE (RSE) und einen superrefraktären SE (SRSE) und ist in Tab. 1 dargestellt [24]. Im Folgenden werden für jede Therapiestufe spezielle Aspekte in Bezug auf Patienten in höherem Lebensalter diskutiert und deren Evidenz – soweit verfügbar – dargestellt.

Tab. 1 Leitliniengerechte stufengerechte Therapie des Status epilepticus im Erwachsenenalter

Basistherapie

Auch bei Patienten in höherem Lebensalter stellt die Gabe von Benzodiazepinen die Basistherapie eines jeden SE dar. Entgegen der allgemeinen therapeutischen Therapieempfehlung „start low, go slow“ bei geriatrischen Patienten sollte in der Therapie des SE immer auf eine adäquate, ausreichend hohe Dosierung der Erstlinientherapie geachtet werden, da eine zu niedrige Dosierung einen refraktären Verlauf begünstigen kann. Eine Auswertung der ESETT-Studie (Established Status Epilepticus Treatment Trial) ergab, dass bei Diazepam, Midazolam und Lorazepam in einem beachtlichen Teil der untersuchten Benzodiazepin-Gaben nicht die leitliniengerechte Dosierung erfolgte. Während bei Diazepam nur ca. 20 % der Patienten unterdosiert waren, lag die Quote der Fehldosierung bei Lorazepam und Midazolam mit ca. 80 % bzw. 90 % deutlich höher [26]. Als einer der Hauptgründe hierfür wurde die Sorge der Anwender vor einer respiratorischen Verschlechterung diskutiert [27]. Insbesondere für Patienten mit vorbekannten Atemwegserkrankungen wie einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) oder einem obstruktiven Schlafapnoesyndrom scheint die Applikation von Benzodiazepinen jedoch zu einer relevanten Atemdepression zu führen, sodass hier ggf. von den empfohlenen Dosierungen abgewichen werden kann [36, 37]. Laut Literatur ist die Gabe von Benzodiazepinen jedoch auch hier per se sicher [8], zumal das Risiko einer sekundären kardiopulmonalen Verschlechterung bei Placebogabe verglichen mit einer adäquat dosierten Benzodiazepin-Therapie signifikant höher scheint [2]. In jedem Fall sollte ein durchgehendes kardiopulmonales Monitoring gewährleistet sein, um kardiale und respiratorische Probleme frühzeitig detektieren und adressieren zu können [24]. In palliativen Situationen oder bei Patienten mit einer Therapielimitierung hinsichtlich einer i.v.-Medikation können Benzodiazepine mittels alternativer Routen appliziert werden. Hier hat sich bukkales Midazolam, rektales Diazepam oder intranasales Midazolam bzw. Diazepam mittels MAD(„mucosal administration device“)-Zerstäuber in der klinischen und präklinischen Applikation bewährt [13]. Für Midazolam gibt es zudem die Möglichkeit einer subkutanen Verabreichung [4, 20]. Eine Übersicht über die unterschiedlichen Applikationswege von Benzodiazepinen sowie deren Dosierung ist in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Alternative Applikationswege und Dosierung von Benzodiazepinen in der Akuttherapie des Status epilepticus

