Durch Intensivierung der Schlaganfallbehandlung werden Neurologen vermehrt mit der speziellen Behandlung von Post-Schlaganfall-Anfall(PSA)- und Epilepsie(PSE)-Patienten in Berührung kommen. Epileptische Anfälle können sowohl Diagnostik als auch Therapie von Patienten mit Schlaganfällen komplizieren.

Im folgenden Manuskript wird einerseits auf die zurzeit durchgeführte Behandlung von epileptischen Anfällen und andererseits auf neue Therapieansätze eingegangen. Anfälle nach Schlaganfall erfordern eine individuelle Indikationsstellung und Nutzen-Risiko-Betrachtung der Effektivität und Nebenwirkungen der antikonvulsiven Therapie.

In der letzten Dekade wurden Verbesserungen der Schlaganfalltherapie und Rehabilitation erzielt. Bei geringerer Schlaganfallmortalität kann die PSE die Verlaufsprognose verschlechtern. Es stellt sich die Frage, wie häufig epileptische Anfälle nach Schlaganfall auftreten [43] und inwieweit eine Prophylaxe zu erzielen ist. Liefert die personalisierte Medizin Ansätze, Anfälle differenzierter zu behandeln? Diese Entwicklung führt zu zunehmendem Interesse an Post-Schlaganfall-Epilepsie (PSE). Im folgenden Manuskript werden 1. Indikation und aktuelle Auswahl medikamentöser Therapie, 2. Präventions- und 3. personalisierte Therapieansätze diskutiert.

Indikation und aktuelle Auswahl medikamentöser Therapie

Eine primärprophylaktische Anwendung eines antiiktalen Medikaments wird nach den Leitlinien der amerikanischen Herz-Schlaganfall-Assoziation selbst bei hämorrhagischen Infarkten nicht empfohlen [65]. Bei Vorkommen von 2 unprovozierten epileptischen Anfällen ist das Risiko mit 57 % (1 Jahr) und 73 % (4 Jahren) hoch, und es wird empfohlen, dann eine antiiktale Therapie einzuleiten [18]. Bei einem akut epileptischen Frühanfall „Post-Schlaganfall-Anfall“ (PSA) mit struktureller Läsion kann bereits unter bestimmten Bedingungen eine antiiktale Therapie erfolgen. So kann z. B. bei einem Anfall nach Infarkt mit hämorrhagischer Transformation eine kurzfristige Behandlung (1 Monat) günstig im Hinblick auf die Verhinderung von Spätanfällen und damit einer Epilepsie (PSE) sein [34]. Entsprechendes wird auch bei multiplen Frühanfällen (innerhalb 24 h) diskutiert. Bei einem akut symptomatischen Anfall infolge intrazerebraler Hämorrhagie, Sinusvenenthrombose und motorischen Defiziten kann u. U. eine mehrwöchige Therapie individuell erwogen werden [38]. Holtkamp et al. [24] empfehlen, die antiiktale Medikation bereits nach der Akutphase und Verlegung von der Schlaganfallstation abzusetzen. Allerdings erlaubt die Datenlage hierzu noch keine verbindliche Empfehlung. Bei Spätanfällen ist das Rezidivrisiko in den meisten Studien mit 55–90 % hoch. Kim et al. [29] berichteten, dass bei unbehandeltem Frühanfall die Rückfallrate 43 % und behandelt 34 % betrug. Bei einem Spätanfall hatten alle unbehandelten Patienten erneut Anfälle und im Behandlungsfall nur 43 %. Da ein solch klares Ergebnis in anderen Studien nicht vorlag, muss die Behandlung individuell nach Infarktcharakteristika, Anfallsgeschehen, Komorbidität, Adhärenz, Medikamentenverträglichkeit, Interaktionsprofil etc. entschieden werden. Schlaganfallschwere, kortikale Lokalisation, junges Alter und Hämorrhagie stellen wichtige Risikofaktoren dar. Zu einer Entscheidungshilfe können Risikoskalen beitragen [19, 57]. Bei Auftreten eines Spätanfalles sollte der Patient über das erhöhte Rückfallrisiko informiert werden und eine antiiktale Medikation empfohlen werden. Eine eingehende Diskussion über individuelle Behandlungsempfehlungen wird auf Grundlage der vorhandenen Studienlage durchgeführt [24]. Faktoren wie „leichte“ Anfälle (z. B. ohne Bewusstseinsverlust und ohne tonisch-klonische Entäußerungen sowie mit geringer Verletzungsgefahr im Anfall) können veranlassen, von einer antiiktalen Therapie Abstand zu nehmen. Eine Analyse von 135.117 Patienten mit ischämischem Schlaganfall ergab, dass mit zunehmendem NIHSS-Wert das Risiko für akut symptomatische Anfälle zunimmt (NIHSS <3:0,6 % vs. NIHSS >31:9 %): Außerdem war das Risiko bei zusätzlichen nichtneurologischen Infektionen und einem niedrigen prämorbiden Funktionsniveau erhöht [68].

