Tuberöse Sklerose (tuberöse Sklerose-Komplex, „tuberous sclerosis complex“ [TSC]) ist eine seltene genetische Erkrankung mit einer weltweiten Prävalenz von ca. 1 pro 5000 bis 8000 [1,2,3]. TSC zeigt einen autosomal-dominanten Erbgang, wobei sich lediglich 30 % der Fälle auf eine Mutation oder Deletion im Genom eines Elternteils zurückführen lassen. Bei etwa 70 % der Betroffenen liegt eine sporadische Erkrankung mit spontaner Mutation vor. Bisher konnten 2 unterschiedliche Gene identifiziert werden, die zu einer TSC-Erkrankung führen und auf Chromosom 9, Genlocus q34 (TSC1, Hamartin) bzw. Chromosom 16, Genlocus p13.3 (TSC2, Tuberin) kodiert sind. Pathophysiologisch kodieren TSC1 und TSC2 zentrale Proteine des TSC-Proteinkomplexes, dem eine kritische modulierende Funktion des Mitose-regulierenden mTOR-Komplexes 1 zukommt („Tumorsuppressorgene“) [4]. Patienten mit TSC weisen einen dysfunktionalen TSC-Proteinkomplex auf, was sich u. a. durch Malignome in multiplen Organen manifestieren kann. Neben pathognomonischen Hautveränderungen, Angiomyolipomen der Nieren, Rhabdomyomen oder Entwicklungsverzögerungen („TSC-associated neuropsychiatric disorders“ [TANDs]) sind epileptische Anfälle ein häufiges und in der Regel frühes Symptom einer TSC-Erkrankung. Im Krankheitsverlauf lassen sich bildgebend häufig zerebrale Tubera, subepidermale Knötchen oder subependymale Riesenzellastrozytome („subependymal giant cell astrocytoma“ [SEGA]) darstellen, welche z. T. als Anfallsursprungszone identifiziert werden konnten [1, 4].

TSC-assoziierte Epilepsien manifestieren sich zumeist innerhalb der ersten 3 Lebensjahre, wobei initial meist fokale Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung sowie infantile Spasmen auftreten. Eine Behandlung mit Vigabatrin oder adrenokortikotropem Hormon (ACTH) führt in den meisten Fällen zu einer kurzfristigen Besserung der epileptischen Anfälle. Ein Großteil der Betroffenen entwickelt jedoch eine medikamentös therapierefraktäre Epilepsie mit meist generalisiert tonisch-klonischen Anfällen als Hauptsemiologie, was eine enorme Belastung für die Erkrankten und deren Umfeld darstellt [2, 5, 6]. Neben individuellen symptomatischen Therapieansätzen einzelner Organmanifestationen der Erkrankung wurde 2010 der mTOR-Inhibitor Everolimus (EVE, 42-O-(2-hydroxy)ethyl rapamycin) in den USA für die Behandlung von TSC-assoziierten SEGAs zugelassen, wobei die Zulassung 2012 um die Behandlungsindikation renaler Angiomyolipome erweitert wurde. Seit 2017 besteht zudem in der Europäischen Union eine Zulassung für die Behandlung medikamentös therapierefraktärer TSC-assoziierter Epilepsien mit fokal eingeleiteten Anfällen [7, 8].

Das Ziel dieses systematischen Reviews ist die Aufarbeitung der bestehenden Evidenz einer syndromspezifischen Behandlung von TSC-assoziierten Epilepsien mit EVE.

Methodik

Das vorliegende Review basiert auf einer systematischen Literaturrecherche, welche im Oktober 2020 über die Metadatenbank PubMed (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/) unter Einbezug der MEDLINE-, EMBASE- und Cochrane-Datenbanken erfolgte. Zur Maximierung der Trefferwahrscheinlichkeit wurden unterschiedliche Suchtermini genutzt, die sich aus den Begriffen „tuberous sclerosis“, „epilepsy“, „seizures“ und „everolimus“ zusammensetzten und mittels Boolescher Operatoren kombiniert wurden. Bei der anschließenden Auswertung wurden nur Studien an Menschen berücksichtigt, wobei sich an den „Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses“ (PRISMA) orientiert wurde [9, 10]. Darüber hinaus wurden bereits verfügbare Reviews und Metaanalysen verwendet, um Publikationen zu identifizieren, die durch den Suchalgorithmus nicht detektiert wurden [11,12,13,14]. Zwecks besserer Lesbarkeit sowie bei zumeist niedrigen Patientenzahlen pro Publikation wurden alle Prozentzahlen kaufmännisch auf- bzw. abgerundet.

