Hintergrund

Akut-symptomatische epileptische Anfälle sind Symptom einer akuten Störung der Gehirnfunktion. Laut einem Definitionsvorschlag der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) sind alle klinisch manifesten epileptischen Anfälle als akut-symptomatisch zu werten, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer strukturellen, entzündlichen, metabolischen oder anderweitig definierten Gehirnschädigung auftreten. Dies umfasst z. B. alle epileptischen Anfälle, die sich innerhalb der ersten 7 Tage nach einem Hirninfarkt oder einem hirnchirurgischen Eingriff ereignen, oder alle epileptischen Anfälle während einer Hypoglykämie von < 36 mg/dl (< 2,0 mmol/l) [2]. Akut-symptomatische Anfälle können sich einzeln oder repetitiv manifestieren [14]. Die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens hängt von der zugrunde liegenden Erkrankung oder Störung ab und reicht bei strukturellen Ursachen von ca. 1,3 % nach Hirninfarkt [22] und 4 % nach intrakranieller Blutung [21] über 34 % nach Hirnvenenthrombose [15] bis zu fast 95 % bei bestimmten autoimmun bedingten Enzephalitiden [8].

Das Auftreten akut-symptomatischer Anfälle beispielsweise nach Hirninfarkt [7] oder Hirnvenenthrombose [17] ist mit einem 4‑ bis 6‑fach erhöhten Risiko späterer unprovozierter epileptischer Anfälle im Sinne einer Epilepsie assoziiert. Dennoch ist das absolute Risiko unprovozierter Anfallsrezidive nach akut-symptomatischem Anfall gering. In einer wegweisenden retrospektiven Studie haben Dale Hesdorffer und Kolleg:innen 2009 gezeigt, dass Personen mit erstmaligem akut-symptomatischem Anfall aufgrund einer strukturellen Hirnläsion ein kumulatives Risiko von 19 % haben (95 %-Konfidenzintervall 14–25 %), innerhalb von 10 Jahren einen unprovozierten epileptischen Anfall zu erleiden. Hingegen haben Menschen mit einem ersten unprovozierten Anfall und struktureller Hirnläsion ein 10-Jahres-Anfallsrisiko von 65 % (55–74 %) ([11]; Abb. 1). Da eine Epilepsie definitionsgemäß ein 10-Jahres-Risiko unprovozierter Anfälle von mindestens 60 % voraussetzt [6], sind akut-symptomatische Anfälle also keineswegs mit einer Epilepsie gleichzusetzen.

Abb. 1
figure 1

Kumulatives Zehn-Jahres-Risiko unprovozierter epileptischer Anfälle nach strukturell bedingtem akut-symptomatischem Erstanfall (rot) bzw. strukturell bedingtem unprovoziertem Erstanfall (grün). Dunkelblaues Quadrat und Fehlerbalken zeigen das hypothetische 1‑Jahres-Risiko als primären Endpunkt des PROSA-Registers mit 95 %-Konfidenzintervall. (Mod. nach Hesdorffer et al. 2009 [11], mit freundl. Genehmigung)

Dementsprechend gib es keine Evidenz dafür, dass nach akut-symptomatischen Anfällen eine längerfristige medikamentöse Anfallsprophylaxe gegeben werden sollte. Auch die aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der European Stroke Organisation empfehlen nach akut-symptomatischem Anfall keine oder höchstens eine kurzfristige Gabe einer anfallsvorbeugenden Medikation [1, 13]. Allerdings basieren diese Empfehlungen im Wesentlichen auf der oben genannten retrospektiven Studie von Hesdorffer et al., deren Daten in den 1950er- bis 1990er-Jahren erhoben wurden. Auch wurde in der Studie nicht dafür kontrolliert, ob und zu welchem Zeitpunkt die Untersuchten eine medikamentöse Anfallsprophylaxe einnahmen [11].

Nach Erfahrung der Autor:innen dieses Artikels werden akut-symptomatische Anfälle entgegen der Evidenz und den Leitlinienempfehlungen durchaus längerfristig medikamentös behandelt. Eine eigene aktuelle Untersuchung ergab, dass Menschen mit akut-symptomatischen Anfällen im Rahmen einer intensivmedizinischen Behandlung regelhaft mit einer anfallsvorbeugenden Medikation von der Intensivstation entlassen werden, ohne dass die Anfälle im Verlegungsbrief als akut-symptomatisch bezeichnet wären oder ein späteres Absetzen der Medikation empfohlen würde [20].