Bei Postschlaganfall-Status epilepticus (SE) ist das Risiko für neurologische Folgeschäden 2‑ bis 3‑fach nach 10 Jahren Verlaufsbeobachtung erhöht (von 31 Patienten mit SE starben 15 Patienten, davon 5 Patienten im SE), was für eine Langzeittherapie spricht [52]. Die meisten Patienten werden erfolgreich mit Monotherapie behandelt [54]. Klinische Studien sprechen insgesamt dafür, dass neuere antiiktale Substanzen aufgrund ihrer besseren Verträglichkeit für epileptische Anfälle nach Schlaganfall vorzuziehen sind [61]. Von den neueren antiiktalen Substanzen sind Lamotrigin (LTG,) Levetiracetam (LEV) und Gabapentin (GBP) bei PSE untersucht worden. Dabei zeigten sich eine relativ gute Verträglichkeit und günstiges Interaktionsprofil. Lamotrigin (LTG) zeigte moderate Wirksamkeit (gute Verträglichkeit, eher stimmungsaufhellend, geringes Interaktionspotenzial, Einmalgabe möglich). Levetiracetam (LEV) zeigte starke Wirksamkeit (geringes Interaktionspotenzial, Reizbarkeit, Zweimalgabe und i.v.-Applikation). Gabapentin (GBP) zeigte möglicherweise schwächere Wirksamkeit, geringes Interaktionspotenzial, zudem war eine Mehrfachgabe erforderlich. Eine intravenöse Lacosamid-Verabreichung wies eine gute Wirkung und Verträglichkeit bei nicht konvulsivem Status epilepticus (NCSE) nach Schlaganfall bei Patienten über 70 Jahren auf [6]. Für Eslicarbazepin, Lacosamide, Oxcarbazepin, Perampanel und Zonisamid sind noch weitere Untersuchungen erforderlich [2, 53]. Lacosamid war bei Patienten mit Epilepsie und „zerebrovaskulärer“ Ätiologie in einer explorativen Pilotuntersuchung relativ effektiv und verträglich bei gebotener Zurückhaltung bei Herzrhythmusstörungen. Monotherapiedaten ließen eine bessere Effektivität als Carbamazepin (CBZ) annehmen. Vorteile bestehen außerdem im günstigeren pharmakokinetischen Profil von Lacosamid (LCM) durch weniger Interaktionen und Einwirkungen auf Lipidkonzentrationen [51].

Bezüglich der Effektivität gab es zwischen Levetiracetam (LEV) und Carbamazepin (CBZ) keine signifikanten Unterschiede, Levetiracetam (LEV) wurde jedoch besser toleriert [14]. Während der Levetiracetam-Behandlung waren 77,1 % der Patienten 1 Jahr anfallsfrei. Vier Patienten setzten LEV wegen intolerabler Nebenwirkungen ab (11,4 %) (Müdigkeit assoziiert mit Gangstörung 1 Patient und aggressives Verhalten bei 3 Patienten) [4, 5]. Publikationen über klinische Effektivität und Verträglichkeit von antiiktalen Substanzen zur PSE-Behandlung sind in Tab. 1 zusammengefasst aufgeführt.

Tab. 1 Publikationen über klinische Effektivität und Verträglichkeit von Antikonvulsiva zur PSE-Behandlung. (Mod. nach Tanaka [60])

Carbamazepin, Phenytoin und Valproat gehören bei älteren Patienten mit Komorbidität durch weniger gute Verträglichkeit und deutliches Interaktionspotenzial nicht zur ersten Wahl. Hier sind insbesondere die Interaktion von Carbamazepin mit Antikoagulanzien sowie mögliche Erniedrigung von Simvastatin durch Carbamazepin oder Eslicarbazepin zu bedenken. Carbamazepin, Oxcarbazepin und Eslicarbazepin können v. a. bei Älteren zu Hyponatriämie führen.

