In Abgrenzung zu unprovozierten Anfällen gelten epileptische Anfälle, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer akuten systemischen oder strukturellen Hirnschädigung auftreten, als akut-symptomatisch. Hierfür hat die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) operational konkrete Konstellationen definiert. Die zeitliche Latenz nach Manifestation der ursächlichen Störung, innerhalb derer ein Anfall als akut-symptomatisch gilt, hängt von der Ätiologie ab (Tab. 1; [1]). Akut-symptomatische Anfälle machen bis 40 % aller erstmaligen epileptischen Anfälle aus. Oft sind sie kurzfristige Folge akuter struktureller Hirnläsionen [2]; diese Konstellation ist in den aktuellen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung des Bundesamtes für Straßenwesen (BASt-LL) allerdings nicht berücksichtigt [4].

Tab. 1 Beispiele für die operationale Definition akut-symptomatischer Anfälle unterschiedlicher Ätiologie laut ILAE [1]

Kasuistik

Ein 62-jähriger, bisher neurologisch gesunder Berufskraftfahrer erlitt erstmals und ohne jegliche Vorboten einen bilateral tonisch-klonischen Anfall, kurz nachdem er nach einer längeren Fahrt aus seinem Lkw gestiegen war. Der neurologische Untersuchungsbefund in der erstversorgenden Klinik war unauffällig. Das sofort durchgeführte cCT und das wenige Stunden später folgende cMRT zeigten eine kortexnahe Hirnparenchymblutung links frontal (Abb. 1). Der Patient nahm wegen Vorhofflimmerns Phenprocoumon (Marcumar®; MEDA Pharma GmbH & Co. KG, Bad Homburg, Deutschland) ein; die INR betrug in der Rettungsstelle 4,3 (Zielbereich: 2–3). Das Blutungsareal wurde 3 Wochen später in einer weiteren Klinik reseziert, weil ein zugrunde liegendes Kavernom vermutet wurde. Die histopathologische Aufarbeitung ergab allerdings einen unauffälligen Befund.

Abb. 1
figure 1

Natives cCT (a) und cMRT (b native T1; c FLAIR) am Tag des Anfalls mit Nachweis einer intrazerebralen Hämorrhagie. Die Spiegelbildung ist typisch für Koagulopathien. Fehlende T1-Hyperintensitäten sprechen sowohl gegen eine Kavernomblutung als auch gegen ein Alter von über 3 Tagen

Sechs Monate nach dem Anfall stellte sich der Patient in der Epilepsieambulanz der Charité – Universitätsmedizin Berlin vor. Er nahm seither täglich 1 g Levetiracetam ein; weitere Anfälle waren nicht aufgetreten. Er fragte, wie lange er das Medikament noch einnehmen solle und ab wann er wieder privat Auto sowie beruflich Bus und Lkw fahren dürfe. Nach eigener neuroradiologischer Re-Evaluation (E.S.) der akut und im Verlauf durchgeführten Bildgebung ist die Hämorrhagie als atraumatisch einzuordnen und auf die Einnahme von Phenprocoumon zurückzuführen („Marcumar-Blutung“). Zum Zeitpunkt des Anfalls war die Blutung ausweislich der Bildgebung nicht älter als 3 Tage, damit war der Anfall definitionsgemäß akut-symptomatisch.

Diskussion

Die Unterscheidung zwischen akut-symptomatischen und unprovozierten Anfällen ist wichtig für die Prognoseabschätzung; zudem muss zwischen strukturell und systemisch bedingten Anfällen differenziert werden. Akut-symptomatische Anfälle aufgrund einer strukturellen Hirnläsion bergen eine Wahrscheinlichkeit späterer unprovozierter Anfälle von 20–40 % binnen 5 bis 10 Jahren (Abb. 2; [7, 10]). In Einzelfällen kann sie höher liegen, z. B. nach Hirninfarkt bei sehr hohem SeLECT-Score [7]; Anfälle nach akuter Kavernomblutung, wie bei unserem Patienten differenzialätiologisch initial diskutiert, gelten wegen des hohen Risikos weiterer unprovozierter Anfälle nicht als akut-symptomatisch [13]. Hingegen bergen akut-symptomatische Anfälle aufgrund transienter systemischer Störungen laut bisher unpublizierter Daten des PROSA-Registers [9] und übereinstimmender Meinung von Expert:innen kein relevantes Risiko späterer unprovozierter Anfälle [2]. Allerdings können bei ca. 30 % in 3 Jahren weitere akut-symptomatische Anfälle auftreten, z. B. bei neuerlichem Alkoholentzug oder erneuter Hypoglykämie [3].