Etablierter Status epilepticus

Bei einem fehlenden Therapieerfolg nach ggf. wiederholter Benzodiazepin-Gabe kommen gemäß der aktuellen Leitlinie intravenöse Antikonvulsiva zum Einsatz (Tab. 1; [24]). Aufgrund der fehlenden Interaktion mit anderen Medikamenten, der guten Verträglichkeit sowie einer fehlenden hepatischen Verstoffwechselung hat sich in den letzten Jahren der SV2A-Ligand Levetiracetam in der Eskalationstherapie des SE etabliert. Wegen der kreislaufdepressorischen Effekte von Phenytoin und Phenobarbital, für deren Verabreichung zudem ein zentraler Zugang notwendig ist, rücken diese in der Behandlung des SE generell, aber auch im höheren Alter als therapeutische Optionen zunehmend in den Hintergrund. Zudem schmälert die Induktion des hepatischen Cytochrom-C450-Systems mit relevanten Auswirkungen auf potenzielle andere Medikamente den Einsatz dieser Substanzen bei Patienten mit vorbestehender Polypharmazie. Valproat weist insbesondere bei Polypharmazie ein hohes Interaktionspotenzial auf, auch hier aufgrund einer ausgeprägten Interaktion mit dem hepatischen Cytochrom-System, insbesondere der P450-Enzyme, CYP4B1, CYP2C9, CYP2A6, CYP2B6, CYP2C19 sowie der UDP-Glucuronyltransferase. Unter Therapie mit Carbapenemen wie Meropenem oder Ertapenem, in geringerem Ausmaß aber auch bei Anwendung von Imipenem oder Doripenem, kommt es aufgrund von unterschiedliche pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Mechanismen zu einem drastischen Abfall bzw. fehlendem Anstieg des Valproat-Serumspiegels. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass diese Interaktion auf eine vermehrte hepatische Metabolisierung von Valproat durch P450-Enzyme zurückzuführen ist, ist die Ursache des Abfalls des Valproat-Spiegels multifaktoriell und keineswegs nur durch das hepatische Cytochrom-System zu erklären. Ursächlich sind neben einer intestinalen Absorptionshemmung von Valproat, einer reduzierten bakteriellen Hydrolysierung von glucuronidiertem Valproat aufgrund einer Carbapenem-induzierten Reduktion des intestinalen Mikrobioms und einer Inhibition des erythrozytären Multidrug-Resistance-Rezeptors 1 (MDR-1) mit konsekutiv erhöhter intrazellulärer Speicherung von Valproat auch eine direkte Hemmung der Glucuronyl-Hydrolase sowie eine vermehrte Umwandlung der glucuronidierten Form in freies Valproat [18, 34]. Levetiracetam kann als Kurzinfusion rasch infundiert werden, eine Anpassung der Dosis an die Nierenfunktion ist ab einer Kreatinin-Clearance von unterhalb 80 ml/min/1,73 m2 notwendig (s. Fachinformation). Aktuell untersucht die multizentrisch in Deutschland durchgeführte ToSEE-Studie die Effektivität und Sicherheit von Valproat und Levetiracetam bei Patienten in höheren Lebensalter im direkten Vergleich [19]. Der SV2A-Ligand Brivaracetam, welcher als Bolus applizierbar ist, scheint in der SE-Therapie ebenfalls sicher und effektiv zu sein [1, 30, 31, 39]. Lacosamid wird als weiterer Natriumkanalblocker in der aktuellen Status-epilepticus-Leitlinie als Alternative erwähnt, insbesondere bei Patienten mit höhergradigem AV-Block oder schwerer Herzerkrankung besteht jedoch auch hier eine relative Kontraindikation [24]. Nichtdestotrotz findet Lacosamid aufgrund der raschen Titrierbarkeit im Vergleich mit Phenytoin und Phenobarbital deutlich einfacheren Handhabung zunehmend Anwendung in der modernen Statustherapie [3, 32, 33].

Auch beim etablierten SE kann im Rahmen eines palliativen Therapiekonzeptes oder einer Limitation der gewünschten Therapien eine sonstige enterale oder parenterale Applikation von Antikonvulsiva erfolgen. Für Levetiracetam gibt es Evidenz aus Einzelfallberichten für eine s.c.-Applikation [6, 21], Levetiracetam, Lacosamid, Valproat und Perampanel sind zudem als Saft verfügbar und über eine nasogastrale bzw. über eine perkutane gastrale Sonde applizierbar [38]. Insbesondere bei Patienten, die keine Behandlung im intensivmedizinischen Setting wünschen oder bei denen aus medizinisch-ethischer Sicht eine solche nicht vertretbar ist, sollte zudem eine Off-label-Behandlung mit anderen oralen Antikonvulsiva bedacht werden, auch wenn hierdurch ein rasches Durchbrechen des SE kaum zu erreichen ist. Die Evidenz für orale Therapien im Status epilepticus wurde rezent in einem systematischen Review untersucht, die Evidenzlevel, Applikationsformen sowie die jeweiligen Start- und Erhaltungsdosierungen sind in Tab. 3 dargestellt [38]. Hierbei kann zum einen auf das bereits angesprochene Brivaracetam zurückgegriffen werden, welches ebenfalls am präsynaptischen SV2A-Rezeptor bindet und in Studien ein Therapieansprechen in 27–54 % der untersuchten Patienten gezeigt hat. Auch für Perampanel konnte ein vergleichbar gutes Ansprechen in 16–100 % der Fälle in Fallberichten bzw. retrospektiven Analysen gezeigt werden [38, 39]. Für den Einsatz des GABAA-Rezeptor-Modulators Stiripentol, welcher nur für die Add-on-Behandlung bei Dravet-Syndrom zugelassen ist, gibt es weniger Evidenz; in den bisher veröffentlichten 3 Studien konnte ein therapeutisches Ansprechen in 60–100 % der Erkrankten beobachtet werden [38]. Der therapeutische Nutzen von Topiramat, welches seinen Effekt über die Modulation von Natriumkanälen sowie AMPA- und GABAA-Rezeptoren vermittelt, konnte in retrospektiven und prospektiven Studien belegt werden, wobei die Rate des Ansprechens zwischen 16 und 100 % lag. Zu Zonisamid liegen Daten aus einer retrospektiven Studie vor, die einen therapeutischen Effekt in 16 % der Fälle zeigte [38]. Die Evidenzlage für einen Steroidpuls, die Gabe von Magnesium oder der Einsatz einer ketogenen Diät kann aufgrund der jeweiligen Evidenzlage nicht generell empfohlen werden, sollte jedoch individuell abgewogen und evaluiert werden [24, 38].