Eine risikobasierte Therapiestrategie von einem Frühanfall (PSA) oder Spätanfall (PSE) ist schematisch in Abb. 1 nach Zelano [67] wiedergegeben.

Abb. 1
figure 1

Risikobasierte Therapiestrategie bei PSS. HT hämorrhagische Transformation, ICH „intracerebral haemorrhage“ (intrazerebrale Blutung), IS ischämischer Schlaganfall, PSE „post-stroke epilepsy“ (Epilepsie nach Schlaganfall), PSS „post-stroke seizure“ (epileptischer Anfall nach Schlaganfall), SAH „subarachnoid haemorrhage“ (Subarachnoidalblutung), SE Status epilepticus. (Aus [67])

Wechselbeziehung von Schlaganfall- und Epilepsietherapie

Thrombolyse

Die Differenzialdiagnose zwischen akutem Hirninfarkt und Todd-Parese kann schwierig sein, wenn andere motorische Anfallssymptome der Beobachtung entgangen sind. Unter 539 Patienten mit Thrombolysetherapie befanden sich 11 Patienten, bei denen retrospektiv die beobachtete Lähmung auf eine Todd-Parese und nicht auf einen Schlaganfall zurückzuführen war [62]. Diese diagnostische Unschärfe kann für Therapiemaßnahmen bedeutsam sein. Es stellt sich einerseits die Frage, welche Schädigung durch die Thrombolyse bei Vorliegen eines epileptischen Anfalles zu erwarten ist, und andererseits, ob die Thrombolyse bei Schlaganfall die Manifestation epileptischer Anfälle beeinflusst.

Erhöht die Thrombolyse das Risiko für das Auftreten epileptischer Anfälle und damit der Behandlungsprognose?

Da rt-PA neurotoxisch auf das infarzierte Gehirn wirken könnte, wurde diskutiert, ob die Thrombolyse ein Risikofaktor für epileptische Anfälle nach Schlaganfall sei [3]. De Reuck et al. [16] beschrieben eine Anfallszunahme während der akuten Infarktperiode nach rt-PA, wobei diese mit der Schwere des Schlaganfalls einherging, während die Thrombolyse teilweise PSE verhinderte. Dies wurde auf die verbesserte Perfusion zurückgeführt. Keller et al. [27] konnten keinen Einfluss nachweisen. Nesselroth et al. [44] fanden eine 65 % Risikoabnahme für PSA im Vergleich rT-PA zu Antiaggregationstherapie. Alvarez et al. [3] beschrieben vermehrt Frühanfälle nach Thrombolyse mit schlechterer Prognose. Naylor et al. [42] beobachteten epileptische Anfälle nach Thrombolyse sogar nach 24 Monaten. Bei der Analyse verschiedener Behandlungsgruppen (IV-tPA oder intraarterieller Thrombolyse [IAT] oder Kombination von IV-tPA+IAT) waren alle Reperfusionstherapien im Vergleich zu konservativer Schlaganfallbehandlung mit Anfallsentwicklungen assoziiert (IV-rtPA angepasste Odds Ratio [aOR] 3,7, 95 %-CI 1,8–7,4, p < 0,0001; IAT aOR 5,5, 95 %-CI 2,1–14,3, p < 0,0001, IAT + IV-tPA aOR 3,4, 95 %-CI 0,98–11,8, p = 0,05). Ein Hinweis für eine additive Wirkung lag nicht vor. Es wurde postuliert, dass Anfälle ein Anzeichen einer erfolgreichen Reperfusion nach Thrombolyse seien [50]. Kim et al. [28] vertraten die Auffassung, dass rt-PA einen protektiven Einfluss auf Hirngewebe hat. Tan et al. [59] stellten tierexperimentell fest, dass eine Überexpression endogenen rt‑PA die Anfallsschwelle erniedrigt, aber die Epileptogenese einer akquirierten Epilepsie nach Schlaganfall nicht beeinflusst. Außerdem wurden 177 Patienten mit IV-rtPA behandelt, 158 nicht. rt-PA hat in dieser Studie die Anfallsinzidenz nicht erhöht.