Abb. 2
figure 2

Kumulative Wahrscheinlichkeit unprovozierter epileptischer Rezidivanfälle in Abhängigkeit von der Zeit (nach [7,8,9,10, 12]). Ein Risiko von ≥ 60 % in 10 Jahren (gestrichelte Linie) definiert eine Epilepsie [6]

Zeigen nach einem ersten unprovozierten Anfall weder EEG noch Bildgebung pathologische Auffälligkeiten, spricht man von einem isolierten unprovozierten Anfall. Das Risiko für einen weiteren unprovozierten Anfall in den nächsten 5 Jahren beträgt dann 30–40 %. Ein zweiter unprovozierter Anfall birgt bereits ein Risiko weiterer Anfälle von ca. 75 % (Abb. 2), daher definieren 2 separate unprovozierte Anfälle eine Epilepsie. Wenn sich nach einem ersten unprovozierten Anfall aus EEG oder Bildgebung Hinweise auf eine ähnlich hohe Anfallswahrscheinlichkeit (> 60 % in 10 Jahren) ergeben, definiert bereits dieser erste unprovozierte Anfall eine Epilepsie [5].

Die Wahrscheinlichkeit unprovozierter Anfallsrezidive beeinflusst die Indikation einer medikamentösen Anfallsprophylaxe. Klinische Leitlinien empfehlen nach akut-symptomatischen Anfällen aufgrund des relativ niedrigen Risikos weiterer Anfälle in der Regel keine längerfristige Medikation [11] bzw. sehen diese als Einzelfallentscheidung [5]. Zudem bedingt die Wahrscheinlichkeit weiterer Anfälle die Dauer einer fehlenden Fahreignung für Kfz der Gruppe 1 (bis 3,5 t ohne berufsmäßige Personenbeförderung) und der Gruppe 2 (ab 3,5 t bzw. berufsmäßige Personenbeförderung). In den BASt-LL ist die Dauer der fehlenden Fahreignung nach epileptischen Anfällen festgelegt (Tab. 2; [4]). Thematisiert sind akut-symptomatische Anfälle ohne strukturelle Hirnläsion, isolierte unprovozierte Anfällen und Epilepsien. Akut-symptomatische Anfälle bei struktureller Hirnläsion finden in der seit 2009 unveränderten Version keine Berücksichtigung.

Tab. 2 Dauer der fehlenden Fahreignung. (Nach [4])

Das Risiko für ein unprovoziertes Anfallsrezidiv nach akut-symptomatischem Anfall mit struktureller Hirnläsion ist höher als nach akut-symptomatischem Anfall ohne strukturelle Läsion. Daher muss die Dauer der fehlenden Fahreignung entsprechend länger sein. Das Risiko liegt aber signifikant niedriger als nach einem unprovozierten Anfall bei struktureller Läsion, welcher eine Epilepsie definiert; entsprechend muss die Dauer der fehlenden Fahreignung kürzer sein. Statistisch liegt das Risiko für ein Anfallsrezidiv nach einem strukturell bedingten akut-symptomatischen Anfall ähnlich hoch wie nach einem isolierten unprovozierten Anfall (Abb. 2).

Im konkreten Fall übertrugen wir daher die Empfehlung der BASt-LL nach isolierten unprovozierten Anfällen auf unseren Patienten. Wir klärten ihn darüber auf, dass er ab 6 Monate nach dem Anfall wieder privat seinen Pkw benutzen darf (Führerschein Gruppe 1). Da wir die Anfallsprophylaxe mit Levetiracetam beendeten, verlängerte sich die Dauer der fehlenden Fahreignung um weitere 3 Monate. Hinsichtlich seiner Fahreignung für Busse und Lkw (Gruppe 2) klärten wir den Patienten auf, dass er ohne Medikation 2 Jahre anfallsfrei sein muss. Er soll sich regelmäßig in unserer Sprechstunde vorstellen, damit wir nach semiologisch weniger auffälligen Anfällen fragen können, die er möglicherweise nicht als epileptisch wahrnimmt.

Wir schlagen vor, dass für akut-symptomatische Anfälle bei struktureller Hirnläsion die Zeiträume einer fehlenden Fahreignung von 6 Monaten (Gruppe 1) bzw. von 2 Jahren (Gruppe 2) in zukünftige Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung aufgenommen werden.

Fazit für die Praxis

  • Die Dauer der fehlenden Fahreignung nach akut-symptomatischem Anfall bei struktureller Hirnläsion ist aktuell nicht definiert.

  • Das Anfallsrezidivrisiko entspricht etwa dem nach einem isolierten unprovozierten Anfall.

  • Wir empfehlen daher eine fehlende Fahreignung von 6 Monaten für Pkw und von 2 Jahren für Busse und Lkw.