Tab. 3 Alternativen zur medikamentösen Eskalation bei refraktärem oder superrefraktärem Status epilepticus

Refraktärer und superrefraktärer Status epilepticus

Bei Versagen der Initialtherapie mit Benzodiazepinen sowie fehlendem Ansprechen auf Antikonvulsiva der Stufe 2 sollte bei einem RSE gemäß Leitlinie eine Analgosedierung mit dem Ziel einer EEG-Anfallssuppression bzw. eines Burst-Suppression-Musters für mindestens 24 h angestrebt werden. Analog zur aktuellen Leitlinie sollte hierbei primär auf Midazolam oder auf Propofol zurückgegriffen werden, wobei sich die Erhaltungsdosis individuell nach EEG-Ansprechen und kardiopulmonaler Stabilität richtet [24]. Falls auch hierdurch keine Durchbrechung der Anfallsaktivität erreicht werden kann oder diese nach dem Ausschleichen der Sedierung wieder rezidivieren, liegt ein SRSE vor, bei dem es bisher keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen gibt, jedoch Erfahrungsberichte hinsichtlich einer volatilen Narkose mit Isofluran bzw. dem Einsatz von Thiopental oder Ketamin vorliegen [24]. Weiterhin kann in Einzelfällen eine ketogene Diät oder ein Steroidpuls erwogen werden. Eine große finnische Registerstudie konnte zeigen, dass die Mortalität des RSE und SRSE mit dem Alter sowie einem schlechten Vorzustand korreliert. Bei RSE-Patienten in höherem Alter muss daher im Einzelfall genau abgewogen werden, ob und ggf. in welcher Weise eine intensivmedizinische Therapie mit Narkose und künstlicher Beatmung sinnvoll und mit dem mutmaßlichen Patientenwillen vereinbar ist [12]. Neben den bereits im Abschnitt „Etablierter Status epilepticus“ erwähnten Eskalationsstufen im RSE (Tab. 2) gibt es einzelne Fallberichte über den Einsatz von oralem Ketamin ohne Intubationsnarkose im NCSE, welches in Deutschland jedoch derzeit nicht in oraler Form verfügbar ist [40]. Analog zu dem in einigen Zentren etablierten Einsatz von Ketamin im RSE bei Kindern wäre somit auch eine Anwendung bei Patienten in gehobenem Alter denkbar [11].

Fazit für die Praxis

Zusammenfassend stellt die Pharmakotherapie des Status epilepticus bei Patienten in höherem Alter eine Herausforderung dar, da neben individuellen Faktoren wie der Vormedikation, Vorerkrankungen sowie dem Allgemeinzustand auch zunehmend der mündlich kommunizierte oder schriftlich festgelegte Willen im Hinblick auf Behandlungseinschränkungen die Therapieauswahl einschränkt. In vielen Fällen muss daher von der leitliniengerechten Therapie abgewichen werden und auf alternative Medikamente, Therapieansätze oder Verabreichungsformen zurückgegriffen werden. Erfreulicherweise können hierbei, wenn auch bei niedriger Evidenz, unterschiedliche Möglichkeiten genutzt werden, die eine adäquate Therapie des SE in beinahe allen Eskalationsstufen auch bei multimorbiden oder therapielimitierten Patienten in gehobenem Alter erlauben. Trotz dieser Möglichkeiten sollte die patientenorientierte Versorgung mit fortschreitendem Alter insbesondere im Hinblick auf die hohe Mortalität des RSE und SRSE in diesem speziellen Patientenkollektiv im Fokus der Behandlung stehen.