In einer ausführlichen retrospektiven Studie [10] waren das neurologische Defizit nach Thrombolyse und eine hämorrhagische Transformation unabhängige Risikofaktoren für Epilepsie nach Schlaganfällen mit Thrombolyse. Außerdem waren epileptische Anfälle – die im Vergleich zu nicht Thrombolyse-Behandelten häufiger auftraten – ein unabhängiger Risikofaktor für schlechtere Prognose nach schlaganfallbezogener Thrombolyse (OR = 3,07; 95 %-CI = 1,22–7,75; p = 0,018). Wegen der ähnlichen Häufigkeit bei rt-PA- oder IAT- oder IAT+rt-PA-Behandlung wird diskutiert, ob nicht der gemeinsame Grund für Anfallsaktivierung in der Verbesserung der Perfusion durch alle genannten Therapiemethoden sei. Brigo et al. [9] stellten dagegen fest, dass IV-t-PA-Thrombolyse das Risiko für Frühanfälle erhöht (OR 2,2). Multiple logistische Regressionsanalysen identifizierten Lokalisation des involvierten Kortex (OR 2,49) und IV-t-PA (OR 2,26) als unabhängige Risikofaktoren für Frühanfälle. Eine Metaanalyse über 30 Studien von Gasparini [20] verwies auf eine PSE-Prävalenz von 7 %. Kortikale Läsionen (OR: 3,58, 95 % „confidence interval“ [CI]: 2,35–5,46, p < 0,001), hämorrhagische Komponente (OR: 2,47, 95 %-CI: 1,68–3,64, p < 0,001), Frühanfälle (ES) (OR: 4,88, 95 %-CI: 3,08–7,72, p < 0,001) und jüngeres Alter begünstigten PSE, Akuttherapie mit rt-PA nicht. Frühanfälle bedeuten ein deutliches Risiko für spätere PSE. Eine weitere Metaanalyse von Lekoubou und Ssentongo [35] untersuchte das Anfallsrisiko nach IV-t-PA, mechanischer Thrombektomie oder beidem. Die Inzidenz für Spätanfälle betrug 6,7 % und für Frühanfälle 3,14 %. Die gepoolte Analyse für die Odds Ratio für Assoziation zwischen IVT und PSS betrug 1,24 (95 %-CI, 0,75–2,05). Von 15 Patienten mit ischämischer Infarzierung, hatte ein Patient später Anfälle. Eine neuere Analyse an 13.356 Patienten, die einer Thrombolyse beim ischämischen Schlaganfall, und an 1013 Patienten, die einer Thrombolyse und mechanischer Thrombektomie zugeführt wurden, ergab gegenüber für Alter, Schlaganfallschwere und prämorbides Ausgangsniveau adjustierten Vergleichskohorte keine höhere Inzidenz (1,5–1,8 %) für das Auftreten von akuten Frühanfällen [69]. Eine Übersicht über Studien zu Risikofaktoren für Anfallsentwicklung nach Thrombolyse ist in Tab. 2 wiedergegeben.

Tab. 2 Studien zu Risikofaktoren für Anfallsentwicklung nach Thrombolyse

Die bisherige Datenlage zur Anfallsentstehung nach Thrombolyse liefert zum Teil widersprüchliche Ergebnisse, die auf die Komplexität der Variablen, kleine Fallzahlen von monozentrischen Studien, unterschiedliche Untersuchungsmethoden und Limitationen von Metaanalysen auf dem vorliegenden Gebiet zurückzuführen sind. In der Metaanalyse von Gasperini et al. [20] sind z. B. Studien mit Anfallszunahme bei PSE nach 2018 nicht für die statistische Auswertung inkludiert [35, 42]. Die meisten Studien sind retrospektiv. Bei Metaanalysen sind z. B. bei verschiedenen Studien klinische wichtige Kenngrößen wie Infarktausdehnung etc. nicht eruierbar. Eine Anfallsaktivierung nach Thrombolyse ist nach einigen Studien nicht auszuschließen.

Einwirkungen von antiiktalen Medikamenten auf Gerinnung und Herz-Kreislauf

Die europäische Herzrhythmus Gesellschaft veröffentlichte 2018 Empfehlungen für die Anwendung von Nicht-Vitamin-K-Antikoagulanzien für Patienten mit atrialer Fibrillation [56]. Dabei wurde darauf verwiesen, dass Levetiracetam P‑gb im Mausgehirn moduliert und daher für eine Kombination mit diesen Antikoagulanzien problematisch sei. Zu erwartende Effekte von antiiktalen Substanzen auf Serumkonzentrationen von Nicht-Vitamin-K-Antikoagulanzien beschreiben Steffel et al. [56].