Ergebnisse

Literaturrecherche.

Die systematische Literaturrecherche erbrachte insgesamt 84 Publikationen, hiervon 34 für den Term „Everolimus“ AND „Tuberous Sclerosis“ AND „Epilepsy“ (40 %) und 50 für den Term „Everolimus“ AND „Tuberous Sclerosis“ AND „Seizures“ (60 %). Drei zuvor nicht erfasste Publikationen wurden aus Übersichtsarbeiten ergänzt (4 %). Nach Ausschluss von 9 Publikationen, die durch beide Suchtermini detektiert worden waren (11 %), wurden die verbleibenden 78 Publikationen (93 %) im Hinblick auf ihren Inhalt analysiert, wobei 59 Arbeiten ausgeschlossen wurden, da diese (1) keine Originalarbeiten waren, (2) keine humanen Daten enthalten waren oder (3) kein direkter thematischer Zusammenhang erkennbar war. Die residualen 19 Studien (23 %) gingen in die qualitative Analyse dieses Reviews ein. Eine qualitative Metaanalyse war aufgrund der Datenlage nicht sinnvoll (Abb. 1).

Effektivität, Verträglichkeit und Sicherheit.

Unter den eingeschlossenen Publikationen konnten 11 prospektive bzw. retrospektive Studien ausgewertet werden (68 %), die zusammengenommen über 1161 Patienten (nach Ausschluss doppelt eingeschlossener Patienten 477) mit Aberrationen im TSC1- und/oder TSC2-Gen sowie fehlendem Mutationsnachweis im Alter von 0 bis 56 Jahren berichteten. Eine Anfallsreduktion ≥ 50 % (oder vergleichbares Äquivalent) wurde in 27–100 % der Fälle beschrieben. Therapieassoziierte Nebenwirkungen traten in 28–100 % der berichteten Fälle auf, wobei auch hier überwiegend Folgen der Immunsuppression durch EVE, Lipidstoffwechselstörungen sowie Blutbildveränderungen beobachtet wurden (Tab. 1; [12, 15,16,17,18,19,20]). Unter diesen Studien konnte eine randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studie (EXIST-3) identifiziert werden, die EVE als Add-on-Therapie bei TSC-assoziierten refraktären Epilepsien mit fokalem Anfallsbeginn untersucht. Insgesamt wurden 366 Patienten im Alter von 2 bis 65 Jahren an 99 Zentren in 25 Ländern eingeschlossen und randomisiert auf eine Placebo- (n = 119) sowie eine Verumgruppe (n = 117, 3–7 ng/ml) mit niedrigerem und eine Verumgruppe mit höherem EVE-Zielspiegel (n = 130, 9–15 ng/ml) verteilt. Für die Verumgruppen konnten ein therapeutisches Ansprechen mit ≥ 50 % Anfallsreduktion in 28 % (niedriger Zielspiegel) bzw. 40 % (höherer Zielspiegel) sowie eine mittlere prozentuale Anfallsreduktion von 29 % bzw. 40 % gezeigt werden. Therapieassoziierte relevante Nebenwirkungen werden unter EVE häufig berichtet, zumeist in Form von leichten und transienten Infekten infolge der systemischen Immunmodulation, z. B. Stomatitis, Diarrhö, Nasopharyngitis oder Infektionen des oberen Atemwegs [21]. Neben der EXIST-3-Studie wurden in diesen Review eine offene Langzeit-Verlängerungsstudie, die aus dem gleichen Patientenkollektiv rekrutiert hatte [22], sowie mehrere Post-hoc-Analysen eingeschlossen ([23, 24]; Tab. 1).