Das hier vorgestellte Register zur Prognose akut-symptomatischer Anfälle (PROSA-Register) hat zum Ziel, das Risiko unprovozierter epileptischer Anfallsrezidive bei Personen zu erheben, die einen akut-symptomatischen Anfall hatten und nach aktueller Evidenz und derzeit gültigen Leitlinien behandelt wurden. Anders als in der Studie von Hesdorffer et al. soll hier die evtl. Einnahme anfallsvorbeugender Substanzen berücksichtigt werden. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf strukturell bedingten akut-symptomatischen Anfällen, weil das Rezidivrisiko aufgrund eines Parenchymschadens besonders hoch sein dürfte und dessen möglichst genaue Abschätzung hier von besonderem therapeutischem Interesse ist. Da ein akut-symptomatischer Status epilepticus ein etwa 3‑fach erhöhtes langfristiges Anfallsrisiko mit sich bringt [12], werden Menschen mit Status epilepticus von der Studienteilnahme ausgeschlossen.

Hypothesen

Das PROSA-Register soll folgende Primärhypothese bestätigen oder widerlegen: Nach einem akut-symptomatischen Erstanfall struktureller Ätiologie (z. B. zerebrovaskulär, traumatisch, entzündlich mit bildgebender Parenchymaffektion) liegt das 1‑Jahres-Risiko für unprovozierte Rezidivanfälle auch bei leitliniengerecht nicht oder nur kurzfristig eingesetzter medikamentöser Anfallsprophylaxe bei höchstens 25 %. Die Sekundärhypothese lautet: Akut-symptomatische Erstanfälle auf dem Boden einer strukturellen Hirnläsion führen zu einem höheren Risiko für unprovozierte Rezidivanfälle als akut-symptomatische Erstanfälle aufgrund einer nichtstrukturellen Ätiologie (z. B. metabolisch, entzündlich ohne bildgebende Parenchymaffektion).

Studiendesign

Das PROSA-Register ist eine einarmige, offene, prospektive Beobachtungsstudie.

Methoden

Organisatorischer Rahmen

Die Studie wird von der Arbeitsgruppe Klinische und experimentelle Epileptologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin koordiniert und multizentrisch im Forschungsnetzwerk IGNITE! (Initiative of German NeuroIntensive Trial Engagement) der Deutschen Gesellschaft für Neurointensiv- und -notfallmedizin (DGNI) durchgeführt [3]. Zehn deutsche Kliniken, davon 9 Universitätskliniken, rekrutieren aktiv Teilnehmer:innen [4].

Ein- und Ausschlusskriterien

Eingeschlossen werden können Personen mit einem Alter von mindestens 18 Jahren, die in den 14 Tagen zuvor einen klinisch sicheren, akut-symptomatischen [2], erstmaligen epileptischen Anfall hatten. Auszuschließen sind allerdings Personen, deren akut-symptomatischer Erstanfall die Diagnosekriterien eines Status epilepticus erfüllt; das sind generalisierte/bilaterale tonisch-klonische Anfälle von mehr als 5 min Dauer und andere epileptische Anfälle von mehr als 10 min Dauer [18].

Einwilligung und Einschluss

Infrage kommende Patient:innen oder ihre Betreuungspersonen werden über Aushänge und eine schriftliche Studieninformation über das PROSA-Register informiert. Mündliche Aufklärung und Einschluss übernehmen lokale Studienärzt:innen, die gleichzeitig auch Behandler:innen sein dürfen.

Endpunkte

Primärer Endpunkt sind das Auftreten und ggf. der Zeitpunkt eines ersten unprovozierten epileptischen Rezidivanfalls innerhalb von 12 Monaten nach akut-symptomatischem Erstanfall. Sekundäre Endpunkte sind u. a. das evtl. Auftreten zusätzlicher akut-symptomatischer Anfälle, Dauer und Art einer evtl. medikamentösen Anfallsprophylaxe, evtl. Rehospitalisierung wegen eines epileptischen Rezidivanfalls und allgemeiner Funktionszustand gemäß modifizierter Rankin-Skala (mRS) [19].