Von Oertzen et al. [63] wendeten ein, dass bisher kein klinischen Interaktionen bekannt seien und dass das Risiko einer erhöhten Mortalität durch Epilepsie nach Schlaganfall gravierender sei als mögliche Bedenken gegen eine potenzielle P‑gb-Interferenz. Mathy et al. [40] stellten fest, dass in menschlichen Zelllinien Levetiracetam keinen Effekt auf Expression oder Funktion auf ABC-Transporter-Gene hat, welche ja für P‑gp kodieren. Tierexperimentelle Untersuchungen zeigen, dass Levetiracetam-Spezies spezifisch ein Substrat für das Maus P‑gp, aber nicht für das humane P‑gp sind. Enzyminduzierende antiiktale Substanzen wie Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital und Primidon können erhebliche Wechselwirkungen mit Herz-Kreislauf- und Stoffwechselmedikamenten aufweisen. Diese können für Schlaganfallpatienten schädlich sein. Dies betrifft Antikoagulanzien, Blutdrucksenker, Statine und Betablocker. Unterschiede im Wechselwirkungspotenzial von Edoxaban, Dabigatran, Apixaban und Rivaroxaban sind bei Steffel et al. [56] einzusehen. Antiarrhythmika können prokonvulsive Nebenwirkungen aufweisen [8].

Primär, Sekundär- und Tertiärprävention von epileptischen Anfällen nach Schlaganfall

Weil epileptische Anfälle nach Schlaganfall zu einer Verschlimmerung der Hirnschädigung führen könnten, wie z. B. nach Ergebnissen diffusionsgewichteter MR-Bildung gefunden [32], ist die Frage nach möglichen Präventivmaßnahmen von großer Bedeutung.

Von einer Primärprävention wird gesprochen, wenn dem Auftreten des ersten Anfalles nach dem Schlaganfall vorgebeugt wird. Falls weitere Anfälle verhindert werden sollen, handelt es sich um Sekundärprävention oder wenn die ärztliche Behandlung bzw. Rehabilitation unterstützt wird – auch damit weitere epileptogene zerebrale Veränderung vermieden werden sollen – durch tertiäre Prävention. Letztere verhindert das Fortschreiten einer bereits manifesten Erkrankung.

Tertiärprävention

Ansätze für eine Tertiärprävention entstehen durch individuell optimierte Rehabilitation sowie der antikonvulsiven Therapie. Abgesehen von Indikation, Auswahl und Dosierung von Antikonvulsiva sind potenzielle Langzeitnebenwirkungen zu beachten. Da Patienten mit Epilepsie nach Schlaganfall häufig kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen, sollten Antikonvulsiva, die biochemische Marker für vaskuläre Erkrankungen ungünstig beeinflussen wie Gesamtcholesterin, Lipoprotein, C‑reaktives Protein und Homozystein, möglichst nicht zur Langzeittherapie eingesetzt werden. Nach Mintzer et al. [41] betraf dies in erster Linie Carbamazepin (CBZ), Phenytoin (PHT), Phenobarbital (PB), Primidon (PR). Chuang et al. [13] fanden eine signifikante Verdickung der Intima-Media-Dicke der A. carotis communis. Monotherapie von Enzyminduktoren wie Carbamazepin (CBZ) oder Phenytoin (PHT) waren mit Störungen des Cholesterins, Plasma-gesamt-Homozysteins (tHcy) oder Folsäurestoffwechsels und Erhöhung von Entzündungsmarkern hs-CRP assoziiert. Patienten mit Enzyminhibitortherapie wiesen Erhöhungen der Harnsäure und tHc sowie oxydativer Marker wie Thiobarbitursäure-reaktive Substanzen (TBARS, Nebenprodukte der Lipidperoxidation) auf. Keine signifikanten Veränderungen dieser Marker oder von der A.-carotis-communis-Intima-Media-Dicke (CCA IMT) wurden unter Lamotrigin-Monotherapie gefunden. Allerdings betrug die Dauer der LTG-Therapie in der Studie durchschnittlich nur 5,5 ± 3,1 Jahre, während die anderen Medikamente länger verabreicht wurden (Carbamazepin 13,4, Phenytoin 10,7, Valproat 8,7). Bei Vergleich von Carbamazepin, Phenytoin und Valproat bestand eine besonders starke Assoziation zu HDL-Erhöhung von Carbamazepin und Phenytoin [64]. Eine Statin-Therapie könnte demnach zur Risikominderung für PSA und PSE beitragen.