Tab. 1 Effizienz, Verträglichkeit und Nebenwirkungen von EVE bei TSC-assoziierter, therapierefraktärer Epilepsie: verfügbare prospektive und retrospektive Studien [12, 15,16,17,18,19,20]
Tab. 2 Effizienz, Verträglichkeit und Nebenwirkungen von EVE bei TSC-assoziierter, therapierefraktärer Epilepsie: verfügbare Fallberichte und Fallserien [12, 15,16,17,18,19,20]

Zudem konnten 8 Fallberichte oder Fallserien (42 %) mit insgesamt 16 Patienten mit Mutationen im TSC1- oder TSC2-Gen sowie fehlendem Mutationsnachweis im Alter von 0 bis 23 Jahren ausgewertet werden. Eine Anfallsreduktion ≥ 50 % (oder vergleichbares Äquivalent) wurde in 12/16 Patienten beschrieben (75 %). Therapieassoziierte Nebenwirkungen bei 75 %, wobei überwiegend Folgen der Immunsuppression durch EVE sowie Lipidstoffwechselstörungen und Stimmungsänderungen beschrieben sind (Tab. 2; [25,26,27,28,29,30,31,32]).

Diskussion

Maßgeschneiderte Therapieansätze sind über die letzten Jahre zunehmend in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt und gelten insbesondere im Bereich der Epileptologie als vielversprechende zukünftige Behandlungsoptionen [33,34,35]. Mit EVE steht bei Patienten mit TSC eines der wenigen, bereits aktuell verfügbaren krankheitsspezifischen und krankheitsmodulierenden („disease modifying therapy“ [DMT]) Medikamente in der Behandlung von Epilepsie zur Verfügung, wobei EVE pathophysiologisch unmittelbar in den durch die bisher bekannten Mutationen des TSC1- oder TSC2-Gens eingreift und die fehlende regulierende Funktion des TSC-Proteinkomplexes auf den mTOR-Signalweg zumindest teilweise zu restituieren vermag [4, 35]. Aufgrund der direkten Wirkweise auf den deregulierten Signalweg wurde in den letzten Jahren sogar über eine potenzielle primärprophylaktische Therapie mit EVE zur Unterbindung oder Modifikation der Epileptogenese bei TSC diskutiert [35]. Des Weiteren kommt eine mTOR-Inhibition hypothetisch auch als Präzisionstherapie anderer genetischer Erkrankungen, die zu einer mTOR-Disinhibition führen, infrage. Hier ist insbesondere die familiäre fokale Epilepsie mit variablen Foci (FFEVF) auf der Basis von Mutationen im DEPDC5-, NPRL2- oder NPRL3-Gen zu nennen [36].

Auch wenn die Anzahl an verfügbaren Publikationen über die Effizienz, Verträglichkeit und Sicherheit von EVE bei TSC-assoziierter, therapierefraktärer Epilepsie noch gering ist, so zeigen neben einzelnen Fallberichten, Fallserien oder kleineren retrospektiven oder prospektiven Studien insbesondere die Resultate der EXIST-3-Studie [21] sowie deren Verlängerungsstudie und Post-hoc-Subgruppenanalysen vielversprechende Resultate mit einem Ansprechen bei 18–60 % der Behandelten [22,23,24]. Hierbei konnte insbesondere für die mit einer höheren EVE-Dosierung behandelten Patienten (Zielserumkonzentration von 9–15 ng/l) ein besseres Ansprechen gezeigt werden [21]. Hinweise auf eine verminderte Wirkung bei längerer Einnahme fanden sich nicht, vielmehr profitierten Patienten, die initial auf EVE eine Anfallsreduktion zeigten, über einen Zeitraum von bis zu 4 Jahren langfristig von der Therapie [22]. Zudem sind in der Literatur Fälle berichtet, bei denen das Absetzen von EVE zu einer deutlichen Anfallszunahme geführt hatte, weswegen ein solcher Schritt kritisch geprüft werden sollte [27]. Eine über die qualitative Auswertung hinausgehende systematische Metaanalyse war aufgrund der niedrigen Anzahl größerer retrospektiver oder prospektiver Studien sowie deren unterschiedlichen Designs nicht sinnvoll. Zusammenfassend besteht gemäß dem etablierten OXFORD-Klassifikationssystems des Oxford Centre for Evidence-Based Medicine (CEBM) eine Klasse-B-Evidenz für die Effizienz von EVE bei TSC-assoziierten, therapierefraktären Epilepsien [37]. Aufgrund der Übereinstimmung der prospektiven und retrospektiven Studien schätzen die Autoren dieses Reviews den therapeutischen Effekt gemäß der GRADE(Grading Recommendations Assessment, Developement and Evaluation)-Skala als „hoch“ (Grad 1) ein [38].