Zeitlicher Ablauf

Studiendaten werden während und nach dem Krankenhausaufenthalt (intra- und posthospital) erhoben. Intrahospital werden Studiendaten bei Studieneinschluss (Z0), ggf. bei Verlegung von Intensiv- auf Normalstation (Z1) und bei Entlassung aus der Akutklinik (Z2) erhoben. Posthospital werden 3, 6 und 12 Monate nach Erstanfall (Z3, Z6, Z12) telefonisch oder postalisch Studiendaten erhoben (Abb. 2). Eine verlängerte Nachbeobachtung für bis zu 36 Monate ist möglich.

Abb. 2
figure 2

Studienablauf. Der Einschluss in die Studie hat spätestens 14 Tage nach akut-symptomatischem Erstanfall stattzufinden. Während des intrahospitalen Verlaufs werden zu 3 Zeitpunkten Studiendaten aus der Krankenakte abgefragt. Nach Entlassung werden nach 3, 6 und 12 Monaten Telefoninterviews oder postalische Befragungen durchgeführt. Weitere Befragungen nach bis zu 36 Monaten sind durch die Ethikkommissionen genehmigt. mRS allgemeiner Funktionszustand gemäß modifizierter Rankin-Skala

Fallzahl

Die Fallzahlschätzung basiert auf einem Ereignis-Zeit-Regressionsmodell, welches für Alter und konkurrierende Ereignisse (weitere akut-symptomatische Anfälle, Studienabbrüche) adjustiert wurde [5]. Basierend auf dem kumulativen 1‑Jahres-Rezidivrisiko von 13 % aus Referenz [11] wurde angenommen, dass über 1 Jahr hinweg 15 % der Teilnehmenden ein unprovoziertes Anfallsrezidiv haben und weitere 20 % die Studienteilnahme abbrechen (Abb. 1). Damit das obere Ende des 95 %-Konfidenzintervalls für unprovozierte Anfallsrezidive nach 12 Monaten unter 25 % liegt, müssen insgesamt 115 Personen mit strukturell bedingtem akut-symptomatischem Erstanfall in die Studie eingeschlossen werden. Zusätzlich sollen beliebig viele weitere Personen mit akut-symptomatischem Erstanfall nichtstruktureller Ätiologie eingeschlossen werden.

Rekrutierung

Rekrutiert wird vorwiegend, aber nicht ausschließlich, auf Neurointensivstationen, da dort besonders viele Menschen mit akut-symptomatischen epileptischen Anfällen behandelt werden [20].

Randomisierung, Ver- und Entblindung, Interventionen, Risikobeherrschung

(Nicht zutreffend.)

Datenerhebung und -management

Datenerhebung

Die intrahospitalen Studiendaten (Z0, Z1, Z2) zu Anfällen, Medikation und allgemeinem Funktionszustand der Patient:innen werden aus der Krankenakte erhoben. Die posthospitalen Studiendaten (Z3, Z6, Z12) werden telefonisch oder postalisch erfragt. Zur Erfassung epileptischer Rezidivanfälle wird ein modifizierter Screeningfragebogen mit 4 Einzelfragen genutzt [16]. Falls eine der 4 Fragen bejaht wird, folgt eine ärztliche Nachexploration zur Sicherung der Angaben.

Förderung der Datenvollständigkeit

Zu jedem posthospitalen Befragungszeitpunkt (Z3, Z6, Z12) werden die Teilnehmer:innen telefonisch kontaktiert. Falls dies wiederholt erfolglos bleibt, werden die Betreffenden postalisch gebeten, ihre Kontaktdaten zu aktualisieren und/oder die Studienfragen schriftlich zu beantworten. Bleibt auch hier eine Antwort aus, gilt die Studienteilnahme als abgebrochen.

Datenmanagement

Studiendaten werden über eine REDCap-Datenbank an der Charité – Universitätsmedizin Berlin zusammengetragen und verwaltet. REDCap (Research Electronic Data Capture) ist eine sichere, webbasierte Softwareplattform zur Erhebung von Daten, zur Überwachung von Modifikation und Export der Daten und zum automatisierten Datenexport für die Weiterverarbeitung mit statistischer Software [9, 10]. Eingetragene Studiendaten werden vom Letztautor quartalsweise auf Konsistenz und Plausibilität geprüft.