Sekundärprävention

Die Indikation zur Prophylaxe von epileptischen Anfällen nach Schlaganfall wurde bereits oben besprochen. Die Anfallskontrolle war mit ≥65 % im Vergleich zu Epilepsie allgemein (≤50 % ) stärker [67].

Primärprävention

Für welche Substanzen wird eine antiepileptogene Wirkung diskutiert?

Der bisherige Mangel an translationalen Studien lässt sich auf heterogene Daten zu Läsionen, Dosierungen, Behandlungsbeginn und Dauer sowie Verlaufsuntersuchungsmethodik und Verlaufsdauer zurückführen, was klare Aussagen zum Vergleich von Substanzen und deren möglicher klinischer Potenz erschwert. Ein ausführlicher aktueller Überblick über tierexperimentelle und klinische Daten beim Menschen bezüglich einer antiepileptogenen Evidenz verschiedener Substanzen wird von Klein et al. [30] gegeben.

Im Folgenden sind aus Platzgründen nur einige Substanzen beispielhaft aufgeführt. Potenziell antiepileptogene Eigenschaften wurden z. B. Levetiracetam sowie Gabapentin zugesprochen [39, 48, 58]. Außerdem waren Diuretika, Thiazide, Furosemid im Tierexperiment und bei Patienten in der Lage, Anfälle zu reduzieren [23]. Statin reduzierte bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung das Risiko für Hospitalisierung wegen Epilepsie, während andere antiiktale Substanzen keinen Effekt zeigten [17]. Statine waren in einer Studie von Guo mit reduziertem Risiko für Epilepsie assoziiert [22]. Besonders hohe Dosierungen von Statinen können nach Li et al. [36] das Risiko einer PSE reduzieren. Der Effekt war bei längerer Statin-Applikation stärker. Die Signifikanz der Statin-Therapie war mit Frühanfällen (p = 0,009) und PSE (p = 0,009) assoziiert. Die Anfallsreduktion war besonders stark bei hoher Dosierung (Frühanfälle [p = 0,003], PSE [p = 0,006] [36]). Ein möglicher antiinflammatorischer Mechanismus wird angenommen. Ein systematischer Review über Statine zur Primärprävention von PSA und PSE von Nucera et al. [46] ergab: Eine Studie zeigt vermindertes Risiko für Frühanfälle PSA, 3 Studien für PSE nach hämorrhagischer Infarzierung.

Andere Substanzen wie Rapamycin haben antiepileptogene Mechanismen, sind aber bei PSE noch nicht untersucht [55]. Der Glutamat-Rezeptor-Antagonist Perampanel (PER) war in der Lage, eine überschießende Aktivierung des Glutamat-Rezeptors zu verhindern und ischämische pathologische Langzeitpotenzierung (LTP) zu blockieren. Der neuroprotektive Effekt von PER trat bei sehr niedrigen Dosierungen ein, wie sie für antiepileptische Wirkung erforderlich sind.

Ähnlich zeigte auch Zonisamid (ZNS) neuroprotektive Effekte [15].

Aktuelle Forschungsansätze

Die Bedeutung der Thrombolyse für die Primärprävention ist klärungsbedürftig. Cox-Regressionsanalysen zeigten, dass nur bleibende Folgedefizite nach (nicht vor) Thrombolyse zu ungünstigem Verlauf führten und unabhängig mit Anfällen oder PSE assoziiert waren. Zu untersuchende wichtige Fragen sind z. B.: Was ist bedeutender für die Epileptogenität: der Erhalt des Hirngewebes durch Reperfusion oder die hämorrhagische Infarzierung? Worauf ist die Beobachtung zurückzuführen, dass beim Auftreten von Anfällen der Verlauf ungünstiger wird [10]? Neue tierexperimentelle Ansätze wie das photothrombotische Schlaganfallmodell liefern Voraussetzungen zum besseren Verständnis der Epileptogenese nach Infarzierung [47].