Die Verträglichkeit einer Therapie mit EVE scheint akzeptabel, wobei ein Großteil der Patienten transiente therapieassoziierte Nebenwirkungen zeigt, welche meist Folge der allgemeinen Immunsuppression oder Veränderungen von Blutbild bzw. Blutfetten waren [35]. Wichtig in Bezug auf das Auftreten von Nebenwirkungen sowie die Interaktion mit anderen Medikamenten scheint insbesondere die Metabolisierung über das hepatische Zytochrom-P-System (insbesondere CYP 450 3A4), weswegen z. B. die Einnahme von Cannabidiol oder anderen über CYP 450 3A4 verstoffwechselten Medikamenten zu einem kritischen Anstieg des Serumspiegels von EVE führen kann [25]. Im Rahmen weniger Studien kam es zu Todesfällen unter Probanden, die mit EVE in Verbindung gebracht wurden – meist durch Pneumonien oder andere schwere Infekte als Folge der systemischen Immunsuppression [22, 24]. Zudem muss bedacht werden, dass der Einsatz von Lebendimpfstoffen während der Behandlung mit EVE vermieden werden sollte [39]. Vor Beginn der Therapie sollte daher ein Abgleich des Impfausweises mit den empfohlenen Impfungen der ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts (RKI) erfolgen. Bei Patienten < 18 Jahren, bei denen keine unmittelbare Behandlungsindikation besteht, wird der Abschluss der empfohlenen Kinderschutzimpfungen mit Lebendimpfstoffen seitens des Herstellers empfohlen. Darüber hinaus sind unter EVE Komplikationen bei der Wundheilung beschrieben, was typisch für alle Rapamycin-Derivate ist [39]. Absehbare Operationen sollten daher vor Beginn der Therapie erfolgen. Zudem stellen die – zugegeben seltene – hereditäre Galaktoseintoleranz sowie vollständiger Laktasemangel oder Glukose-Galaktose-Malabsorption eine Kontraindikation der Einnahme von EVE dar [39].

Neben den geschilderten medizinischen und krankheitsmodifizierenden Aspekten einer Behandlung mit EVE erscheint eine frühe suffiziente und krankheitsspezifische antikonvulsive Therapie auch aus ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten von Relevanz. Mit Behandlungskosten bis zum 83.000 € pro Krankheitsjahr verursacht TSC hohe krankheitsspezifische Kosten sowie eine im Vergleich zur Normalbevölkerung deutlich erhöhte Mortalität von 5–8 % über einen Zeitraum von 8 bis 17 Jahren [2]. Da insbesondere aktive Epilepsien mit hohen Krankheitskosten korrelieren, scheint eine frühe und effiziente antikonvulsive Therapie aus medizinökonomischer Sicht erstrebenswert. Die sowohl mit einer progredienten TSC als auch mit einer aktiven Epilepsie einhergehende Reduktion der Lebensqualität für Patientinnen und Patienten mit TSC-assoziierter Epilepsie sowie deren Bezugspersonen stellt einen weiteren gewichtigen Grund für eine adäquate Behandlung von Anfällen und Grunderkrankung dar [2, 40,41,42,43,44].

Abb. 1
figure 1

PRISMA(„Preferred Reporting Items for Systematic reviews and Meta-Analyses“)-Flussdiagramm nach Bernardo et al. [9], mod. und übersetzt nach Ziegler et al. [10]

Fazit für die Praxis

Patienten mit TSC-Erkrankung und therapierefraktärer Epilepsie sollten frühzeitig über eine Behandlung mit EVE beraten werden, wobei neben der positiven Auswirkung auf die Anfallsfrequenz auch sonstige Organmanifestationen und Symptome berücksichtigt werden sollten. Vor Beginn der EVE-Therapie ist aufgrund der Komplexität der TSC-Erkrankungen eine interdisziplinäre Besprechung des individuellen Krankheitsfalls sowie, soweit noch nicht geschehen, eine Anbindung an eines der deutschen Tuberöse-Sklerose-Zentren zu empfehlen (weitere Informationen s. www.tsdev.info).