Vertraulichkeit

Je nach Vorgaben der lokalen Ethikkommission werden Kontaktdaten teilnehmender Personen entweder an die Studienkoordination versandt und dort geschützt und getrennt von den pseudonymisierten Studiendaten aufbewahrt, oder die Kontaktdaten verbleiben vollständig im rekrutierenden Studienzentrum. Entsprechend wird die posthospitale Nachverfolgung entweder zentral durch die Studienkoordination an der Charité – Universitätsmedizin Berlin (Erstautorin und Letztautor) oder dezentral im rekrutierenden Studienzentrum durchgeführt.

Statistische Methodik

Der primäre Endpunkt der Studie, Auftreten und Zeitpunkt unprovozierter Anfallsrezidive, wird über eine Kaplan-Meier-Analyse ausgewertet. Mögliche Prädiktoren für unprovozierte Anfallsrezidive werden mit multivariablen Regressionsanalysen identifiziert.

Verfügbarkeit der Studiendaten

Das vollständige Studienprotokoll, anonymisierte individuelle Teilnehmerdaten und statistische Methodik können nach Abschluss der Studie bei berechtigtem Interesse auf Anfrage zur Verfügung gestellt werden.

Veröffentlichung von Ergebnissen

Die Studienergebnisse werden anonymisiert auf nationalen und internationalen Fachkongressen vorgestellt und in nationalen und internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht.

Diskussion

Das PROSA-Register soll die Evidenz zur Anfallsprognose nach akut-symptomatischem Anfall stärken. Die Ergebnisse sollen zeigen, dass bzw. in welchen Fällen eine medikamentöse Anfallsprophylaxe nach akut-symptomatischen Anfällen noch vor Entlassung von der Intensivstation abgesetzt werden kann, ohne dass ein relevantes Risiko unprovozierter Rezidivanfälle besteht.

Von besonderem Interesse sind Personen, die nach akut-symptomatischem Anfall keine längerfristige medikamentöse Anfallsprophylaxe erhalten. Da das PROSA-Register allerdings eine Beobachtungs- und keine Interventionsstudie ist, ist die Behandlung der Teilnehmenden den jeweils behandelnden Ärzt:innen freigestellt. Diese sind also nicht verpflichtet, eingeschlossene Personen tatsächlich nicht oder nur kurzfristig mit anfallsvorbeugenden Medikamenten zu behandeln. Hierfür wäre eine Interventionsstudie notwendig. Andererseits kann das PROSA-Register durch seinen beobachtenden Charakter einen Einblick in die derzeitige Behandlungswirklichkeit in Deutschland nach akut-symptomatischem Anfall bieten.

Eine weitere potenzielle Limitation der Studie ist, dass mögliche Anfallsrezidive lediglich telefonisch oder schriftlich erfragt werden. Wie in anderen Studien zu epileptischen Anfällen basiert der primäre Endpunkt also auf der Verlässlichkeit der Beobachtungen von Teilnehmer:innen und ihrem persönlichen Umfeld. Für eine möglichst hohe diagnostische Zuverlässigkeit werden Screeningfragen nach epileptischen Anfällen eingesetzt, an deren Bejahung sich eine ärztliche Exploration anschließt.

Insgesamt sollen die Studienergebnisse dazu beitragen, dass künftig weniger Menschen nach akut-symptomatischem Anfall mit anfallsvorbeugenden Medikamenten behandelt werden, die in der Risiko-Nutzen-Abwägung nicht indiziert sind.

Fazit

  • In diesem Artikel wird das Studienprotokoll des PROSA-Registers vorgestellt.

  • Es handelt sich um eine prospektive, multizentrische, nationale, offene, einarmige Beobachtungsstudie.

  • Personen über 18 Jahren mit akut-symptomatischem Erstanfall werden über mindestens 12 Monate telefonisch nachverfolgt.

  • Primärer Endpunkt ist das Auftreten eines unprovozierten Rezidivanfalls.

  • Die Ergebnisse sollen bestätigen, dass nach akut-symptomatischen Anfällen nur ein geringes Risiko späterer unprovozierter Anfälle besteht.

  • Die Rekrutierung für das PROSA-Register ist beendet. Die Nachverfolgung wird bis in das 3. Quartal 2022 andauern.