Durch experimentelle Modelle lassen sich molekulare und zelluläre Veränderungen sowie Netzwerkveränderungen im Zeitablauf nach Schlaganfall im Vergleich mit anderen Ursachen analysieren. Warum entwickeln auch Patienten mit Frühanfällen in einem gewissen Prozentsatz später eine Epilepsie?

Die Entwicklung von Biomarkern kann zur Pathophysiologie und Risikoeinschätzung beitragen.

Da Glutamat eine wesentliche Rolle bei der Epileptogenität spielt, ist die Messung der Glutamat-Konzentration nach Schlaganfall von Interesse [45].

Mithilfe von 7 T-Magnetresonanztomographie „Chemical Exchange Saturation Transfer“ (CEST) z. B. als „glutamate chemical exchange saturation transfer“ (GluCEST) kann die Messung am Patienten erfolgen. Dies geschieht als nichtinvasive Konzentrationsbestimmung eines Metaboliten (z. B. Glutamat) durch Energietransfer von Wasserstoffprotonen des Metaboliten mit denen von Wasser. Ein magnetisch saturierter energetisch angeregter Zustand wird spontan durch Wechselwirkung mit den Wasserstoffprotonen des unsaturierten Wassers zum Wasser transferiert. Hierdurch resultiert jetzt ein herabgesetztes Wassersignal in der MR-Bildgebung im Vergleich zum Vorbefund ohne RF-Impuls, da jetzt die angeregten Elektronen des Wassers nicht mehr in die Messung mit eingehen. Die Differenzbildung des Wassersignals ist indirekter Nachweis der Konzentration des zu untersuchenden Metaboliten (Glutamat). Tierexperimentell fand sich bei A.-cerebri-media-Verschluss eine 100 % GluCEST-Erhöhung [11].

Die Abb. 2 zeigt den Transfer der Wasserstoffprotonen und die resultierende Differenz des Wassersignals als Indikator der Glutamat-Konzentration.

Abb. 2
figure 2

Transfer der Wasserstoffprotonen und die resultierende Differenz des Wassersignals als Indikator der Glutamat-Konzentration durch die GluCEST-Methode. CEST „chemical exchange saturation transfer“, RF Radiofrequenz, MT Magnetisierungstransfer. (Aus [31])

Eine andere CEST-Untersuchung betrifft pH-Werte. In diesem Fall handelt es sich bei der Amid-Protonen-Transfer-Signalintensitätsmessung um das pH-gewichtete Verfahren. Bei 55 Patienten mit akuter ischämischer Infarzierung wies die Änderung der Amid-Protonen-Transfer-Signalintensität (APTW) eine gute Korrelation (p < 0,001) mit dem National Health Stroke Scale(NIHSS)-Wert und 90 Tage modifizierten Rankin-Skala(mRS)-Wert (p < 0,001) auf. Hiermit eröffnet sich die Möglichkeit, Schlaganfallschwere und Langzeitprognose einzuschätzen (Abb. 3, [37]).

Abb. 3
figure 3

Konventionelle MRT- und ATPW-Bilder von Patienten mit akuten ischämischen Infarkten und unterschiedlicher klinischer Beeinträchtigung. (Aus [37])

Bis heute existieren keine eindeutigen klinischen Nachweise für die Effektivität einer antiepileptischen Primärprävention mit Medikamenten.

Nichtselektive kompetitive AMPA-Rezeptor-Antagonisten, wie z. B. Perampanel (PER), mit Glutamat modulierender Einwirkung stellen mögliche antiepileptogen und neuroprotektiv wirkende Substanzen dar. GluCEST-Analysen könnten beim Schlaganfall weitere Einsichten liefern, ob:

1. Das Risiko für Post-Schlaganfall-Anfälle (PSA) erhöht ist, 2. eine Primärprävention mit Glutamat-Antagonisten indiziert ist und 3. wie ggf. der antiepileptogene bzw. neuroprotektive Behandlungseffekt im Vergleich zu einer alternativen Therapie ist.

Die Bedeutung von Biomarkers für die Risikoprädiktion zeigt sich auch durch andere Forschungsansätze.

Molekularbiologische Untersuchungen bei Patienten mit intrazerebralen Blutungen mithilfe von MicroRNA-regulatorischem Netzwerk als Biomarker für PSE bestätigten 2 miRNAs (4317 und 4315), welche differenziell exprimiert waren bei PSE. mi 4317 reguliert SCLC38A1, einen Glutamin-Glutamat-Transporter [26]. Die Suche nach Blutbiomarkern, welche prädiktiv für PSE sind, ergab zunächst für klinische Indikatoren, dass ein NIHSS-Score ≥8 (p <0,001) und Frühanfälle (p < 0,001) Faktoren waren, die unabhängig mit PSE-Entwicklung assoziiert waren. Ebenfalls unabhängig assoziiert waren auch Blutbiomarker wie erhöhte Endostatinkonzentration >1,23 (p = 0,046), niedrige Konzentrationen von S100B und des Hitze-Schock-Proteins (Hsc70 <2,496, p = 0,006). Das Epilepsierisiko der kombinierten Biomarker betrug 17. Die Kombination von klinischen und Blutbiomarkern erhöht die Risikoprädiktion weiterhin [1]. Die Ergebnisse ergänzen frühere Befunde von reduziertem TNF-R1 (Tumor-Nekrose-Faktor-Rezeptor 1) und erhöhtem NCAM (neurales Zelladhäsionsmolekül). Dieses vermittelt den Zellkontakt zwischen Neuronen und ist ein Zelladhäsionsmolekül an der prä- und postsynaptischen Membran. Es ist an der Bildung von Neuriten und am Lernvorgang beteiligt (zugehörig zur DAMP-Proteinfamilie; „danger-associated molecular patterns“). Das sind Biomoleküle, die inflammatorische Prozesse in Gang setzen können, welche nach einem Schlaganfall während der neuroinflammatorischen Phase freigesetzt werden. Andere Untersuchungsergebnisse betreffen z. B. den ALDH2 rs671(Acetaldehyde dehydrogenase 2 mitochondriales Enzym)-Polymorphismus als Marker für PSE [66]. Falls die Risikoeinschätzungen von Biomarkern bestätigt werden, könnten sie zur Primär- und Sekundärprävention epileptischer Anfälle nach Schlaganfall beitragen.

Resümee

Die Komplexität der Schlaganfallvariablen erschwert aussagefähige klinische Studien. Einerseits können hypothesengesteuerte Grundlagenstudien den Weg für weitere Forschung bahnen. Außerdem sind prospektive, auch multizentrisch klinische Untersuchungen an großen Patientenkollektiven mit hinreichenden standardisierten Detailinformationen und Fallzahlen für Subanalysen wichtig. Dazu sind allerdings methodisch klar geplante randomisierte kontrollierte Studien zukünftig erforderlich. Der Datenlage entsprechend, ergeben sich zurzeit folgende Konsequenzen:

  1. 1.

    Differenzierte epileptologische Fragestellungen gewinnen zunehmend Bedeutung in der Schlaganfallbetreuung. Daher sind eingehende Untersuchungen und Informationen aktuell wichtig.

  2. 2.

    Eine Indikation zur Primärprävention besteht gegenwärtig nicht. Die Indikation der antiiktalen Sekundärprävention kann individuell auf Grundlage wissenschaftlichen Erkenntnisse durchgeführt werden. Nicht enzyminduzierende bzw. nichtinhibitorische Antikonvulsiva weisen Vorteile auf.

  3. 3.

    Bei der Zulassung von rt-PA galt das Vorhandensein eines epileptischen Anfalles zuerst als Kontraindikation, später als „relative“ Kontraindikation. Das Vorliegen eines epileptischen Anfalles stellt heute nach individueller Abwägung der Indikation keine Kontraindikation zur Thrombolyse mehr dar. Die aktuellen epileptologischen Forschungen können für Leitlinien zur Schlaganfallbehandlung aufschlussreich werden.

  4. 4.

    Die Fehldiagnose Schlaganfall könnte durch schnelle EEG-Ableitung mit rascher Elektrodenplatzierung zeitnah reduziert werden. Wünschenswert sind unkomplizierte EEG-Ableitungen bereits während des Transportes im Rettungswagen mit telemetrischer Übertragung zur Notfalleinrichtung im Krankenhaus.

  5. 5.

    Neue Technologien wie z. B. Biomarker zur Risikoabschätzung für PSE als auch als Effektivitätssurrogatmarker eröffnen zur weiteren Optimierung der Behandlung ein aktuell anwachsendes Forschungsfeld mit klinischer Relevanz.